Bemerkungen zum Layout:

1. Die bei Hutten sehr klein und unter den Text gesetzten Anmerkungen sind hier in den Text integriert worden, aber - der Deutlichkeit halber - blau abgesetzt.

2. Die bei Hutten kursiv gesetzten Teile sind hier zusätzlich fett geschrieben und unterstrichen worden.

3. Bei Hutten beschäftigt sich ein weiteres Kapitel mit der Mutterkirche der NAK - den katholisch-apostolischen Gemeinden - (englische Apostel) - und der eigentlichen Gemeinschaft, aus der die NAK hervorgegangen ist: der "Hersteld Apostolische Zendingkerk" (Apostel Schwarz). Der Inhalt jener Seiten:

Die katholisch-apostolischen Gemeinden

4. Der unten wiedergegebene Hutten-Text ist wie folgt gegliedert:

Die Neuapostolische Kirche

 

 

 

 

 

 

 

Kurt Hutten:

Seher, Grübler, Enthusiasten

Das Buch der traditionellen Sekten und religiöse Sonderbewegungen, 15. Auflage, Quell Verlag, Stuttgart 1997, S. 470 - 512

 

 

Vierter Teil

Unter den Fittichen des vollmächtigen Amtes

 

 

Die Neuapostolische Kirche - S. 470

Die Neuapostolische Kirche

Aus Vollmacht wurde Machtfülle

Die Neuapostolische Kirche hat die gleiche Geburtsgeschichte wie die "Hersteld Apostolische Zendingkerk" (vgl. S. 34ff.), nämlich die Herkunft von der katholisch-apostolischen Bewegung. (Anmerkung 78: Gewöhnlich werden die apostolischen Gemeinschaften im geschichtlichen Zusammenhang behandelt. Der Verfasser hatte jedoch erkannt, daß die Endzeitthematik in der Neuapostolischen Kirche nicht mehr bestimmend war, und hat diese deshalb zunächst unter das Thema "Die Sehnsucht nach Geborgenheit" gestellt (1. Auflage). Auch gewann er immer stärker den Eindruck, daß sich mit der Herausbildung des Stammapostelamtes in der Neuapostolischen Kirche eine auf eine Einzelperson zugeschnittene autoritäre Struktur entwickelt hatte, die den übrigen apostolischen Gemeinschaften (auch jenen, die sich von der Neuapostolischen Kirche wieder gelöst haben) fremd ist. Deshalb behandelte er sie in den späteren Auflagen zusammen mit den Mormonen unter dem Thema "Unter den Fittichen des vollmächtigen Amtes". (d. Red.)) Ihre Anfänge waren eng mit Hamburg verknüpft, wohin HEINRICH GEYER (1818 - 1896) nach seiner Exkommunikation durch den Apostel WOODHOUSE 1863 übergesiedelt war und er nun neben dem Gemeindevorsteher FRIEDRICH WILHELM SCHWARZ (1815 - 1895) als Priester und Prophet wirkte. Er war ein umtriebiger Mann. Von seiner prophetischen Vollmacht, Apostel zu berufen, machte er fleißig Gebrauch. Nachdem er 1863 Schwarz zum Apostel für den Stamm "Juda" = Niederlande gerufen und CARL W. L. PREUSS als Apostel für "Ephraim" = Norddeutschland bestätigt hatte, rief er in einem einzigen Gottesdienst am 30. Oktober 1864 gleich vier weitere Apostel: LUDWIG BÖSECKE (1821 - 1886; Schuhmacher aus Schwedt) sollte in Breslau "das Tor" setzen für Schlesien, Lausitz, Böhmen, Mähren und Polen; LEONHARDT HOHL (1822-1887; Schlosser aus Weikersheim/ Württemberg) sollte in Süddeutschland wirken; HEINRCH FERDINAND HOPPE (geb. 1830 in Hamburg, Korbmacher) sollte in den USA tätig sein; PETER W. L STECHMANN (geb. 1837 in Hamburg-Steinwerder,

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Steinkohlenmakler) bekam Ungarn als Arbeitsfeld zugeteilt. Sie alle hatten der katholisch-apostolischen Gemeinde in Hamburg angehört. Preuß behielt seinen Wohnsitz in Hamburg und sammelte 1865 in Schladen (Harz) "unter Lärm, Hohn und Spott, sowie unter Steinhagel" eine erste kleine Filialgemeinde. Bösecke blieb bis 1872 bei ihm und ging dann nach Schlesien, wo er Gemeinden in Schönau und Hirschberg gründete; auch in Berlin rief er eine Gemeinde ins Leben, während er in Breslau nicht Fuß fassen konnte. Hohl betätigte sich zunächst ergebnislos von Weikersheim aus, zog 1881 nach Gießen und 1885 nach Frankfurt und trieb zusammen mit dem Evangelisten GUSTAV RUFF, einem Maschineningenieur aus Tübingen, in Hessen eine erfolgreichere Arbeit. Hoppe reiste 1872 nach New York und sammelte hier neuapostolische Einwanderer kam aber finanziell auf keinen grünen Zweig und wurde abtrünnig. Stechmann war von einem starken Zeugnisdrang beseelt, konnte aber mangels Sprachkenntnissen in Ungarn nichts ausrichten.

Über den holländischen Stamm "Juda" unter Schwarz wurde an anderer Stelle berichtet (S. 34f.). Von Amsterdam her entstand in Bielefeld eine Filialgemeinde. Bielefeld wurde Sitz des Apostels WILHELM MENKHOFF, eines früheren Missionars und Pfarrers einer freien Gemeinde, den Schwarz gewonnen und 1868 zum Evangelisten, 1872 zum Apostel des Stamms "Isaschar" eingesetzt hatte. Die deutsche Gemeinschaft nannte sich "Allgemeine christliche apostolische Mission" - erst 1907 wurde die Bezeichnung "Neuapostolische Gemeinde", 1921 dann "Neuapostolische Kirche" eingeführt. Ihre "Statuten" verrieten noch eine starke Nähe zur traditionellen Kirche.

Die "Mission" wollte lediglich Seelen für Christus gewinnen und zur wahren Nachfolge führen. Ihre Mitglieder sollten deshalb auch nicht am Besuch der kirchlichen Gottesdienste gehindert, sondern im Gegenteil zur fleißigen Beteiligung und zur Liebe gegenüber ihren Seelsorgern angehalten werden. Eigene Gottesdienste sollten nur außerhalb der kirchlichen Gottesdienstzeit stattfinden. "Die Stellung, welche diese Missionstätigkeit innerhalb der christlichen Kirche gegenüber den Konfessionen und Geistlichen einnimmt, ist demnach eine entschieden freundliche, helfende, dienende, keineswegs aber eine hemmende und störende" (Anmerkung 79: Aus den "Statuten", zitiert nach Karl Schmidt, Jenseits der Kirchenmauern S. 92). Dem Konfirmandenunterricht wurde der Lutherische Katechismus zugrunde gelegt.

In der jungen Gemeinschaft wurde Heinrich Geyer mehr und mehr als ein Störenfried empfunden. Finanzielle Gründe - "er war ewig in Geldnöten" - und Geltungsbedürfnis trieben ihn, heimlich hinter dem Rücken seines Apostels Preuß zu intrigieren und einen eigenen Anhang zu werben (Anmerkung 80: K. Weinmann: aus 100 Jahre Neuapostolische Kirche, S. 140). Auch Lehrunterschiede schufen eine Spannung zwischen ihm und Preuß, so etwa seine Behauptung daß alle Gläubigen das "Sonnenweib" von Offenbarung 12 darstellen und einmal vor dem "Drachen" nach Brasilien fliehen müssen.

Zum offenen Konflikt kam es als Apostel Preuß am 25. Juli 1878 starb. Schon vier Monate zuvor hatte Geyer in dessen Abwesenheit während einer privaten Zusammenkunft den Hamburger Kohlenhändler JOHANNES F. L. GÜLDNER zum

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Apostel gerufen. Preuß verweigerte die Anerkennung und berief noch auf dem Totenbett den Ältesten Wichmann zu seinem Nachfolger, konnte aber nichts gegen Geyer unternehmen, "denn das Prophetenwort galt in der Weissagung damals als das Wort des Herrn" (Anmerkung 81: a.a.O. S. 138). Nach seinem Tod rief denn auch Geyer im Gottesdienst am 4. August 1878 erneut Güldner zum Apostel und Nachfolger von Preuß. Dagegen protestierte der größte Teil der Hamburger Gemeinde, und Wichmann trat zum Altar und setzte Geyer kurzerhand ab. Ein "schlimmer Tumult" entstand, und eine Inflation von Apostelrufungen setzte ein: Wichmanns Frau rief ihn, unterstützt von seinem Sohn, durch "Weissagung" zum Apostel. Ein Dienstmädchen rief ebenfalls durch "Weissagung" seinen Dienstherrn zum Apostel. Andere weissagende Personen erkoren noch einen vierten zum Apostel. Das Ganze war ein skandalöser Mißbrauch der Weissagungsgabe mit der Folge, daß keiner der Anwärterrivalen sich durchsetzen konnte, Geyer von Wichmann hinausgewiesen wurde und mit seinem Anhang unter Mitnahme ihrer Gewänder und verschiedener Utensilien das Gottesdienstlokal verließ. Ein Nachfolger für Preuß wurde nicht bestimmt (dies geschah erst 1880), und die Hamburger Gemeinde unterstellte sich aufgrund einer Weissagung dem Apostel Menkhoff. Sie erlitt durch Geyers Auszug schwere Verluste. Dieser gründete in Hamburg eine eigene Gemeinde unter dem Namen "Apostolische Mission", baute eine Kapelle und "diente" zusammen mit Güldner auch den Gemeinden in Schlesien. Aber seine Gemeinschaft blieb ohne Bedeutung und siechte nach seinem Tod 1896 dahin; die Kapelle in Hamburg wurde am Ende des Ersten Weltkrieges geschlossen, weil die Gemeinde sich aufgelöst hatte. (Anmerkung 82: Ob damit auch die ganze "Apostolische Mission" erloschen ist, läßt sich nicht klären. Nach K. Weinmann ist sie verschwunden. Nach anderen Berichten fand sie 1925 Verbindung mit der "Vereinigung vom gemeinsamen Leben", die dem 1906 gegründeten "Schweizerischen Diakonieverein" (Sitz Badenweiler) ist. Nach neuesten Mitteilungen besteht die Gemeinschaft Geyers als "Allgemeine Christlich-Apostolische Mission" immer noch und verfügte um 1970 über einen Priester in Hamburg und einen Engel in Bochum-Weitmar; ihre Glieder gehören meist der Landeskirche an.)

Der Dienst des Propheten hatte in der Geschichte der apostolischen Bewegung eine zwiespältige Rolle gespielt. Einerseits wäre es ohne das "prophetische Wort" überhaupt nicht zur Errichtung des Apostelamtes gekommen; auch war nach katholisch-apostolischer Tradition die einzelne Rufung zum Apostel ohne Prophet nicht möglich. Darüber hinaus befruchteten die Propheten den Aufbau und das Leben der Gemeinden in vielfältiger Weise. Aber das Auftreten Geyers machte auch deutlich, welche Schwierigkeiten selbstbewußt agierende Propheten hervorrufen konnten. Sie waren die Repräsentanten der charismatisch-geistlichen Vollmacht, die Apostel die Träger der göttlich autorisierten Amtsvollmacht. Eine klare Abgrenzung und harmonische Zuordnung der beiden Vollmachten war unmöglich; jeder Konflikt zwischen ihnen mußte zu einer Krise führen. Der Gefahrenherd konnte nur dann ausgeräumt werden, wenn entweder der Prophet der Vormundschaft des Apostels oder der Apostel dem Wort des Propheten unterstellt wurde. Aber das hätte hier wie dort zu einer Lähmung geführt.

Dieses Problem war ein Unruhefaktor in der katholisch-apostolischen Geschichte

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gewesen und kehrte auch in der neuapostolischen Gemeinschaft wieder. Hier um so mehr, als mannigfache Erscheinungen wie z.B. der erwähnte Gottesdienst von 1878 zu erkennen ließen, daß das charismatisch-prophetische Element der Verwilderung verfiel, weil Weissager und Propheten es in den Dienst eigener Interessen, Einfälle und Parteiungen stellten oder in Zuchtlosigkeit ausarten ließen. In einer kleinen Schrift gab eine kluge, kritische Frau, die von dem Apostel Hohl gewonnen worden war, sich später aber ernüchtert wieder abwandte, ein Bild von dem Leben der Gemeinden um 1894 in Hessen: In den Gottesdiensten ging es sehr lebhaft zu. "Weissagung auf Weissagung ertönte; der Saal zitterte zuweilen unter dem Schütteln, Stampfen, Zucken und Zittern der begabten Glieder." Der Prophet "zottelte und zappelte und wurde wie von einer unsichtbaren Macht vom Stuhl in die Höhe geschleudert und schrie mächtige Worte in die Versammlung hinein". War er nicht da, dann sprangen "weissagende" und "visionäre" Glieder ein mit ihren primitiven Sprüchen: "Ja, so spricht der Herr!" - "Ich habe dich erwählet!" - "Eile und errette dich!". Als der Apostel merkte, daß den Zuhörern die "Weissagungen" wichtiger waren als seine Predigt, weil sie in ihnen unmittelbar den Herrn zu hören glaubten, "donnerte er dazwischen und belehrte uns, daß alle Weissagung vorher durchs Apostelamt ginge und die Predigt - Gottes Wort von heute - über der Weissagung stehe". Er stellte dem Glauben an die vom Heiligen Geist eingegeben Weissagung den "unbedingten Glauben an den im Apostel fleischgewordenen Jesus" entgegen und forderte, daß die Schafe allein der Stimme des Apostels zu folgen haben. (Anmerkung 83: Luise Kraft, Unter Aposteln und Propheten 1913)

Hier zeichnete sich bereits die Lösung ab, die dann die innere Gestalt der neuapostolischen Gemeinschaft bestimmte: Das Prophetentum war degeneriert und wurde unter Zensur gestellt; später wurde es aufgehoben und seine Funktion vom Apostel übernommen. Er repräsentierte nun in Personalunion die apostolische Amtsvollmacht und das prophetische Charisma. Das bedeutete für ihn einen mächtigen Zuwachs an Autorität. Man darf diese Einverleibung des Prophetischen in das Apostelamt nicht von vornherein als gezielte Aktion herrschsüchtiger Apostel verdächtigen. Sie war notwendig um der Ordnung willen (Anmerkung 84: Wer einen gründlichen Einblick in die Welt der Weissager und Winkelpropheten gewonnen hat, der weiß, wie üppig sich hier ein undisziplinierter Wildwuchs entwickeln kann. Da treten heilige Phantasten, monomane Eigenbrötler, sendungsbessene Fanatiker, wirre Psychopaten, geld- und geltungssüchtige Hochstapler auf und verkündigen, daß sie himmlische Offenbarungen empfangen oder auserwählte Werkzeuge seien oder gar Inkarnationen eines Erzengels oder einer der biblischen Endzeitgestalten oder Christi selbst darstellen. Sie beanspruchen höchste Autorität für ihre Visionen, abstruse Schriftdeutungen, Heilslehren und apokalyptischen Botschaften und können, wenn sie einigermaßen beeindruckend auftreten, viel Verwirrung stiften. Im Alten und Neuen Testament wird denn auch immer wieder vor "falschen Propheten" und lügnerischen Weissagern gewarnt; in der Offenb. (16, 13; 19, 20) ist der "falsche Prophet" der große Verführer im Gefolge des Antichrists. Schon die frühe Christenheit mußte sich solcher gefährlichen Elemente erwehren, und jede Kirche war genötigt, Schutzdämme gegen sie zu errichten. Das bleibt auch keiner neugegründeten außerkirchlichen Glaubensgemeinschaft erspart, will sie nicht in Schwarmgeisterei oder sich in Zwistigkeiten zerreiben.) und entsprach einer inneren Konsequenz der apostolischen Bewegung, die von Anfang an den Apostel zu einer zentralen Figur erhoben hatte. Sie verlockte freilich dazu, dem Apostel eine geistige Monopolstellung zu verschaffen die den neutestamentlichen

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Aussagen über die Ämter (Röm. 12, 4 - 8; 1. Kor. 12) fremd war. So gebar sie neue Probleme und Gefährdungen die der neuapostolischen Gemeinschaft fortan zu schaffen machten.

Durchgeführt und zugleich übersteigert wurde diese Monopolisierung durch den Apostel FRITZ KREBS (1832 - 1905, von Beruf Bahnmeister, 1865 von Preuß in Schladen versiegelt). Schon als er 1880 durch zwei Weissagungen des Propheten Hugo und des Apostels Hohl zum Nachfolger des verstorbenen Apostels Preuß gerufen wurde, ignorierte Menkhoff diese Berufung und übertrug ihm nur das Bischofsamt; erst ein Jahr später ordinierte er ihn zum Apostel für "Ephraim" mit Sitz in Wolfenbüttel. Damit war bekundet worden, daß für die Einsetzung eines Apostels nicht der Prophet, sondern allein ein Apostel zuständig ist. Krebs führte diese Linie fort. Zusammen mit Menkhoff und ohne Beteiligung eines Propheten setzte er 1886 den Evangelisten H. F. NIEMEYER ins Apostelamt für Australien ein. Zugleich betrieb er eine engere Verbindung der deutschen Apostel untereinander, wobei ihm mit der Federführung auch eine Leitungsposition zukam. Er nahm eine Gesamtverantwortung für das neuapostolische Werk wahr und schickte z.B. 1885 den aus Mähren stammenden Amtsträger Josef Hallawitsch nach Wien, um dort Anhänger zu werben. Als Menkhoff altershalber Entlastung brauchte, übernahm Krebs auch die Leitung des Hamburger Bezirks. Mit größter Tatkraft betrieb er den Ausbau des Werks; es konnte in den neunziger Jahren ein beträchtliches Wachstum verzeichnen.

Hand in Hand mit dieser Festigung des Apostelamtes sorgte Krebs auch für eine Steigerung der inneren Vollmachten der Apostel. Im Bund mit dem Kleinlandwirt HERMANN NIEHAUS (1848 - 1932) aus Steinhagen bei Bielefeld, den Schwarz 1869 zum Diakon eingesetzt hatte, entwickelte er die Lehre, daß die Worte der lebenden Apostel einen ebenso hohen Wert hätten wie die Worte der biblischen Apostel. Damit wurde ein Grundsatz ins Spiel gebracht, in dessen Konsequenz die Apostel der Neuapostolischen Kirche eine höhere Autorität als die der Bibel beanspruchten. Des weiteren setzte Krebs dem von Schwarz vertretenen katholisch-apostolischen Standpunkt von der Kollegialität aller Apostel seine Konzeption der "Aposteleinheit" entgegen. Die Gleichberechtigung sei etwas "Republikanisches", sagte er und "wo dies Republikanische ist unter den Aposteln und sie in der Zahl der Zwölfe selbständig regieren, da kann von einer Einheitsregierung Christi nicht die Rede sein. Wo kein Gehorsam untereinander gefunden wird unter Christum, dem Haupt seiner Gemeinde, wie werden dann Gemeinden und Glieder eins sein?" (Anmerkung 85: Wächter Zions, März 1899, S. 36) Als Gemeindemitglieder und Propheten die ausschließlich an der Schrift und am prophetischen Wort festhalten wollten, sich seinen Bestrebungen widersetzten, nannte sie Krebs hochmütig. Er warf ihnen vor, daß sie sich über die Apostel erheben wollten. Ohne die Hintergründe zu nennen, beschwerte er sich mit der Bitte um Rat bei Schwarz, der ihm im Mai 1895 mit einem "Konzept" antwortete. Darin grenzte er die Befugnisse der Apostel und Propheten nach dem katholisch-apostolischen Muster ab und trat den Herrschaftsgelüsten von Krebs entgegen: "Des Herrn Wort: Wer der Erste sein will

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unter euch, sei euer Knecht! gilt uns Aposteln." Es kam zu einer Briefdiskussion, die nach einigen Monaten durch den Tod von Schwarz abgebrochen wurde. Schwarz hatte auch in den deutschen Gemeinden hohes Ansehen genossen. Nach seinem Tod konnten Krebs und seine Anhänger die zuvor nur unverhüllt vorgetragenen Lehren von der geistlichen Machtfülle des Apostelamtes und von der "Aposteleinheit" offen entfalten. Damit und mit den daraus gezogenen Konsequenzen wurde der Bruch mit der katholisch-apostolischen Vergangenheit vollendet. Die neuapostolische Gemeinschaft wurde geboren. Den Aposteln wurde nun, unter Ausschluß aller anderen Ämter, die exklusive Vollmacht der Heilsvermittlung zugeschrieben: "Die lebenden Apostel sind die Tore zum Reiche Gottes." "Die lebenden Apostel als Träger des Versöhnungsamtes können mich allein mit Gott versöhnen, weil ihnen allein das Vermögen Jesu, welches durch seinen Opfertod erworben ist, als Bezahlung für unsere Schulden, durch den Herrn Jesus übergeben ist." " Eine andere Versöhnung mit Gott gibt es nicht, als allein durch das Gnaden- und Apostelamt." (Anmerkung 86: Apostolisches Sonntagsblatt 1.9.1907) Im damaligen neuapostolischen Gesangbuch wurde den Aposteln sogar ein Amt des stellvertetenden Sühneleidens zugeschrieben: "Wer Jesum in seinen Aposteln erblickt, wird heil zu derselbigen Stund! Drum blick nur auf sie, die der Vater geschickt. Sie werden für dich noch verwundt" (Lied 176,1).

Aber die Entwicklung ging noch weiter. War nicht Petrus besonders hervorgehoben unter den Zwölfen? Also mußte auch unter den neuen Aposteln einer der höchste sein. Krebs lehrte, daß er der Sender aller Priester, auch der Apostel, sei. Schon im Jahr 1896 nahm er die Amtsbezeichnung "Stammapostel" an. Diesen Begriff hatte es auch in der katholisch-apostolischen Gemeinschaft gegeben: Jeder Apostel hatte einen "Stamm", war also "Stammapostel", und alle waren einander gleichgeordnet. Nun schaffte Krebs die zwölf "Stämme" ab, veränderte den Begriff "Stamm" - aus dem Volks-Stamm in den Baum-Stamm der die Äste trägt und die Zweige nährt - und reservierte ihn als Ausdruck seiner höchsten Würde für sich allein. 1905 schaffte er auch das Prophetenamt ab. Das geistliche Monopol des Apostelamts wurde dadurch vollendet und in der Folgezeit auch lehrmäßig zementiert. Während das "Lehrbuch" von 1933 noch ausdrücklich die "bezeugenden Gaben" (Weissagung Zungenrede, Gesichte, Träume) neben den "Amtsgaben" erwähnt und den anderen Glaubensgemeinschaften vorgeworfen hatte, daß dies Bezeugungsgaben bei ihnen fehlen oder verachtet werden, schob sie das "Lehrbuch" von 1952 an den Rand. Sie werden hier zwar noch genannt, aber es wird betont: "Die wichtigsten und vornehmsten Gaben sind die Amtsgaben." (Anmerkung 87: Lehrbuch 1971, Artikel 248)

Krebs verstand es, dem Stammapostelamt einen herrscherlichen Charakter zu geben. Die Mitapostel, in deren Reihen er zunächst nur primus inter pares gewesen war, machte er zu seinen Untergebenen: Wer nicht in Verbindung mit ihm als dem "Einheitsvater" stehe, habe sich vom Weinstock getrennt. Sie beugten sich und begnügten sich mit der Briefträgerrolle, "den Willen des Vaters Krebs als

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Brot darzureichen". Der Berliner Apostel Hallmann äußerte: "Des Vaters Seele muß in uns, und unsere Seele in ihm leben. Den eigen Willen der Gemeinde zur Speise geben ist Saufleisch." (Anmerkung 88: Bericht für die "Ämter" vom 9.11.1904, S. 13 und 9). Bei der Einsetzung von Amtsträgern rief Krebs einmal aus: "Ihr habt gesungen: An dir allein habī ich gesündigt, und so rufe ich die drei Ältesten und den Bischof vor. Lernt daran, daß, wenn ich die Hand zurückzöge, wäre es euer Tod auf der Stelle." (Anmerkung 89: a.a.O. vom 15.4.1904, S. 43) Sein Nachfolger Niehaus schrieb: "Es ist nicht so leicht, in die Nähe des von Gott gesandten Apostels zu kommen; denn er ist nicht mein Kollege, auch nicht mein Gespiele, auch nicht mein Bruder - sondern mein Herr und Meister! Ich schämte mich immer, wenn ich in seinen Briefen an mich lese, wo er sich "mein Bruder" nennt und sich zu mir elenden Menschen erniedrigt. (Anmerkung 90: Sein letztes Wort (Nachruf auf den Tod des Stammapostel Krebs), 1905) Bei seinen Anhängern genoß Krebs eine abgöttische Verehrung, und in dem soeben zitierten Nachruf wurde er in den Rang eines Erlösers erhoben. Sein Sterben wurde als Sühnopfer gedeutet: "Weinend und flehend stand Vater Krebs vor seinem Gott für uns Menschen, und ein heißer Blutstrom Christi quoll aus seinem Munde." "Das letzte Abendmahl wurde von Vater Krebs bereitet, wie er noch sagte: Ehe ich hingehe und leide." In jenem letzten Gottesdienst stand "der liebe Vater wie verklärt im Geisteswirken voll der Fülle, der Gottheit und des Lichtes vor uns ... Das war kein Mensch mehr, der da sprach, das konnte nur Christus sein, wie Vater Krebs das auch beim Abendmahl vorbrachte: Das ist mein Fleisch, obwohl ich noch lebe." Krebs "hat sein Leben zum Schuldopfer gegeben und ist aus der Angst und dem Gericht genommen, da er um die Missetat der Menschen geplagt war" (Anmerkung 91: a.a.O. S.10 und 15).

Bereits sieben Jahre vor Krebsī Tod war Hermann Niehaus zum Nachfolger des Stammapostels bestimmt werden. Auch er mußte, was er diesem Amt schuldig war. Er handelte stets nach dem an Krebsī Sarg gesprochenem Wort, "daß an seiner Dickhaut und eisernen Stirne alles zerschellen und kein Stein auf dem anderen bleiben solle" (Anmerkung 92: a.a.O. S.15). Bereits in "Sein letztes Wort" wurde der Übergang vollzogen: Niehaus stand, so wird hier erzählt, acht Tage nach dem letzten von Krebs gehaltenen Gottesdienst an derselben Stelle; sein Auge blitzte feldherrngleich, und dem Betrachter kam die Erkenntnis: Dem Fleisch nach ist er Niehaus, aber der Geist ist der des Vaters Krebs. "Eine heilige Freude schoß in meine Herzenswunde: der Geist des Vaters Krebs liegt auf dem lieben Vater und Apostel Niehaus! Nun zittert, ihr Höllenmächte!" Und Niehaus bestätigte dies: "Ich vermag alles durch den, der mich mächtig gemacht hat durch den Entschlafenen. Tod, ich will dir ein Gift sein, Hölle, ich will dir eine Pestilenz sein, deine Sklaven sollen zittern und beben, und es soll kein Stein auf dem andern bleiben." Auch das Gesangbuch von 1912 spiegelte einen nahtlosen Übergang. Rückblickend hieß es in Lied 509: "Ja nirgends auf dem Erdenrund fühltī ich mich frei so von Beschwerde, als an der Brust von Vater Krebs, das war mein Himmel auf der Erde", um dann in Vers 3 dem neuen Stammapostel zu huldigen: "Verloren gehet von uns keiner, so wir

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uns klammern an die Hand in seinem Sohne Niehaus heute. An dieser Brust wird weiter blühn für uns der Himmel auf der Erde." Die beiden Strophen wurden später durch andere ersetzt, in denen die Personennamen fehlten. Während Niehausī Amtszeit stieg die Zahl der Gemeinden von 488 auf etwa 1600 in Europa und 200 in Übersee.

Sein Nachfolger, JOHANN GOTTFRIED BISCHOFF (1871-1960), Sohn einer katholischen Handwerkerfamilie in Unter-Mossau (Odenwald), hatte ursprünglich die Schuhmacherei erlernt, wurde später Sergeant in Mainz und 1898 ein kleiner Zigarrenhändler. Um so größer war seine Karriere in der neuapostolischen Gemeinschaft, der er 1897 beigetreten war. Schon 1906 wurde er Apostel und 1924 zum Nachfolger von Niehaus bestimmt. Als er 1930 das Stammapostelamt übernahm, wurde das Zentrum der Neuapostolischen Kirche nach Frankfurt/ Main verlegt. Hierher kam auch Verlag und Druckerei. In der Führung der Gemeinschaft bewies Bischoff die gleiche selbstbewußte Robustheit wie seine beiden Vorgänger. Widerspruch duldete er nicht. Er schlug jede Opposition nieder, ohne lange ihr inneres Anliegen zu prüfen. Er erwies sich in schwierigen Lagen nicht als Hirte und Seelsorger, sondern als bloßer Taktiker, der im Bedarfsfall auch Skrupellosigkeit - von der Beugung der Wahrheit bis zur Intrige und Cliquenbildung - nicht verschmähte. Der Apostel Max Ecke bezeugt ihm: "Die großen Erfolge in der Glieder- und Ämterzahl, der materielle Reichtum und Wohlstand und nicht zuletzt die tausendfältige Lobhudelei und Vergötterung haben den Mann nicht dankbar, klein und demütig vor dem heiligen und gnädigen Gott gestaltet, sondern haben ihn persönlich groß gemacht" (Anmerkung 93: Herold Nr. 19, 1955). So sammelte sich allerlei Zündstoff gegen ihn an. Daß sich über der Neuapostolischen Kirche in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg schwere Verhängnisse zusammenballten, ist wesentlich seine Schuld. Während seiner Amtszeit ereigneten sich mehr Abspaltungen als bei seinen beiden Vorgängern zusammen.

Als 1933 Hitler an die Macht kam sorgte Bischoff dafür, daß seine Kirche sich reibungslos in die neue Lage einfügte. Der 10. Artikel des Glaubensbekenntnisses vom Gehorsam gegen die Obrigkeit, der in der Weimarer Demokratie, fallen gelassen worden war, wurde 1933 wieder hereingenommen. In seinem Rundschreiben an die Amtsträger vom 25. April 1933 empfahl Bischoff, bei Eintrittsgesuchen von Mitgliedern aufgelöster staatsfeindlicher und freidenkerischer Organisationen in Zweifelsfällen "die Personalien solcher Personen der zuständigen Ortsgruppe der NSDAP zur Nachprüfung vorzulegen" und ihre Aufnahme erst nach dem Vorliegen einer Unbedenklichkeitserklärung der NSDAP zu vollziehen. Die "Wächterstimme aus Zion" "arisierte" er Anfang 1934 durch Streichung des "aus Zion". Im "Lehrbuch", Ausgabe 1938, wurde zu der Frage 172 festgestellt, daß "dem Aufnahmegesuch nicht entsprochen werden kann, wenn der Aufzunehmende sich im Widerspruch zur Staatsführung befindet, die der Neuapostolischen Kirche die Ausführung ihrer seelsorgerischen Tätigkeit gestattet" (1952 wurde dieser Passus wieder getilgt). So kamen die Neuapostolischen ohne Konflikte durch die Zeit der braunen Dik-

 

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tatur. Auch in der DDR blieben sie unbehelligt (Anmerkung 94: Nach der Volkswahl vom 17.10.1954 sandte die Neuapostolische Kirche in Berlin und Land Brandenburg dem Magistrat von Ostberlin "aufrichtige Glückwünsche" und eine Spende von 1000 DM Ost zum weiteren Aufbau der Hauptstadt Deutschlands anläßlich des überwältigenden Bekenntnisses der Berliner Bevölkerung zu den Kandidaten der Nationalen Front. "Wir geben der Hoffnung Ausdruck, daß auch in Zukunft die Zusammenarbeit zwischen dem Magistrat von Groß-Berlin und unserer Kirche, so wie bisher, eine für beide Teile recht segensreiche bleiben möge." (Oldenburger Sonntagsblatt, 21.11.1954)) und bewiesen ihre Ergebenheit gegenüber dem neuen Regime. Für ihre loyale Arbeit ernteten sie Lob politischer Stellen.

Nach Bischoffs Tod 1960 wurde WALTER SCHMIDT (geb. 1891 in Neuemühle, Westfalen, von Beruf Kaufmann) zum Stammapostel gewählt. Ihm gelang es, die von seinem Vorgänger hinterlassene Krisensituation allmählich zu beruhigen und die Gemeinschaft in eine Zeit stetiger Entwicklung zu führen. Als er 1974 während eines Gottesdienstes in Ludwigsburg zusammenbrach, erklärte er seinen Rücktritt und bestimmte den schweizerischen Bezirksapostel ERNST STRECKEISEN (geb. 1905 in St. Gallen) zu seinem Nachfolger. Mehr noch als Walter Schmidt besuchte dieser die Gemeinden im Ausland und machte weite Reisen, die ihn in alle Kontinente führten. Als erster Stammapostel konnte er 1976 auch die Gemeinden in der DDR besuchen. Aber schon nach kurzer Amtszeit starb er unerwartet am 8. November 1978 in Kapstadt bei einem Besuch der südafrikanischen Gemeinden. Am 18. November, einen Tag nach seiner Beisetzung in Zürich, wählte hier eine außerordentliche Apostelversammlung den schweizerischen Bezirksapostel HANS URWYLER (geb.1925) zum neuen Stammapostel.

Das Glaubensbekenntnis

Das neuapostolische Glaubensbekenntnis enthält in seinen drei ersten Artikeln das Apostolicum, hat aber an dessen Text einige charakteristische Änderungen vorgenommen. Hier wie auch in den anderen sieben Artikeln ist der Wortlaut im Lauf der Zeit immer wieder verändert worden. Auch hinter scheinbar wenig bedeutungsvollen Umformulierungen oder Streichungen verbargen sich oft beträchtliche Verschiebungen im Lehrgefüge. Der folgende Text stellt den gegenwärtig gültigen Wortlaut dar, wie er im Lehrbuch "Fragen und Antworten über der neuapostolischen Glauben" (1971) steht:

Der 1. Glaubensartikel: Ich glaube an Gott den Vater den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden.

Der 2. Glaubensartikel: Ich glaube an Jesum Christum, Gottes eingeborenen Sohn, unsern Herrn, der empfangen ist von dem Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben begraben, eingegangen in das Reich der Entschlafenen, auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel, sitzend zur rechten Hand Gottes, des allmächtigen Vaters, von dannen er wiederkommen wird.

Der 3. Glaubensartikel: Ich glaube an den Heiligen Geist, eine heilige Apostolische Kirche, die Gemeinde der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und ein ewiges Leben.

Der 4. Glaubensartikel: Ich glaube, daß der Herr Jesus seine Kirche durch lebende Apostel regiert bis zu seinem Wiederkommen, daß er seine Apostel gesandt hat und noch sendet mit dem Auftrag, zu lehren, in seinem Namen Sünden zu vergeben und mit Wasser und dem Heiligen Geist zu taufen.

Der 5. Glaubensartikel: Ich glaube, daß sämtliche Ämter in der Kirche Christi nur von Aposteln erwählt und in ihr Amt eingesetzt werden, und daß aus dem Apostelamt Christi sämtliche Gaben und Kräfte hervorgehen müssen, auf daß, mit ihnen ausgerüstet, die Gemeinde ein lesbarer Brief Christi werde.

Der 6. Glaubensartikel: Ich glaube daß die Heilige Taufe mit Wasser ein Bestandteil der Wiedergeburt ist und der Täufling dadurch die Anwartschaft zur Empfangnahme des Heiligen Geistes erlangt. Sie ist ferner der Bund eines guten Gewissens mit Gott.

Der 7. Glaubensartikel: Ich glaube, daß das heilige Abendmahl zum Gedächtnis an das einmal gebrachte, vollgültige Opfer des bitteren Leidens und Sterbens Christi, vom Herrn selbst eingesetzt ist. Der würdige Genuß des Heiligen Abendmahls verbürgt uns die Lebensgemeinschaft mit Christo Jesu, unserem Herrn. Es wird mit ungesäuertem Brot und Wein gefeiert; beides muß von einem priesterlichen Amt der Kirche gesegnet und gespendet werden.

Der 8. Glaubensartikel: Ich glaube, daß die mit Wasser Getauften durch einen Apostel zur Erlangung der Erstlingsschaft den Heiligen Geist empfangen müssen, wodurch sie als Glieder dem Leibe Christi eingefügt werden.

Der 9. Glaubensartikel: Ich glaube, daß der Herr Jesus so gewiß wiederkommen wird, wie er gen Himmel gefahren ist, und die Erstlinge aus den Toten und Lebenden, die auf sein Kommen hofften und zubereitet wurden, verwandelt und zu sich nimmt, daß er nach der Hochzeit im Himmel mit diesen seinen Erstlingen auf die Erde zurückkommt, sein Friedensreich aufrichtet und daß sie mit ihm als Könige und Priester regieren. Am Abschluß des Friedensreiches wird er das Endgericht halten, wo alle noch Lebenden samt den Toten ihr Urteil empfangen, wie sie gehandelt haben bei Leibesleben, es sei gut oder böse.

Der 10. Glaubensartikel: Ich glaube, daß die Obrigkeit Gottes Dienerin ist uns zugute, und wer der Obrigkeit widerstrebt, der widerstrebt Gottes Ordnung, weil sie von Gott verordnet ist.

Das "Erlösungswerk Gottes" und der Stammapostel

"Die Neuapostolische Kirche ist die Kirche Jesu Christi. Sie ist sein ewiges Gnaden- und Erlösungswerk auf der Erde", von ihm selbst gegründet und von seinem Heiligen Geist regiert. Sie ist "als das wiederaufgerichtete Erlösungswerk unseres Gottes im geistigen Sinn die direkte und unmittelbare Fortsetzung der ersten apostolischen Kirche, mit der sie die alleinige Kirche Christi bildet und Gottes Volk ist". So beschreibt das Lehrbuch von 1971 (Frage 216) ihr Selbstverständnis. Sie meldet damit einen exklusiven Anspruch an: Sie ist nicht eine, sondern die Kir-

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che Jesu Christi! Außer ihr ist kein Heil. Daraus ergibt sich: Alle anderen Kirchen stehen abseits des erlösenden Wirkens Gottes. Die neuapostolischen Christen sollten mit ihnen keine Verbindung haben. Die kirchliche Trauung eines gemischten Paares ist nicht erwünscht; die neuapostolische Trauung eines gemischten Paares darf nur außerhalb des Gottesdienstes vorgenommen werden; bei der Versiegelung eines Kindes aus gemischter Ehe ist der andersgläubige Elternteil auf die Zuschauerrolle beschränkt.

Aus dem Selbstverständnis als "Erlösungswerk Gottes" wurden alle Konsequenzen gezogen. Die Neuapostolische Kirche sieht sich nicht nur als ein Werkzeug Gottes, sondern als den Raum, in dem Menschen, die Träger des Apostelamts, die Erlösung sichtbar vollziehen. Die Apostel verwalten die Heilsgnade Gottes in eigener Regie und können sie austeilen. Sie sind die vollgültigen Nachfolger der Urapostel, ihnen ebenbürtig an geistlicher Kraft und Vollmacht. Sie sind wie jene von Christus erwählt. Die Worte, die Jesus einst an seine Jünger richtete, gelten auch den neuen Aposteln: "Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf" (Matth. 10,40) "Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich" (Luk. 10,16) "Was ihr auf Erden bindet werdet, soll auch im Himmel gebunden sein; und welchen ihr behaltet, denen sind sie behalten" (Joh. 20,23) Sie sind Kraft ihres Amtes Träger des Heiligen Geistes. Darum sind sie auch "befähigt, die Absichten Gottes zu verstehen" (Anmerkung 95: Lehrbuch 1971, Art. 9). Das will heißen, daß die Apostel imstande sind, den Willen Gottes für das heutige Geschlecht, das "zeitgemäße Wort Gottes" zu verkündigen. Dieses "zeitgemäße Wort" steht gleichrangig neben dem biblischen Wort. Die Lehre von den Erlösungsvollmachten der Apostel weist eindeutig eine Tendenz der Steigerung auf.

Die Apostel haben also eine gewaltige geistliche Macht. Mit ihnen "hat der Herr den Menschen Männer gegeben, die über Tod und Leben verfügen. Wer Gnade sucht, empfängt sie aus ihrer Hand; wer sich weigert, durch sie die Gnade des Herrn zu ergreifen, muß in seinen Sünden sterben". (Anmerkung 96: Wächterstimme 1.11.1959) Aber die Apostel werden noch um ein Vielfaches überragt vom Stammapostel. Daß dessen Amt so hoch über die Apostel hinaus entwickelt worden ist darf nicht lediglich aus einer Machtsucht der bisherigen Stammapostel erklärt werden. Die eigentlichen Gründe liegen in dem Bedürfnis der Gläubigen nach immer mächtigeren Garantien durch eine immer höhere Amtsautorität. Dieses Bedürfnis hat die Vollmachten des Stammapostels unentwegt gesteigert, jede geistliche Selbsterhöhung der Stammapostel freudig bejaht und sie bis in die Nähe des Thrones Gottes erhoben. Je mächtiger dieses Amt ist, desto ruhiger kann man sich in seinem Schutz bergen. Dieser Trend zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Geschichte der neuapostolischen Gemeinschaft und des Stammapostelamts.

Was ist der Stammapostel? Er ist "der Repräsentant des Herrn auf der Erde" (Anmerkung 97: Lehrbuch 1971, Art. 226) und als solcher das Haupt des Erlösungswerks Gottes auf Erden. Er kann durch keine

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Instanz abgesetzt werden. Die neuapostolische Kirche hat eine autoritäre Ordnung, die ganz auf den Stammapostel zugeschnitten ist. Eine synodale Vertretung hat die Gemeinschaft nie gekannt. Die Gemeinden haben auch keinerlei Eigentumsrecht; über die von ihnen erbauten Kirchen usw. hat die Leitung der Neuapostolischen Kirche, d. h. praktisch der Stammapostel, das alleinige Verfügungsrecht. Diese Bestimmungen hat sich bei den zahlreichen Spaltungen sehr schmerzhaft für die abgetrennten Gemeinden ausgewirkt: sie verloren jedesmal auch ihre Gemeindeeinrichtungen, die sie einst mit ihren Opfern beschafft hatten.

Aber gewichtiger als die rechtlich-verfassungsmäßige Position des Stammapostels ist seine geistliche Machtfülle. Auf ihn konzentriert sich die ganze Heilerwartung der Gläubigen. Und diese Frage und Sehnsucht nach dem Heil findet bei ihm eine überreiche, mächtige, befreiende Antwort. Das Stammapostelamt hat einen schlechthin numinosen Charakter. Es ist der "Stuhl Gottes" auf Erden und der Quellort des Heiligen Geistes; darum verfügt es über alle Vollmachten des Heiligen Geistes. Das bedeutet im einzelnen folgendes:

1. Der Stammapostel ist der unmittelbare Empfänger der Offenbarungen Gottes. Er ist der "redende Mund" Gottes, "der in alle Wahrheit führt, den der Vater als Tröster zu den Seinen sandte" (Anmerkung 98: Apostel Rockenfelder in: Unsere Familie 5.2.1952). Darum gebührt ihm eine absolute Glaubensautorität. J. G. Bischoff sagte von sich: "Wer sich an mein Wort hält, den bringe ich hindurch." (Anmerkung 99: Wächterstimme 1.2.1951) Wer aber dieses Wort kritisiert, bezweifelt oder gar mißachtet, der begeht einen Frevel gegen den Heiligen Geist und erleidet das Schicksal der Rotte Korah, die von der Erde verschlungen wurde.

2. Der Stammapostel ist der Inhaber der Schlüsselgewalt. Christus hat das Heil bereitgestellt, aber die Vermittlung an die Menschen geschieht allein durch den Stammapostel. Er ist der Vollstrecker des göttlichen Heilswillens in der Menschenwelt. Er ist der Hohepriester, der die gesamte Gemeinschaft vor Gott vertritt und den Versöhnungsdienst vornimmt. So geschah es erstmals in einem Gottesdienst in Frankfurt a. M. am 31. Dezember 1951, daß er "durch den Heiligen Geist getrieben wurde, für das ganze Volk Gottes auf Erden die große Versöhnung vorzunehmen" und mit der durch ihn ausgesprochenen "Königsgnade" die Neuapostolischen auf der ganzen Erde zu Empfängern der "Generalversöhnung" zu machen. (Anmerkung 100: a.a.O. 15.4.1952) Keine Macht kann ihn in seinem Heilsvollzug hindern. "Was ich heute aufschließe, kann Satan nicht mehr zuschließen, das ist vorbei." (Anmerkung 101: a.a.O. 1.11.1953) Jedem wird das vom Stammapostel ausgehende Heil zuteil,der mit ihm im Gehorsam verbunden ist. Dieser Gehorsam nimmt in der neuapostolischen Lehre genau die Stelle ein, die in der reformatorischen Verkündigung das sola fide hat. J. G. Bischoff erklärte: "Wer Gemeinschaft mit mir und den treuen Aposteln hat, hat damit auch Gemeinschaft mit Jesus, dem Sohne Gottes, und dem himmlischen Vater." (Anmerkung 102: Unsere Familie 5.2.1958) "Sollte die Erlösung einer Menschenseele scheitern, so liegt der Mißer-

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folg nicht an der Größe der Schuld, sondern an der Herzensstellung des Menschen gegenüber dem Träger der Erlösung." (Anmerkung 103: Wächterstimme 15.4.1952)

3. Der Stammapostel ist die Vergegenwärtigung Gottes auf Erden. Gott ist fern, und Christus weilt nicht mehr im Fleisch unter den Menschen. Aber in der Gestalt des Stammapostels hat sich die Trinität sichtbar und greifbar im Diesseits niedergelassen. Darum ist er der Fels der Gemeinde und bietet Geborgenheit und sicheren Schutz vor allen Anschlägen des Teufels. Darum ist er auch das Vorbild, in dessen Züge sich das Ewige eingezeichnet hat. Wer Gott ähnlich werden will, muß dem Stammapostel nacheifern. Wenn die Gläubigen aufgerufen werden, ihm "nachzufolgen", dann ist damit ausgesprochen, daß der Stammapostel zu einer Wechselgestalt für Christus geworden ist: "Kannst du glauben wie ich glaube? Kannst du lieben, wie ich liebe? Kannst du leben, wie ich lebe? Wenn du das kannst, dann wirst du auch das Ziel erreichen dann wirst du unter denen sein, die der Herr ruft." (Anmerkung 104: a.a.O. 1.8.1952)

4. Der Stammapostel ist der Herr über die Apostel. Im Lehrbuch von 1938 hieß es in Artikel 4 des Glaubensbekenntnisses noch, daß Christus seine Apostel sende, "gleichwie er vom Vater gesandt ist". Dieser Passus wurde in dem von Fritz Bischoff bearbeiteten Lehrbuch 1952 gestrichen. Damit wurde die "Reichsunmittelbarkeit" der Apostel beseitigt. Nun sind sie Geschöpfe des Stammapostels. "Wir Apostel der Gegenwart sind uns bewußt, daß wir nicht als Apostel aus den Wolken gefallen sind, auch war der Herr Jesus nicht selbst gekommen und hat uns zu Aposteln gemacht, sondern der Stammapostel hat uns erwählt, mit der nötigen Amtsmacht ausgerüstet und gesandt." (Anmerkung 105: a.a.O. 15.12.1951) Können sie das "zeitgemäße Wort Gottes" verkündigen? Können sie versöhnen an Christi Statt? Ja, aber nur, wenn sie in der Einheit mit dem Stammapostel stehen, wenn sie also seine Lehren nachsprechen und seinen Weisungen gehorchen. Sie sind nicht Apostel Christi, sondern Apostel des Stammapostels, denen es "ein Bedürfnis ist, so zu denken, so zu reden, so in der Seelenpflege offenbar zu werden, wie sie das vom Stammapostel hören und sehen" (Anmerkung 106: a.a.O. 15.10.1957). Das gipfelt darin, daß der Stammapostel das Wort Jesu: "Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben", für sich und seine Stellung zu den Aposteln in Anspruch nimmt: "In dem Stammapostel steht der Geist des Herrn, die Amtsmacht, und aus diesem Weinstock werden die Apostel als Reben herausgeboren." (Anmerkung 107: a.a.O. 15.8.1950) Jede Trennung vom Weinstock bedeutet den ewigen Tod. Jede Rebe, die sich selbstständig macht, muß verdorren. Der Stammapostel ist die Quelle des Lebens. Darum gilt auch von ihm das Wort Jesu: "Ohne mich könnt ihr nichts tun."

5. Der Stammapostel hat damit die Verheißung Jesu: "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen" (Matth. 18,20) einer schwerwiegenden Korrektur unterzogen. Er hat die Wirklichkeit und Wirksamkeit Christi überlagert. Es ist nicht von ungefähr, daß Worte, in denen Christus

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Aussagen über sich selbst gemacht hat, nun wörtlich oder mit unwesentlichen Änderungen auf den Stammapostel bezogen werden. Er ist "das Licht der Welt"; sein Wort ist das "Brot des Lebens". "Wenn wir an seiner Hand bleiben, dann werden wir den Tod nicht sehen ewiglich." (Anmerkung 108: a.a.O. Wächterstimme 15.3.1954) Der Stammapostel "fordert uns auf: Kommet her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ihr sollt erquickt werden, und eure Sünden sollen vertilgt werden." (Anmerkung 109: a.a.O. 1.4.1953) Oder es wird ihm in Anlehnung an Joh. 6,69 gehuldigt: "Wir haben geglaubt und habenīs auch erfahren, wir haben erkannt, daß du der Mann Gottes bist, den uns Gott geschenkt hat zur Vollendung seines Werks." (Anmerkung 110: a.a.O. 1.10.1952)

6. Noch eine letzte Steigerung der geistlichen Macht des Stammapostels ist 1951 eingetreten. Damals verkündigte J. G. Bischoff, daß Christus zu seinen Lebzeiten wiederkommen werde (vgl. S. 507ff.). Ihm als einzigem unter 600 Millionen Christen und 2,5 Milliarden Menschen sei diese Offenbarung zuteil geworden. Nun sei er berufen, die Brautgemeinde für die Entrückung zuzubereiten: Die Neuapostolische Kirche ist die Schlußkirche, und der Stammapostel ist der Vollender des Erlösungswerks Gottes. Sofern er die Heilsgeschichte abschließt, ist er das Gegenstück zu Abraham und das "Tor gen Mitternacht". Sofern er die Brautgemeinde schmückt und als der Brautwerber vor Christus tritt, ist er der "Elieser unserer Zeit". Sofern er die Brautgemeinde durch die Wirrnis der Zeit bis an die Grenze des gelobten Landes Kanaan geleitet, wo Christus sie in Empfang nimmt, ist er der Moses der Endzeit und der diesseitige Partner des aus der Welt Gottes wiederkommenden Messias. Er ist der Geleitmann und Schirmherr, der dafür sorgt, daß jeder, der sich ihm anvertraut, sicher das Ziel erreicht. Er ist auch der Wächter an der Pforte: Ohne ihn "gibt es keine Erste Auferstehung, keinen Eingang in den Hochzeitssaal und kein Wohnen im Reich der Herrlichkeit!" (Anmerkung 111: a.a.O. 1.1.1956)

Der sakramentale Heilstrom

Die vom Stammapostel ausgehende Heilsmacht besteht aus zwei Strömen, die über die Apostel und die ganze abgestufte Ämterhierarchie in jede Gemeinde, in jedes Herz fließen. Der eine Strom ist seelsorgerlicher Art. Er wirkt dahin, daß die ganze Gemeinschaft und jedes einzelne Glied lebensmäßig mit dem Stammapostel in inniger Weise verbunden bleibt. Der Priester usw. sorgen mit ihren gottesdienstlichen Ansprachen und ihren Hausbesuchen dafür, daß ihre Gläubigen nach dem Wort und Vorbild des Stammapostels wandeln. Sie widmen sich dieser "Seelenpflege" mit großer Treue, und es ist üblich, daß die Gemeindemitglieder sich auch in rein weltlichen Fragen bei ihnen Rat holen. Jede neuapostolische Familie soll nach Möglichkeit alle vier bis sechs Wochen besucht werden. Die Priester sind gehalten, dem Vorsteher zu berichten, was sie bei ihren Besuchen bewirkt und gefunden haben. (Anmerkung 112: Richtlinien über Amtshandlungen, S. 43)

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Der andere Strom ist sakramentaler Art. "In der engen Verbindung zu den Amtsträgern und der gläubigen Hinnahme der Sakramente ist einem jeden Gnadensuchenden die Erreichung des von Jesu verheißenen Zieles verbürgt". (Anmerkung 113: Lehrbuch 1971, Art. 221) Es gibt drei Sakramente

1. Die Taufe ist ein "Bestandteil der Wiedergeburt", der Bund eines guten Gewissens mit Gott und die notwendige Voraussetzung für die Versiegelung (Anmerkung 114: a.a.O. Art 254). Sie leitet den Prozeß der Erlösung ein und kann von jedem Priester vorgenommen werden. Das Taufgelöbnis umfaßt das Bekenntnis zum Bundesschluß Gottes und das Gelöbnis eines gottgefälligen Wandels und des Gehorsams gegenüber den Aposteln. Die Kindertaufe wird bejaht und die Konfirmation als der Tag bezeichnet, an dem sich das Kind selbst die Pflichten übernimmt, die sich aus dem Taufgelöbnis ergeben. Die Taufformel ist trinitarisch. Bei Lebensgefahr kann jeder versiegelte Neuapostolische vornehmen. Aber da sich Gott bei seinem Bundesschluß mit dem Täufling der neuapostolischen Amtsträger bedient, muß die Nottaufe durch die "vom Herrn gesetzten Ämter" bestätigt werden, um Gültigkeit zu erlangen. Dasselbe gilt von der kirchlichen Taufe. Da ohne Mitwirkung eines neuapostolischen Priesters "der rechtsgültige Abschluß des Taufbundes unmöglich" ist (Anmerkung 115: a.a.O. Art. 266), ist es bei einer kirchlichen Taufhandlung "zu einer Bundesschließung mit Gott nicht gekommen"; darum hat sie "keinen größeren Wert als eine Nottaufe vor ihrer Bestätigung". Sie muß vor der Aufnahme in die neuapostolische Gemeinde vom Bezirksvorsteher bestätigt werden, um ihren vollen Wert zu erhalten (Anmerkung 116: a.a.O. Art. 267f.).

2. Sinngemäß muß als nächstes Sakrament nach der Taufe die Versiegelung genannt werden, denn sie bildet den Höhe- und Schlußpunkt der mit der Taufe eingeleiteten Entwicklung. Sie hat eine Konstituierende Bedeutung für die Aneignung des Heils. Sie ist "die Spendung des Heiligen Geistes und damit der wesentliche Teil der Wiedergeburt (Apg. 8,14-16; Eph. 1,13; 4,30). Sie ist die Zeugung aus dem Geiste Christi und damit die Grundlage einer völligen Erneuerung der Gesinnung des Menschen (Röm. 8,9; 2. Kor. 5, 17; Offenb. 21,5; vgl. 1. Kor. 4,15; Philemon 10; 1. Petr. 23; Jak. 1, 18)." (Anmerkung 117: a.a.O. Art. 281)

Die Versiegelten werden zu Kindern Gottes und haben dadurch Anspruch auf das Erbe Christi. Wenn sie ihr Leben im Gehorsam gegen die Apostel führen, reifen sie zu Ebenbildern Christi heran und werden zu Überwindern und Erstlingen die an der Ersten Auferstehung teilhaben und im Tausendjährigen Reich mit Christus als Könige und Priester regieren werden. Auch Jesus empfing die Versiegelung und zwar bei der Taufe am Jordan. Der Apostel Versiegelung geschah an Pfingsten. Wer die Versiegelung empfangen will, muß zum Glauben an die Lehre der neuen Apostel gelangt sein und "das Bekenntnis ablegen, daß er entschlossen ist, sein Leben nach der Apostel Lehre zu führen" (Anmerkung 118: a.a.O. Art. 290). Auch Kinder können versiegelt werden.

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3. Dem Abendmahl geht die Freisprache voraus. Sie bewirkt den Seelenzustand, in dem da Abendmahl würdig genommen werden kann (Anmerkung 119: a.a.O. Art. 275). Zur Durchführung der Abendmahlsfeier sind die priesterlichen Ämter berechtigt. Während die Freisprache Vergebung des Sünden mit sich bringt, verbürgt das Abendmahl die "Lebensgemeinschaft" mit Christus. Die Sünden, deren der Versiegelte sich weiterhin schuldig macht, werden durch die Freisprache mit Abendmahl laufend getilgt. Das setzt freilich voraus, daß dieses letztgenannte Sakrament möglichst jeden Sonntag gefeiert wird; es ist denn auch mit jedem Sonntagsgottesdienst verbunden. So ist dem Gläubigen die Möglichkeit gegeben, jeweils für die Sünden der zurückliegenden Woche Vergebung zu empfangen und unbelastet in die neue Woche einzutreten. (Anmerkung 120: In einem Gottesdienst in Frankfurt am 5. Februar 1950 verwies der Stammapostel Bischoff auf den Wert des neuapostolischen Gottesdienstes: "Wenn wir nach einer durchlebten Woche belastet vor den Herrn treten und sind durch die Bedienung aus seinem Geiste abgewaschen, geheiligt und gerecht gemacht, und es würde dann das eine oder das andere Gemeindeglied plötzlich aus dem Diesseits abgerufen, dann geht eine solche Seele in diesem erlösten Zustand in die Ewigkeit. Wie anders wäre es, wenn der Tod vor einem Gottesdienst, wenn die Belastungen einer ganzen Woche auf einer Seele liegen, eintreten würde. Es ist unmöglich, den Wert eines Gottesdienstes in Worten ausdrücken zu können.")

Die Gottesdienste werden nach einer schlichten Liturgie gehalten. Nach Gemeinsamen Gesang spricht der Leiter des Gottesdienstes ein Gebet. Dann folgen Verlesung des Bibeltextes, Chorgesang und Predigt. An sie schließt sich das gemeinsame Vaterunser an, auf das "Freisprache" und Abendmahl folgen. Regelmäßiger Gottesdienstbesuch gilt als selbstverständliche Pflicht. Wer länger fernbleibt, kann ausgeschlossen werden. Da die Amtsträger, die in den Gottesdiensten sprechen, "unstudierte" Leute sind, erhalten sie von der Leitung der Gemeinschaft regelmäßige Anleitungen für ihre Ansprachen. Der Gottesdienstbesuch ist überaus rege, zumal mit dem sakramentalen Teil des Gottesdienstes eine erlösende Wirkung verbunden ist. Einziges Thema der Ansprachen ist das Heil der Seele. Sie rühmen die Heilsgaben, die vom Gnadenstuhl des Stammapostels ausgehen, warnen vor Verführung durch die "fremden Geister" der Welt, malen die Herrlichkeit, deren Gläubige nach der baldigen Wiederkunft Christi teilhaftig werden, und mahnen, sich ganz dem Wort und Vorbild des Stammapostels anzuvertrauen, damit die Mitgliedschaft in der Brautgemeinde nicht durch Lauwerden und mangelnde Wachsamkeit verscherzt wird. Ausgeklammert aus der neuapostolischen Verkündigung sind alle Fragen, die mit der Weltverantwortung des Christen und der Kirche zu tun haben, also politische, soziale, kulturelle Probleme. Aber auch Glaubensfragen, die durch eine säkularistische Umwelt aufgeworfen werden, und Lebensprobleme, die im Gefolge der Technisierung und Industrialisierung entstehen, werden nicht aufgegriffen. Ebenso wenig findet eine Auseinandersetzung mit anderen Glaubensrichtungen oder Kirchen statt.

Die Versiegelung ist den Aposteln vorbehalten. Damit wird von neuem ausgesprochen, daß das Heil des Gläubigen untrennbar mit den Aposteln verknüpft ist. Ja, die Vollmacht der Apostel reicht auch in die Welt der Toten hinein, von denen behauptet wird, "sie können ohne uns nicht vollendet werden" (Anmerkung 121: Niehaus, Lichtblicke ins Totenreich, S. 7). Darum müs-

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sen die Lebenden für sie eintreten. Jesus ging ins Totenreich, um dort das Evangelium zu verkündigen. "Aus dem Beispiel Jesu schließen wir, daß seine Apostel und Knechte nach ihrem Hingang in die Ewigkeit die von ihm begonnene Arbeit fortzusetzen haben." (Anmerkung 122: Lehrbuch 1971, Art. 145) Unter Berufung auf 2. Makk. 12,39-46, Luk. 14, 12-14 und Offenb. 6, 9-11 wird gesagt, daß die Gläubigen in Gebet und Fürbitte für die Toten vor Gott treten können, damit auch sie der Erlösung teilhaftig werden. Nach Joh. 5, 25 werde Gott die Verstorbenen weiterführen und ihnen auch die Sakramente zugänglich machen, die "stellvertretend für die Entschlafenen von den Lebenden hingenommen werden (1.Kor. 15, 29)" (Anmerkung 123: a.a.O. Art. 253). Die Herzuführung der für Taufe, Abendmahl und Versiegelung reif gewordenen Seelen ist den Engeln übertragen. Die Vermittlung der durch den diesseitigen "Gnadenstuhl" gewirkten Heilsgaben an die Jensseitigen geschieht durch die abberufenen Apostel, die drüben ihre Erlösungsarbeit fortsetzen. (Anmerkung 124: Am 28. Juli 1916, also in einer Zeit des großen Sterbens mitten im Ersten Weltkrieg, wurden in Bielefeld Ämter für das Jensseits eingesetzt, die von abgeschiedenen Aposteln, Bischöfen, Ältesten usw. eingenommen werden, um unter den Entschlafenen das Heilswerk fortzusetzen. "Vor einem Entschlafenengottesdienst entsteht im Jenseits eine besonders große Bewegung unter den Seelen. Die heimgegangenen Erlösten sind dort mit Hilfe unserer Gebete um die Unerlösten bemüht sie an den Gnadenaltar auf Erden zu führen, sofern sie sich helfen lassen wollen." (Unsere Familie 20.6.1977)) Der Totendienst findet wegen des "großen Andrangs" der Entschlafenen vierteljährlich statt.

Garantierte Heilssicherheit

Die innere Entwicklung der neuapostolischen Gemeinschaft, ihrer Ämter und Sakramente war, wie sich erwähnt, durch die Sehnsucht der Gläubigen bestimmt, eine unbedingte und garantierte Sicherheit ihres Heils zu gewinnen und der Zone des Zweifels und der Angst zu entrinnen. Auch das neue Testament kennt eine Antwort auf diese Sehnsucht. Sie liegt in der Botschaft von der Liebe Gottes, die sich in Christus geoffenbart hat und die so grenzenlos ist, daß sie den Sohn am Kreuz sterben ließ - "wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?" Aber freilich, die vergebende und heilende Gnade Gottes bleibt immer Gottes Gnade. Er verfügt über sie. Er schenkt sie, und er kann sie auch wieder zurückziehen. Er bleibt der souveräne Gott auch in seinem Erbarmen. Das bedeutet, daß der Mensch sich in seiner Sehnsucht nach dem Heil immer auf ihn geworfen sieht. Er ist radikal von ihm abhängig. Aus dieser Abhängigkeit will die neuapostolische Lehre herausführen. Sie will den Gläubigen eine Sicherheit schaffen. Das Stammapostelamt soll der Garant dieser Sicherheit sein. Damit wurde ein Weg beschritten, der unerbittliche Konsequenzen in sich schließt. Sie liegen auf vier Gebieten:

1. Will man das Amt zum Bürgen des Heils machen, dann muß man ihm Vollmachten geben, die den Amtsträger weit über die menschliche Ebene hinausheben und ihn in die Lage versetzen, im Namen Gottes Heilsentscheidungen zu verkündigen und zu vollziehen. Das Endergebnis ist die Vergöttlichung seines Amts.

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2. Die Heilsgaben müssen aus der Sphäre der Unanschaulichkeit in die der Anschaulichkeit und Massivität gerückt werden. Denn nur so sind sie zu ergreifen und können in einer kontrollierbaren Weise angeeignet werden. Tatsächlich nähert sich die neuapostolische Lehre vom Heiligen Geist der Vorstellung, als wäre dieser eine "Ware", über die das Amt verfügen kann. Der Stammapostel kann sie verteilen und zwar in sichtbaren Formen und Akten. Der Versiegelte hat die Gewißheit, den Heiligen Geist zu "besitzen".

Um das Gewicht der Versiegelung als Spendung des Heiligen Geistes und des Apostelamts als Quelle und Vermittlung des Heiligen Geistes noch zu verstärken, wird in der neuapostolischen Lehre die Bedeutung der dritten Person innerhalb der Trinität besonders akzentuiert. Christus erscheint nur noch als ein Werkzeug des Heiligen Geistes, nicht mehr als eigenständige Person neben diesem: "Durch die Wirkung des Geistes Gottes war er als Mensch ins Fleisch gekommen; durch die Wirkung desselben wurde er auch für sein öffentliches Auftreten ausgerüstet, der Heilige Geist führte ihn zum Sieg über die Versuchungen Satans und gab ihm Macht, die finsteren und zur Sünde versuchenden Gewalten auszutreiben. Aus dem Geiste Gottes schöpfte er seine vollkommene Erkenntnis und redete und handelte nach dem Willen Gottes; aus Antrieb des Heiligen Geistes hat er sich zuletzt Gott und der Menschheit geopfert und ist durch die Macht desselben aus dem Tode zum Leben hindurchgedrungen und verklärt worden." (Anmerkung 125: Die Ämter und Sakramente der Neuapostolischen Kirche, S. 11) Dieser Heilige Geist, der souverän auch Christus lenkte und bevollmächtigte, war zunächst, zu Jesu Lebzeiten, noch in diesen eingeschlossen. Daß Jesus ihn entband und ihn nach seiner Erhöhung an die Jünger austeilte, war sein eigentliches Heilswerk, neben dem Passion und Auferstehung verblassen. An Pfingsten ergoß sich der Heilige Geist auf die Jünger. Und er gibt sich heute in die Hand der neuen Apostel. Sie verfügen damit über die höchste Gottesmacht. Jeder Gläubige kann sie vom Apostel empfangen. Was kann er mehr verlangen?

3. Der Gläubige wird der unmittelbaren Konfrontierung mit Gott enthoben. Zwischen ihn und Gott hat sich der Stammapostel eingeschoben. Auch das trägt entscheidend zur Erhöhung der Sicherheit bei. Denn Gott ist die heilige Majestät. Es bleibt in dem Menschen, der mit ihm zu tun hat, immer ein Rest von Unruhe. Er kann ja Gott nicht in seine Hand bekommen, keinen Einblick in seine Pläne gewinnen, ihm nicht mit Rechten und Ansprüchen gegenübertreten. Aber nun wird seine Abhängigkeit von Gott durch die Abhängigkeit vom Stammapostel ersetzt. Mit ihm kann man sprechen, kann sich von ihm führen lassen und unter seinen Schutz flüchten. Unter Glaubensgehorsam wird verstanden "das Unterordnen des menschlichen Willens unter den göttlichen Willen, der sich für den neuapostolischen Christen in der Apostel Wort und Lehre offenbart." (Anmerkung 126: Lehrbuch 1971, Art. 303)

4. Als Offenbarungsquelle des göttlichen Willens gilt "der Apostel Wort und Lehre", nicht die Schrift. Die neuapostolische Gemeinschaft hat sich in deutlicher und erklärter Form von ihr abgesetzt. Als Motiv wird immer wieder genannt: Die Schrift ist toter Buchstabe; durch die Kenntnis des Buchstabens wird man nicht selig, wohl aber durch den Zuspruch des lebendigen, gegenwärtigen Gottesworts

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im Apostel. Oder: Die Schrift ist alt und an Adressaten anderer Zeitverhältnisse gerichtet; wir aber brauchen das "zeitgemäße" Gotteswort, das direkt an uns ergeht und auf unsere Fragen Bezug nimmt. Die Abwertung der Schrift bedeutet nicht, daß man völlig auf sie verzichtet. Man macht gern Gebrauch von ihr, soweit sie Beweismaterial für eigene Lehren liefert. Man pflegt auch die gottesdienstlichen Ansprachen mit einem Schrifttext zu verbinden. Aber mehr als solche Zubringerdienste kann die Schrift nicht leisten. Zum Seelenheil kann sie nichts beitragen. "Der Glaube an jene Gottesoffenbarungen tilgt unsere Schuld nicht, vergibt keine Sünde und spendet keinen Heiligen Geist. Wir haben Vergebung der Sünde und empfingen den Heiligen Geist durch unsern Glauben an die, die Jesus gesandt hat" (die neuen Apostel) (Anmerkung 127: J. G. Bischoff in Stuttgart am 24.3.1957)

Von hier aus ist der Schritt nicht mehr weit zu despektierlichen Äußerungen über die Schrift, die nicht selten sind; sie verhalte sich zum "zeitgemäßen" Gotteswort der Apostel wie Konserven zu frischen Lebensmitteln, wie Zisternenwasser zu Quellwasser. Oder: "Kein Patient kann durch einen verstorbenen Arzt operiert werden. Der Krankheitsherd wird auch nicht durch das Lesen eines Doktorbuches beseitigt noch durch den festen Glauben an einen Chirurgen, der längst nicht mehr ist. Kein Schüler kann durch eine verstorbene Lehrkraft unterwiesen werden und noch nie ist ein Lehrling durch einen in die Ewigkeit gegangenen Lehrmeister ausgebildet worden ... So kann uns auch die Heilige Schrift, und wenn wir noch so viel in ihr lesen nicht das ewige Leben geben." (Anmerkungen 128: Apostel Ernst Streckeisen in: Wächterstimme 15.12.1957) "Der Glaube an das Wort des Stammapostels ist für uns in unserer Zeit die Kraft, der Sieg, der die Welt überwindet." (Anmerkung 129: Fritz Bischoff in: Wächterstimme 1.10.1956)

An der Bibel geprüft

Die Neuapostolische Kirche stellt sich ihren Gläubigen als eine feste Burg dar, in der sie Zuflucht und sicheren Schutz gegen jede Anfechtung finden. Aber diese Heilsgeborgenheit ist mit schweren Widersprüchen gegen die biblischen Zeugnisse erkauft. Es handelt sich dabei vor allem um das Apostelamt und um die Versiegelung als das "wichtigste Sakrament".

1. Was bedeutet der Begriff "Apostel" im Neuen Testament? Er ist die Übersetzung des aramäischen "schaliach", und dieses Wort drückt im Spätjudentum ein fest umgrenztes Rechtsverhältnis aus: es bezeichnet den Boten, der einen Auftrag seines Herrn auszurichten hat. Für die Dauer dieses Auftrags vertritt er seinen Herrn vollgültig, so daß im Spätjudentum der Satz anerkannt wurde: "Der Gesandte eines Menschen gilt so viel wie dieser selbst." Auch die beauftragten Gesandten einer Gemeinde wurden "Apostel" genannt (vgl. 2. Kor. 8, 23; Phil. 2, 25). Der Vorbeter im Synagogengottesdienst wurde als "Apostel" bezeichnet, weil er als Bevollmächtigter der ganzen Gemeinde sprach. Besonders häufig begegnet der Ausdruck "Apostel" als Bezeichnung der Boten, die das jüdische Synedrium an

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einzelne Gemeinden schickte. Sie waren "Apostel" solange ihr Auftrag währte. Es handelte sich also nicht um ein festes, bleibendes Amt auf Lebensdauer, sondern nur um eine zeitweilige Funktion. Sie erlosch, wenn der Auftrag erfüllt war. Es war selbstverständlich, daß ein Apostel seinen Auftrag und damit auch seine Würde niemals an einen Dritten übertragen, sondern nur in die Hände seines Auftraggebers zurücklegen konnte. Seine Stellung läßt sich am besten mit der Position eines diplomatischen Vertreters vergleichen. Dieser empfängt Auftrag und Vollmacht von der Regierung. Er kann seinen Auftrag als Botschafter wieder an die Regierung zurückgeben oder von dieser abberufen werden; aber er kann niemals von sich aus einen anderen zum Botschafter ernennen.

Auch Jesus hat Apostel berufen. Er bevollmächtigte sie zur Predigt der frohen Botschaft und zur Heilung von Krankheiten. Es ist wichtig, daß die Jünger bei Matthäus und Markus nur im Zusammenhang mit ihrer zeitweiligen Aussendung die Bezeichnung "Apostel" erhielten (Matth. 10, 2; Mk. 6,30); ihr Auftrag als entsandte Boten war zu Ende, nachdem sie zurückgekehrt waren und Jesus Bericht erstattet hatten (Mk. 6, 30 ; Luk. 9,10). Aus dem zeitweiligen Auftrag, den die Jünger von Jesus erhielten, wurde erst ein Dauerauftrag, als der erhöhte Herr sie zu seinen Aposteln, d. h. zu bevollmächtigten Gesandten machte (Apg. 1, 6-8, Matth. 28, 18-20). Sie hatten im Namen und Auftrag Christi Gemeinden zu gründen. Dies geschah durch die Verkündung des Evangeliums von Tod und Auferstehung des Herrn und durch die Vornahme der Taufe.

2. Das Neue Testament kennt nebeneinander einen engeren und einen weiteren Begriff des Apostels. Im weiteren Sinn werden als "Apostel" die Missionare bezeichnet, die als Verkündiger des Evangeliums von Ort zu Ort ziehen, z.B. Junias und Andronikus (Röm. 16,7) und Barnabas (Apg. 14, 4.14): "Apostel" im engeren Sinn, genauer "Apostel Jesu Christi" sind solche, die mit Christus zusammen gelebt haben und des Auferstandenen Augenzeugen gewesen sind (Apg. 1,21f.; 10,41f.). Dies trifft auf die Jünger, aber auch auf Jakobus den Bruder Jesu (Gal. 1,19), und die 1. Kor. 15,7 genannten "alle Apostel" (einen von den Zwölfen verschiedenen und über sie hinausreichenden Kreis, vgl. 1. Kor. 15,5) zu. Unzweifelhaft ist danach auch Paulus, dem der Herr vor Damaskus erschienen ist und einen Auftrag gegeben hat, ein Apostel. Dieser engere Kreis war also zunächst zahlenmäßig größer als die Zwölf. Aber offenkundig bildeten die Zwölf den eigentlichen Kern als die "zwölf Apostel des Lamms" (Offenb. 21, 14). Die Zwölfzahl hat ja im biblischen Gebrauch eine symbolhafte Bedeutung; den zwölf Stämmen des Volkes Israel entsprechen die zwölf Apostel (Offenb. 21,12). Deshalb heißt es Mk. 3,13f: "Er rief die zu sich, die er selbst wünschte; und sie traten zu ihm heran. Und er setzte zwölf ein, daß sie beständig mit ihm wären und daß er sie aussende zu predigen, und mit der Vollmacht, die Dämonen auszutreiben."

3. Aber ob es sich um die Zwölf oder um den sonstigen Kreis der "Apostel Jesu Christi", d.h. der beauftragten Augenzeugen des Herrn, handelt: sie konnten ihr Apostelamt nicht an andere übertragen. Kein Gesandter kann einen anderen zum Gesandten ernennen; dafür ist nur der Sender zuständig. Darum dachte auch keiner von ihnen daran, Nachfolger zu ernennen.

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Die Neuapostolischen mögen einwenden: Die Bibel enthält nur einen Teilbericht; nicht alles, was Jesus gesagt und angeordnet hat, ist in ihr aufgezeichnet. Gut, nehmen wir an, Jesu habe tatsächlich so etwas wie eine "neuapostolische" Gemeinde im Auge gehabt und den Aposteln entsprechende Anweisungen gegeben: dann haben diese sich einer schrecklichen Verletzung ihrer Pflicht schuldig gemacht; denn sie haben weder für Apostelnachfolger Sorge getragen noch den Gemeinden eingeschärft, daß das Apostelamt das unabdingbare Fundament der Kirche und die Quelle des Heils sei.

Wenn die neuapostolische Behauptung zutrifft, daß das Apostelamt notwendig für die Erlösung der Seelen sei, dann betrieben Petrus, Johannes, Paulus und die anderen geradezu Seelenmord, weil sie keinen neuen Apostel aussonderten. Sie hätten also erst unter tausend Mühen, Entbehrungen und Todesgefahren die frohe Botschaft verkündigt und Gemeinden gegründet, weil sie ihnen das Heil bringen wollten; dann aber hätten sie diese Gemeinden in Leichtsinn vom Heil abgeschnürt, weil sie ihnen keine bevollmächtigten apostolischen Nachfolger bestellten! Das ist ein ungeheuerlicher Gedanke, der sich selbst widerlegt. Die Neuapostolischen sind denn auch in diesem Punkt in einer offensichtlichen Verlegenheit. Sie zeigt sich daran, daß die verschiedensten Antworten probiert und wieder fallen gelassen werden. Einmal rechnen sie es der Kirche als Schuld an, daß sie das Apostelamt eingehen ließ. Warum aber hat dann der Herr der Kirche 1700 Jahre verstreichen lassen, bis er dieses Amt wieder erweckte, das doch heilsnotwendig war? Wie vereint sich das mit der Botschaft von der Liebe Gottes in Christus und mit der Verheißung Jesu in Matth. 28, 20?

Mit dieser Antwort ist es also nichts. So versuchte man eine andere Erklärung. Da wird nicht von einer Schuld der ersten Christengenerationen gesprochen, sondern von einer "Ausrottung des Apostelamts im ersten Christentum" durch die Verfolgung. Aber diese Antwort stellt vor die gleiche Schwierigkeit. Denn einmal hörte die Verfolgung ja auf, und dann hätte das so heilsnotwendige Apostelamt wieder eingerichtet werden können. Warum erst 1832 und nicht schon 1700 Jahre früher? Das Lehrbuch von 1933 (Art. 472) antwortet auf die Frage, ob die Apostel für Nachfolger Sorge getragen haben: "Das scheint von ihnen nicht als besonders nötig erkannt worden zu sein." Diese Antwort rührte allzu nahe an den wahren Sachverhalt und tastete die neuapostolische Lehre von der Heilsnotwendigkeit des Apostelamts an. Deshalb wurde sie später gestrichen. Das Lehrbuch von 1938 hüllt sich in Schweigen, indem es die Frage überhaupt nicht stellt.

Erst das Lehrbuch von 1952/ 1971 bemühte sich wieder um eine Antwort. Es griff wieder auf die alte Lesart zurück (Art. 187): Eigentlich sollte bei der wachsenden Zahl der Gläubigen auch die Zahl der Apostel vermehrt werden; "die schweren Verfolgungen aber, denen die Gemeinde Jesu ausgesetzt war und die sich naturgemäß in erster Linie gegen ihre Führer richteten, verhinderten eine planmäßige Amtsnachfolge". (Anmerkung 130: Dem widerspricht aber wiederum die vom Apostelkollegium herausgegeben Schrift "Die Ämter und Sakramente der Neuapostolischen Kirche", wenn es dort heißt: "Es ist aus den neutestamentlichen Apokryphen, z.B. dem Hirten des Hermas, der Didache (Lehre der zwölf Apostel) u. a. mit aller Bestimmtheit zu entnehmen, daß eine Anzahl von Aposteln noch zur Zeit der Abfassung dieser Schriften tätig war, also um etwa 120 n. Chr. Geburt. So spricht Hermas von 40 Aposteln und Lehrern, von deren Namen die wenigsten bekannt sind (S.52). Demnächst wäre eine reichliche Amtsnachfolge der Urapostel entgegen den Behauptungen des Lehrbuchs 1952 allen Verfolgungen zum Trotz möglich gewesen. Wenn aber zahlreiche Apostelnachfolger bestimmt worden sind, muß gefragt werden: Warum verlor sich dieses Amt so rasch? Darauf haben die Neuapostolischen aus gutem Grund keine Antwort gegeben.)

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4. Um das Apostelamt als eine von Jesus gewollte Dauereinrichtung der Kirche zu retten, zitieren die Neuapostolischen allerlei Bibelstellen. Da heißt es z.B. 1. Kor. 12,28: "Gott hat gesetzt in der Gemeinde aufs erste die Apostel, aufs andere die Propheten, aufs dritte die Lehrer, danach die Wundertäter" usw. Damit sei doch schwarz auf weiß bewiesen, daß das Apostelamt eine von Gott "gesetzte" und also gewollte Dauereinrichtung ist! Wirklich? Kann es des Paulus Meinung gewesen sein, daß jede Gemeinde ihren eigenen Apostel haben müsse und daß es sich hier um ein Daueramt für alle Zeiten handle? Hätte er dies gemeint, dann hätte er für die von ihm gegründete Gemeinde in Korinth bei seinem Weggang einen Apostel berufen müssen. Er hat es nicht getan. Er hat auch für die Gemeinde in Ephesus keinen Apostel bestellt. Als er sie später wieder besuchte versammelte er die "Ältesten der Gemeinde" (Apg. 20,17) und mahnte sie, auf die Gemeinde achtzuhaben, "unter welche euch der heilige Geist gesetzt hat zu Bischöfen" (Apg. 20,28). Er hat den Titus über die Gemeinden in Kreta gesetzt und ihn bevollmächtigt, Älteste einzusetzen, aber zum Apostel hat er ihn nicht ernannt (Tit. 1,5). Nirgendwo ist von Aposteln als Nachfolgern der Apostel Christi die Rede, und wenn Paulus sie in Eph. 4,11-13, einer Lieblingsstelle der Neuapostolischen, erwähnte, dann meinte er da nicht irgendwelche neu berufenen Apostel, die es nicht gab, sondern die Urapostel, die als Augenzeugen Christi für die jungen, vielfach ungefestigten Gemeinden eine Lebensnotwendigkeit waren (vgl. Eph. 2,20) und deren Kreis er mit seiner eigenen Berufung als abgeschlossen betrachtete (1. Kor. 15,5-9).

5. Aber selbst wenn sich aus den biblischen Texten das Apostelamt als Dauereinrichtung nachweisen ließe, bestünde eine tiefe Kluft zwischen den neuapostolischen und den neutestamentlichen Aposteln. Um bei Äußerlichkeiten zu beginnen: Nach dem 5. Glaubensartikel steht allein den Aposteln das Recht zu, Amtsträger zu ernennen und einzusetzen. Die Urgemeinde kannte dies nicht als Regel; da kam es vor, daß die Gemeinde ihre Amtsträger selbst wählte (Apg. 6,5). Nach neuapostolischer Anschauung entsprach in der Apostelschar Christi die Stellung des Petrus der des heutigen Stammapostels (Anmerkung 131: Lehrbuch 1971, Art 180). Das Neue Testament kennt keine solche Rangstufe. Es ist uns auch nirgends ein Wort etwa von Paulus oder Johannes überliefert, daß sie ohne den Stammapostel Petrus nichts tun könnten. (Anmerkung 132: Auf der Suche nach einem biblischen Beweis, daß Jesus ein übergeordnetes Stammapostelamt gewollt habe, gerieten die Neuapostolischen an Matth. 23, 8 und 11. Sie bemerkten dazu: "Als bei einer Gelegenheit die Jünger die Frage aufwarfen, wer der Größte unter ihnen sei, sagte Jesus: Der Größte unter euch soll euer Diener sein. - Einer ist euer Meister, ihr aber seid alle Brüder. Diese Worte Jesu heißt es in der Lutherübersetzung: Einer ist euer Meister, Christus. Dieser Zusatz Christus" fehlt zwar in einer Reihe von Handschriften; aber es ist klar, daß in Matth. 23,8 Christus gemeint ist, und in 23,10 ist er in einer parallel lautenden Stelle in allen Handschriften ausdrücklich genannt. Matth. 23,8 widerspricht also gerade der neuapostolischen Stufung in Apostel und Stammapostel.)

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Eigentlich müßten die Neuapostolischen heute noch den Paulus feierlich und nachträglich aus dem Kreis der Urapostel ausstoßen. Denn er benahm sich ganz ungehörig gegen seinen "Stammapostel" Petrus. Er suchte nämlich durchaus nicht nach dem Vorbild der heutigen Apostel eine möglichst persönliche Verbindung mit Petrus. Im Gegenteil, nach dem Damaskuserlebnis zog er nach Arabien, statt stracks "gen Jerusalem zu denen, die vor mir Apostel waren", zu reisen (Gal. 1,17). Erst nach drei langen Jahren suchte er Petrus in Jerusalem auf und blieb 15 Tage bei ihm. Dann ging er auf seine Missionsreisen. Zwischen der ersten und der zweiten Missionsreise traf er ein einziges Mal mit der "Aposteleinheit" in Jerusalem zusammen (Apg. 15). Am Ende der zweiten Missionsreise aber leistete er sich gar eine Rebellion gegen Petrus, die jeden Neuapostolischen hell empören müßte: In Antiochien kam es zu einer scharfen öffentlichen Auseinandersetzung; Paulus widersprach dem Petrus und bezeichnete sein schwankendes, schwächliches Verhalten gegenüber den Heidenchristen als Heuchelei (Gal. 2, 11 ff.). Wie, hatte er nicht begriffen, daß er seinen Stammapostel strikten Gehorsam schuldig ist, weil das Stammapostelamt doch eine "von Gott gegeben Ordnung" ist?

Wenden wir uns mehr den inneren Gebieten zu, auf denen sich die Gegensätze zwischen den Aposteln Christi und den neuen Aposteln zeigen: Den alten Aposteln gab Jesus Anweisung und Vollmacht, Kranke und Aussätzige zu heilen, Teufel auszutreiben und Tote aufzuerwecken (Matth. 10,8). Von den neuen Aposteln hat noch keiner, auch kein Stammapostel, bewiesen, daß er diese Vollmacht hat. Die neuen Apostel und sonderlich der Stammapostel beanspruchen, dank ihrem Erfülltsein mit dem Heiligen Geist, das "zeitgemäße Wort Gottes" zu verkündigen, und lehren die alleinige Bindung an die Heilige Schrift ab. Paulus dachte sehr viel anders über die Schrift: ".... weil du von Kind auf die Heilige Schrift weißt, die dich unterweisen kann zur Seligkeit durch den Glauben an Christus Jesus" (2. Tim. 3,15). Bei den Neuapostolischen gilt es als heilswichtige Pflicht, dem Stammapostel "nachzufolgen". Das Neue Testament verwendet den Begriff der "Nachfolge" durchweg nur für das Verhältnis zwischen den Jüngern und Christus (Anmerkung 133: In der Lutherübersetzung ist "Nachfolge"uot; nur vereinzelt auf das Verhältnis zwischen Gemeinde und Paulus bezogen (2. Thess. 3,7 u.a.). Aber die griechische Vokabel, die hier gebraucht wird ("mimeisthai"), bedeutet etwas anderes als das für "Nachfolge" in bezug auf Christus verwendete "akoluthein", nämlich "nachahmen" oder "zum Vorbild nehmen".). Und während die neuapostolischen Gläubigen angewiesen werden, zu glauben, zu lieben, zu beten und zu hoffen wie der Stammapostel, schreibt Paulus der Gemeinde in Philippi: "Ein jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war" (Phil. 2,5).

6. Von einem Sakrament der Versiegelung weiß die Bibel nichts. Es ist weder von Jesus gestiftet noch von seinen Aposteln praktiziert worden. Jesus hat den Aposteln nur die Taufe (Matth. 28,19) und das Abendmahl (1. Kor. 11,23) befohlen. Selbst das neuapostolische Lehrbuch schweigt sich darüber aus, auf welcher biblischen Stiftung dieses dritte Sakrament beruhe; es findet eine Begründung lediglich darin, daß dem dreieinigen Gott auch eine Dreizahl von Sakramenten entsprechen müsse. (Anmerkung 134: Lehrbuch 1971, Art. 252)

Nach einer neuapostolischen Lehre besteht die Versiegelung darin, daß der Apostel dem Gläubigen die Hand auflegt und ihm damit den Heiligen Geist übermit-

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telt. Nun findet sich in der Bibel des öfteren den Begriff "versiegeln". Er wird in doppeltem Sinn gebraucht; einmal in seiner ursprünglichen Bedeutung als Versiegeln von Briefen, Schriften, Kaufverträgen u.a., sodann in einer übertragenen Bedeutung als Bestätigung einer Verheißung, einer Vollmacht oder eines Heilsstandes. Im ersten Fall ist durchweg der Mensch, im zweiten Fall aber Gott oder Christus der Versiegelnde (Joh. 6,27; 1. Kor. 9,2; 2. Kor. 1,22; Eph. 1,13; 4,30; Offenb. 7,3). Die Neuapostolischen aber gebrauchen das Wort in einer dritten Bedeutung, die es in der Bibel überhaupt nicht gibt: sie machen aus der Bestätigung eines verheißenen Heilsstandes eine Übertragung von Heilskräften.

Die neuen Apostel vollziehen die Versiegelung durch den Akt der Handauflegung. Es gibt keine einzige Schriftstelle, welche auch nur andeutend oder indirekt sagte, daß die Handauflegung durch einen Apostel für den Gläubigen notwendig sei, damit er das Heil empfange. Wohl wird an einigen Stellen von einer "Handauflegung" gesprochen, und die Neuapostolischen berufen sich auf sie. Aber sie dürfen z.B. 1. Tim. 5,22 nicht als Beweis anführen. Denn nach ihrer Lehre kann nur ein Apostel die Versiegelung vornehmen; Timotheus aber war kein Apostel. Die Handauflegung, von der hier die Rede ist, hat denn auch mit einem Sakrament der Versiegelung nichts zu tun; sie war die Einsegnung eines Amtsträgers (ebenso 1. Tim. 4,14 und 2. Tim. 1,6). Die urchristliche Ordination erfolgte nach dem Vorbild der Ordination des Josua durch Mose (4. Mose 27, 18-23; 5. Mose 34,9) in der Form der Handauflegung (Apg. 6,6; 13,3). Die Handauflegung Hebr. 6,2 und Apostelgeschichte 19,5 war die mit der Taufe verbundene Segensgebärde, also nicht ein selbstständiger sakramentaler Akt. Bleibt noch die Stelle Apostelgeschichte 8, 14-17. Hier heißt es in der Tat: "Da legten sie die Hände auf sie, und sie empfingen den heiligen Geist." Also eine biblische Begründung des Sakraments der Versiegelung? Doch kann man aus der Begebenheit in Samarien keine Regel machen: Beim Geistesempfang der Jünger Apg. 2,1 gab es keine Handauflegung. Nach Apg. 2,37; 10,44; 15,7-9; Gal. 3,2 kommt der heilige Geist durch die Predigt des Wortes in die Herzen. Nach Luk. 11,13 kommt es auf das gläubige Bitten um den Heiligen Geist an. Woher hatte Paulus den Heiligen Geist? Ananias, der ihm die Hände auflegte (Apg. 9,17), war kein Apostel. Woher hatten die Christen in Rom ihre Geistesgaben (Röm. 12, 6-8)? Es war, als Paulus seinen Brief an sie schrieb, noch kein Apostel bei ihnen gewesen.

Die Urgemeinde kannte eine Handauflegung als Segenshandlung. Aber sie war nicht den Aposteln vorbehalten. Gelegentlich war mit ihr ein Geistesempfang verbunden der sich in Zungenreden und Weissagungen äußerte (Apg. 19,6); einen Geistesempfang dieser Art kann man bei den neuapostolischen Versiegelten nicht bemerken. Das alles läßt sich eben nicht imitieren.

7. Für ihren stellvertretenden Totendienst berufen sich die Neuapostolischen auf 1. Kor. 15,29. Diese Stelle ist deshalb schwer verständlich, weil wir keinerlei sonstige Nachrichten haben, die genau sagt, um was für einen Brauch es sich bei dieser stellvertetenden Taufe für die Toten handelt. Mag sein, daß es ihr Sinn war, auch solche Verstorbenen, die ungetauft geblieben waren, noch der Gnadenwirkung des Sakraments teilhaftig werden zu lassen. Diese "Vikariatstaufe" gab es in allerlei Sekten der altchristlichen Zeit; sie hatte ihre Entsprechungen in heidnischen

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Kulten (Anmerkung 135: Die dionysischen Mysterien kannten eine stellvertretende Weihe für ungeweihte Verstorbene). Aber Paulus hat diesen Brauch weder bestätigt noch bestritten. Er benützte ihn lediglich als ein Beweismittel in seiner Auseinandersetzung mit denen, die eine Totenauferstehung leugneten (1. Kor. 15,12): Wenn sie recht hätten, dann hätte ja die von manchen geübte Taufe für einen Verstorbenen gar keinen Sinn, denn diese Taufe setzt das Fortleben der Toten voraus! Paulus wollte also nicht jenen Brauch rechtfertigen, sondern die Auferstehung der Toten begründen. Es geht nicht an, daraus, daß er ganz nebenbei die stellvertretende Taufe als Anschauungsmaterial für seine Beweisführung verwendete, ein Ja des Apostels zu Vikariatstaufe herauszulesen.

Ausbreitung und Gliederung der Neuapostolischen Kirche

Aus kleinen Anfängen hat sich die Neuapostolische Kirche in verhältnismäßig kurzer Zeit über alle Kontinente verbreitet. Und das geschah, ohne daß sie eigens eine Missionsgesellschaft zur Ausbildung und Aussendung von Missionaren gegründet hätte. In diesem Punkt unterscheidet sie sich von allen anderen Kirchen. Wachstum und Ausbreitung erfolgten bei ihr weithin planlos und spontan. Wie läßt sich das erklären? Für den neuapostolischen Gläubigen ist die stete Verbindung mit den Priestern und besonders dem Apostel lebensnotwendig; denn nur durch sie kann er Vergebung, Führung und die Sakramente empfangen. Kommt er nun in ein Land, in dem seine Kirche nicht vertreten ist, dann gerät er in eine bedrohliche Lage: er ist mit seiner Familie von der Heilsquelle abgeschnitten. Diesen Notstand muß er mit allen Mitteln zu beheben versuchen, und das beste Mittel ist, in seiner Umgebung Umschau nach Glaubensgenossen zu halten und die Verbindung mit seinem Heimatapostel zu pflegen. Gewinnt er dann auch noch Andersgläubige in seiner Nachbarschaft für seinen Glauben, dann entsteht allmählich eine kleine Gemeinde, die bei einer Besuchsreise des Apostels die Sakramente empfängt und einen Priester erhält. So wird ein Gläubiger von selbst zu einem Missionar im fremden Land, und jede kleine Zelle, die er bei seinem Suchen und Werben zusammenbringt, wächst zu einer engen, familienähnlichen Gemeinschaft zusammen. Der Schwerpunkt der Neuapostolischen Kirche liegt eindeutig im deutschen Sprachgebiet. Hier zählte man 1979/1980 etwa 470 000 Glieder; davon 335 000 in der Bundesrepublik, 85 000 in der DDR, 45 000 in der Schweiz und 5 000 in Österreich. Die nach verschiedenen Abspaltungen in den Niederlanden verbliebenen neuapostolischen Gemeinden bilden heute die "Niew-Apsotolische Kerk in Nederland" mit rund 12 000 Seelen und einem Apostel. Die 10 000 Gläubigen in Frankreich haben seit 1981 zwei Apostel. In allen anderen Ländern Europas sind die neuapostolischen Gemeinden noch sehr jung. In Belgien entstanden kleine Gemeinden durch neuapostolische Kriegsgefangene, die nach ihrer Entlassung im Land geblieben waren, und durch belgische Besatzungsmitglieder, die in Deutschland apostolische Mädchen geheiratet haben. Auch in England legten zwei neuapostolische Kriegsgefangene den ersten Keim. 1977 wurden in England und Irland 35 Gemeinden mit 1493 Seelen gezählt. In den letzten Jahren konnte die

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Neuapostolische Kirche zunehmend in Italien und Spanien Fuß fassen und wurde inzwischen auch in Griechenland offiziell zugelassen. In Finnland war 1975 die Arbeit aufgenommen worden. 1977 gab es zwei kleine Gemeinden in Helsinki und Turku. Auch in Polen bestehen kleine Gemeinden und Kreise mit unbekannter Mitgliederzahl, die überwiegend in den ehemals deutschen Gebieten, die nach dem Zweiten Weltkrieg zu Polen kamen, zu finden sind. In den europäischen Staaten des Ostblocks leben verstreut Mitglieder der Kirche die teilweise auch zu Gemeinden zusammengefaßt sind.

Es ist erstaunlich, daß die ältesten ausländischen Gemeinden gerade in den fernsten Weltgegenden ins Leben gerufen wurden: Bereits seit 1879 war der Holländer F. L. ANTHING als Apostel in Indonesien - damals Kolonie der Niederlande - tätig. 1883 begann er mit der Arbeit auf Java. Er gründete einige Gemeinden. Sein Nachfolger Lim-Tjoekhim gewann u.a. den kirchlichen Diakon Hanibals, Erzieher am fürstlichen Hof. Dieser wirkte von 1895 bis etwa 1911 als Apostel und konnte Tausende zu seinem Glauben führen. 1974 wurden in Indonesien 7 000 Neuapostolische mit zwei Aposteln gezählt. 1883 hatte die damalige "Allgemeine christliche Apostolische Mission" den Evangelisten H. F NIEMEYER aus Wolfenbüttel nach Australien entsandt. Er hatte nach drei Jahren bereits 100 Anhänger gewonnen, die nun auf ihre Versiegelung durch einen Apostel warteten. Statt einen solchen nach Australien zu schicken, wurde er selbst als Apostel eingesetzt. 1974 zählten die neuapostolischen Gemeinden 2 000 Seelen mit zwei Aposteln. Niemeyer setzte 1893 seinen Freund Klibbe zum Apostel ein und beauftragte ihn mit dem Aufbau von Gemeinden in Südafrika. Als er 1913 abtrünnig wurde, übernahm der spätere Apostel G. H. W. Schlapphoff und sein Sohn Franz, der später Stammapostelhelfer war, das Werk. Es blühte erneut auf und umfaßte 1977 etwa 110 000 Gläubige mit sieben Aposteln allein in der Republik Südafrika (davon im Großraum Kapstadt in 180 Gemeinden mit 101 Kirchengebäuden etwa 65 000 Gläubige). Von Südafrika aus fand der neuapostolische Glaube auch Eingang in benachbarte Länder: 1974 zählten Rhodesien 6 000, Sambia und Malawi 70 000 Gläubige mit vier Aposteln.

Früh faßte der neuapostolische Glaube auch in Südamerika Fuß. In Argentinien gründeten deutsche Auswanderer 1903 die ersten Gemeinden, und der bereits 1900 für Argentinien vorgesehene Apostel wanderte 1907 aus Holland ein. Bis 1930 wurden nur deutschsprachige Gottesdienste gehalten. Dann nötigte die zunehmende Zahl einheimischer Mitglieder auch zur Einführung von Gottesdiensten in der Landessprache. Von nun an entstanden kleine Gemeinden auch in Uruguay, Paraguay, Chile, Brasilien und Venezuela. 1974 wurde die Gesamtzahl der Gläubigen in Südamerika mit 66 000 beziffert, davon 50 000 in Argentinien. 1965 lernte der kanadische Apostel MICHAEL KRAUS den Gottesdienstbesucher Rutty kennen, der von Jamaika stammte. Er schickte ihn mit einem missionarischen Auftrag in seine Heimat zurück und reiste einige Monate später selbst dorthin. Nach zehn Jahren zählten die Gemeinden in Jamaika 900 Mitglieder mit vier Evangelisten, 14 Priestern und 25 Diakonen und Unterdiakonen. Von Jamaika aus wurde der neuapostolische Glaube auch auf andere karibische Inseln gebracht. Sie gehören zum Apostelbezirk Kanada, der auch die 21 000 Glieder in den USA umfaßt.

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Besonders stark war die Ausstrahlung neuapostolischer Gemeinden in England: Von einer Besuchsreise 1969 berichtete Apostel Startz, daß in einem Gottesdienst in London zwei Ceylonesen, in Birmingham ein Biafraner versiegelt wurde, die in England studierten und nach ihrer Heimkehr für den Glauben warben. Der Bischof für Goßbritannien und Irland, Erry, zog mit seiner Familie nach Indien hier fielen ihm die Gläubigen in Scharen zu. Bis 1975 war ihre Zahl bereits auf 90 000 in 1100 Gemeinden gestiegen und der Stammapostel Streckeisen setzte in einem Gottesdienst in London am 20.Juli 1975 erstmals sechs Apostel für Indien ein. Insgesamt zählte die Neuapostolische Kirche 1978 über 1 Million Mitglieder. Entsprechend mußte auch die Zahl der Apostel vermehrt werden, denn sie haben meist riesige Bezirke zu leiten und als Vermittler der Heilsgnade müssen sie für jeden Gläubigen erreichbar sein. (Anmerkung 136: So gehören zum kanadischen Apostelbezirk: Bangladesh, Birma, Bolivien, Ghana, Großbritannien, Hongkong, Indien, Jamaika, Japan, Kenia, Kolumbien, Korea, Liberia, Malaysia, Mexico, Nigeria, Pakistan, Papua-Neuguinea, Peru, Philippinen, Sri Lanka, Taiwan, Venezuela, Zaire. Vom Apostelbezirk Wiesbaden aus werden fast alle Staaten des vorderen Orients, Nord- und Westafrikas betreut. In einigen Ländern leben zwar verstreut nur einzelne Angehörige der Neuapostolischen Kirche, mit ihnen werden aber dennoch regelmäßige Verbindungen aufrechterhalten, und sie selbst wissen auch, an welchen Apostel sie sich wenden können, wenn sie seiner bedürfen). 1981 amtierten fast 90 Apostel. Das Heer der sonstigen Amtsträger vom Unterdiakon aufwärts wuchs von 12 676 im Jahr 1949 (bei einer damaligen Gesamtmitgliederzahl von 352 000 Gläubigen) auf über 45 000 im Jahre 1979, davon sind 17 000 im priesterlichen Dienst. Die in den Gemeinden anfallenden Aufgaben werden nebenberuflich und ohne Entlohnung ausgeübt. Dank ihrer großen Zahl sind die Amtsträger in der Lage, mit den ihnen anvertrauten Gläubigen enge Verbindung zu halten und eine intensive "Seelenpflege" zu üben. Das alles fördert den Zusammenhalt der Gemeinden und die Volksnähe der kirchlichen Organisation.

Um die Verbundenheit der Apostel untereinander zu pflegen, werden von Zeit zu Zeit internationale Treffen durchgeführt. So versammelten sich 1977 in Rexdale (Kanade) 467 Amtsträger aus England, Rumänien, Indien, Malaysia, Korea, Japan, Philippinen, Hawai und vier lateinamerikanischen Ländern. Im Mai 1980 fand eine Apostelversammlung in Zürich statt, bei der 70 Apostel zugegen waren. Immer wieder werden auch mit Hilfe moderner Kommunikationsmittel die Gemeinden weiter Gebiete an Gottesdienste des Stammapostels angeschlossen. So wurde der Neujahrsgottesdienst 1977 in Hamburg über Postkabel in die Versammlungsräume von 724 Gemeinden übertragen, der erste Gottesdienst des neuen Stammapostels Urwyler am 19. November 1978 in 769 Gemeinden.

Die Neuapostolische Kirche ist in Bezirke gegliedert. An der Spitze jedes Bezirks steht der Bezirksapostel. Die Apostelbezirke sind weiterhin untergliedert in Bischofs- und Ältestenbezirke. Der Ältestenbezirk besteht aus einer Anzahl Gemeinden und kann in Unterbezirke eingeteilt werden. Die Gemeinde untersteht einem Gemeindeältesten, der das Amt eines Hirten, Gemeinde-Evangelisten oder Priesters haben kann und dem eine Anzahl Hilfsämter zur Seite stehen. Schon aus dieser vielstufigen Organisation ergibt sich eine reich gegliederte Hierarchie der kirchlichen Ämter. Das neuapostolische "Lehrbuch" kennt eine dreizehnsprossige Stufenleiter, die dem strebsamen Mitglied offensteht.

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H. Niehaus gründete 1922 den Verein "Apostelkollegium der Neuapostolischen Gemeinden Deutschlands", der die Bezirks- und Hilfsapostel zusammenschloß und inzwischen wohl in abgeänderter Form auch auf die außerdeutschen Apostelbezirke ausgedehnt wurde. Zu seinen Aufgaben gehören u.a.: Herausgabe von Schrifttum in einem gemeinschaftlichen Verlag, Überwachung der Verwaltungsordnung, priesterliche Pflege der Gemeinden und Abwehr auflösender Bestrebungen, Ausübung der geistlichen Leitung über sämtliche Gemeinden, Finanzaufsicht und Handhabung der Kirchendisziplin. In diesem Kollegium hat der Stammapostel die absolute Vormacht: nach § 3 ernennt er die Mitglieder "auf Widerruf", wobei das Apostelkollegium nur eine beratende Funktion hat, und nach § 4 kann er sie auch "nach pflichtmäßigem Ermessen" wieder abberufen, ohne dabei von ihrem Votum oder Veto des Kollegiums abhängig zu sein. Nach § 6 hat er das Recht, "während seiner Amtsdauer unter Zustimmung der Mitglieder des Apostelkollegiums einen Nachfolger oder Vertreter aus der Mitte der Apostel vorzuschlagen und auszusondern". Hat er keinen Nachfolger ernannt, dann hat das Kollegium unverzüglich einen Stammapostel zu wählen. Aus einer von den Monatsbeiträgen der Bezirke gespeisten "Vereinskasse" werden nach § 8 die Aufwendungen für den Stammapostel für in Not geratene Bezirke, für Pensionen von Aposteln, für die Unterstützung von Apostelwitwen und -waisen und für Missions- und Wohltätigkeitszwecke geleistet. Von den Gemeindemitgliedern wird praktisch ein Beitrag in Höhe des Zehnten erwartet. Eine öffentliche Rechenschaft über Verwaltung und Verwendung der Gelder wird nicht gegeben.

Die Neuapostolische Kirche hat sowohl nach Umfang wie Inhalt nur eine bescheidene Literatur hervorgebracht. Die wichtigste Schrift ist das Lehrbuch "Fragen und Antworten über den Neuapostolischen Glauben", erstmals 1916 erschienen und von Niehaus verfaßt. Kennzeichnend ist, daß keinerlei Schrifttum für Werbezwecke produziert wurde. Der Schwerpunkt liegt völlig auf der Werbung von Mensch zu Mensch durch Hausbesuche oder im Verwandten- und Bekanntenkreis. Auf diesem Gebiet sind sie außerordentlich rege. Der enge Zusammenhalt der neuapostolischen Gemeindemitglieder, die einander im beruflichen und privaten Leben helfen, bildet einen wichtigen Anziehungspunkt. Da gibt es keine anonyme Mitgliedschaft und keiner wird allein gelassen, sondern jeder wird beraten und geleitet. Für Menschen, die einer Obhut und steten Führung bedürfen, ist diese "Seelenpflege" hoch willkommen, während sie für selbstständige Naturen lästig oder widerwärtig sein mag.

Streitigkeiten und Spaltungen

Die Neuapostolische Kirche wurde im Verlauf ihrer Geschichte von vielen Spaltungen heimgesucht. Die verschiedensten Ursachen waren daran beteiligt: persönliche Differenzen unter den führenden Amtsträgern; die Rebellion charismatisch-prophetischer Elemente gegen die Beschlagnahme des Heiligen Geistes durch das Apostelamt; der Aufruhr von Aposteln gegen die erdrückende Übermacht des Stammapostels; die Verdrängung von Gestalt und Werk Christi durch die Person und das Amt des Stammapostels.

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1. Als der holländische Apostel Schwarz am 6. Dezember 1895 starb, hinterließ er in seinem Testament die vorsorgliche Bestimmung, daß die Berufung des Nachfolgers schon nach zwölf Trauerwochen stattfinden sollte. Aber Krebs ergriff die Gelegenheit, während der apostellosen Zeit auch diese bisher unabhängige Hersteld Apostolische Zendingkerk in seinen Griff zu bekommen, gleich beim Schopf. Er reiste nach Amsterdam, berief eine allgemeine Priesterversammlung ein, verlängerte die Trauerzeit - angeblich aus Ehrfurcht vor dem Toten - bis Januar 1897 und bestellte unbefugterweise einen Anhänger, den Evangelisten Kofman, in Enkhuizen, zum Aufseher. Dann bereiste er zusammen mit Niehaus die Gemeinden, forschte unter den Amtsträgern nach Helfershelfern und warb durch Lobpreisung von Schwarz um das Vertrauen der Gläubigen. Zugleich verkündigte er die neue Lehre von der veralteten Bibel und dem frischen Gotteswort der Gegenwart durch Apostelmund. Einige Priester nahmen diese Lehre an und warben, geführt von Kofman, eifrig für Krebs und übersetzten die Krebs-Blätter "Herold" und "Wächterstimme aus Ephraim" ins Holländische.

Nun kam der Berufungsgottesdienst am 17.Janua 1879, Krebs und Niehaus nahmen daran teil. Der Amsterdamer Diakon MARTINUS VAN BEMMEL, der ein Gegner von Krebs war, wurde durch den Mund des Prophetenn Vleck aus Amsterdam als Apostel für "Juda" bezeichnet. Er nahm seine Berufung an, und Krebs mußte ihn wohl oder übel feierlich vor den versammelten Gemeinden anerkennen. Weil Van Bemmel sich ihm nicht gefügig zeigte, entbrannte alsbald eine hitzige Auseinandersetzung. Einen einflußreichen Parteigänger von Krebs, den Evangelisten de Vries in Amsterdam, suspendierte van Bemmel, und Krebs konterte, indem er unter Überschreitung seiner Befugnisse van Bemmel brieflich am 28. Februar 1879 abzusetzen versuchte. Ein größerer Teil der Gemeinden von Amsterdam, Haarlem und Enkhuizen hielt sich zu van Bemmel. Die Anhänger von Krebs wurden in der "Hersteld Apostolische Zendingsgemeente in de Eenheid der Apostolen in Nederland en Kolonien" gesammelt. Krebs setzte ihnen Kofman zum Apostel. Diese Spaltungsgemeinschaft blieb fortan der Neuapostolischen Kirche eingegliedert und dem Stammapostel untertan. Der Hirte von Haarlem, Verkruisen richtete 1899 gegen Krebs eine Kampfschrift von schneidender Schärfe: "Die wahre Ursache der Spaltung". Sie sparte nicht mit kompromittierenden Enthüllungen. Die Krebsanhänger antworteten mit der Gegenschrift "Keine Spaltung, sondern Abfall". Die Propheten der Hersteld Apostolische Zendingkerk verkündigten, daß der Satan in "Ephraim" gefahren und der Heilige Geist von Krebs genommen worden sei. Für sie galt fortan die Neuapostolische Kirche als "antichristliche Sekte", in der sich die Weissagung von 2. Petr. 2,1-3 erfüllt hat.

2. Der Binnenschiffer JULIUS FISCHER in Zehdenik an der Havel schloß sich 1896 der neuapostolischen Gemeinschaft an und wurde von Krebs versiegelt. Rasch stieg er zum Priester und Bezirksältesten auf; um sich den damit verbundenen Aufgaben besser widmen zu können, verkaufte er seinen Lastkahn und erwarb ein Lebensmittelgeschäft in Zehdenik, später eine Ziegelei in Gransee. Aber schon 1901 kam es zu Unstimmigkeiten zwischen ihm und führenden neuapostolischen Amtsträgern, weil er die Hoffnung auf die Wiederkunft Christi verwarf - denn "Gott hat mit seinem Wirken nie die Erde verlassen". Im Frühjahr 1902 wurde er

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von Krebs aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Er setzte der Parusieerwartung seine "grundlegende Wahrheit" entgegen: "Gott ist das Wort, wird Fleisch und lebt unter uns Menschen, kommt mit seinem lebendigen Willen über den Lippen seiner gesandten Boten zu uns, kläret auf im geistigen Wort und naturgetreuen Stil." (Anmerkung 137: Julius Fischer, Wahrheitskunde, S. 266f) Unter Hinweis auf die Juda, dem Sohne Jakobs, und seinem Haus gegebene Verheißung (1. Mose 49, 8-10; 5. Mose 33, 7) glaubte Fischer den verheißenen, zur Herrschaft berufenen "Herrn" in sich verkörpert. "1902, da fiel ein wunderbares Licht in die dunkle Geistesnacht: Jesus Christus in seiner Wiederkunft laut seiner Verheißung selber unter dem Namen Juda!" (Anmerkung 138: Nach dem Bericht von Alfred Völkel kam bei einem Gottesdienst am 2.Mai 1902, als Fischer an dem Wort war: "Und du bist der junge Löwe aus Juda, der die sieben Siegel brechen wird", durch den Propheten Schröder eine Weissagung, und mehrere Teilnehmer "sahen" eine Lichtgestalt, die Fischers Haupt segnete.) Fischer setzte "unter Einbeziehung der zwölf Söhne Jakobs" 24 Apostel ein und schuf das "Apostelamt Juda" mit einer ausgebauten Ämterhierarchie (Apostel, Bischof, Ältester, Priester, Diakon und Unterdiakon sowie die weiblichen Hilsämter der Diakonisse, Evangelistin und Prophetin) und einem Stammapostel an der Spitze. Vor seinem Tod am 2. März 1923 benannte er seine Gefolgschaft um in "Gemeinschaft des göttlichen Sozialismus, Apostelamt Juda". Zu seinem Nachfolger bestimmte er ADOLF TSCHACH (geb. 1891, von Beruf Schiffer), der dann das Werk besonders in Schlesien ausdehnte.

Charakteristisch ist für Fischer und seine Nachfolger zunächst die Gottesauffassung. Die Gemeinschaft erblickt in Gott das "Leben" und unterscheidet darin den "Gott der Erde" und den "Gott des Himmels". Der Gott der Erde ist in allem kreatürlichen Leben wirksam, und der Mensch erfährt ihn in sich als ewige Gerechtigkeit. "Gott ist weder gut noch böse, sondern Er wird erst gut oder böse durch den Menschen." Anders ausgedrückt: Es steht in des Menschen Hand, wie sich diese ewige Gerechtigkeit auswirkt. Wo er nichts tut, da tut Gott auch nichts. Wo er böse handelt da wendet sich die Gerechtigkeit Gottes für ihn zum Bösen, und sie zeigt Güte, wo er gut handelt. Der "Gott des Himmels" ist dem natürlichen Menschen unbekannt. Um sich zu offenbaren, muß er durch Menschen "Wort" werden. Deshalb ließ er durch die Zeugenschaft des Engels Gabriel bei der Jungfrau Maria seinen eingeborenen Sohn Fleisch und Blut werden. Aber weil Christus gen Himmel fuhr, "mußte er sein göttlich verewigtes Leben oder den geistigen Jesus Christus ... in seinen siebenfachen Gaben als Vollkraft durch Sendungswerk in Fleisch und Blut wieder erstehen lassen". (Anmerkung 139: Konfirmandenunterricht der Gemeinschaft des göttlichen Sozialismus, S. 7)

Damit ist Würde und Amt des "Apostels Juda" beschrieben. Durch ihn und seinen Nachfolger, den Apostel in Juda, will Christus "die Herrschaft über die menschlichen Seelen mit Licht, Trost und Heilung ausführen". (Anmerkung 140: Glaubensbekenntnis des Apostelamts Juda, 2. Art.) Der Apostel in Juda und seine Apostel samt den weiteren Ämtern bilden den "wahren göttlichen Himmel", der inmitten der Menschenwelt wirkt. Die Gläubigen empfangen durch das Apostelamt den Heiligen Geist und geloben, sich "der Hirtenschaft der Amtsträ-

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ger zu ergeben von ganzem Herzen und Gemüt". (Anmerkung 141: Konfirmandenunterricht, S. 12) Die Ämter ihrerseits haben die Gemeinden mit Liebe und Geduld zu belehren und über die sittliche Zucht zu wachen. Die Gottesdienste finden an den Sonn- und Feiertagen statt; höchster Festtag ist der 2. Mai als Gründungstag. Die Gemeinden pflegen eine enge Gemeinschaft und versammeln sich zu regelmäßigen "Geschwisterabenden". Heute wird die Zahl der Mitglieder in der DDR auf 3000 geschätzt. Es bestehen auch kleine Gemeinden in der Bundesrepublik, Westberlin und in den USA.

Nach dem Tode J. Fischers entstand unter der Leitung des Apostels HERMANN KRÜGER (gest. 1933) noch eine weitere Gruppe, die dann ein wesentlich stärkeres Wachstum aufwies. Sie nannte sich zunächst "Apostelamt Simeon in Juda", dann "Apostelamt Simeon in Jakobs Geschlecht" und schließlich unter dem Nachfolger Krügers, Stammapostel ALBERT TRUBACH, 1947 aufgrund von Offenbarungen "Apostelamt Jesu Christi". Dem Stammapostel unterstehen die Bezirksapostel, die vorwiegend mit Verwaltungsaufgaben betrauten Bischöfe und Ältesten; innerhalb der Gemeinden gibt es Priester, Diakone, Unterdiakone und Diakonissen. Den Apostel sind die "Charakterämter" beigegeben, bestehend aus je einem Propheten, Evangelisten und Hirten. Grundlegend ist auch hier die Lehre, daß der auferstandene Christus immer gegenwärtig ist, nicht unsichtbar, sondern "im Fleisch" (Anmerkung 142: Was glauben die anderen? (26 Selbstdarstellungen), Berlin 1954, S. 119). "Der wahre lebendige Glaube ist der Glaube an Gott im Fleisch". Christus wirkt durch die Träger des Apostelamts, insbesondere den Stammapostel. Durch dieses Amt sind auch alle Geistesgaben lebendig.

Die Gottesdienste, meist in Gaststätten gehalten, bestehen aus Chor- und Gemeindegesang, freiem Gebet, Weissagung - wobei Gott in der ersten Person spricht, etwa: "Du (d.h. der Prediger) bist berufen, der Gemeinde mit meinem Wort zu dienen." - Textverlesung und Predigt, Weissagung - "Ich habe dir gegeben, meiner Gemeinde recht zu dienen." - Segnungen, Gebet, Segen und Gesang. Die "Segnungen" bestehen darin, daß solche, die einen besonderen Segen begehren, wie z.B. zu Geburtstagen, bei besonderen Gedenktagen einzelner Familien, in Krankheits- und Prüfungszeiten, dem Leiter des Gottesdienstes ihr Anliegen leise sagen und nach einem freien Gebet die Hände aufgelegt bekommen. Als kirchliche Handlungen werden durchgeführt: Abendmahl, Wassertaufe, Versiegelung, Einsegnung, Trauung Bestattung. Die Versiegelung durch Handauflegung eines Apostels ist die Taufe mit dem Heiligen Geist als Vollendung der Wassertaufe und kann nach dem 12 Lebensjahr vorgenommen werden. Die Gottesdienste sind nicht allgemein zugänglich; zugelassen wird nur, wer ein Empfehlungsschreiben der Zentrale besitzt oder durch Mitglieder nach vorausgegangener Vorbereitung eingeführt wird. Auch sonst schließt sich die Gemeinschaft nach außen stark ab. Der 20. Februar als Gründungstag des Apostelamts Simeon ist das einzige Kirchenfest. Die Gemeinschaft umfaßt etwa 173 Gemeinden mit über 1000 Amtsträgern und etwa 20 000 Mitgliedern. Ihr Hauptverbreitungsgebiet ist Ostberlin und die Mark Brandenburg. Aber sie ist mit insgesamt 58 Gemeinden auch in Westberlin und der Bundesrepublik vertreten.

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3. Auch die neuapostolischen Gemeinden in Australien und Südafrika wurden früh durch Spaltungen heimgesucht. 1906 wurde der australische Apostel H. F. Niemeyer von der Neuapostolischen Kirche mit der unglaubwürdigen Begründung ausgeschlossen, daß er "im Dienste der englischen Regierung für jeden deutschen Einwanderer, den er nach Australien lockte, 20 Mark Belohnung erhalten habe und so ein millionenschwerer Mann wurde." (Circular 1912, Nr. 10) Aber Niemeyer hielt an seinem Amt fest. Als er wenige Jahre später im Sterben lag, setzte er seinen Sohn als Apostel und seine Frau als Bischof ein. Auch der Sohn starb vier Jahre darauf. Sein Nachfolger, A. E. ZIELKE, suchte den Kontakt zu den deutschen apostolischen Gemeinden in Südafrika. Die "Apostolic Church of Queensland", wie die offizielle Bezeichnung lautet, hat heute etwa 10 000 Mitglieder.

In Südafrika wurde 1910/1911 der Apostel Klibbe abgesetzt, den 1892 Niemeyer nach Südafrika geschickt hatte und der dort mit größtem Erfolg missionierte. Doch Klibbe machte, ebenso wie Niemeyer, selbstständig weiter und gründete die "Apostolic Church of South Africa". 1925 berief er seinen Schwiegersohn H Velde zum Apostel. Mit der australischen Gemeinschaft Zielkes hielt dieser bis zu seinem Tod 1956 engen Kontakt.

4. In Deutschland lehnte sich 1918 eine reformfreudige Gruppe unter Führung verschiedener Amtsträger (Georg Paulus, Otto Müller, Heinrich Kaatz und K. W. Mütschele) gegen Niehaus auf. Sie fanden zahlreiche Anhänger und verbreiteten im Jahre 1919 "Aufklärungsschriften über die reformatorische Bewegung in den neuapostolischen Gemeinden". Unter Rückbesinnung auf den Inhalt des biblischen Apostelamtes sahen sie die Aufgabe der neuen Apostel darin, das Evangelium von Christus lauter und rein zu verkündigen und in der Gegenwart die endzeitliche Gemeinde der Christusgläubigen in allen Kirchen zu sammeln. Den neuen Aposteln aber warfen sie vor, beide Aufgaben zu versäumen. Statt Christus stellten sie "sich selbst als Apostel in den Mittelpunkt der gegenwärtigen Heilslehre". Unter ihrem Wirken seien Unduldsamkeit, überhöhte Sakramentsbewertung, Amtsglauben, geistliche Überheblichkeit entstanden. Alle anderen Christusbekenner seien grundsätzlich in eine niedrigere Hoffnungsstufe eingereiht worden.

In einem Brief des Redakteurs der "Neuapostolischen Rundschau", Mütschele, an den Apostel Brückner wurde auf diese Dinge hingewiesen: "Bei jedem anderen Bekenntnis christlichen Glaubens wird keine so absolute Sprache und Bekenntnisbehauptung geführt als bei uns, die katholische Kirche vielleicht ausgenommen." "Kein Kirchenregimentskollegium hat seine Prediger so in der Hand als wie die Apostel ihre Diener"; und es "findet nirgends so rücksichtslos ein Hinaustun statt von solchen, die nicht absolut durch dick und dünn der Lehre gehen". "Was die Apostel lehren, wird im allgemeinen blind geglaubt." Sie und ihre Anhänger machen sich schuldig einer "gedankenarmen, ja oft gedankenlosen, ja manchmal bodenlos leichtsinnigen, oberflächlichen und falschen, agitatorisch verdrehten Art der Bibelzeugnisverwertung und Bibelzeugnisverwendung". Der Anfangspunkt der ganzen Verwirrung lag in der "Annahme, daß die Apostel genannten Männer der letzten Zeit unter allen Umständen die Autorität sind und souverän über der Bibel und ihren Lehren ste-

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hen. Also die päpstliche Irrlehre: Was die Apostel lehren, ist unfehlbar. Prüfungsrecht gibt es nicht - nur Anerkennungs- und Glaubenspflicht. Als wie selbstverständlich nehmen die heutigen Apostel der neuapostolischen Gemeinde alle Vollmachten Jesu, seinen Aposteln gegeben, für sich in Anspruch, halten sich ohne weiteres für die alleinige Verteilungsstelle der himmlischen Güter, ohne die Christus der Auferstandene einfach nichts machen kann." "Die exklusive, extreme Lehre: Wir sind allein die Erstlinge, wir sind die Braut Christi, ist in diesem Sinne, wie sie von den Aposteln vertreten wird, eine Verirrung und das Haupthindernis, daß keine seelische Annäherung und allianzmäßige Freundschaft mit den christusgläubigen Christen sich anbahnen kann."

Der nachmalige Stammapostel J. G. Bischoff vertrat damals ähnliche Auffassungen wie jene Opposition. (Anmerkung 144: Am 26. September 1918 schrieb er an seinen "herzlich geliebten Freund und Apostel C. A. Brückner" in Dresden einen Brief in dem es heißt: "Es ist ein Wahn, zu glauben, Jesus wohnt nur im Fleisch des Apostels. Muß sich da nicht ein aufgewecktes Glied sagen, daß vieles nicht stimmt und wir (die Apostel) weit abgeirrt sind vom Wahrheitsweg? Die Amtsbrüder haben das Recht, von ihrem Apostel zu verlangen, daß er ihnen als Erstling vorangeht. Wo das nicht ist, verlieren sie den Glauben. Wie hart war man gegenüber Andersgläubigen! Wie hat man die oft verdammt?! Aber - man hat nicht bedacht, daß in des Vaters Hause viele Wohnungen sind und der liebe Gott viele Lehrkörper auf Erden hat. Er schickt die Erdenbewohner nicht alle zum apostolischen Lehrkörper, sondern es sind auch solche, die zu anderen Lehrkörpern gehen, um da, je nach ihren Fähigkeiten, zubereitet werden. Ich fürchte, daß einst viele Apostolische werden hinter solche zurück müssen, weil eben zu leichtfertig gehandelt wurde!" Weiter vertrat Bischoff als "Apostel" folgende Meinung, die er dann als "Stammapostel" verketzerte: "Wie viele Seelen sind noch heute in dem Wahn, daß Jesus nur in den Aposteln wohnt. Ja, es kommt leider nur zu oft vor, daß dem Gesandten mehr Ehre gezollt wird als dem Sender, und dahin müssen wir kommen, daß der Herr als Grund und Eckstein an den richtigen Platz kommt in seinem Werk." "Wir sehen nach Offenbarung 7 außer den Versiegelten noch eine große Schar, die auch ihre Kleider rein gewaschen in Lammesblut, und wie hart war man gegenüber Andersgläubigen!") Aber er wandte sich bald wieder dem stammapostolischen System zu. Niehaus unterdrückte die Opposition, und bald sorgte Bischoff dafür, daß diese Männer exkommuniziert und ausgestoßen wurden. (Anmerkung 145: Reformiert-apostolische Rundschau 1.5.1931) Mütschele ging mit einem beträchtlichen Teil der Opposition zur Pfingstbewegung über, andere kehrten zu den Neuapostolischen zurück.

5. Im Jahre 1921 erfolgte eine Abspaltung unter der Führung des Apostels CARL AUGUST BRÜCKNER aus Dresden (1872-1949). Dieser, ein sehr gewissenhafter, aber auch kritischer Mann, war der langjährige Vertrauensapostel und ständige Reisebegleiter von Niehaus gewesen. In der Gemeinschaft hatten sich allerlei Mißstände breitgemacht, die nach M. Ecke vor allem von den durch das Kriegsende 1918 widerlegten "vielen Träumen, Gesichten und Weissagungen über den Krieg und seinen siegreichen Ausgang" herrührten. Brückner trug die ihm vorgebrachte Kritik freimütig dem Stammapostel Niehaus vor und zog sich dadurch dessen Unmut zu. Im April 1921 wurde er exkommuniziert, bald darauf auch der Görlitzer Apostel MAX ECKE (1887-1965), dazu viele Amtsträger und gegen 8000 Gemeindemitglieder.

Sie gründeten am 5.Mai 1921 in Dresden die "Reformiert-Apostolische Gemeinde". Die Spaltung war von aufwühlenden Streitigkeiten begleitet. Den abgetrennten Gemeinden wurden wie üblich ihre Kapellen, Betsäle, Kircheneinrichtungen,

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Opfergelder weggenommen. (Anmerkung 146: Ein Beispiel der dabei verwendeten Methoden: Satzungsgemäß standen die Betsäle, Barmittel usw. im Besitz der Gemeinden; um hier eine stammapostolische Mehrheit zu gewinnen, wurden alle Anhänger Brückners kurzerhand ausgeschlossen, so daß der verbleibende Rest mit Erfolg in Gerichtsprozessen sein Eigentumsrecht gegen die Hinausgetriebenen durchsetzen konnte. In einem Rückblick der Reformiert-Apostolischen nach zehn Jahren heißt es über diese Auseinandersetzung: "Haarsträubende Dinge können erzählt und berichtet werden. Der Geist Gottes war gewichen, der Versöhnungsgeist nicht vorhanden, nur der Egoismus, die Selbstsucht übte ihre brutale Macht und gönnte ihren verstoßenen Brüdern noch nicht einmal einen Nagel an der Wand. Dazu ein Hohnlachen, eine Schadenfreude, ein Haß, der die Tiefen der Seelen offenbarte und nichts übrig ließ von dem heiligen Wirken Gottes. Der Name apostolisch wurde geschändet, und das alles unter Führung und Billigung der neuapostolischen Apostel" (Der abgefallene Ast, S. 27)) Brückner wurde Apostel-Ältester der neuen Gemeinschaft. Sie blieb klein, erwies sich aber als lebenskräftig. Heute zählt der "Reformiert-Apostolische-Gemeindebund" in etwa 50 Gemeinden rund 3000 Mitglieder.

Er wird von je drei Aposteln und Bischöfen geleitet, die im hauptamtlichen Dienst stehen und im "Bundeskonzil" als dem gemeinsamen Leitungsorgan zusammengeschlossen sind. Zahlreiche Amtsträger dienen der Gemeinde: Der Türhüter empfängt die Besucher der Versammlungen; der Unterdiakon besucht Gemeindemitglieder und Gäste; der Diakon besucht Kranke, kann aber auch als Predigtdiakon Evangelisationsdienste tun; das priesterliche Amt gliedert sich in Evangelisten, Hirten, Älteste und Bischöfe und dient der Verkündigung und der Verwaltung der zwei Sakramente Taufe und Abendmahl; das Sakrament der Versiegelung ist allein den Aposteln vorbehalten. Die Gemeinden fühlen sich als die legitimen Träger des apostolischen Werks, während die Neuapostolische Kirche der "Menschenvergötzung" verfallen und von Christus verworfen worden sei; denn sie habe ihn als den alleinigen Erlöser durch den Stammapostel verdrängt, so daß "an Stelle einer Kirche Christi, worin Er alles in allem und in allen sein will, nach und nach eine Kirche des Stammapostels geworden" sei. (Anmerkung 147: Der abgefallene Ast, S. 11)

Das 1957 neu formulierte Glaubensbekenntnis enthält neun Artikel (früher nur vier), von denen die drei ersten die Trinität behandeln. Art. 4 besagt, "daß der Herr Jesus seine Gemeinde durch Apostel regiert und daß er seine Apostel gesandt hat und noch sendet, gleichwie er vom Vater in die Welt gesandt ist". Durch diese werden sämtliche Gemeindeämter "berufen und ausgesondert"(Art. 5). Die Taufe ist "der Bund eines guten Gewissens mit Gott" und bildet, da sie "die Anwartschaft zur Empfangnahme des Heiligen Geistes" gewährt (Art. 6), die Vorstufe der Versiegelung. Durch diese empfängt der Gläubige den Heiligen Geist zur Erlangung der Erstlingsschaft, wodurch er Glied des Leibes Christi wird, und das Abendmahl verbürgt die "Lebensgemeinschaft mit Christus"; Brot und Wein müssen " von einem priesterlichen Amt konsekriert" werden (Art. 7).

Der Ausschließlichkeitsanspruch, wie ihn die Neuapostolischen gegenüber allen anderen christlichen Gemeinschaften erheben, wird von den reformiert-apostolischen Christen abgelehnt. Vereinzelt in der Zerstreuung Lebende nehmen am Abendmahl der Landeskirche oder anderer Kirchengemeinschaften teil. Ihr aus 704 Liedern bestehendes Gesangbuch enthält viele Lieder aus dem Kirchengesangbuch, dem Reichsliederbuch und verwandten Liederbüchern, aber keine

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Apostellieder nach neuapostolischem Muster. Ein Stammapostelamt kennen sie nicht: die Schrift bietet "in keiner Weise Anhaltspunkte für das berechtigte Bestehen eines Stammapostelamts". (Anmerkung 148: H. J. Smit, Eine Frage und Antwort hinsichtlich des Stammapostelamts der Neuapostolischen Gemeinde, S. 9) Sie beharren aber darauf, daß Apostelamt und Versiegelung biblisch begründet sind und daß einmal aus der Vielheit der christlichen Bekenntnisse eine Einheit entstehen wird, "wenn alle Gläubigen zurückkehren zur ersten Liebe und zum einfachen apostolischen Christentum, wie es am Anfang war". (Anmerkung 148: Unser Glaubensbekenntnis, Beitrag zum Verständnis des reformiert-apostolischen Glaubenslebens, S. 24)

6. Durch eine ganze Serien von Krisen und Spaltungen wurde die Neuapostolische Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg heimgesucht. Es wirkten dabei verschiedene Motive zusammen. Da war der alte und immer wieder neu aufbrechende Widerspruch gegen die religiöse Übersteigerung und das selbstherrliche Regiment des Stammapostels. Dieser Protest wurde von solchen Aposteln erhoben, die entweder noch eine stärkere Bindung an das Schriftzeugnis von Christus als dem alleinigen Heilsvermittler hatten oder die etwas von der Eigenständigkeit ihres Amtes hielten und die es ärgerte, daß sie von der Gestalt des Stammapostels beiseite gedrängt und zu bloßen Befehlsempfängern und Funktionären degradiert wurden.

Ein weiteres Motiv war der Groll über die liebedienerische Haltung, welche die Leitung gegenüber dem nationalsozialistischen Regime eingenommen hatte. Dieser Groll häufte vor allem in den Kreisen der ausländischen Apostel und Gemeinden einen Zündstoff an, der sich dann nach 1945 in heftigen Explosionen entlud. Diese Auslandsbezirke waren außerdem durch die langjährige Abtrennung von der Frankfurter Zentrale zu einer selbstständigen Existenz gezwungen und auch in ihrer Haltung selbstbewußter geworden. Von hier aus ist es zu erklären, daß der Aufruhr gegen die neuapostolische Autokratie zuerst in den Auslandsbezirken um sich griff. In einer späteren Phase dieser Empörungswelle wurde endlich als drittes Motiv der Widerspruch gegen die Botschaft J. G. Bischoffs, Christus werde noch zu seinen Lebzeiten wiederkommen.

a) Der Spaltungsprozeß begann in der niederländischen "Hersteld Apostolische Zendingsgemeente" (siehe S. 498). Währen des Zweiten Weltkrieges sagte sich Kofmans Nachfolger im Apostelamt, J. H. VAN OSBREE (seit 1910), von dem Stammapostel Bischoff los, weil er mit der neuapostolischen Abendmahlspraxis (Hostien mit drei aufgetupften Weintropfen statt Brot und Kelch) nicht einverstanden war. Als im Gefolge des Krieges die Verbindung mit Frankfurt getrennt und der Schweizer Apostel Ernst Güttinger mit der Leitung der holländischen Gemeinden beauftragt wurde, fand er einen großen Wirrwarr vor: er traf auf acht verschiedene Richtungen. "Wir bemühten uns, diese in eine einheitliche Gesinnung zu führen. Jeder war bereit unter der Bedingung, daß wir jedem recht geben, jedem seine Ämter, Lehren usw. anzunehmen. Es war eine furchtbare, mühevolle und fruchtlose Arbeit." (Anmerkung 150: Aus einem Brief von E. Güttinger vom 10.August 1954 an den ehemaligen neuapostolischen Priester Wilhelm Parzich) Der Gärkessel war zur Explosion reif.

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Als Oosbree 1946 starb, schloß sich die Mehrzahl der Gemeinden dem von ihm als Nachfolger bezeichneten Apostel LAMBERTUS SLOK an und gründete die "Apostolisch Genootschap". Sie zählt über 25 000 Mitglieder, während der stammapostolische Anhang auf 6 000 Mitglieder zusammenschrumpfte. Aber diese Restgruppe erhielt alle Grundstücke, Lokale und sonstiges Vermögen im Wert von ungefähr 20 Millionen Gulden. Die Lokale wurden teilweise an die separierte Gemeinschaft, teilweise auch an andere Glaubensgemeinschaften vermietet. (Anmerkung 151: Rundschreiben an alle Brüder und Geschwister der neuapostolischen Gemeinden des Saarlandes, Nr. 9, März 1953) Slok wetteiferte in seinen Autoritätsansprüchen mit dem neuapostolischen Stammapostel. Von seinen Gegnern wird Slok vorgeworfen, daß er das Erlösungswerk Christi verleugne und einen pantheistischen Gottesbegriff, theosophische Grundgedanken und humanistische Auffassungen lehre. Über den heutigen Zustand der "Apostolisch Genootschap" ist Sicheres nicht bekannt.

b) Im Jahre 1949 erfolgte eine Spaltung in Südhessen und Nordbaden unter der Führung des Bezirksältesten JAKOB BITSCH in Gronau bei Bensheim. Etwa 21 Gemeinden mit etwa 1000 Seelen schlossen sich unter dem Namen "Christen unserer Zeit" zusammen, Bitsch betonte statt der amtlichen mehr die charismatische Linie; entscheidend sei, daß man ein Geistesträger sei; dann könne man in den Heiligen Geist auch im Gottesdienst, im seelsorgerlichen Gespräch u.ä. an andere übermitteln. Die Gemeinschaft zählte 1965 nur noch einige hundert Mitglieder. Inzwischen dürfte sie eingegangen sein.

c) Im Saarland waren die neuapostolischen Gemeinden nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Rückgliederung 1935 dem schweizerischen Bezirksapostel unterstellt. Als nach 1945 die französische Verwaltung den Frankfurter Aposteln wegen ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit die Einreise verbot und auf der Gründung eines selbstständigen Vereins "Neuapostolische Gemeinden des Saarlandes" bestand, reichte der Bezirksevangelist HERBERT SCHMIDT aus Völklingen eine Satzung ein, ohne sie zuvor dem Apostelkollegium vorgelegt zu haben. Deshalb wurde er mit einigen seiner Freunde abgesetzt. Aber da die Frankfurter Leitung keinen Zutritt zum Saargebiet hatte, mußte sie notgedrungen den schweizerischen Bezirksapostel Ernst Güttinger mit der Betreuung der Saargemeinden beauftragen. Dieser, innerlich schon von Frankfurt getrennt, machte die Amtsenthebungen rückgängig.

Es entbrannte ein Machtkampf zwischen der Gruppe um Güttinger-Schmidt und den Stammapostelanhängern. Aber die Eingliederung in die Bundesrepublik ermöglichte es dem Stammapostel, wieder seinen Einfluß geltend zu machen. Er verbot Güttinger, im Saarland Versiegelungen vorzunehmen und Ämter zu besetzen. Im April 1951 wurde dieser durch den Apostel Fritz Dauber aus Metz,

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einen entschiedenen Anhänger Bischoffs, ersetzt, und im Juli 1951 wurde Herbert Schmidt endgültig seines Amts enthoben. Die Oppositionellen wurden serienweise ausgeschlossen. Ihr Wortführer WILHELM PARZICH richtete im Rundschreiben der "verstoßenen Schwestern und Brüder der neuapostolischen Gemeinden im Saarland" schwere Angriffe gegen den Stammapostel. Der Großteil der Opposition, etwa 1000, sammelte sich in eigenen Gemeinden unter H. Schmidt als Bischof. Das neuapostolische Werk im Saarland verlor durch die Spaltung etwa die Hälfte seines Bestandes. In Orten wie Völklingen und Riegelsberg, wo die neuapostolischen Gemeinden geschlossen der Opposition angehörten, wurden die von ihnen erworbenen Versammlungshäuser von der Frankfurter Leitung an Geschäftsleute verkauft. Heute bestehen nur mehr bedeutungslose Reste der abgespaltenen Gruppen.

d) Im Jahr 1951 wurde der Schweizer Bezirksapostel ERNST GÜTTINGER gegen seinen Willen in den Ruhestand versetzt. Er hatte die autoritäre Stellung des Stammapostels angetastet, als er 1948 vorschlug, daß der Sitz des Apostelkollegiums in ein neutrales Land verlegt werde, weil Deutschland in großen Mißkredit gekommen sei; außerdem solle der Stammapostel nicht mehr für Lebenszeit, sondern jeweils nur für einige Jahre gewählt werden, wie etwa der Präsident eines demokratischen Staates. Das wurde ihm nun mit der Zwangspensionierung heimgezahlt.

Gegen seinen präsumptiven Nachfolger OTTO GÜTTINGER förderte der Stammapostel eine Meuterei und stellte 1953 dessen Gegner Ernst Streckeisen als Bezirksapostel an die Spitze der Schweizer Gemeinden. Als O. Güttinger 1954 einen freiwilligen Verzicht auf sein Apostelamt ablehnte, wurde er abgesetzt und ausgeschlossen. In einem "Manifest über die Zustände und Tendenzen in der Neuapostolischen Gemeinde" unterzog er die Frankfurter Leitung einer scharfen Kritik wegen ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit und der Emporsteigerung des Stammapostels zu einer "Super-Führer-Figur" und vertrat die Eigenständigkeit der Apostel, die nicht bloß "Gehilfen des Stammapostels" sondern durch Christus selbst bevollmächtigt seien. Zusammen mit seinem ebenfalls ausgeschlossenen Vater gründete er die "Vereinigung apostolischer Christen", die etwa 1000 Mitglieder zählt und nach seinem Tod (1960) mit ERWIN KINDLER einen neuen Apostel bekam.

e) In Südafrika leiteten die drei Apostel H. F. SCHLAPPHOFF, D. C. MALAN und J. PHILIPP ERASMUS einen blühenden Bezirk mit rund 60 000 Seelen. Schlaphoff, seit 1933 zugleich Stammapostelhelfer für die ganze südliche Halbkugel, war dem Stammapostel zu selbstständig geworden. Deshalb fand der Redakteur des Blatts "Our Family", Arie Boer, der nach persönlichen Differenzen mit Schlaphoff seit 1949 gegen ihn intrigierte und 1953 heimlich einen Briefwechsel mit Bischoff begann, bei diesem ein offenes Ohr.

Boer besorgte belastendes Material gegen die drei Apostel. Im Juni 1954 wurden sie suspendiert, da "schwere Anklagen" gegen sie vorlägen. Bischoff teilte das ganze Gebiet in drei Bezirke unter den sieben neuen Aposteln, die er berief, war auch Boer. Aber der Großteil der Gemeinden wurde am Glauben irre oder schloß

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sich den abgesetzten Aposteln an. Diese bildeten 1957 die "Apostolic Church - Apostle Unity".

f) In den späteren Auseinandersetzungen spielte die Wiederkunftsbotschaft des Stammapostels J. G. Bischoff eine beherrschende Rolle. Schon am 18.Juni 1950 hatte er bei einer Apostelzusammenkunft in Eindhoven den Aposteln Ernst und Otto Güttinger und R. Schneider erklärt, der Herr habe ihm eine Offenbarung gegeben, daß er nicht mehr sterben werde. In der "Wächterstimme" (15.10.1950) stand in einem Rückblick auf das 20jährige Amtsjubiläum des Stammapostels zu lesen: "Wenn wir ihn heute in jugendlicher Kraft wirken und dem Volke Gottes dienen sehen, so kommt bei den Getreuen, wie einst unter den Brüdern, die Rede auf: Dieser Jünger stirbt nicht!" Der im November 1950 herausgebrachte Kalender für 1951 enthielt einen Artikel über Bischoff als "Vollenden", in dem es hieß: "Er ist der festen Überzeugung, daß der Herr die Seinen noch zu seinen Lebzeiten heimholen wird ins Vaterhaus, zumal ihm der Herr - nach seinen eigenen Worten - noch keinen gezeigt hat, der das Gotteswerk auf Erden nach ihm weiterführen müsse." Davon mußte sich der Düsseldorfer Apostel Peter Kuhlen besonders betroffen fühlen; denn eine Apostelversammlung, die der 77jährige Stammapostel zum 21. Mai 1948 einberufen hatte, damit sie angesichts seines hohen Alters einen Nachfolger benenne, hatten sich einstimmig für Kuhlen entschieden. Er war dann am 1. August 1948 von Bischoff zum Stammapostelamt ausgesondert worden mit der Maßgabe, daß er bis zum Zeitpunkt seines Todes oder seiner Dienstunfähigkeit als Stammapostelhelfer arbeiten soll. Als er vernahm, daß der Stammapostel bis zur Wiederkunft Christi leben und darum keinen Nachfolger mehr brauchen werde, reichte er am 25. November 1950 seinen Rücktritt als Stammapostelhelfer ein.

Der Stammapostel mochte sich aber offenbar nicht durch offizielle Bekanntgabe der Wiederkunft Christi zu seiner Lebzeit festlegen. Als der Priester Wilhelm Parzich aus Homburg (Saar) ihn um Antwort darüber bat, wie sich seine Kunde mit Markus 13,32 vereinbaren lasse, daß "von dem Tag und der Stunde niemand weiß, auch der Sohn nicht", wich er in seinem Antwortbrief vom 19. Februar 1951 aus: Weil niemand um die Zeit der Wiederkunft wisse, dürfte er doch den Herrn täglich erwarten! Und "wenn ich den Herrn täglich erwarte, so geht doch daraus hervor, daß ich ihn zu meiner Lebzeit erwarte. Ich habe aber noch nie gesagt, daß der Herr zu meiner Lebzeit kommt oder kommen muß. Lassen Sie sich bitte auf Redereien anderer nicht ein!"

Zehn Monate später verlieh Bischoff diesen "Redereien" die Würde einer himmlischen Offenbarung: An Weihnachten 1951 gab er in einem Gottesdienst in Gießen als "Wort aus dem Geist des Herrn" bekannt: "Ich bin der Letzte, nach mir kommt keiner mehr. So steht es im Ratschluß unseres Gottes, so ist es festgelegt und so wird es der Herr bestätigen. Und zum Zeichen sollt ihr das haben, daß der Herr in meiner Zeit kommt, um die Seinen zu sich zu nehmen." Später erklärte er, daß er diese "Botschaft" von Jesus persönlich empfangen habe. Man wollte wissen, daß er dem Sohn Gottes gegenübergestanden und nicht nur seine Stimme gehört, sondern auch seine Gestalt gesehen habe. Fortan wurde die "Botschaft" zum verbindlichen Dogma erhoben. Der dreieinige Gott wurde für sie in Anspruch ge-

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nommen: Christus als ihr Autor, Gott als ihr Garant, der Heilige Geist als ihr Kronzeuge. Die unfehlbare Autorität des Stammapostels wurde beschworen: (Anmerkung 153: "Wir wissen jedenfalls, daß uns der Geist des Herrn einen genauen Einblick in das Vorhaben unseres Gottes gewährt hat". (Wächterstimme 15.6.1959))

Träume und Visionen mußten die "Botschaft bestätigen. Stimmen der Abgeschiedenen mußten sie bezeugen. Weissagungen mußten sie stützen. Die Botschaft, so wurde erklärt, sei auch in der jenseitigen Welt bekannt geworden, und die Stellung zu ihr sei entscheidend für das Heil der dortigen Seelen. Das galt natürlich auch für die lebenden Gläubigen. Die Amtsträger und schließlich auch die zu Versiegelnden wurden auf diese "Botschaft" verpflichtet.

In jedem Gottesdienst mußte über sie gepredigt werden. In Wort und Schrift wurden die kommenden Begebenheiten der Wiederkunft, der Entrückung der "Brautgemeinde" unter Führung J. G. Bischoffs, des "entsetzlichen Erwachens" der Christenheit, der himmlischen Hochzeit, der Errichtung des Tausendjährigen Reichs pausenlos wiederholt, ausgemalt und den Gemeinden eingehämmert. Dadurch aufgeputscht und teilweise in einen apokalyptischen Rausch versetzt, erwarteten sie von Monat zu Monat das große Ereignis. Es gab Leute, die ihre Lebensversicherung aufgaben oder keine Kohlen mehr für den nächsten Winter einkellerten oder sich überlegten, ob sie das geplante Haus bauen sollten. Manchen sagte der Stammapostel auf den Kopf zu, daß sie nicht mehr sterben würden; wenn sie dann doch starben, erregte das peinliches Aufsehen. So felsenfest war der Glaube an die "Botschaft", daß manche erklärten, wenn diese sich nicht erfülle, dann habe "der Herr Jesus gelogen". Schwankende wurden mit "Beweisen" überschüttet., Zweifelnde mit dem Schicksal der "törichten Jungfrauen" bedroht, Ermüdende vor den Folgen eines Erlahmens in der letzten Stunde gewarnt. Gegnern wurde zugerufen: "Die kommende Zeit wird zeigen und schlagend beweisen, daß er (Bischoff) sich nicht geirrt hat und daß Gott seinen treuen Knecht und die Seinen nicht täuscht." (Anmerkung 154: Wächterstimme 5.5.1955)

Warum wurde die "Botschaft" so hochgespielt? Zweifellos war Bischoff von ihrer Wahrheit überzeugt. Wenn er sie seinen Gläubigen als eine "Offenbarung" verkündigte, dann machte er damit lediglich Gebrauch von seiner vermeintlichen Vollmacht, als Inhaber des Stammapostelamts der "redende Mund Gottes" zu sein. Außerdem war die "Botschaft" die großartigste Bestätigung des Auserwählungsbewußtsein der neuapostolischen Gemeinschaft. Sie allein war der "Botschaft" gewürdigt worden (Anmerkung 155: "Der Stammapostel hat allein unter vier Milliarden von Menschen die persönliche Offenbarung des Herrn, das Volk des Höchsten in das von Jesus verheißene Reich zu führen" - Wächterstimme 15.6.1954), alle anderen bleiben in der Finsternis. Sie allein wird an dem Tag X als die geschmückte Braut dem Herrn entgegengehen, alle anderen bleiben zurück und müssen Drangsal und Gericht erleiden.

Die "Botschaft" gab dem Sicherheitsbedürfnis über Apostelamt und Versiegelung hinaus ein zusätzliches Fundament. Nun erschien die Zukunft nur noch als eine kleine Wegstrecke, an deren Ende ein herrlicher Preis winkte, und es galt, in dieser Zeit treu an der Hand des Stammapostels zu bleiben, der seine Brautgemeinde ohne Fährlichkeiten zum himmlischen Bräutigam geleiten werde. Eine

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"Botschaft", die ein solches Maß von Glorie und lockenden Perspektiven ausstrahlte, war ein wirkungsvolles Werbemittel.

Aber es gab Zweifler. Sie fragten sich, ob der Stammapostel sich mit seiner apodiktischen Prophezeiung nicht übernommen habe. Sie zweifelten, ob Bischoff selbst die "Botschaft" ernst nehme: wie hätte er sonst seinem Sohn Fritz Bischoff die Druck- und Verlagsrechte an dem gemeindeigenen Verlag bis zum Jahr 1975 sichern können? Es erfüllte sie mit schwerer Angst, daß der Stammapostel mit der Dogmatisierung der "Botschaft" alles auf eine Karte setzte und ein gefährliches Vabanquespiel trieb: mußte nicht, wenn er nun sterben sollte, die ganze Autorität des Stammapostelamts dahinfallen, das Werk zerbrechen und die Verzweiflung unzählige Herzen in den Abgrund treiben? Aber diese Sorgen mußten wiederum in den Augen des Stammapostels als ein unverzeihlicher Frevel erscheinen. Denn wer solche Zweifel äußerte, bekundete damit, daß er dem Stammapostel einen Irrtum zutraute und damit das Fundament des Stammapostelamts antastete. Bischoff ging denn auch mit aller Härte gegen die Zweifler vor, und es gab deren eine ganze Menge. So wurde die "Botschaft" zu einem Zankapfel. In dem Streit ging es hart auf hart. Fanatismus, wilde gegenseitige Beschimpfungen, Verleumdungen, Verdammungsurteile, auch Schlägereien und Gerichtsprozesse begleiteten den Kampf.

Im Apostelbezirk Düsseldorf, einem der stärksten mit 57 000 Mitglieder, kam der Konflikt zum offenen Ausbruch. Der dortige Bezirksapostel PETER KUHLEN widersprach 1954 bei der Apostelversammlung dem Plan des Stammapostels, die Vornahme der Versiegelung von der Anerkennung der "Botschaft" abhängig zu machen. In seinem Bezirk überließ er es dem einzelnen Prediger, ob er sie verkündigen wolle oder nicht. Das rief die Anhänger der "Botschaft" auf den Plan. Sie beschwerten sich beim Stammapostel. Er schürte den Widerstand gegen Kuhlen und seine Mitapostel SIEGFRIED DEHMEL und ERNST DUNKMANN. Es kam zu Störungen von Gottesdiensten und Beschimpfungen der Apostel. Diese richteten am 6. Januar 1955 an Bischoff einen Brief und gaben ihn auch den Gemeinden bekannt. "Es ist überaus schwerwiegend, daß die von Ihnen verkündete Botschaft mehr und mehr dazu herhalten muß, brave, fromme, gottesfürchtige und treue Amtsbrüder heftig zu kritisieren, und daß viele Zuhörer in den Gottesdiensten sich zum Richter aufwerfen über die Brüder, welche nach ihrem Dafürhalten die Botschaft nicht oder nicht genügend nachdrücklich predigen." (Anmerkung 156: Herold Nr. 11, 1.2.1955)

Bischoff setzte die drei Apostel sowie zwölf Bischöfe und Bezirksälteste am 23. Januar 1955 ab und übertrug den Bezirk kommissarisch dem Apostel WALTER SCHMIDT, einem ihm völlig ergebenen Verehrer. (Anmerkung 157: In der ersten nach dem Krieg erschienenen Nummer der Wächterstimme vom 1. Oktober 1945 (Herausgeber Friedrich Bischoff, Sohn des Stammapostels) wurde die himmlische Vollmacht des Stammapostels vollmundig gerühmt: Er allein besitzt den Schlüssel des Himmelreichs. Im hat "der Sohn Gottes die Macht des Aufschließens, die Gabe der rechten Erkenntnis und die Fähigkeit, die Zeit an der göttlichen Uhr richtig zu erkennen, bleibend geschenkt". Nur unter seiner Bestätigung wird die Arbeit der Apostel die Anerkennung Gottes finden. Auch die guten und neuen Gedanken, die in Gottesdiensten der Apostel geboren werden, "haben im Geiste des Stammapostels ihren Ursprung". Darum muß er "die ausschließliche Autorität nach göttlichem Willen sein und bleiben". Summa: "Ihm nicht restlos zu vertrauen und seinem Worte nur in Gedanken widerstehen zu wollen heißt, sich wider den Sohn Gottes zu versündigen." Diesen Lobeshymnus eines unbekannten Verfassers beantwortete dann W. Schmidt in Nr. 3 vom 1.11.1949 mit einem Brief an den Stammapostel: "Wenn ich die Entwicklung des Werkes verfolge, ist es einzig und allein Ihrer Führung zu verdanken, daß der Geist der Wahrheit in seiner Reinheit - durch keinen fremden Geist getrübt - den Kindern Gottes verkündigt worden ist"). Die Ausgeschlossenen gründeten am 24. Januar 1955 in Düsseldorf die "Apostolische Gemeinschaft". Das gesamte Kirchenvermögen wurde vom Stammapostel einbehalten; die Bitte der Ausgeschiedenen, ihnen wenigstens einen prozentualen Anteil zu überlassen, wurde abgelehnt.

g) Die kleine Restgemeinschaft der "Hersteld Apostolische Zendingsgemeente" in Holland stand seit 1948 unter der Leitung des Apostels GERRIT KAMPHUIS. Aber auch sie war tief zerklüftet und fiel praktisch in zwei Gemeinschaften auseinander, die zwar beide den Stammapostel anerkannten, aber getrennte Gottesdienste abhielten. Kamphuis wurde 1954 abgesetzt. Bischoff ging 1955 unnachsichtig gegen alle Amtsträger vor, die sich weigerten, die Botschaft zu predigen. Die Gemaßregelten und viele Gemeindemitglieder traten aus und schlossen sich unter Apostel Kamphuis zusammen. Auch in den weit verstreuten Gemeinden Nord- und Südamerikas kam es zu vereinzelten Trennungen.

Die Ausgeschlossenen aller Länder nahmen Verbindung untereinander auf, ebenso mit solchen, die sich in früheren Jahrzehnten abgespalten hatten. Eine Konferenz mit acht Aposteln beschloß im Januar 1956 gemeinsam mit dem Leiter des Reformiert-Apostolischen Gemeindebundes ein engeres Zusammengehen, und es wurden Satzungen für die "Vereinigung der Apostel der Apostolischen Gemeinden" festgelegt, 1958 auch ein gemeinsames "Lehrbuch für Apostolische Christen" herausgegeben. Die "Vereinigung Apostolischer Gemeinden", die etwa 40 000 Mitglieder zählt, umfaßt den "Reformiert-Apostolischen Gemeindebund" in der DDR, die "Apostolische Gemeinschaft" in der Bundesrepublik und in Holland, die schweizerische "Vereinigung Apostolischer Christen", die australische "Apostolic Church" und die südafrikanische "Apostolic Church - Apostle Unity". Von den 12 Aposteln der Vereinigung entfallen drei auf die Bundesrepublik (Düsseldorf, Duisburg und Stuttgart), drei auf die DDR (Görlitz, Netschkau und Dresden), einer auf die Schweiz, Österreich und Frankreich (Zürich), einer auf die Niederlande und je zwei auf Australien und Südafrika.

Wichtige Bestandteile der neuapostolischen Lehre und Ordnung hat die Vereinigung Apostolischer Christen gestrichen: Das Stammapostelamt wird abgelehnt. Davon, daß die Apostel bevollmächtigt sind, ein der Bibel gleichrangiges "zeitgemäßes Wort Gottes" zu verkündigen, ist nicht mehr die Rede. Dagegen wird die Bibel voll bejaht als "ein klares Zeugnis von Gottes und Jesu Worten und Taten; sie enthält den Heils- und Erlösungsplan Gottes". (Anmerkung 158: Lehrbuch für Apostolische Christen, Frage 261) Die Apostel gelten als "Stellvertreter Jesu Christi in seiner Gemeinde" (Anmerkung 159: a.a.O. Frage 122) und haben die Aufgabe, "das Evangelium und die Lehre Jesu Christi zu verkündigen und verkündigen zu lassen; die Gläubigen zu taufen oder taufen zu lassen; die Sünden in Gottes und Jesu

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Namen den Gnadensuchenden zu vergeben und das heilige Abendmahl zu reichen oder reichen zu lassen, um dadurch mit Gott zu versöhnen; den Heiligen Geist zu spenden in der heiligen Versiegelungshandlung; die zur Pflege der Gemeinden notwendigen Amtsträger zu berufen und auszusondern; die Gemeinde Jesu Christi auf Erden zu sammeln, zu ordnen, zu leiten und auf die Zukunft Jesu Christi und auf die Ewigkeit vor- und zuzubereiten." (Anmerkung 160: a.a.O. Frage 137) Der Glaubensgehorsam wird nicht mehr, wie bei den Neuapostolischen an die Apostel, sondern allein an Christus gebunden. Entsprechend wurden auch Art. 4 und 5 des neuapostolischen Glaubensbekenntnisses gekürzt; Art. 10 wurde ganz gestrichen. Alles in allem ist bei den Apostolischen Gemeinden eine stärkere biblische Orientierung unverkennbar.

In einem seiner letzten Aufsätze schrieb der Stammapostel Bischoff: "Schlimm ist es, wenn sich jemand für etwas hält, was er in Wirklichkeit nicht ist. Denn eines Tages kommt die Ernüchterung." (Anmerkung 161: Wächterstimme 1.7.1960) Diese Ernüchterung kam in einer unerwarteten Form: Sechs Tage nach der Veröffentlichung dieses Artikels, am 6. Juli 1960, starb J. G. Bischoff. Das Drama der "Botschaft" mußte nun zur Tragödie werden. Die Gläubigen ergriff ein Schock. Die Zweifler triumphierten, nachdem sich Bischoff gewünscht hatte, sie möchten "so lange leben, bis der Tag des Herrn kommt; dann werden sie sehen, welche Ernte ihnen der Zweifel eingebracht hat". (Anmerkung 162: Wächterstimme 1.5.1954)

Aber es kam anders. Das Apostelkollegium wählte sofort einen neuen Stammapostel, Walter Schmidt (geb. 21. Dezember 1891 in Neuemühle, Krei Altena, Westfalen; von Beruf Kaufmann; gest. 28.2.1981), setzte den toten Stammapostel in aller Heimlichkeit bei und gab den Gemeinden kund, daß Gott aus unerforschlichen Gründen "seinen Willen geändert" habe. (Anmerkung 163: Daß Gott seinen Willen ändern könne, hatte J. G. Bischoff einst kategorisch bestritten: "Sollte der Herr in der allerwichtigsten aller Angelegenheiten, die je im Ratschluß Gottes vorhanden waren, versagen? Das ist ja ausgeschlossen". "Der Sohn hat es mich wissen lassen daß er zu meiner Lebzeit kommt. Das ist eine Verheißung für unsere Zeit, an der niemand etwas ändern kann" (Wächterstimme 1.5.1954). "Wir dürfen doch nicht glauben, daß der liebe Gott einen solchen Fehler machen würde und würde seinem Volk eine Zusage geben, die sich nicht erfüllen wird" (Gottesdienst am 10. Oktober 1954 in Reutlingen). Bei einem menschlichen Versprechen "können Verhältnisse eintreten, durch die wir verhindert sind, unser Versprechen zu lösen. Aber das ist doch beim Herrn ausgeschlossen, das kommt doch bei ihm nicht in Frage" (Ämtergottesdienst am 5. September 1954 in Düsseldorf); der Stammapostel selbst "kann sich nicht geirrt haben, weil er immer das Wort des Herrn zur Richtschnur seines Handelns gemacht hat". (Anmerkung 164: Wächterstimme 1.8.1960)

Der neue Stammapostel ergriff die Führung mit fester Hand. An dem Heilsmittler- und Führungsanspruch des Stammapostelamts ließ er nicht rütteln. Eine Versöhnung, ja, jedes Gespräch mit der ausgeschlossenen Opposition lehnte er ab. Die Botschaftsgläubigen beschwichtigte er mit dem Hinweis, daß Gott auch Mose entgegen der ihm gewordenen Verheißung vor dem Betreten des Landes Kanaan habe sterben lassen und daß er die Gläubigen mit dem Tod Bischoffs "heilsam aufschrecken" und ihnen noch eine "Gnadenfrist" für ihre Vorbereitung

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auf die Wiederkunft Christi gewähren wollte. An der Erwartung, daß diese Wiederkunft nahe bevorsteht hielt er fest. Die "Botschaft" seines Vorgängers ersetzte er durch die Parole: "Schlag an mit deiner Sichel und ernte; denn die Zeit zu ernten ist gekommen" (Offenbarung 14,15). Den Gemeinden wurde verkündigt, er sei nun der neue "Josua", dem es bestimmt sei, nach dem Tod des "Mose" das Volk Gottes vollends in das verheißene Land zu führen; die kommende Wegstrecke wurde als eine "letzte Prüfung" bezeichnet. Seinen Gläubigen empfahl der Stammapostel, sich auf keine Diskussionen über die "Botschaft" mit den "Spöttern und Verächtern" einzulassen, denn aus ihnen spreche der Teufel: "Wir schweigen und gehen unseren Weg." (Anmerkung 165: Der wesentlichste Einwand, den kein Apostel oder Stammapostel beantworten konnte, war folgender: Wenn Gott einen so hochfeierlich verkündigten Ratschluß wie die "Botschaft" ohne sichtbaren Anlaß geändert hat, dann müssen alle seine Verheißungen, die er in Christus gegeben hat, fragwürdig werden. "Das ganze Neue Testament fundiert auf dem Begriff der Treue Christi zu seinem Wort und der Treue der Braut des Herrn zum Seelenbräutigam. Wenn uns Christi Wort und Verheißung nicht mehr als unumstößlich gewiß gilt, wo sollen wir dann noch Halt finden?" (Apostel Kuhlen in: Herold 1.12.1960)) Daß das Gros der Gemeinden in der Gefolgschaft der Apostel blieb, feierte Schmidt als einen Triumph über die "Mächte der Finsternis", als einen Beweis, daß die Gläubigen die ihnen auferlegte Prüfung glänzend bestanden haben, und als ein Wunder, mit dem Gott sich vor aller Welt zur Neuapostolischen Kirche bekannte. Freilich konnte man nicht verschweigen, daß viele unsicher, andere irre wurden und sich von den Gottesdiensten zurückzogen oder aus ihrer Kirche austraten. Aber die meisten blieben und ließen die "Botschaft" wie einen dummen Ausrutscher ungeklärt in die Vergangenheit absinken - die Hauptsache war, daß wieder ein Stammapostel auf dem "Gnadenstuhl Gottes" saß und die Heilsquelle weiterfloß. Und in der Tat, die Neuapostolische Kirche erwies sich in den zwei Jahrzehnten, die seit 1960 vergangen sind, als eine stabile und höchst traditionelle Gemeinschaft. Zu nennenswerten Abspaltungen kam es nicht mehr, aber auch zu keinerlei auffallenden Neuentwicklungen.

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