Artikel "Dokumentenfaelschung?".
(publiziert in "Materialdienst [MD, Anm. RF] der Evangelischen Zentralstelle fuer
Weltanschauungsfragen", 53. Jahrgang, 1. September 1990, Seiten 261-263)
APOSTOLISCHE GEMEINDEN
Dokumentenfaelschung? (letzter Bericht [zum Thema 'Apostolische Gemeinden', Anm. RF]:
MD 1989, S. 374ff; besonders MD 1987, S. 304f) Immer wieder einmal wird in unserer Zentralstelle
gefragt, ob wir eine unveraenderte Ausgabe jenes beruehmten Dokumentes der Katholisch-apos-
tolischen Gemeinschaft (Catholic Apostolic Church) besitzen, welches im Jahr 1836 unter dem
Titel "Das Zeugnis der Apostel an die geistlichen und weltlichen Haeupter der Christenheit"
erschienen ist - abgekuerzt: "Das Testimonium". Die vom "Apostelkollegium der Neuapostolischen
Gemeinden" verantwortete Ausgabe von 1932 sei "gefaelscht".
Diese Anfrage koennen wir positiv beantworten: Wir haben in unserer Bibliothek den deutschen
Text in Originalnachdruck aus Kreisen der kath.-apostolischen Gemeinden oder deren Freunden
(ohne Orts- und Zeitangabe). Der Text ist auch abgedruckt in Rheinwals "Acta historica eccle-
siastica", Jg. 1937, S. 793ff.
Was aber die behauptete Faelschung betrifft, so war ein genauerer Vergleich notwendig. Durch
die dankenswerte Unterstuetzung eines kath.-apostolischen Christen ist dies moeglich geworden
mit dem Ergebnis, dass der erhobene Vorwurf zu Recht besteht.
Das aus Anlass der hundertsten Wiederkehr der Berufung des ersten Apostels in London (1832)
fuer die neuapostolischen Christen veroeffentlichte Buechlein wird im Vorwort als "Auszug aus
dem 'Zeugnis der Apostel'" bezeichnet, welcher "die wichtigsten Teile" enthaelt. Dieser Hinweis
bezieht sich auf die beachtlichen Kuerzungen der etwas altertuemlich-langatmigen Originalschrift.
Dass diese im Text selbst nicht angemerkt sind, was bei einem so wichtigen und geachteten Doku-
ment notwendig gewesen waere, mag mit dem Hinweis entschuldigt werden koennen, dass das
Buechlein in erster Linie fuer den einfachen Glaeubigen bestimmt war. Schwerer faellt ins
Gewicht, dass dabei auch sehr wesentliche Stuecke herausgenommen wurden, dass ferner einzelne
Saetze, Satzteile und Worte gestrichen wurden, wodurch sich der Sinn veraenderte. Dabei haben
verschiedene Tendenzen die neuapostolischen Herausgeber geleitet:
Zum einen sollte offensichtlich der Grimm der Autoren ueber die (revolutionaer-)demokratischen
Stroemungen ihrer Zeit und besonders ueber die von der biblischen Wahrheit und ihrem ursprueng-
lichen Stand abgefallene Kirche nur gedaempft uebermittelt werden. Denn das "Testimonium" ist das
Glaubenszeugnis bibelgebundener Christen, die mit staerkstem Engagement und in grosser Erregung
sich fuer die Rueckkehr der gesamten christlichen Kirche zu den heiligen Anfaengen einsetzten -
und verzehrten. Wenn sie nun im Rueckblick als geistliche und von der Liebe zur Kirche Jesu Christi
erfuellte Maenner gezeichnet werden (siehe etwa die im Verlag Dr. R.-F. Edel in Marburg erschie-
nenen Buecher), dann wird meist uebersehen oder ausgeblendet, welch ueberaus harte Worte sie den
Kirchen und politisch Verantwortlichen ihrer Zeit entgegengeschleudert haben. Ihr "Zeugnis" ist weit
eher ein Appell zum Ausbruch aus dem Bestehenden und zum Aufbruch zu einem Anderen und Neuen
hin als ein Dokument der kirchlichen Einigung im Zeichen der Liebe. Durch die Streichungen sind
somit signifikante Passagen weggefallen, die dem geistesgeschichtlichen Rahmen vermitteln, in dem
jenes "Werk des Herrn" gesehen werden muss.
Zum anderen wurde der ekklesiologische Rahmen des Papiers geaendert, indem die Hinweise auf die
"allgemeine" (= umfassende) christliche Kirche, die aus "allen Getauften", das heisst "Gesalbten",
besteht, getilgt wurden (z.B. Seite 33, 53, 56, 58, 61, 75). Dass aus der stets verwendeten Bezeich-
nung "Eine heilige katholische und apostolische Kirche" das "katholisch" konsequent heraus-
genommen wurde, mag damit erklaert werden, dass man eine Verwechslung mit der roemisch-katho-
lischen Kirche vermeiden wollte. Doch ist die "Kirche Christi" in der neuapostolischen Ausgabe
nun nicht mehr die Gemeinschaft derer die "einzig" ... "durch die Taufe von allen anderen Menschen
ausgesondert sind" (Auslassung S. 6 und 23), sondern nur mehr die Gemeinschaft jener, die durch
die "Wasser- und Geistestaufe" ausgesondert und "gesalbt" sind (so der staendige Zusatz
zum Begriff "Taufe", z.B. S. 6, 21). Damit wird nicht nur die "Versiegelung" (Geistestaufe) als das
zentrale dritte Sakrament eingeschoben, sondern es wird die eigene Kirche der "Versiegelten"
allen anderen Kirchen gegenuebergestellt - entgegen dem ausdruecklichen Hinweis der englischen
Apostel, deren Verstaendnis dahin ging, ihre "katholisch-apostolischen Gemeinden innerhalb der
Einen heiligen katholischen Kirche" zu sehen. Sie hatten betont, dass "jede Unterscheidung,
durch welche nur ein Teil der Getauften als das Volk Gottes hingestellt werden sollen, eine
Erfindung von Menschen ist" (Auslassung S.23). Konsequenterweise wurde dann auch der Hinweis,
dass Gott "seine Kirche nie verlassen und versaeumt" habe, von den neuapostolischen Heraus-
gebern gestrichen und nur mehr gesagt, dass er "zur Hilfe der Diener seines Altars" in Erscheinung
trete (S. 10), und nicht, wie es dastand, "zur Hilfe der gesalbten (= getauften) Christenheit".
Noch in zwei weiteren Punkten haben die zielgerichteten Streichungen den Charakter einer
Veraenderung der zentralen Textaussage; sie muessen daher als Verfaelschung des Dokumentes
bezeichnet werden.
Die englischen Apostel wollten das vierfache Amt nach Eph. 4, 11 wieder einfuehren: 1. Apostel,
2. Propheten, 3. Evangelisten, 4. Hirten und Lehrer. In der Neuapostolischen Kirche aber wird allein
das Apostelamt herausgestellt; alle anderen Aemter sind von diesem eingesetzt und damit unter-
geordnet bzw. zurueckgestuft. Deshalb wurden alle Passagen ueber das vierfache Amt getilgt
(S. 26ff, 31, 39, 58, 65, 71), so als sei im Testimonium von diesem nicht die Rede.
Entsprechendes gilt fuer den prophetisch-charismatischen Wesenszug der kath.-apostolischen
Gemeinde, der in der Neuapostolischen Kirche dann zugunsten der Amtsstruktur fast voellig elimi-
niert wurde. Im neuapostolischen Katechismus "Fragen und Antworten" heisst es unter Nr. 225:
"Das Prophetenamt war in der Neuapostolischen Kirche so lange wirksam, wie es die Notwendigkeit
im goettlichen Heilsplan erforderte. Durch die im Wirken der Apostel offenbar werdende, in alle
Wahrheit leitende Arbeit des Heiligen Geistes ist heute das gesamte Volk Gottes unterrichtet..."
Wo im Testimonium, dem Epheserbrief gemaess (2, 20ff), das Apostel- und das Prophetenamt als
die tragenden kirchlichen Aemter erwaehnt wurden, hat man die Propheten kurzerhand entfernt und
spricht stattdessen von "Boten" (S. 39) oder "Dienern" (S. 41). Auch die Hinweise auf die Charismen
der Christen waren nicht genehm (Streichung etwa S. 32, 42).
Dass die kath.-apostolischen Christen ueber eine solche Manipulation empoert sind, ist verstaend-
lich. Allein, das liegt nun schon fast 60 Jahre zurueck, und es ist sehr fraglich, ob die heutige
Leitung der Neuapostolischen Kirche aehnlich verfahren wurde. Wohl besteht da ein gewisses
Dilemma, insofern die Neuapostolische Kirche sich heute ganz bewusst als Fortsetzung der kath.-
apostolischen Kirche oder Gemeinschaft versteht (s. MD 1984, S. 344f) und die englischen Apostel
hoch schaetzt, andererseits aber sich in wesentlichen Punkten von ihr unterscheidet. Man wird
im Apostelkollegium also nicht darum herumkommen, sich ein Selbstverstaendnis zu erarbeiten,
welches beide Glaubensbewegungen in ein klares Verhaeltnis zueinander bringt, wozu gewiss auch
eine Vergangenheitsbewaeltigung gehoert (vgl. auch MD 1980, S. 332f). Dr. Hans-Diether Reimer
[Anm. RF] Unter http://www.apostolic.de/doku/doku_3a.htm finden Sie mehr Informationen zu
diesem Thema.
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