WENN GLAUBE KRANK MACHT

Eine Sendung im Suedwest-Radio 4 (SWR 4) am 13.12.1999
von Bruno Drumbeck

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Das Thema heute: WENN GLAUBE KRANK MACHT

Moderator: Wir stellen Ihnen eine Selbsthilfegruppe fuer Aussteiger aus religioesen Gruppierungen vor. Am Mikrofon ist Bruno Drumbeck. Einen schoenen, guten Tag, meine Damen und Herren.
Dass Kirchen ihre Mitglieder zuweilen unterdruecken, das kennen wir aus dem Studium der Geschichte recht gut. Dass aber auch heute tatsaechlich solcher Druck ausgeuebt wird, das mag den einen oder anderen doch ueberraschen. Wie es zum Beispiel in der Neuapostolischen Kirche zugeht, das wollen wir in dieser Stunde bis 11 Uhr ein wenig analysieren. Wir haben drei fruehere Mitglieder der NAK, so der Neuapostolischen Kirche, bei uns. Einmal Tatjana Geiger aus Hassloch in der Pfalz, Gabriele Jakob-Stoffel ist da aus Heppenheim und Dr. Olaf Stoffel ist auch mitgekommen. Er hat sogar zwei Buecher geschrieben: DER GRIFF NACH DER SEELE – WEGE AUS RELIGIOESER ABHAENGIGKEIT. Das ist wohl ein Buch, das auch Menschen helfen soll, die noch in der Neuapostolischen Kirche drin sind, sich unterdrueckt fuehlen, auch vielleicht unterdrueckt werden, und das andere Buch: ANGEKLAGT: DIE NEUAPOSTOLISCHE KIRCHE – ERFAHRUNGEN EINES AUSSTEIGERS. Es soll also relativ realistisch heute zugehen damit wir erfahren, wie Menschen mit Menschen umgehen, wie hart, wie brutal dies auch sein kann.
Frau Geiger, seit wann haben Sie sich von der Neuapostolischen Kirche geloest?

"Seit etwas mehr als einem Jahr. Oktober '98 bin ich ausgetreten".

Moderator: Was war denn vorher geschehen, dass Sie diesen Entschluss fassen konnten?

"Einiges. – Also, ich bin ja in die Neuapostolische Kirche hineingeboren".

Moderator: Ach, Ihre Familie gehoerte schon dazu?

"Gehoerte dazu und gehoert immer noch dazu. Also, meine Eltern sind noch Mitglieder. Mein Vater ist Priester in der NAK. Also, ich war da auch immer sehr aktiv, da meine Eltern sehr glaeubig sind und mein Vater als Priester eben auch sehr Wert darauf gelegt hat, dass ich auch gut erzogen worden bin im Sinne der NAK. Und ich habe das auch sehr verinnerlicht und habe mich immer bemueht da in allem mitzumachen, was eben so geht. Im Chor gesungen und ich habe auch schon gleich nach der Konfirmation, eben wie das auch erwuenscht war, Orgel gespielt immer im Gottesdienst. Und ich habe alles Moegliche gemacht was eben mit Musik zu tun hatte. Aber ich habe auch die sogenannte Weinbergsarbeit, anfangs jedenfalls, mitgemacht, das heisst..."

Moderator: Das ist also nicht Riesling lesen, Kornfelder raufen, sondern was anderes.

"Sondern Menschenleben, also, das heisst, man geht von Tuer zu Tuer oder ging damals von Tuer zu Tuer. Das ist jetzt nicht mehr so. Das hat man jetzt abgeschafft, weil man gemerkt hat, dass man damit nicht so gut ankommt und vor allem auch mit den Zeugen Jehovas teilweise in einen Topf geschmissen wird. Das ist nicht erwuenscht. Also, damals haben wir das eben noch gemacht".

Moderator: Wie ist denn Ihre Familie, familiaere Situation jetzt, nachdem Sie aus der Neuapostolischen Kirche ausgetreten sind? Gross der Konflikt mit dem Vater?

"Ja, das ist ganz schwierig. Also, anfangs war das so: Ich habe natuerlich mit meinen Eltern vor dem Austritt schon geredet, dass ich sehr grosse Probleme habe mit der Lehre der Kirche beziehungsweise ueberhaupt mit dem ganzen System, dass ich mich damit auseinandersetze, beschaeftige und dieses Ganze hinterfrage. Ich habe auch Briefkontakt mit dem Stammapostel, mit dem Fuehrer der Neuapostolischen Kirche, gehabt, mit Aposteln Kontakt gehabt deswegen. Also wegen Glaubensfragen, grundsaetzlichen Fragen, vor allem was die Rolle der Frau betrifft, die ich hinterfragt habe und eben auch biblisch begruendet und nicht im Einklang mit der NAK gesehen habe, und habe eben auch mit meinen Eltern besprochen. Aber es war eigentlich von Seiten meines Vaters aus wenig Verstaendnis, weil er eben als Priester doch sehr durch die NAK gepraegt ist. Und es ist jetzt so, ich hatte dann eben nach meinem Austritt einen Brief geschrieben an meine Eltern weil ich gemerkt hatte, es kommt immer bei jedem Telefonat eigentlich etwas hoch. Es wird, egal was man eigentlich ansprechen wollte, es kommt doch immer eigentlich auf die NAK und meinen Austritt und..."

Moderator:Spueren Sie heute noch Druck?

"Ja, ich spuere es schon noch. Also, ich merke auch, dass meine Eltern selbst Probleme damit haben. Also, wir haben eigentlich auch das Gefuehl, dass ich, ja, ihnen Probleme gemacht habe".

Moderator: Frau Jakob-Stoffel, Wie haben Sie den Druck als Frau erlebt in der Neuapostolischen Kirche?

"Ja, die Rolle der Frau in der Neuapostolischen Kirche ist immer noch eine sehr untergeordnete. Man spricht nicht von der 'Partnerin' sondern von der 'Gehilfin des Mannes'. Also, ich finde der Ausdruck zeigt schon sehr schoen, wie man die Position der Frau sieht".

Moderator: Beruft sich die Kirche auf die Bibel, auf das erste Buch Mose: 'Ich will ihm eine Gehilfin machen'?

"Ja, richtig, darauf beruft sich die Kirche, nur das ist, ja, absolut fundamentalistisch, wie das gesehen wird. Und ich denke, in unserer heutigen Gesellschaft kann man mit so einer Argumentation eigentlich nicht mehr kommen. Es ist ganz erstaunlich, dass sich diese Kirche in der Gesellschaft wie unserer mit so einer Argumentation immer noch haelt".

Moderator: Gibt es keinen Widerstand innerhalb der Neuapostolischen Kirche bei den Frauen? Gehen die nicht auf die Barrikaden? Brodelt es nicht wie: Beispielsweise in der katholischen Kirche brodelt es ganz kraeftig.

"Nein, das habe ich so nicht erlebt, jedenfalls nicht an der Oberflaeche. Also, es loest sicher im einen oder anderen Fall schon Gefuehle von Wut oder Hilflosogkeit aus, so behandelt zu werden. Sehr viele Frauen, ja, machen das eben mit sich selbst aus, werden gutenteils auch depressiv. Also, ich kenne sehr viele Frauen, die in der Neuapostolischen Kirche unter Depressionen leiden, was meiner Meinung nach auch darauf zurueckzufuehren ist, dass sie eigentlich staendig abgeschnitten von ihren eigenen Gefuehlen und Beduerfnissen leben muessen, dass sie am Rande von einem Mikrokosmos stehen, der einfach von Maennern regiert wird. Und das ist dort nach wie vor so".

Moderator: Ist nicht der Ansatz einer, Gaensefuesschen, 'feministischen Theologie' zu spueren? Darueber koennen Sie nur lachen.

"Frauen sind ueberhaupt nicht faehig dazu in der NAK ..."

Moderator: Eben, das sind doch Frauen von heute, die draussen in der Welt im Alltagsleben ja doch akzeptiert sind, vollwertig akzeptiert sind.

"Ja, die durchaus im Berufsleben stehen".

Moderator: Ja.

"Die teilweise fuehrende Positionen haben: Das stimmt schon, was Sie sagen".

Moderator: Das hoert sich ja richtig schizoid an. Waehrend der Woche so...

"Es ist Spaltung. Es ist eine Spaltung, also, man muss staendig Spagat machen. Auf der einen Seite ist schon Kompetenz und Selbstvertrauen gefragt in der heutigen Zeit, das ist klar. Und wer einigermassen sich etablieren moechte muss es auch bringen. Auf der anderen Seite an der Kirchentuer muss man sich in eine perfekte 'Gehilfin' verwandeln, und das ist eine grosse innere Spaltung, ein Zwiespalt, in dem man da lebt, und der ist natuerlich schwer auszuhalten. Und ich fuehre es auch darauf zurueck, dass viele wirklich depressiv werden, also das einfach so ausdruecken, weil sie es anders nicht koennen".

Moderator: Was blieb Ihnen denn uebrig an Aufgaben als 'Gehilfin'?

"Ja, also, die richtige neuapostolische Frau definiert sich vor allem ueber das Amt ihres Mannes oder ueber die Position ihres Mannes in der Kirche. Also, eine eigene Position kann sie nicht erlangen, also, in Form von Amt oder so. Es ist immer noch die alten drei 'K': Kueche – Kinder – Kirche. Putzen in dem Fall, also, in der Hauptsache in der Kirche zum Putzen eingeteilt, im Chor singen und die Kinder so erziehen, dass sie spaeter mal in das NAK-System reinpassen".

Moderator: Nun ist Chorsingen etwas Wunderschoenes. Da ist der Sopran nichts Schlechteres als der Bass. Aber Kircheputzen einmal die Woche, das ist so eine ehrenamtliche Aufgabe?

"Das ist eine ehrenamtliche Aufgabe".

Moderator:Und die Pflicht gleichzeitig?

"Und die Pflicht. Ja. Weil, man tut es ja fuer den Herrn. Es wird einem ja immer gesagt man tut es fuer den Herrn".
"Das zaehlt auch mit zum sogenannten Opfer. Also, da ist nicht nur das finanzielle Opfer gefragt sondern eben auch das Zeitopfer, was eben fuer die Frauen Kircheputzen bedeutet, fuer die Maenner Aussenreinigung der Kirche, also Strasse kehren und so. Und was haben wir denn noch? Ja, Weinbergsarbeit, was natuerlich jetzt, ja, nicht mehr so organisiert ist. Aber dann eben Chorsingen gehoert dazu. Fuer manche Orchester, also, da koennen die Frauen auch mitmachen oder eben was Frauen noch koennen oder duerfen ist bedingt als Dirigenten taetig sein".
"Wenn kein Mann da ist".

Moderator:"Nur wenn kein Mann da ist. Wenn kein Amtstraeger da ist. Maenner sind ja potentielle Amtstraeger".

"Ja".

Moderator: Ein erster Einblick in die Realitaet einer Sekte. In diesem Fall der Neuapostolischen Kirche.

(Musik)

Moderator: Eine Selbsthilfegruppe fuer Aussteiger aus religioesen Gruppierungen ist bei uns im Studio. Olaf Stoffel ist dabei und er hat ein Buch geschrieben – ANGEKLAGT: DIE NEUAPOSTOLISCHE KIRCHE. So haetten wir diese Sendung heute auch ueberschreiben koennen, denn, Herr Dr. Stoffel, Sie haben lange dort mitgearbeitet, waren Amtstraeger, sind ausgestiegen, und Ihre Erfahrungen wollen Sie in dieser Sendung hier auch weitergeben. Wir haben von 'Aposteln' gehoert, vorhin. Ich dachte immer es gibt eigentlich zwoelf Apostel, aber offenbar gibt es heute noch weitere. Wie ist denn diese Neuapostolische Kirche strukturiert?

"Die Neuapostolische Kirche ist straff organisiert, hat einen hierarchischen Aufbau. Es gibt also eine Aemterstruktur und es faengt an beim sogenannten 'Unterdiakon' und geht bis zum sogenannten 'Stammapostel', das ist also der Kirchenpraesident. Und dem 'Stammapostel' untergeben sind die sogenannten 'Bezirksapostel' und 'Apostel'. Und sie haben die vermeintliche Kraft den Heiligen Geist zu spenden durch Handauflegung, und nur die 'Apostel' koennen aus Heiden Christen machen. So unterstellt es die Neuapostolische Kirche. Und wer eben nicht unter die Hand eines 'Apostels' kommt, der ist auch kein Gotteskind".

Moderator: Wir kennen das aus der katholischen Kirche ganz aehnlich. Auch dort legt der Weihbischof oder auch der Bischof den Firmlingen die Hand auf und spendet den Heiligen Geist, gewissermassen. Also, das ist an sich noch nichts Schlimmes. Aber was ist damit verbunden?

"Verbunden ist damit, dass gesagt wird: Der 'Apostel' ist der Heil-Bringer. Das heisst, wenn wir sein Wort nicht hoeren, koennen wir auch nicht zu Gott kommen. Also, die Erloesung ist an Menschen gebunden, an die sogenannten 'Apostel', speziell an den 'Stammapostel', der selbstgefaellig unterstellt, dass er des Himmelreichs Schluessel hat, dass er sozusagen die Bereiche der Jenseitswelt aufschliessen kann bei dem sogenannten 'Entschlafenengottesdiensten'. Und dem Papst wird diese Kompetenz abgesprochen, auch allen anderen Geistlichen. Darueber hinaus gibt es keine Theologen in der Neuapostolischen Kirche. Es sind sogenannte Laienprediger. Dementsprechend ist haeufig auch die Qualitaet der Predigten".
"Man muss dazu sagen, dass in einer Werbebroschuere kleingedruckt neben einem Foto steht: 'Unsere Amtstraeger haben eine theologische Ausbildung nicht noetig'. Also, sinngemaess, das finde ich ziemlich arrogant".

Moderator: Also, eine wissenschaftlich fundierte Theologie, wie sie an unseren Universitaeten ja gelehrt und erforscht wird, die existiert nicht?

"Es wird also einfach gesagt, wenn der Amtstraeger hinter dem Altar steht, dann redet Gott durch ihn".
"Ja, und das lebendige Wort dieser Amtstraeger ist viel mehr wert als der tote Buchstabe der Bibel. Das heisst, die NAK ist eigentlich keine biblisch fundierte Gemeinschaft fuer mich".

Moderator: Die Bibel, ja, welche Bedeutung hat sie denn, wenn einer sich hinter den Altar stellt und darueber hinweg sprechen kann?

"Die Bibel hat eigentlich nur eine sekundaere Bedeutung. Sie dient der Legitimation, sozusagen der NAK-Lehre. Es gibt ein paar Bibelstellen im Neuen Testament, da wird auf die Apostel hingewiesen. Und da wird dann einfach unterstellt, diese Apostel muss es heute auch geben. Und wer eben das Apostelamt nicht traegt, der kann auch Menschen nicht belehren im Sinne Gottes. Und da sind alle anderen Menschen Heiden, die Evangelischen, die Katholiken und wer immer zum christlichen Kontext gehoert. Und dieses Elitedenken wird schon kleinen Kindern vermittelt und es wird ihnen gesagt: Wenn du nicht das glaubst, was dir dein Segenstraeger und Amtstraeger sagt, ja, dann kommst du in die Hoelle. Und so einfach verfaehrt man auch heute in der Neuapostolischen Kirche. Und es gibt dazu spezifische Lehrmaterialien. Da werden die Kinder auf den Endzeit-glauben hin getrimmt. Und es kommt nicht selten vor, dass sie mit drei, vier Jahren Angst haben, dass Jesus sie einfach zuruecklaesst wenn er wiederkommt. Denn die Neuapostolische Kirche spricht ja auch vom Weltende. Sie sagt, das Verderben kommt dreieinhalb Zeiten oder dreieinhalb Jahre. Und wer nicht treu geblieben ist im Glauben und wer sich nicht an die NAK-Lehre gehalten hat, ja, der kommt in die ewige Finsternis. Und man kann sich vielleicht vorstellen, welche Aengste da bei Kindern hervorgerufen werden".
"Ja, schon die Kinder werden auf die Amtstraeger praktisch eingeschworen. Also, es gibt da solche Lieder wie zum Beispiel 'Der Stammapostel ist der Hirt', also, nicht Jesus Christus ist der Hirt, sondern 'Der Stammapostel ist der Hirt, er fuehrt uns alle weise'. Also, das bedeutet schon, dass man den Glauben an Menschen bindet".

Moderator: Wer ist der 'Stammapostel' derzeit?

"Der Stammapostel ist ein Herr Richard Fehr Fehr aus der Schweiz. Also, der Kirchensitz ist seit einiger Zeit in der Schweiz und er ist sozusagen der 'Repraesentant des Herrn' auf Erden. So bezeichnet er sich auch selbst und ihm sind alle Kompetenzen gegeben ueber diese Gemeinschaft".

Moderator: Haben die Gemeinden mit diesem Menschen in der Schweiz irgend Kontakt? Macht er Reisen?

"Er macht Reisen, sogenannte 'Dienstreisen'. Er fliegt da und dort hin in die Welt, um die Glaeubigen zu begluecken. Es ist dann so, dass per Satellitenuebertragung zum Teil 50'000, 100'000 Glaeubige angeschlossen sind. Dann predigt er sein Wort. Er droht auch da und dort immer wieder, wie geschehen in einer Zeitschrift, der 'FAMILIE' vom 20. September 1999 in einem Gottesdienst. Da sagte er dann sinngemaess, wenn man das Wort, also sein Wort, nicht aufnimmt, ja, dann hat man eben mit dem Verderben zu rechnen. Und diese Drohbotschaften, die kursieren immer wieder, auch wenn die Neuapostolische Kirche nach aussen hin das abstreitet".

Moderator: Sie vwenden hier ganz bewusst das Wort 'Drohbotschaft' in Abwandlung der 'Frohbotschaft', die das Evangelium, das 'Euvangelium', eigentlich sein soll.

"Ja, also, gedroht wird kleinen Kindern, jungen Erwachsenen, aelteren Erwachsenen. Also, mit dem Drohen hat man es sehr haeufig und das dient auch dazu, die Glaeubigen bei der Stange zu halten. Ich will auch mal ein Beispiel nennen. Es geht ja auch darum, dass man den Segen hat, so heisst es. Und Segen hat man dann, wenn man 10 % seines Gehaltes eben abliefert. Und oft wird die Frage gestellt: 'Willst du den Bruttosegen oder den Nettosegen Haben?' Und die Glaeubigen, wenn sie eben treu sind, werden sich so entscheiden, dass sie eben mehr Geld geben als dies erforderlich ist".

Moderator: Vom Brutto 10 %, das alte Zehntel. Die Mehrwertsteuer und die Einkommensteuer ist ja hoeher als dieses, aber trotzdem, das spuert man in der Kasse ganz gut. Wird das treu eingehalten?

"Also, es wird nicht immer treu eingehalten. Aber viele Glaeubige sind immer noch bereit, dieses Geld zu geben. Darueber hinaus gibt es noch immer keine klaren Rechenschaftsberichte, was mit dem Geld gemacht wird. Man hat zwar vor, dies zu veraendern, aber mir ist es nicht bekannt, dass das nun endlich transparent gemacht wurde".

Moderator: Sie wissen nicht, wohin Ihre 10% brutto geflossen sind?

"Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass eben viele Dienstreisen gemacht werden und dass man die Gelder da und dort hin verteilt. Ich will jetzt hier nicht konkrete Aspekte nennen, es gibt auch viele Geruechte darueber, aber ich finde es waere wichtig, dass die Glaeubigen erfahren: Was wird mit meinem Opfergeld gemacht? Und es ist einfach billig zu sagen: Das Geld gehoert dem Herrn. Damit ist nichts transparent gemacht".

Moderator: Wenn man die Muenze in die Luft wirft und der Herr behaelt die Muenze, wenn sie nicht zu Boden faellt, so ungefaeh kann man sich das vorstellen. Man weiss wirklich nicht, was damit geschieht. Herr Dr. Stoffel, welches Amt hatten Sie inne?

"Ich war im sogenannten 'Priesteramt' gewesen. Das heisst, ich hatte die Aufgabe Gottesdienste durchzufuehren, auch die Sonntagsschule zu leiten, und ich hatte so etwa 120 Glaeubige zu betreuen. Ich musste dann die Parolen weitergeben, die in den sogenannten 'Leitgedanken' fixiert waren. Das sind kleine Broschueren fuer die Amtstraeger der Neuapostolischen Kirche. Und wenn man sich nicht an diese Head-line gehalten hat, dann wurde man sanktioniert. Und mir ist es dann so am Schluss gegangen, dass ein hoeherer Amtstraeger uns zu Hause besuchte und dann mit diesen Drohbotschaften kam und sagte; wenn ich ebenso protestantisch weiterhin predigen wuerde, dann wuerde man mir das Amt wegnehmen".

Moderator: Welche Vorbildung haben Sie denn mitgebracht, um Prediger, um Priester zu sein?

"Ich hatte gar keine Vorbildung. Man hat mir einfach gesagt: Wenn du hinter dem Altar stehst, Gott wird schon das Richtige durch dich sprechen, und dann wirst du der Gemeinde das sagen, was die Gemeinde braucht. Ich wurde sozusagen meinem Schicksal ueberlassen wie viele Amtstraeger auch in der Neuapostolischen Kirche. Ich habe mich dann muehsam durch die Bibel durchgekaempft, um wenigstens ein bisschen Substanz in die Predigten reinzubekommen, aber das war ein schwieriger Weg".

Moderator: Wenn man das nicht studiert hat, Sie haben schliesslich Psychologie studiert, das ist etwas anderes, wenn es auch damit zu tun hat auf Menschen zugehen zu koennen, ihnen etwa zu sagen, ihnen zu helfen. Aber theologisch sind Sie eigentlich ungebildet.

"So ist es. Theologisch war ich ein Laie. Ich habe mich jetzt durch meine Buecher durchgekaempft durch theologische Fragen und habe dann im Nachhinein nochmal feststellen muessen dass das, was die Neuapostolische Kirche lehrt, also wirklich im Gegensatz steht zu den Inhalten der Bibel und, ja, ich kam zu dem Gedanken, ich haette mich schon frueher damit befassen muessen. Vielleicht haette ich dann schon frueher aussteigen koennen".

Moderator: Ich stelle mir vor, dass solche Predigten, die derart unfundiert sind, doch sehr hemdsaermelig ausfallen und sehr widerspruechlich auch. Da kann doch der eine dies predigen, der andere das Gegenteil.

"Es ist in der Tat so, dass die Predigten oft fuer mich einen sehr flachen Charakter hatten und es wurden staendig Phrasen gedroschen. Aber die Glaeubigen waren es so gewoehnt":

Moderator: Bedient man sich dann der Bibel wie es einem passt, reisst irgendwelche Zitate, und moegen sie doch historisch sehr fragwuerdig sein, wie beispielsweise das falsche Paulus Zitat 'die Frau moege in der Kirche schweigen', was nicht von Paulus stammt, das ist gar keine Frage, man holt sich das raus, was einem passt?

"Ganz genau. Es wird dann willkuerlich zitiert aus der Bibel. Immer wieder wird zitiert wie wichtig das Apostelamt fuer die heutige Zeit ist. Es wird auf das Ende hingewiesen, und, ich moechte es einmal so formulieren, 150 Worte reichen eigentlich, um eine Predigt zu strukturieren, mehr ist nicht vonnoeten. Und dementsprechend qualitativ angelegt sind in meinen Augen auch die Predigten".

Moderator: In unserer Nahaufnahme zum Thema WENN GLAUBE KRANK MACHT - EIN EINBLICK IN DIE WIRKLICHKEIT DER NEUAPOSTOLISCHEN KIRCHE.

(Musik)

Moderator: WENN GLAUBE KRANK MACHT. Das ist das Thema der heutigen Nahaufnahme. Wir haben drei Aussteiger bei uns im Studio: Tatjana Geiger aus Hassloch, Gabriele Jakob-Stoffel aus Heppenheim und Dr. Olaf Stoffel ist auch bei uns. Es hat ein Buch mitgebracht: DER GRIFF NACH DER SEELE. Ich darf von der Rueckseite zitieren, da heisst es: 'Zuerst ist es Begeisterung, dann Angst und spaeter nur noch Scham. Der Weg in eine gefaehrliche religioese Abhaengigkeit fuehrt durch emotionale Hoehen und Tiefen. Nicht selten entwickelt sich eine psychische Erkrankung'. Erkrankung vor allem dadurch, dass Druck ausgeuebt wird innerhalb der Gemeinschaft, naemlich der Neuapostolischen Kirche in unserem Falle, aber vor allem auch dann, wenn Menschen sagen: Da mache ich nicht mehr mit. Da steige ich aus, ich verlasse diese Kirche, diese Sekte, wie immer man dazu sagen will. Frau Jakob-Stoffel, welche Krankheiten haben Sie selbst erlebt oder in Ihrer Bekanntschaft, in Ihrem Umfeld, kennengelernt?

"Also, ich kann da von mir persoenlich sprechen. Ich selbst bin nach meinem Ausstieg in ein sehr tiefes Loch gefallen. Ich hatte also mit Aengsten und Depressionen zu kaempfen und war auch sehr lange in einer psychosomatischen Klinik, wo das behandelt wurde, eine der wenigen Kliniken, die auf religioese Abhaengigkeiten und spirituelle Krisen, ja, spezialisiert sind hier in Deutschland".

Moderator: Ekklesiogene Schaedigungen, sagen die Psychologen dazu. Welche Aengste, welchen Druck haben Sie denn vorher gespuert? Welche Aengste sind da gewachsen, als Sie noch in der Kirche waren?

"Ja, das faengt schon bei den Kindern an. Es wird einem immer schaurig ausgemalt was passiert hier auf der Erde, wenn Jesus gekommen ist und die Seinen, das sind also die Neuapostolen, die sich an die Implikation der Lehre genau gehalten haben, mitgenommen hat. Dann wird ja hier auf der Erde das Verderben losbrechen. Das wurde uns im Kindergottesdienst schon ganz schaurig geschildert, also mit Bildern aus der Apokalypse, und hat grosse Aengste bei mir ausgeloest, also Verlustaengste, was sich zum Beispiel so aeusserte, dass ich ganz grosse Angst hatte, wenn meine Eltern auch nur mal zehn Minuten spaeter vom Einkaufen zurueck kamen. Dann dachte ich, ja, Jesus ist jetzt gekommen, hat die mitgenommen, ich bin hier allein. Und was das fuer eine Angst fuer ein Kind ist, also, das kann ich jetzt hier gar nicht so beschreiben".

Moderator: Man kennt die Schilderung solcher Aengste und solcher Drohungen zum Beispiel von romanischen Kirchenportalen, wo ein grosses Ungetuem das Maul aufsperrt und alle, die nicht in den Himmel kommen, aus den Graebern aufsteigen, nun gleich gefressen werden, in die Hoelle kommen. Werden solche Bilder tatsaechlich noch praktiziert?

"Solche Bilder werden durchaus noch geschildert. Ich erinnere mich, wie ich mir als Kind ausgemalt habe: 'Das Blut wird stehen bis an die Zaeume der Pferde'. Also, das wurde immer gesagt. Es wurde wirklich mit solchen Bildern gearbeitet, und Kinder haben viel Fantasie. Die malen sich das dann ja noch zusaetzlich aus, solche Gruselgeschichten. Viele andere Anregungen gab es nicht. Bei uns zu Hause war Fernsehen, alles was weltlich war, war verboten. Wir sollten auch moeglichst wenig Kontakt zu sogenannten 'Weltmenschen' haben sondern eben nur in der Gemeinschaft. Das heisst also, Anregung von aussen oder dass man das haette als Kind relativieren koennen, haette sagen koennen, gut, da gibt es auch noch was anderes, die gab es einfach nicht".

Moderator: Frau Geiger, haben Sie es auch so als Kind erlebt, hineingewachsen zu sein in diese Drohbotschaft, in diese, ja, angstmachenden Bilder?

"Ja, das kann ich absolut bestaetigen. Also, ich habe mir das auch immer sehr wild ausgemalt. Und es ist einfach wirklich so, dass man, ja, weiss, gerade auch als Kind, dass man weiss, man macht nicht alles richtig. Und es wird auch oder wurde immer gepredigt, dass auch ein Fehler reicht, dass man dann eben nicht dabei ist, und das stellte ich mir dann immer sehr schlimm vor. Und mein Vater ist ja Priester. Ich dachte, der ist dann auf jeden Fall dabei. Aber bei meiner Mutter war ich jetzt nicht so sicher, weil sie sich ab und zu auch mal dagegen gestellt hat und ihre eigenen Vorstellungen hatte. Aber ich wusste, wahrscheinlich sind die dann beide weg und ich hatte furchtbare Angst. Also, ich weiss noch eine Situation, da war ich mal nicht mitgegangen als sie zum Vorsteher eingeladen waren. Das war eine Privateinladung. Aber es heisst ja immer, man muss alles annehmen, was die Amtstraeger sagen. Und es wird eigentlich nicht genau unterschieden was sie jetzt vom Altar her predigen und was sie privat sagen, weil sie eigentlich immer in der Funktion als Amtstraeger gesehen werden. Das heisst, im Grunde genommen wird verlangt, dass man eigentlich sich immer an die haelt. Jetzt bin ich da also nicht mitgegangen. Ich habe mich da gewehrt, weil ich einfach mal, es war sonntags nach zwei Gottesdiensten, da wollte ich mal zu Hause bleiben. U nd es war im Winter. Da wird es frueh dunkel und ich bin zu Hause geblieben. Es war ein Gewitter, und dann war auch noch Stromausfall. Und da habe ich gedacht, jetzt ist es passiert, jetzt sind sie weg. Und es war furchtbar fuer mich. Also, ich habe dann irgendwie gar nicht mehr gewusst was ich machen soll, und ich hatte vorher schon vor dem Stromausfall versucht, durch Kirchenlieder spielen auf der Floete mir da irgendwie Pluspunkte zu sammeln (Gelaechter der Frauen). Jetzt hatte ich da nicht so viel Hoffnung. Auf jeden Fall ist dann der Strom ausgefallen. Es war wirklich die Hoelle fuer mich. Also, ich habe gedacht, jetzt ist es aus. Und ich habe schon ueberlegt, an wen kann ich mich wenden und wusste, es wird auch mal gepredigt, die anderen, die sind auch schlecht. Also, ich konnte von keinem Hilfe erwarten so nach dem was ich gelehrt bekommen habe. Und es war ganz , ganz furchtbar, bis meine Eltern nach Hause kamen".

Moderator: Herr Stoffel, steht denn diese Angst vor dem Weltuntergang, diese Eschatologie, wie die Theologen sagen, so im Mittelpunkt der Lehre? Ist das das Ziel, auf das alles hinsteuert?

"Also, das ist das konkrete Ziel dabei zu sein wenn Jesus Christus wiederkommt. Und es wird permanent gesagt: Du musst noch mehr beten, noch mehr arbeiten, du musst innerlich reifer werden. Und dieser Druck, der ist so implantiert in der Psyche der Neuapostolen, dass man ihn im Grunde gar nicht mehr los wird".

Moderator: Warum koennen Kinder in der Pubertaet dagegen nicht Widerstand leisten?

"Wenn die Kinder in der Pubertaet Widerstand leisten gegen diese Kirche, dann leisten sie Widerstand gegen Gott, und das koennen sie nicht. Da sind die Aengste zu gross, also, die Kirche wird mit Gott gleichgesetzt, auch die Eltern..."
Frau Jakob-Stoffel: "Ja, die Eltern und die Kinder sind praktisch eins. Also, man kann auch nicht gegen die Eltern revoltieren, denn dann wuerde man gegen Gott revoltieren. Also, es ist so unsagbar schrecklich verwoben alles, sodass eine vernuenftige Abloesung ueberhaupt nicht stattfinden kann..."
Frau Geiger: "Und man muss auch dazu sagen, was fuer ein Gottesbild da vermittelt wird".
"Ja".
"Naemlich eigentlich ein Gott, der auch auf dem Klo da ist, also, der einen wirklich ueberall hin verfolgt, ueberall da ist und der ueberall kontrolliert ob man alles richtig macht und ueberall auch sanktioniert, also bestraft".
Frau Jakob-Stoffel: "Es heisst ja auch immer: Tue nichts, wo du nicht auch deinen Apostel hinnehmen koenntest".
"Ja, genau".
"Das heisst also, man fuehlt sich immer beobachtet. Und man entwickelt auch einen gewissen Perfektionismus..."
"Ja, das stimmt".
Dr. Stoffel: "Und die Erfahrungen unserer Selbsthilfearbeit zeigen ja, dass Neuapostolen in ganz Deutschland, ja, sogar weltweit, diese Aengste aufweisen. Wir haben jetzt unsere Selbsthilfegruppe seit etwa dreieinhalb Jahren und haben mit vielen Aussteigern und Aussteigerinnen Kontakt. Und fast alle berichten von diesen Aengsten, von der Angst, verlassen zu werden, von der Angst, dass man jetzt keinen neuen Lebenssinn mehr entwickeln kann, dass Gott doch so strafend sein koennte wie die Neuapostolische Kirche vermittelt hat..."
Frau Geiger: "Auch von der Angst vor eigenen Entscheidungen, weil das bis jetzt ja eigentlich oft die Amtstraeger dann uebernehmen sollten".
Frau Jakob-Stoffel: "Im Prinzip kann man jede Entscheidung auf die Kirche oder die Amtstraeger delegieren. Also, man fragt in den einfachsten Situationen bei den Amtstraegern nach was man tun soll, und das fuehrt zu einer voelligen Unselbstaendigkeit und Abhaengigkeit".
Frau Geiger: "Und darueber hinaus nach dem Austritt zu einer voelligen Angst vor Entscheidungen".

Moderator: Frau Geiger, was ist denn passiert, dass Sie gesagt haben: So, jetzt ist der Punkt da, ich wage diesen Ausstieg. Was war das Entscheidende?

"Eigentlich die Rolle von Frauen innerhalb der NAK. Das hat mich schon gestoert seit ich 14 war. Ich bin jetzt 28. Und ich habe mich damit immer beschaeftigt. Aber es gibt eben in der NAK so eine Persoenlichkeitsspaltung. Alles, was eben nicht NAK-konform ist an eigenen Gedanken wird bezeichnet als 'vom Teufel' kommend. Und das habe ich oft eigentlich wirklich geglaubt. Und ich habe da meine eigenen Gedanken verdraengt und deswegen hat es so lange gedauert, bis ich dann einmal darueber nachgedacht habe, auch Bibel gelesen habe und sonstige Literatur, die man eigentlich nicht braucht laut NAK und nicht benutzen soll. Man soll ja NAK-interne Literatur lesen. Und es war eben so, dass ich nach dem Studium oder im Studium alleine beziehungsweise in WG [Wohngemeinschaft] mit einer Frau zusammengelebt habe. Und es wurde ganz schwierig fuer mich, also, meine eigenen Entscheidungen durchzusetzen und gegenueber den Amtstraegern zu sagen, das will ich fuer mich und das nicht. Und ich habe gemerkt, dass ich als alleinstehende Frau, vor allem nachdem ich dann einen nicht neuapostolischen Freund hatte, ueberhaupt nicht ernst genommen wurde, und dass nicht akzeptiert wird was jetzt nicht NAK-konform ist".

Moderator: Haben Sie denn diese Ideen, diese Plaene, diesen beabsichtigten Ausstieg den anderen mitgeteilt? Wie haben sie reagiert?

"Ich habe es nicht allen mitgeteilt. Ich habe vor allem natuerlich erst einmal meinen Zwiespalt mitgeteilt, meinen Eltern, Freunden. Habe Fragen an Amtstraeger gestellt, war dann aber auch ein Jahr lang einfach nicht dort und es gab unterschiedliche Reaktionen. Also, was jetzt die Rolle der Frau betraf hat zum Beispiel mein Vater oder alle Amtstraeger, die ich darauf angesprochen habe, immer gesagt, also, ob ich denn selbst ein Amt haben wollte. Es wurde gar nicht darauf eingegangen, eigentlich. Man wurde immer mit Worten abgespeist".

Moderator: Herr Stoffel, wie reagiert eigentlich normalerweise die Neuapostolische Kirche, die Priester, die Apostel, wenn bekannt wird: Da will jemand aussteigen, was geschieht dann normalerweise?

"Normalerweise ist es so, dass dann sofort ein Hausbesuch erfolgt. Da wird die Familie aufgesucht und derjenige wird darueber aufgeklaert: Wenn du unsere Kirche verlaesst, denke mal ueber die Folgen nach. Wenn Jesus wiederkommt, dann bleibst du zurueck. Du bist dann in der ewigen Finsternis. Willst du dir das wirklich antun? Also, es wird an das Gewissen appelliert, es werden die Folgen beschrieben, und bei vielen Glaeubigen nuetzt das dann auch. Sie gehen dann artig und brav wieder zurueck in die Reihen der sogenannten 'Gotteskinder'. Und das haengt auch damit zusammen, dass diejenigen, die hineingeboren worden sind, diese NAK-Welt als die einzig wahre Welt kennen. Und wir wissen aus psychologischen Untersuchungen, dass von den ersten drei, vier Lebensjahren Menschen sehr stark gepraegt werden und dass das, was da passiert, oft so belastend ist, dass man von den Aengsten nicht wieder los kommt, die man in diesen ersten Lebensabschnitten erworben hat. Und das bestaetigen uns auch viele Aussteiger, mit denen wir zu tun haben in unserer Selbsthilfegruppe >>WENN GLAUBE KRANK MACHT<<, dass sie eine unbestimmte Angst haben, auch als Erwachsene. Diese Angst haben sie kognitiv verarbeitet. Aber vom Gefuehl her sitzt sie tief in der Psyche drin und kann nur ganz schwer nach oben kommen..."
Frau Jakob-Stoffel: "Und das oft noch nach zwanzig Jahren. Gerade in der letzten Gruppensitzung hatten wir eine Frau, die das erstemal bei uns war, und die zwanzig Jahre schon aus der NAK weg ist und die trotzdem immer noch diese Aengste spuert und sich nicht erklaeren kann, warum sie das nicht verarbeiten kann. Also, es praegt einen Menschen wirklich fuer das ganze Leben".

Moderator: WENN GLAUBEN KRANK MACHT, das ist das Thema unserer heutigen Nahaufnahme. Wir sprechen vom Druck, der innerhalb der NAK, der Neuapostolischen Kirche, auf die Mitglieder ausgeuebt wird.

(Musik)

Moderator: Aus der Neuapostolischen Kirche bei uns hier im Studio: Wir haben berichtet, welcher Druck ausgeuebt wird auf die Mitglieder, wenn sie sich kritisch aeussern, wenn sie anfangen nachzudenken, Literatur lesen, die sie nicht lesen sollen oder wenn sie so leben, wie die Kirche es eben nicht moechte. Viele, die Hilfe brauchen, die in Not sind, die vielleicht noch Mitglied sind in der Neuapostolischen Kirche oder in anderen aehnlichen Gruppierungen, haben sich getroffen zu einer Selbsthilfegruppe, die sich jeweils am dritten Freitag eines Monats um 19:30 Uhr trifft. Jetzt, am Freitag, ist es wieder so weit. Die Alte Eppelheimer-Strasse 38 ist das Selbsthilfebuero, und die Telefonnummer von dort, die sage ich Ihnen in dieser Sendung auch noch. Wenn Sie sie aufschreiben wollen, dann, nachher, legen Sie sich bitte etwas zum Schreiben bereit, meine Damen und Herren.
Dr. Stoffel, Sie sind regelmaessig bei diesen Gruppen ja dabei. Sie sind selbst Psychologe, durchschauen eigentlich diesen Druckapparat sehr gut. In welchen Noeten kommen denn die Menschen zu Ihnen?

"Die Menschen kommen zu uns in die Gruppe in dem Bewusstsein, dass sie jeglichen Boden unter den Fuessen verloren haben. Sie suchen bei uns Rat. Sie suchen aber auch oft ein neues Sinnsystem und das koennen wir nicht leisten. Und da stellt sich die Frage, wie man diesen Menschen helfen kann. Und haeufig ist es so, dass wir dann Adressen weitergeben von kompetenten Therapeutinnen und Therapeuten, oder manchmal genuegt es auch einfach in der Gruppe sich zu oeffnen, das loszuwerden, was man 20 Jahre vielleicht in sich behalten hat an Angst, an Wut, an Traurigkeit. Und dann kommen die Leute zum Teil immer wieder und koennen dann das Gefuehl entwickeln, dass sie leben koennen, dass sie auch ausserhalb des Kontext dieser problematischen Gruppe, in der sie waren, sich selbst wieder spueren".

Moderator: Sind die Verletzungen, die durch diese Mitgliedschaft und durch das jahrelange Erleben dort gewachsen sind, sind diese Verletzungen so stark, dass die Menschen auch Psychotherapie brauchen?

"Die Verletzungen sind in der Regel extrem stark. Wir haben also etwa drei Gruppen von Menschen, die spezifische Erkrankungen aufweisen. Zum einenmal Menschen mit Depressionen, zum anderen Menschen mit sogenannten psychosomatischen Erkrankungen und zum dritten..."

Moderator: Was haben Sie da am haeufigsten beobachtet? Wo drueckt sich das im Koerper dann aus?

"Am haeufigsten im Magen-Darm-Bereich oder auch durch Migraene, durch Schwindelgefuehle, zum Teil auch durch extreme Hauterkrankungen. Und die dritte Gruppe sind die Menschen, die zum Teil wahnkrank geworden sind. Auch die haben wir, leider, muss ich sagen, die das religioese System nicht verkraftet haben und sich eine eigene Welt zurechtgebaut haben".

Moderator: Also auch psychiatrische Erkrankungen koennen dadurch erwachsen.

"Ganz genau, auch psychiatrische Erkrankungen. Wir haben da und dort auch Kontakte zu den Psychiatrien. Und da ist es so, dass die Heilungschancen sehr, sehr gering sind, weil die Menschen so fundamental geschaedigt wurden durch zum Beispiel die Neuapostolische Kirche oder andere Gruppierungen, dass man ihnen im Grunde genommen nicht mehr richtig helfen kann".

Moderator: Welche Wege beschreiten Sie in dieser Selbsthilfegruppe, denn Sie werden ja sicher nicht nur die Menschen zusammenkommen lassen, um sich auszutauschen, sondern ja im Ansatz eine Therapie vielleicht schon einzuleiten?

"Also, eine Therapie als solche koennen wir nicht leisten, weil die Gruppe zum Teil sehr gross ist. Was wir koennen ist, den Menschen eine Struktur anzubieten. Wie kann ich jetzt an dem Punkt, an dem ich stehe, weitermachen? Das heisst, welche Moeglichkeiten habe ich eine Therapie zu beginnen bei einer Fachfrau, bei einem Fachmann? In welche Klinik kann ich vielleicht gehen oder wie kann ich meine Lebensumstaende veraendern, dass ich mehr Sicherheit bekomme fuer mich selbst?"

Moderator: Frau Jakob-Stoffel, Sie arbeiten ja sonst, wenn Sie nicht bei uns im Studio sind, bei der Deutschen Bahn, bei der 'AG Netz'. Das sind also die, die fuer die Zuege und so weiter da sind, in der Marketing-Abteilung. Sie stehen da mitten im Leben und sind erst seit wenigen Jahren von der Neuapostolischen Kirche weg. Wie beschaeftigt Sie das noch? Wie lange sind Sie oder was schaetzen Sie, wie lange wird Sie das noch so praegen, auch als Problem?

"Ich denke das wird mich schon noch eine ganze Zeit lang beschaeftigen und ich lasse mir da einfach Zeit damit. Ich habe gelernt Geduld mit mir zu haben, und ich kann das jedem nur empfehlen Geduld mit sich zu haben, denn man kann diese Sozialisation, die man da erfahren hat, nicht einfach abstreifen".

Moderator: Hat Ihnen die Kirche Gutes gegeben? Auch? Was ist geblieben? Worauf sind Sie stolz?

"Mit Sicherheit war sie eine Zeitlang eine familiaere Struktur. Das ist auch das, was viele Menschen eben anzieht in der Neuapostolischen Kirche unter dem Motto: 'Wo es eng ist, ist es auch warm'. Das heisst also, sie gibt ein Korsett, das zwar einengt, aber zum Teil auch schuetzt, also, klare Handlungsanweisungen fuer das Leben und so weiter".

Moderator: Das ist immer die andere Seite der Medaille...

"Richtig!"

Moderator:dass vor allem Menschen, die in Not sind, die alleine sind, doch dort eine Familie, eine Heimat, finden.

"Das ist wahr. Nur, es ist eine Scheinsicherheit, die ihnen da geboten wird. Es wird ihnen ein Heil oder eine Heilsicherheit verkauft, die es eigentlich gar nicht geben kann. Und es wird diesen Menschen, diesen 'Aposteln', ein Wert oder ein Status zugemessen und auch Macht ueber Menschen, die eigentlich niemand auf Erden haben kann. Und wenn man also im christlichen Kontext spricht eigentlich Eigenschaften, die nur Jesus Christus zustehen wuerden".

Moderator: Von Jesus Christus haben wir relativ wenig gehoert. Das heisst, er steht nicht so im Mittelpunkt der Lehre?

"Also, ich habe das so erlebt, dass das nicht so ist, und ich denke, die anderen koennen das auch bestaetigen".
"Durchaus".

Moderator: Frau Geiger, Sie sind noch nicht so sehr lange aus...
Frau Jakob-Stoffel: "Du hast dich ja sehr theologisch auseinandergesetzt, auch mit Wend...
"Ja, der 'Apostel' Wend, mit dem habe ich ein persoenliches Gespraech gehabt..."

Moderator: Den kenne ich noch nicht, den 'Apostel' Wend. Ich kenne nur Petrus und Paulus und Bartholomaeus...
"Das ist direkt was Neues, Herr Duhmbeck !"
Frau Geiger: "Mit dem habe ich mich auseinandergesetzt, weil ich eben theologisch die Sache hinterfragt hatte und an Bibelstellen aufgelistet habe, was eben nicht mit der Lehre der NAK uebereinstimmt. Und er hat mir dann im Gespraech gesagt, ja, sie haetten gemerkt in letzter Zeit, dass die NAK keine theologische Grundlage besitzt und dass sie sich diese erarbeiten muessen. Das finde ich schon sehr bemerkenswert. Ich kann auch bestaetigen, dass mich das wahrscheinlich auch noch laenger beschaeftigen wird. Ich bin noch nicht so lange draussen. Und das ist auch deswegen nicht so einfach, weil meine Eltern eben noch drin sind und weil vor allem mein Vater als Priester jetzt meint, ich wuerde gar nichts mehr glauben, obwohl ich mich inzwischen in der evangelischen Kirche wohl fuehle. Aber das sind ja laut NAK eigentlich Heiden, die glauben ja nicht das Richtige, weil sie nicht an den 'Stammapostel' und NAK glauben. Also, ich denke, da habe ich wohl auch noch Jahre damit zu tun. Ich bin auch in psychotherapeutischer Behandlung".

Moderator: Ist Ihnen die Musik, die Sie ja selbst ausueben auf dem Cembalo, auf der Orgel und auf der Blockfloete, da eine Hilfe?

"Es ist durchaus. Ja, ich kann zum Beispiel dadurch, dass ich jetzt in der evangelischen Kirche den Orgeldienst mache endlich auch spielen was ich moechte. Das konnte ich frueher in der NAK nicht. Das ist schon geregelt, was man da spielen darf und was nicht und natuerlich auch einfach fuer mich selbst. Aber ich muss dazu sagen, dass ich leider meinen Wunschberuf Kirchenmusik nicht studieren konnte".

Moderator: Hat man das unterbunden?

"Ja, man hat das unterbunden beziehungsweise ich habe mich auch beeinflussen lassen, dass ich das eben selbstaendig dann nicht durchgesetzt habe".

Moderator: Aber Musikerin sind Sie geworden...

"Gott sei Dank!"

Moderator: ...denn Sie geben das Koennen und die schoene Musik weiter an die Kinder im Landkreis Gruenstadt. Das macht Ihnen Spass. – Herr Dr. Stoffel, wir wollen die Telefonnummer nochmal sagen. Also, in Heidelberg ist das die 18 42 90. Dort bekommt man ein persoenliches Gespraech oder einen Termin vermittelt oder es laeuft ein automatischer Anrufbeantworter. Also, Heidelberg 18 42 90, die Vorwahl 06221, die Selbsthilfegruppe fuer Aussteiger aus religioesen Gruppierungen Heidelberg-Heppenheim. Das heisst, Ihre Freunde kommen aus dem Bereich. Wer immer bei Ihnen sich melden wird...

"Ja".

Moderator: ...wird eine Hilfe bekommen. WENN GLAUBE KRANK MACHT, so nennt sich diese Gruppe.
Frau Jakob-Stoffel: "Ja, unser naechstes Treffen, wollte ich noch sagen, ist in dieser Woche am 17. Dezember [1999] um 19:30 Uhr in Heidelberg im Selbsthilfebuero in der Alten Eppelheimer Strasse 38".

Moderator: Das ist leicht zu finden, die Alte-Eppelheimer-Strasse im Stadtteil Erkheim. Das war unsere Nahaufnahme WENN GLAUBE KRANK MACHT. Drei Aussteiger aus der Neuapostolischen Kirche haben aus ihrem persoenlichen Leben berichtet und auch Warnungen weitergegeben. So mancher hat sicher grosse Ohren bekommen.

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