Artikel "Um der Wahrheit willen" von Ap. Otto Guettinger.

(publiziert in "Der Herold", Halbmonatsschrift der Apostolischen Gemeinde,
Nr. 10, 1. Jahrgang, 15. Januar 1955, Seiten 77-81)

Um der Wahrheit willen sind schon heisse Kaempfe gefochten worden, mit
der Feder, dem Worte, und mit dem Schwert. Nach Jesu Worten ist der Teufel
der Vater der Luege. "Er ist der Moerder von Anfang und ist nicht bestan-
den in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht in ihm; wenn er die Luege
redet, so redet er von seinem eigenen" (Johannes 8, 44). Die Luege hat da-
nach ihren Ursprung beim Teufel und die Wahrheit bei Gott. Wer die Wahr-
heit redet, der redet Gottes Worte. Die Wahrheit kann wehetun, sie ist
fuer viele ein bitter Kraut, aber sie macht frei. Wenn ein Mensch im Irr-
tum befangen ist, braucht es oft sehr viel, bis er durch die Wahrheit frei-
gemacht ist. Die Wahrheit kann allerdings mit Menschlichkeiten bemaentelt,
sogar mit Irrtuemern durchsetzt sein. Der Geist der Wahrheit, von Gott aus-
gehend, wird die Geister scheiden. Wer Gott liebt, muss auch die Wahrheit
lieben, ihr anhangen, sich fuer sie einsetzen und selbst ein Diener der
Wahrheit sein.
Vom Bestreben beseelt, der Wahrheit zu dienen, seien einige Punkte hier
wiedergegeben, die in einem Buche ueber religioese Sondergemeinschaften
geschrieben stehen. In dem sechshundertseitigen Buche schreibt der Verfas-
ser ueber mehr als 120 Glaubensgemeinschaften. Unter anderen erwaehnt er
auch die Neuapostolische Kirche. Um der Wahrheit willen seien ein Paar
Tatsachen dem Buche entnommen und hier wiedergegeben:
"Am Tag von Potsdam, 21. Maerz 1933, hielt der Stammapostel einen Fest-
gottesdienst und verkuendigte, unter Zugrundelegung von Sirach 10, 5, dass
jetzt der von Gott gesandte Fuehrer (Adolf Hitler) gekommen sei. Den Text
seiner Ansprache liess er samt vielen Unterlagen in die Reichskanzlei
schicken. Auch sonst liess er es nicht an Zeichen gehorsamer Ergebenheit
fehlen. So verfuegte er in einem Rundschreiben an die Amtstraeger vom 25.
April 1935, dass es bei Eintrittsgesuchen von Mitgliedern aufgeloester
staatsfeindlicher und freidenkerischer Organisationen in Zweifelsfaellen
gut sein werde, die Personalien solcher Personen der zustaendigen Orts-
gruppe der NSDAP zur Nachpruefung vorzulegen und ihre Aufnahme erst nach
dem Vorliegen einer Unbedenklichkeitserklaerung der NSDAP zu vollziehen."
"Der Stammapostel verfuegt ueber die Gabe einer schlichten und fasslichen
Rede. Der Robustheit seines Koerpers ... entspricht eine ebensolche seelische
Robustheit.
Bei Auflehnungen greift er wie seine Vorgaenger mit erbarmungs-
loser Haerte durch. Da gibt es keine geistliche oder seelsorgerliche Be-
handlung, kein aus bruederlicher Verpflichtung erwachsendes Verhalten.
Wer sich nicht fuegt, wird ausgeschlossen. Auch in der Wahl der Mittel
kennt er keine Ruecksichten auf neutestamentische Regeln."
"Die Macht des Stammapostels ist gewaltig ... Die Apostel koennen die un-
tergeordneten Aemter in ihren Bezirken nur im Einvernehmen mit dem Stamm-
apostel besetzen (vergleiche Lehrbuch 1952, Art. 239; nach Artikel 287 des
Lehrbuches 1938 bedurften die Apostel dieses Einvernehmen nicht; sie wur-
den also seitdem in ihrer Selbstaendigkeit wesentlich beschraenkt). Die
Apostel ihrerseits werden vom Stammapostel in ihr Amt berufen. Waehrend
der Stammapostel bei dieser Aussonderung frueher nur im Auftrag der Apos-
telgesamtheit handelte, nimmt er sie jetzt nach eigenem Ermessen vor. Nach
dem Lehrbuch 1933 hatte der Stammapostel 'als ausfuehrendes Mitglied der
Apostelgesamtheit die grundlegenden Aussonderungen der zu Mitaposteln be-
rufenen Amtstraeger vorzunehmen'. Schon schwaecher ist die Bindung des
Stammapostels an die Apostelgesamtheit nach dem Lehrbuch 1938, Art. 187:
'Die Aussonderung eines Apostels ist allein Sache des Stammapostels, der
nach Anhoeren der Apostel handelt.' Im Lehrbuch 1952, Art. 227, wird eine
Abhaengigkeit des Stammapostels von den anderen Aposteln ueberhaupt nicht
mehr erwaehnt, sondern der Stammapostel 'hat die Aussonderung der zu Mit-
aposteln bestimmten Amtstraeger vorzunehmen'."
"Der Stammapostel kann durch keine Instanz abgesetzt werden. Waehrend fuer
die Apostel eine Dienstaltersgrenze von 70 Jahren festgesetzt wurde, bleibt
der Stammapostel im Amt, 'bis ihn der Herr abberuft' (Lehrbuch 1952, Art.
240)."
"Die Neuapostolische Kirche hat also eine autoritaere Ordnung, die ganz
auf den Stammapostel zugeschnitten ist. Er ist der alleinige Inhaber der
Regierungsgewalt. Verglichen mit den Anfangszeiten ist hier eine betraecht-
liche Verschiebung festzustellen. Waren urspruenglich die Apostel gleich-
berechtigte Brueder und der Stammapostel nur der primus inter pares (der
Erste unter Gleichgestellten), so ist er jetzt als Herr auch ueber die
Apostel gesetzt. Es ist die Entwicklung von einer feudal-aristokratischen
Verfassung zur absoluten Monarchie ... Die Apostel sind dem Stammapostel
vollkommen hoerig ..."
"Die dem Stammapostel zugeschriebenen Amtsvollmachten stellen die des
Papstes weit in den Schatten. Es gibt fuer die Qualitaeten, die dem Stamm-
apostelamte zuerkannt werden, kaum eine Parallele in der christlichen Ge-
schichte; nur im Bereich der extrem schwaermerischen Religiositaet ist
eine aehnliche Summierung zu beobachten, aber mit dem grossen Unterschied,
dass hier nie ein 'Amt' als solches bezeichnet wurde ..."
"Nach der neuapostolischen Ordnung sind die Apostel dem Stammapostel als
dem absoluten Herrscher untertan; Rebellion gegen ihn ist gleichbedeutend
mit Auflehnung gegen den Heiligen Geist und hat den sofortigen Verlust
aller geistlichen Vollmachten zur Folge. Wiederum nach neuapostolischer
Auffassung entsprach in der Apostelschar Christi die Stellung des Petrus
der des heutigen Stammapostels. Tatsaechlich kennt aber das Neue Testament
eine solche Rangstufe nicht. Es ist uns auch nirgends ein Wort etwa von
Paulus oder Johannes ueberliefert, das da ausspricht, dass sie ohne den
Stammapostel Petrus nichts tun koennten. Eigentlich muessten die Neuapos-
tolischen heute noch den Paulus feierlich aus dem Kreis der Urapostel aus-
stossen. Denn er benahm sich ganz ungehoerig gegen seinen 'Stammapostel'
Petrus. Er suchte naemlich durchaus nicht nach dem Vorbild der heutigen
Apostel eine moeglichst enge persoenliche Verbindung mit Petrus. Im Gegen-
teil, nach dem Damskuserlebnis zog er nach Arabien, statt stracks 'gen Je-
rusalem zu denen, die vor mir Apostel waren', zu reisen (Galater 1, 17).
Erst nach drei langen Jahren suchte er Petrus in Jerusalem auf und blieb
fuenfzehn Tage bei ihm. Dann ging er auf seine Missionsreisen. Zwischen der
ersten und der zweiten Missionsreise traf er ein einziges Mal mit der
'Aposteleinheit' in Jerusalem zusammen (Apostelgeschichte 15). Am Ende der
zweiten Missionsreise aber leistete er sich gar eine Rebellion gegen Petrus,
die jeden Neuapostolischen hell empoeren muesste: In Antiochien kam es zu
einer scharfen oeffentlichen Auseinandersetzung; Paulus widersprach dem
Petrus und bezeichnete sein schwankendes, schwaechliches Verhalten gegen-
ueber den Heidenchristen als Heuchelei (Galater 2, 11 ff.). Wie, hatte er
nicht begriffen, dass er seinem Stammapostel striktem Gehorsam schuldig
ist, weil das Stammapostelamt doch eine 'von Gott gegebene Ordnung' ist?
Ist ein Apostel, der oeffentlich seinen Stammapostel kritisiert, noch ein
gottgefaelliger Apostel? Eigentlich haette den Paulus fuer diese Rebellion
Tod und Verderben treffen muessen; denn das ist nach neuapostolischer Lehre
die Folge eines Widerspruchs gegen dem Stammapostel. Warum wurde aber aus-
gerechnet das Werk von Paulus am meisten von Gott gesegnet?"
(Aus Kurt Hutten: "Seher, Gruebler, Enthusiasten.")

Dass die Fuehrung der Neuapostolischen Kirche "am Tag von Potsdam" sich
mit jenem Geist vermaehlte, das beweisen System, Organisation und Unduld-
samkeit der Herrscher. Aeussere Erfolge und Massen-Aufmaersche zu Gottes-
diensten sind noch kein Beweis, dass der Geist Gottes, der Geist der Wahr-
heit und der Liebe, dem Werke zu Gevatter stehen. Wenn daneben Brueder zu
Unrecht leiden, gemassregelt und gefoltert werden, so sind das nur Erschei-
nungen jenes Geistes, die jene in Konzentrationslager und Gaskammern fuehr-
te, die nicht ganz hundertprozentige "Linie" hielten.
Von der "seelischen Robustheit" des Stammapostels zu reden, muesste vielen
Neuapostolischen wie Gotteslaesterung klingen. Um der Wahrheit willen aber
sei hier bezeugt, dass dieser Ausdruck fuer den, der die "gross' Macht und
viel' List" Frankfurts erlebte, als ganz vornehm und gelinde empfunden wird.
Die Wochenzeitung "Frankfurter Laterne" (vom 27. April 1935) trug einen
fetten Titel ueber die ganze Zeitung: "Skandaloese Eigenmaechtigkeiten der
Apostelfamilie Bischoff in der Neuapostolischen Gemeinde." Aus einer ganzen
Zeitungs-Seite seien nur die wenigen Punkte entnommen: "Wahr ist, dass der
Stammapostel Bischoff und sein Sohn, der Grossbuchdruckereibesitzer und
Charakter-Evangelisten Fritz Bischoff, wenn er in der Gemeinde Eckersheim
am 7. September die 'Frohe Botschaft' verkuendete: 'Unser Schwert ist ge-
schaerft, und da kann es mal um die Ohren geben, wenn jemand den Stamm-
apostel angreift!' (Damals wurde gerade viel der sonderbare Verkauf 'Haus-
druckerei' von den Gemeindegliedern kritisiert.)"
Zufolge der "seelischen Robustheit" haben Apostel, Bischoefe, Aemter und
Glieder schon bedeutende Schlaege erlitten. Tatsaechlich hat der Stamm-
apostel der Neuapostolischen seine Besucher schon angedonnert, wie das
kasernenhofmaessig ueblich, von einem geistlichen Herrn aber unverstaend-
lich und taktlos ist. Man wird dabei an Diktatoren-Allueren erinnert. Von
einem Sendboten Jesu jedoch duerfte ein anderes Verhalten erwartet werden,
speziell in der Behandlung seiner engsten Mitarbeiter und Amtsbrueder.
Bedeutungsvoll ist der Hinweis des Buches auf das alte und das neue Lehr-
buch. Die Apostelversammlung hatte beschlossen, dass der damalige Stamm-
apostelhelfer Kuhlen das "Frage- und Antwortbuch" neu bearbeiten und vor
dem Druck allen Aposteln unterbreiten soll. Der Sohn des Stammapostels
- damals noch lange nicht im Apostelkollegium - empoerte sich ueber das,
was die Apostel beschlossen. Er erklaerte, dass er, Fritz Bischoff, diesen
Katechismus bearbeiten werde, und er hat ihn auch "bearbeitet". Sogar an
das Glaubensbekenntnis hat er sich herangewagt. Im vierten Glaubensartikel
hiess es, dass der Herr Jesus seine Apostel gesandt hat "gleich wie er vom
Vater in die Welt gesandt ist ... Dies liess der sich schon damals ueber
die Apostelversammlung (und seinen Vater!) hinwegsetzende Fritz Bischoff
wegfallen, denn wenn jeder Apostel von Jesus gesandt waere "gleich wie er
vom Vater gesandt ward", dann waere ja alles ganz urchristlich geblieben
und der "grosse Petrus" waere neben Paulus auch gar nicht zur Entfaltung
gekommen. Jeder Apostel haette dann die Erlaubnis gehabt, sich mit Jesu
direkt zu verbinden - nicht nur auf dem Umwege via Petrus!
Paulus hat nicht geschrieben, dass ein jeder zu glauben, zu beten und zu
hoffen habe wie der Petrus, sondern er schrieb: "Du aber bist nachgefolgt
meiner Lehre (nicht der des Petrus!), meiner Weise, meiner Meinung,
meinem Glauben, meiner Langmut, meiner Liebe, meiner Geduld ..."
(2. Timotheus 3, 10). Ferner schreibt der grosse Voelkerapostel: "Ein jeder
sei gesinnet, wie Jesus Christus auch war." - Danach lasst uns streben!

og


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