Geschichte der Sekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1. Die alten Irvingianer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
2. Die deutschen Irvingianer (Geyerianer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
3. Die Neu-Irvingianer (Krebsianer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Hauptlehre und Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
1. Apostelamt. Jesus Christus. Heilige Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . 39
2. Legitimation der Apostel durch die Heilige Schrift . . . . . . . . . . . 46
3. Legitimation der Apostel durch ihre Erfolge . . . . . . . . . . . . . . . . 53
4. Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
5. Die andern Aemter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Feier der Gottesdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
Die Sakramente und kirchlichen Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
1. Taufe und Versiegelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
2. Das heilige Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
3. Konfirmation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
4. Trauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Die sieben Geistesgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Stellung zum evangelischen Glaubensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
Lehre von den letzten Dingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
Ihr Liebes- und Gemeinschaftsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
Stellung zur Kirche und Auftreten nach aussen . . . . . . . . . . . . . . . 108
Unser Verhalten gegenueber den Neu-Irvingianern . . . . . . . . . . . . 117
Unter den Sekten der Neuzeit tun sich die Neu-Irvingianer, welche sich selbst "apostolische Gemeinde" nennen, durch eifrige Taetigkeit, Andersdenkende zu gewinnen, besonders hervor. Sie bilden eine Abzweigung der alten Irvingianer oder der "katholisch-apostolischen Gemeinde", sind aber, da sie von den alten Irvingianern nur als Nachfolger exkommunizierter Maenner betrachtet werden, voellig von ihnen getrennt, in Lehre, Verfassung und Gottesdienst anders geartet und ueben mehr als jene auf die urteilslose Menge einen bedeutenden Einfluss aus. Waehrend die katholisch-apostolische Gemeinde, nachdem sie nunmehr alle ihre neu erstandenen englischen Apostel durch den Tod verloren, ein ruehrend Bild stiller, inniger Erwartung des Herrn bietet, den Gottesdienst kuerzt, die Evangelisten-Predigt fortlaesst, eine Versiegelung der Glaeubigen nicht mehr vornimmt und sich nicht anders mehr zu troesten weiss als mit der "Stille in dem Himmel bei einer halben Stunde" (Offb. 8, 1), ruehmt sich die apostolische Gemeinde der Neu-Irvingianer ihrer allerneusten Apostel und geht als kraeftiger Irrtum durch die Welt. Zu ihrem Verstaendnis notwendig ist die G e s c h i c h t e des "apostolischen Werkes" im neunzehnten Jahrhundert, denn die Neu-Irvingianer koennen und moegen den Zusammenhang mit der alten englischen Bewegung nicht leugnen. Es kommt jedoch die Geschichte dieser Bewegung fuer uns nur insoweit in Betracht, als sie zum Verstaendnis und zur Beurteilung der Neu-Irvingianer erforderlich erscheint.
Die Entstehung des "apostolischen Werkes" wird von den Neu-Irvingianern wie bei den alten fast stereotyp folgendermassen dargestellt: "Durch den Geisterkampf, der am Schlusse des 18. Jahrhunderts in der ganzen Christenheit entbrannte, besonders in Europa durch die Erweckungen in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts, erwachte in der glaeubigen Christenheit die lebendige Hoffnung auf die baldige Wiederkunft Jesu Christi; man erkannte, dass die grossen geistigen Bewegungen und Stuerme, die Revolutionen, Kriege, zunehmende Gottlosigkeit und Bosheit die Vorboten der letzten Zeit seien." Besonders in England achtete man am Anfang des 19. Jahrhunderts auf die Zeichen der Zeit, und aus Geistlichen und Laien verschiedener Kirchen bildete sich ein Verein von glaeubigen Forschern, welche sich dem Studium der Propheten und der Offenbarung Johannis widmeten, in Gebeten ueber das Verderben der Kirche klagten und um eine Erneuerung und Belebung, um eine neue Ausgiessung des heiligen Geistes, um eine Erweckung der geistlichen Gaben flehten. Sie hielten in den zwanziger Jahren den 19. Jahrhunderts eine Zusammenkunft in dem Schlosse zu Albury, dessen Besitzer Henry Drummond, ein frommer und reicher Bankier, die gastfreundlich aufnahm.
Zu diesem Kreise geheorte auch Edward Irving, der, 1792 zu Annan in Schottland geboren, damals Prediger der schottischen oder kaledonischen Gemeinde in London war. Durch seine eigenartigen und erschuetternden Predigten hatte er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, und je mehr er von dem Kreise jener Maenner beeinflusst wurde, "predigte er maechtig von dem babylonischen Zustand der Kirche, von den nahenden Gerichten, von der Zukunft des Herrn und der darauf folgenden Aufrichtung seines Reiches." Da "antwortete Gott auf das Flehen seiner Knechte" im Jahre 1830 und schenkte zunaechst einigen Mitgliedern der reformierten schottischen Kirche in Port Glasgow am Ufer des Clyde geistliche Gaben. In Hausandachten und Gebetsversammlungen empfingen sie, wie es heisst, Worte der Weissagung und Reden in Zungen und Visionen und die Gabe gesund zu machen. Von letzterer Gabe werden vereinzelte Faelle erzaehlt, in denen ein Schiffszimmermann James Macdonald an zwei schwindsuechtigen jungen Maedchen gewirkt, doch hat sich dieser Mann, von dem spaetere Wundertaten nicht mehr berichtet werden, der irvingianischen Bewegung nicht angeschlossen. (1) Kolde: Edw. Irving S. 57 f.)
Als Irving und seine Freunde von dieser "Geistesausgiessung" hoerten, hatten sie den lebhaften Wunsch, Aehnliches auch in London zu erleben, und nachdem sie einige Freunde nach Schottland geschickt hatten, welche die wunderbaren Ereignisse in Port Glasgow "pruefen" sollten, hatten sie die Freude, auch in ihren Gebetsversammlungen unverstaendliche Laute der Verzueckung und dann auch in prophetischem Geiste klar gesprochenen Worte wie "der Herr will sprechen zu seinem Volk, der Herr kommt" zu vernehmen. Fuer Irving war es kein Zweifel, dass diese Aeusserungen direkt von Gott gewirkt waren, und so wurden sie mit seiner Zulassung nicht bloss in Gebetsversammlungen, sondern auch in seiner Kirche waehrend des Gottesdienstes laut, und zwar zuweilen so furchtbar, dass Zuhoerer davon Ohnmaechtig wurden. Das schottische Presbyterium sah sich darauf veranlasst, im Jahre 1832, da guetliche Vorstellungen nicht wirkten, Irving wegen Zulassung der Stoerung des Gottesdienstes aus der kaledonischen Kirche zu verweisen. Jetzt sammelte Irving die Seinen in einem Privatlokal, und 60 junge Maenner aus Irvings Gemeinde gingen aus, um in den Strassen der Stadt das Evangelium zu predigen und die, welche durch ihr Wort ergriffen wurden, hereinzufuehren. So entstanden mit der Zeit sieben Gemeinden in London, (2) Thiersch: "Ueber die Gefahren etc." S. 69.) eine Nachbildung der sieben Gemeinden der Offenbarung Johannis (1, 4 ff.). Die religioese Begeisterung, aber auch mancherlei Unordnung stieg aufs hoechste. Unangenehme Schlaege fuer die Bewegung waren Aeusserungen anerkannter und hochverehrter Propheten, dass sie in Selbsttaeuschung geredet. So sprach der hochverehrter Prophet Baxter die Ueberzeugung aus, dass er wie alle andern durch einen Luegengeist und nicht durch den Geist Gottes gesprochen haette, und eine Miss Hall, welche im Geiste gesungen hatte, kehrte der Bewegung den Ruecken. (1) Kolde: Edw. Irving S. 62 u. 66.) Kein Wunder, dass man sich nach einem ordnendem Amte, einer entscheidenden Autoritaet sehnte. Sie fand sich bald. Weil Eph. 4, 11 steht: "Er hat etliche zu Aposteln gesetzt, etliche aber zu Propheten, etliche zu Evangelisten, etliche zu Hirten und Lehrern," war man der Meinung, dass nur durch Aufrichtung des vierfachen Amtes und insbesondere des Apostelamtes der Kirche geholfen werden koenne. Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer, nach Offenbarung Johannis Engel genannt, hatte man bereits; jetzt kamen die Apostel. In einer Gebetsversammlung, welche am 7. November 1832 bei Irving stattfand, wurde der Advokat John Cardale in London von dem uns bereits bekannten Drummond "durch ein maechtiges Wort der Weissagung" als Apostel bezeichnet. Cardale lag gerade auf den Knien in heissem Gebet fuer die Kirche Gottes. Da ward Drummond "vom heiligen Geist getrieben, an ihn heranzutreten und ihn in der Kraft des heiligen Geistes anzureden: "Bist du nicht ein Apostel? Tue eines Apostels Werk!"" (2) v. Richthofen: Die apostolischen Gemeinden. Augsburg 1884. S. 42.) Dieser Vorgang gilt bei den Irvingianern als die Berufung des Apostels durch Gott den Herrn! Bald kamen im Lauf der Jahre auf aehnliche Weise zu diesen ersten Apostel andere. Der Mann, welche der Bewegung den groessten Dienst getan, Irving, ist niemals Apostel geworden, ja man hatte und hat noch heut das Bestreben, um die Sache nicht als das Werk eines bedeutenden Menschen, sondern ausschliesslich als Gottes Werk erscheinen zu lassen, Irving in den Hintergrund zu draengen. Irving bekam auch die Macht des neuen Apostolats bald zu fuehlen. Als er ohne besondere Genehmigung der Apostel auf ein prophetisches Wort des in hoechsten Ansehen stehenden Propheten Taplin in seiner Gemeinde eine kirchliche Neuordung vornehmen wollte, wurde ihm gesagt, dass "er nicht verstehe, die Weissagung in die kirchliche Praxis zu uebersetzen", ja einmal kuendigte ihm ein Brief des Apostels Cardale an, "dass er wie der Prophet Taplin vom Satan getaeuscht waere, dass sie oeffentlich anerkennen sollten, dass sie aus Missverstand gesuendigt un dem Herrn widerstrebt haetten." (1) Kolde: Edw. Irving S. 78. Rossteuscher: Der Aufbau. S. 424 ff.) Und doch war auf prophetischen Ruf das Apostolat gekommen! Wie, wenn auch da Taeuschung des Satans vorlag, was ist's dann mit dem ganzen Apostolat der Neuzeit? Das Apostolat durch Propheten, und die Propheten der Taeuschung unterworfen!
Irving blieb ein gehorsamer Sohn der Apostel, obgleich er sich das Wirken derselben zuweilen anders gedacht; aber seine Koerperkraft war allem, was er erlebt, und seiner aufreibenden Taetigkeit nicht gewachsen, und frueh gealtert starb er am 8. Dezember 1834 wenige Monat ueber 42 Jahre alt.
Nach Irvings Tode nahm das apostolische Werk stuermisch Fortgang. Da die Zwoelfzahl der Apostel noch nicht voll war, wurden die noch fehlenden sechs durch den aeltesten Apostel berufen, und am 14. Juli 1835 geschah die "Aussonderung der zwoelf Apostel". Sie, die bisher als Engel in den verschiedenen Gemeinden gedient hatten, sollten von ihrer oertlichen Gebundenheit frei werden und allein ihrem apostolischen Beruf fuer die ganze Kirche obliegen. Nach dieser Aussonderung zogen sich die Apostel auf ein Jahr nach Albury zurueck, wo sie die Heilige Schrift lesen und durch gegenseitige Belehrung eines Sinnes werden wollten und wo ihnen durch sieben beigeordneten Propheten "Stroeme von Offenbarungen" zuflossen. "Die ganzen Geheimnisse der Kirche und ihre Bestimmung, der Gottesdienst, die Disziplin, alles wurde ihnen aus der Stiftshuette (durch geistliche Deutung derselben) durch die Weissagung erklaert." (2) Thiersch: S. 71.)
Am 15. Juli 1836 wurde die Christenheit unter die zwoelf Apostel g e t e i l t, indem jedem dieser "Fuersten des geistlichen Israel" ein Stamm zugewiesen wurde. So bekam Cardale England, das geistliche Juda, Carlyle Norddeutschland, Woodhouse Sueddeutschland und Oesterreich. Zunaechst liessen die neuen Apostel ein Testimonium ausgehen an die Patriarchen, Erzbischoefe und Bischoefe und anderen Vorsteher der Kirche Christi in allen Landen und an die Kaiser, Koenige, Fuersten und anderen Regenten der getauften Nationen, "ein Zeugnis von den kommenden Gerichten und den Ratschluessen Gottes zu unserer Errettung", das jedoch nicht beachtet, die Irvingianer sagen: nicht "gewuerdigt" wurde. Dann begaben sich die Apostel in Begleitung von Propheten, Evangelisten und Hirten in die ihnen zugeteilten Gebiete, um "wie Josua und seine Genossen das verheissene Land zu erkunden und die offenen Seiten herauszufinden, durch welche den Laendern die goettliche Botschaft zugefuehrt werden konnte." (1) Rossteuscher: S. 484.) Nachdem sie 1838 zurueckgekehrt und 1839 von neuem ausgezogen waren, wurden sie am Ende dieses Jahres ploetzlich von ihrem Senior Cardale nach London zurueckgerufen, weil schwerwiegende Streitigkeiten ueber das Ansehen der Apostel ausgebrochen waren. Mehrere "Engel" hatten, obwohl sie die apostolische Autoritaet anerkannten, unter Zustimmung von Propheten groessere Selbstaendigkeit in der Leitung der Gemeinden beansprucht, aber sie wurden abgewiesen, und es wurde ihnen gesagt, "dass die Lauterkeit des gesprochenen Wortes abhaengig sei von der inneren Reinheit des Induviduums, dass ein Prophet in einem unreinen Zustand nicht wahrhaft weissagen koenne, und dass es den Aposteln zustehe, endgueltig zu entscheiden, was wahre Prophetie sei und was nicht." (2) A. Nissen: Irvingianer oder evangelischer Christ? Leipzig 1900. S. 9.) Der Streit wurde noch einmal beigelegt, hatte jedoch die Folge, dass einer der Apostel, Mackenzie, welcher fuer Norwegen und Schweden bestimmt war und "nach der Aussonderung vergeblich auf eine neue Ausgiessung des heiligen Geistes gewartet hatte, an seiner Apostelwuerde irr wurde und sich gaenzlich zurueckzog." (1) Herzogs Real-Enzyklopaedie 3. Aufl. Art. Irving (von Kolde). S. 432.)
Nach der Beruhigung der Gemeinden ging man an die Ausarbeitung einer Liturgie fuer die sonntaegliche Abendmahlsfeier, fuer den taeglichen Morgen- und Abenddienst und fuer die andern heiligen Handlungen und nannte sich fortan "k a t h o l i s c h - a p o s t o l i s c h e Gemeinde." Im Jahre 1847 fuehrte man die den Irvingianern eigentuemliche "Versiegelung" ein, eine Handauflegung seitens der Apostel, welche mit Offb. 7, 3 begruendet wurde und durch welche die Erstlinge aus der grossen Truebsal (Offb. 7, 9-17; 14, 1-5) errettet werden sollten.
In Deutschland breitete sich in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, zumal beguenstigt durch die Unruhe der Zeit, die Bewegung aus. Es fielen ihr von bekannteren Persoenlichkeiten zu: der Kreuzzeitungs-Redakteur Wagener in Berlin, der Professor Thiersch in Marburg, der Diakonus Rothe zu Trebbin und der Prediger Koeppen an der boehmisch-lutherischen Gemeinde in Berlin. Auch einzelne Adelige wie von Richthofen und von Pochhammer stellten sich in ihren Dienst. Ihrer Ausbreitung entgegen war bei den Gebildeten die gekuenstelte Bibeldeutung, bei der grossen Menge ihre Lehre vom Zehnten alles Einkommens, welchen nach alttestamentlichem Gebot jeder Glaeubige fuer Kirchenzwecke herzugeben hatte. Dazu kam, dass man bei der gluehenden Erwartung der Wiederkunft des Herrn bestimmte Termine seines Kommens wie der 14. Juli 1835, Weihnachten 1838, 14. Juli 1842, 1845, 1855 aufgestellt hatte, (2)Herzogs Real-Enzyklopaedie 3. Aufl. Art. Irving (von Kolde). S. 433 f.) und die nicht eingetretene Erfuellung gab jedesmal einen Rueckschlag. Bedenklich machte auch dies, dass gegen alle bestimmt ausgesprochene Erwartung die Apostel starben wie anderen Menschen. (3)Herzogs Real-Enzyklopaedie 3. Aufl. Art. Irving (von Kolde). S. 434.) So starben im Jahre 1855 Mackenzie, Carlyle und W. Dow; heute sind sie alle tot, sie, die doch zur Fuehrung der Kirche unumgaenglich notwendig sein sollten. Der letzte englische Apostel Woodhouse ist am 3. Februar 1901 gestorben.
Ein Teil der Irvingianer sah dies Geschick voraus und versuchte ueber die Zwoelfzahl der Apostel hinauszugehen, die gestorbenen durch neue zu ersetzen, obwohl die Apostel selbst dagegen waren. So kam es zu Neubildungen.
Es war im Jahre 1860, als das Apostel-Kollegium, damals nur noch sechs an der Zahl, in Albury zu einer Konferenz zusammenkam. Daran musste auch auf den Ruf seines Apostels Woodhouse der Berliner Prophet Heinrich Geyer teilnehmen. Dieser bezeichnete nun in Albury "durch Weissagung" den Koadjutor (1) In bezug auf Koadjutoren der Apostel (Apostelhelfer) hatten die Apostel am 28. Oktober 1852 folgenden Beschluss gefasst: "Jeder Apostel ist berechtigt, mit Gutheissung seiner Brueder einen geweihten Engel als seinen Koadjutor fuer den ihm anbefohlenen Stamm anzustellen." Von dieser Berechtigung wurde jedoch einstweilen kein Gebrauch gemacht, solange die Apostel sich noch imstande fuehlten, die ihnen obliegenden Aufgaben allein auszufuehren. Das wurde aber in dem Masse schwieriger, als die Zahl der Gemeinden sich mehrte und ihre eigene Zahl durch den Tod sich verminderte. Dadurch wurde ihnen die Wahl von Koadjutoren nahe gelegt. Dazu kam, dass gelegentlich durch Propheten Worten an einzelne Maenner gerichtet wurden, in welchen die Apostel eine Berufung zur Stellung von Koadjutor der Apostel erkannten. Das erste Wort derart wurde am 7. Juli 1859 durch den Propheten Taplin an Herrn Charles Boehm gerichtet; auf Grund dessen wurde Herr Boehm im September 1859 zum Koadjutor des Apostels fuer Norddeutschland gewaehlt. Im August 1865 wurde Herr Caird zum Koadjutor berufen und im Dezember 1865 als solcher gewaehlt. Dies nach guetiger Mitteilung des Vorstehers der katholisch-apostolischen Gemeinden Berlins, Herrn Karl Rothe, der seine Mitteilung urkundlich zu belegen imstande ist.) Charles Boehm als Apostel fuer Deutschland und den Evangelisten Caird als Apostel fuer Frankreich. Die versammelten Apostel erteilten dazu nicht die Zustimmung, gaben wielmehr unter Berufung auf Offb. 4, 4, wo nur von 24 Aeltesten, nach ihrer Deutung 12 Aposteln am Anfang und 12 am Ende der Zeit, die Rede sei, ihren Spruch dahin ab, dass sie neue Apostel in ihren Kreis nicht mehr aufnehmen koennten. Die Frage einer etwaigen Berufung neuer Apostel war von ihnen schon im Jahre 1855, als einige aus ihrer Mitte durch den Tod weggenommen wurden, "reiflich erwogen," und sie waren dabei zu folgendem Schluss gekommen: "dass fuer einen solchen Schritt (d. h. die Ausfuellung der Stellen abgeschiedener Apostel durch andre) keine Ermaechtigung in der Heiligen Schrift gegeben ist, dass das Beispiel des Judas, der durch Uebertretung fiel, hierher nicht passt, dass sie also nicht gutheissen auch nicht selbst ergreifen koennen die Initiative eines Versuchs zur Ausfuellung der Stelle eines berufenen und ausgesonderten Apostels, der durch den Tod hinweggenommen worden; dass sie also diese Sache dem Herrn ganz anheimstellen und sich damit begnuegen muessen, mit desto groesserem Fleiss zu arbeiten, damit sie von ihm am Tage seiner Erscheinung als treue Knechte anerkannt werden moegen." (1) Nach Mitteilung des Herrn Karl Rothe in Berlin.) Geyer beruhigte sich scheinbar bei dem Abweis seiner Apostelrufungen.
Bald sollte ein zweites Moment des Aergernisses eintreten. Im August 1861 begleitete Geyer seinen Apostel Woodhouse auf einer Dienstreise nach Koenigsberg in Preussen. Beide wohnten bei dem dortigen Aeltesten Rozochacki. (2) Sprich: Rosochatzki. Nach guetiger Mitteilung des Herrn Pastors G. Beitmann in Luetgendortmund ist Rozochacki die richtige Schreibweise. Die Neu-Irvingianer schreiben: Rosochasky, Koehler: Rosagatzki) Als der Apostel bereits nach seinem Zimmer gegangen war, so berichtet Koehler (S. 133), fragte Geyer den Rozochacki, ob er wohl wuesste, dass fuer die Anfuellung des Apostolats gebetet wuerde, und lud ihn ein, sich dazu mit ihm im Gebet zu vereinigen. Rozochacki, welcher nichts von dem ersteren wusste, war zu dem letzteren gleich bereit und wurde waehrend des Gebetes durch den Propheten Geyer "in seiner Macht" zum Apostel gerufen. Der also Gerufene, ausser sich vor Erregung und Freude, wollte den Apostel Woodhouse, welcher sich noch nicht zur Ruhe begeben hatte, von diesem Vorfall sogleich in Kenntnis setzen; Geyer jedoch hielt ihn zurueck. Die Zeit des Offenbarmachens waere noch nicht da, sie muessten beten, dass sie bald kommen moechte.
Und sie kam bald, naemlich bald nach der Amtsentsetzung Geyers. Die Veranlassung dazu lag in folgendem. Im Jahre 1862 hatte Geyer in einer Berliner Gemeinde nach Verlesung von Sprueche 26, 24-26 die Weissagung gebracht, "dass der Boshaftige in den sieben Greueln vor der Gemeinde offenbar werden" solle. Der Engel Rothe fragte Geyer, ob er denn nicht der apostolischen Lehre glaubte, dass die Gemeinde v o r h e r aufgenommen werden sollte, aber Geyer weigerte sich und wurde nun wegen Irrlehre seines Amtes entsetzt.
Von diesem Vorfall machte Geyer dem Engel Schwarz in Hamburg, den er in Bezug auf die Anfuellung des zwoelffachen Apostolats als gleichgesinnt erkannt und und im Widerstreit mit dem Ober-Engel Rothe in Berlin erfunden hatte, (1) Die "Waechterstimmen" (Nr. 5) berichten, "dass Schwarz dafuer strebte, dass der Gemeinde die Vollzahl der Aemter gegeben wuerde, Eph. 4, 11-13." Waehrend kleinere Gemeinden dieselbe schon hatten, waere sie der grossen Gemeinde in Hamburg durch den Ober-Engel Rothe verweigert worden. Was fuer fehlende Aemter gemeint sind, wird nicht berichtet.) Mitteilung. Schwarz riet ihm, sich zu unterwerfen, aber Geyer liess nun a Schwarz die weitere Mitteilung folgen, dass durch seinen Mund in Koenigsberg Rozochacki zum Apostel berufen sei. Als Schwarz sich an beide, Rozochacki wie Geyer, mit der Bitte wandte, ihm bei dem lebendigen Gott zu schwoeren, ob dieser Ruf wirklich von Gott waere, bekam er Anfang Dezember 1862 von ihnen die Versicherung, dass dem so waere. Nun nahm er Rozochacki im Glauben als Apostel an, teilte dies seiner Gemeinde mit, nachdem er sie einen Monat lang durch seine Predigt darauf vorbereitet hatte, liess Anfang Januar 1863 Rozochacki und Geyer nach Hamburg kommen und trennte sich in ihrer Gegenwart, indem er sein Amt als Hilfsengel niederlegte, mit seiner ganzen gemeinde, nur drei Mitglieder ausgenommen, von der Gemeinde zu Berlin. (1) S. Koehler: Het Irvingisme. S. 133 ff.)
Schon schien es, als waere die Absonderung vollendet, da ereignete sich das Merkwuerdige, dass Rozochacki zum Zweifel an seiner Apostelwuerde und zum Gestaendnis gebracht wurde, dass er g e i r r t habe. Man nahm den Bussfertigen wieder auf in sein altes Amt. Fuer die Hamburger Gemeinde aber, welche ohne Apostelgrund in der Luft schwebte, ergab sich nun die Notwendigkeit, es zu versuchen, die Verbindung mit Berlin und dem alten Apostolat wiederherzustellen. Im Einverstaendnis mit der Hamburger Gemeinde ging Schwarz in Februar nach Berlin, um dort mit Rothe ueber eine Wiedervereinigung zu unterhandeln. Rothe verlangte nichts weniger, als dass Schwarz mit der Hamburger Gemeinde die Geyersche Berufung Rozochackis als Teufelswerk erklaeren sollte. Darein moechte Schwarz nicht willigen, weil er nichts wider den heiligen Geist tun wollte und an die Vollzahl der Aemter wie an die Fortsetzung des zwoelffachen Apostolats glaube. Er wollte nach Hamburg zurueckreisen, aber Thiersch bat ihn, noch zu bleiben, da der Apostel Woodhouse ihn und Geyer am folgenden Abend in der Sakristei sprechen wolle. Er kam mit Geyer, und der Apostel Woodhouse las ihnen nun die Exkommunikation vor. (2) "Waechterstimmen" Nr. 5 und Koehler.) So waren sie feierlich aus der Gemeinde ausgeschlossen und abgefertigt.
Schwarz reiste nach Hamburg zurueck, wo alsbald die Gemeinde zusammenkam und beschloss, "so lange ohne Apostel zu bleiben, bis der Herr sie geben wuerde."
Eine Sendung des Evangelisten Ruehrmund nach Hamburg, welcher die Gemeinde aus Schwarzens Haenden retten sollte, hatte keinen Erfolg. Somit war d a s S c h i s m a v o l l e n d e t. Die neue Gemeinde bekam auch bald ihren Apostel, denn nach wenigen Monaten wurde der Priester Preuss in Hamburg durch Geyer ins Apostelamt berufen und von Schwarz und der Gemeinde angenommen. Ihm wurde als Apostelgebiet Norddeutschland und Skandinavien zugewiesen, waehrend der am Pfingsfeste desselben Jahres (1863) zum Apostel berufene Schwarz, der spaeter seine eigenen Wege ging, sich von der Hamburger Gemeinde trennte und mit Krebs in Verbindung trat, Holland und Belgien bekam. Preuss starb am 25. Juli 1878, und sein rechtmaessiger Nachfolger im Apostelamt wurde Gueldner, welcher bereits zu Lebzeiten von Preuss durch Geyer zum Apostel berufen war und dann am 4. August 1878 ausgesondert wurde, d.h. als Wirkungskreis das durch Preuss's Tod erledigte Apostelgebiet Norddeutschland und Skandinavien erhielt. Er ist am 31. Maerz 1904 gestorben.
Die im Jahre 1863 gebildete Gemeinde mit dem deutschen Apostel Preuss und dem Propheten Geyer nannte sich fortan im Unterschied von den katholisch-apostolischen Gemeinden der englischen Irvingianer "allgemeine christliche apostolische Mission." Da manche an dem Wort "katholisch" der alten Ordnung Anstoss nahmen, verdeutschte man es zu "allgemein-christlich," und da zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass die apostolische Sache nicht "d i e Kirche," auch nicht eine Kirche in der Kirche sei, sondern vielmehr eine Sendung an die Kirche, entstand in Hamburg die Bezeichnung "apostolische Mission." Es ist daher diese Gemeinden eine "Apostolische Missionsgemeinde," welche "apostolische Mission" betreibt.
Die Seele dieser Bewegung war Heinrich Geyer, weshalb auch seine Anhaenger von der "alten Ordnung", "Geyerianer" genannt wurden. Er selbst ist nie Apostel geworden, wie es nach der Lehre der "Apostolischen Mission" auch gar nicht angaengig ist, dass von den "beiden Grundaemtern", dem Apostel- und Prophetenamt, das eine ins andere uebergehen koennte.
Am 4. Oktober 1896 ist Geyer, einige 70 Jahre alt, gestorben und auf dem Olsdorfer Friedhof beerdigt. Er war ein begabter Mann und gebot ueber einen reichen Schatz der deutschen Sprache, eine schoene Diktion. Von seinen vielen, von ihm herausgegebenen Wochen- und Monatsblaettern, welche manches Erbauliche und Interessante erhalten, im Buchhandel aber leider nicht mehr zu haben sind, nenne ich, damit sie nicht der Vergessenheit anheimfallen:
1. "D i e M o r g e n r o e t h e." "Ein christliches Sonntagsblatt fuer Stadt und Land," Druck und Verlag von G. Jansen on Berlin, Juedenstrasse 28, erschienen in den Jahren 1860 bis 1863. Dies Blatt schrieb Geyer, als er noch mit der "alten Ordnung" zusammen arbeitete. Es hatte einen sehr grossen Leserkreis in allen apostolischen Gemeinden Deutschlands. Als aber Geyers Exkommunikation erfolgte, wurde, wie berichtet wird, allen Gemeinden bei Strafe der Exkommunikation verboten, die "Morgenroethe" weiter zu lesen. So folgte:
2. Der "S e n d b o t e". "Frische Blaetter und Fruechte vom Baume des Lebens zur Gesundheit des christlichen Volkes. Ein Sonntagsblatt fuer Stadt und Land," in Kommission bei G.E. Nolte (Heroldsche Buchhandlung) in Hamburg, Rathausstrasse 5, erschienen in den Jahren 1863-1865.
3. "A b e n d- u n d M o r g e n r o t d e r K i r c h e C h r i s t i, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Beleuchtet im Lichte des Wortes Gottes und an der Hand der Geschichte. Monatsblaetter fuer denkende Christen und Geistliche aller Konfessionen." Im eigenen Verlag des Herausgebers, gedruckt in Salzgitter bei Karl Witt. 1874, vielleicht auch weitere Jahre.
4. "D e r S a e m a n n. Monatsblatt fuer haeusliche Erbauung und christlichen Religions-Unterricht der Kinder." Redaktion und Verlag von Heinrich Geyer, Missionsprediger in Hamburg. Druck von Karl Witt in Salzgitter. 1878-1879.
5. "D e r P r e d i g e r i n d e r W u e s t e. Monatsblatt. Eine Waechterstimme an alle Christen, zur Vorbereitung auf die Wiederkunft unsers Herrn Jesu Christi." Expedition und Verlag von H.W. Lehsten, Hamburg, Jollenbrueck 4. Erschien zuerst Oktober 1887 bis September 1888.
6, "B l i t z e , D o n n e r u n d S t i m m e n. Zeugnisse der Wahrheit an das christliche Volk." Monatsblatt. Expedition und Verlag wie bei Nr. 5, erschien Januar 1891 bis Juni 1892.
Die Rechtfertigung seines Werkes, der Rufung deutscher Apostel, hat Geyer in einer Broschuere "Vergangenheit und Zukunft der Kirche Christi," erschienen 1889 bei H.W. Lehsten in Hamburg, darzulegen gesucht.
Sein eigenartiges Auftreten hing mit der Befuerchtung zusammen, dass das apostolische Werk in eine Sackgasse geraten wuerde. Er sah die alten englischen Apostel hinsterben und fand bei der Berufung neuer Apostel Widerstand. Man wollte ueber die Zwoelfzahl nicht hinausgehen und war daran auch gehindert durch die lebendige Hoffnung, dass die jetzt lebenden Menschen, d i e s e Apostel, die Kirche dem Herrn Christo wie eine reine Jungfrau zufuehren wuerden, dass die Auserwaehlten vor der grossen Stunde der Versuchung dadurch errettet werden sollten, dass sie von der Erde hinweg in den Himmel entrueckt wuerden. Es erschien ihnen wohl wie ein Aufhalten der Wiederkunft des Herrn, wenn sie neue Berufungen von Aposteln zuliessen, Geyer hatte sich von der Unhaltbarkeit der Entrueckungslehre und ihrer Hinderung, neue Apostel zu berufen, ueberzeugt und brachte 1862 in der Berliner Gemeinde die bekannte Weissagung, "dass der Boshaftige in den sieben Greueln vor der Gemeinde offenbar werden" sollte. Der Widerruf wurde ihm nahe gelegt, aber nach seiner Ueberzeugung konnte und wollte er nicht widerrufen. So folgte die weitere Entwicklung, wie sie oben geschildert ist.
Die Berechtigung aber, neue Apostel zu rufen, leitete Geyer aus Apostelgeschichte 13, den Vorgaengen in Antiochien her, wo nach seiner Meinung die Berufung des Paulus und Barnabas durch das Wort der Weissagung aus dem Munde eines Propheten erfolgte, o h n e d a s s d i e u e b r i g e n A p o s t e l b e f r a g t w o r d e n w a e r e n; dazu stuetzte er sich, wie aus seiner Broschuere "Vergangenheit und Zukunft der Kirche Christi" zu ersehen ist, auf Aeusserungen anerkannter Lehrer der katholisch-apostolischen Gemeinde wie Thomas Carlyle und Charles W. T. Boehm, welche die Berufung der neuen, englischen Apostel durch das Wort der Weissagung zu rechtfertigen suchten. Nur wurde von Geyer uebersehen, dass der Apostel Paulus doch noch eine ganz andere, unmittelbare Berufung vom Herrn erhalten hatte (Apostg. 22, 21), dass er tatsaechlich auch die Anerkennung der uebrigen Apostel erhielt und dass nach der bisherigen Praxis in der katholisch-apostolischen Gemeinde die Apostel immer die Ausschlag gebende Instanz waren. So hatte sich auch der hochverehrte englische Saeulenprophet Taplin dem Spruch der Apostel "nach strenger Busszucht" unterworfen, (1) S. D. Kolde: Edward Irving. Leipzig 1901. S. 78.) und er selbst, Geyer, hatte noch 1860 nach Abweis seiner Rufungen in Albury den Widerstand der Apostel ertragen, sich gefuegt und sein Amt nicht niedergelegt.
Naturgemaess bildete sich bei ihm, dem Propheten, eine Hoeherstellung des Prophetenamtes, eine Gleichstellung mit dem Apostelamt heraus. So weisst er hin (2) "Vergangenheit und Zukunft der Kirche Christi." S. 5 und 6.) auf Eph. 3, 5, wonach "das Geheimnis Christi seinen heiligen Aposteln und Propheten offenbart ist durch den Geist", und folgert daraus, "dass das Amt der Propheten in der Kirche eine ebenso notwendige Bedingung" sei "als das der Apostel." Er weist hin auf Eph. 2, 19-22, "erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten" - und sagt dazu: "Gab Gott diesen beiden Aemtern der Kirche die Offenbarung seiner Ratschluesse und werden beide zugleich als die zwiefache Grundlage der Kirche bezeichnet, weil ein einzelnes Zeugnis nicht ausreichend ist, so geht daraus hervor, dass beide Aemter auch als unabhaengig eins vom andern, u n m i t t e l b a r vor Gott standen und ihre Offenbarungen als ein zwiefaches Zeugnis von ihm empfingen durch den heiligen Geist, dass jede Beeinflussung des andern hierbei unstatthaft sein musste, weil dadurch sofort der z w i e f a c h e Charakter gestoert und aufgehoben worden waere. Durch dieses zwiefache Zeugenamt geschah auch die Berufung und Sendung der Diener Jesu."
Aber wenn so die "zwiefache Grundlage" betont wird und dass "ein einzelnes Zeugnis nicht ausreichend" sei, dann liegt doch das Urteil nicht fern, dass bei dem Vorhandensein beider Grundaemter Geyers Zeugnis als e i n z e l n e s Zeugnis "nicht ausreichend" war, und es ergibt sich die nicht auszugleichende Spannung, dass zwei "unmittelbar vor Gott stehende Aemter" zur Zeit der Trennung zwei einander ausschliessende Offenbarungen empfingen; denn Geyer, der Prophet, sagt: "Gott hat neue, deutsche Apostel gegeben," Woodhouse aber und seine Mitapostel sagen: "Nein, nicht von Gott gegeben."
Auf seiten der "Apostolischen Mission" wird dagegen geltend gemacht, dass es mit der Berufung der durch Geyer berufenen deutschen Apostel um kein Iota anders zugegangen sei wie mit der Berufung der englischen Apostel, und die Praxis der katholisch-apostolischen Gemeinde, dass die zum Amt Berufenen durch die Apostel bestaetigt werden mussten, habe sich nur auf die Bestaetigung zu Priestern, Aeltesten und Bischoefen erstreckt, dagegen sei die Bestaetigung von Aposteln nie Praxis gewesen, ja das "zweite Zeugenamt," das Zeugnis der Apostel, sei bei der Berufung der Geyerschen A p o s t e l ueberfluessig gewesen. Aber wenn nun gesagt wird, dass die von Geyer gerufenen Apostel so wenig die Bestaetigung durch andere bedurft haetten, wie seiner Zeit der zuerst gerufene englische Apostel Cardale, der von einem andern gar nicht haette bestaetigt werden koennen, so ist doch zu statuieren, dass zu Geyers Zeit die Lage eben eine andere war. Denn zu Geyers Zeit war nach dem Glauben der Irvingianer im Apostolat das leitende, ordnende Amt vorhanden, welches bei der Berufung Cardales nicht vorhanden war, und es laesst sich geschichtlich feststellen, dass sich die englischen Apostel alle Rufungen neuer Apostel durch Propheten nicht ohne weiteres gefallen liessen, sondern das Recht der Bestaetigung in Anspruch nahmen. Bereits im Jahre 1860 in Albury waren Geyers Apostelrufungen abgewiesen - und das Recht der Abweisung schliesst das der Bestaetigung in sich - und ueber die Zeit der dreissiger Jahre des vorigen Jahrhunderts berichtet D. Kolde "Edward Irving" S. 77 ff.: "Ganz besonders skeptisch zeigten sich die Apostel gegen prophetische Ernennungen zu Aemtern oder gar zu Aposteln, welche Ehre einzelne Gemeinden ihren Gliedern zuzuwenden allzu eifrig schienen. Bisweilen wurde das Weissagen geradezu verboten."
Sagt man aber: "Gott machte einen neuen Anfang auf deutschem Boden," so sieht man Woodhouse als einen sich der Prophetie widersetzenden und als Irrenden an, und fuer alle die, welche sich nicht in die irvingianischen Gedankenkreise finden koennen, ergibt sich dann nur immer wieder der Schluss: Wenn die Apostel s o d e m G e i s t G o t t e s widerstreben und so wenig die Einheit der Kirche verbuergen koennen, welche sie nach der Meinung der Irvingianer doch gerade schaffen sollen, dann kann man von einer Wiederaufrichtung des Apostolats auch nicht eine besondere Erbauung des Leibes Christi erwarten.
Nach dem Gesagten liegt es auf der Hand, dass Geyers Gemeinde, die "allgemeine christliche apostolische Mission", eine Lehre von der Unfehlbarkeit der Apostel verwirft. Die Autoritaet derselben erstreckt sich nach ihrer Aussage "auf alles, was Leitung und Reinerhaltung der Lehre auf Grund der Heiligen Schrift anlangt," sonst aber stehen ihre Apostel und jeder der Diener, wie es so schoen und bildlich heisst, "nicht als die Herren des Glaubens da, sondern als Gehuelfen der Freudigkeit, und jeder Diener wuerde sich, auch wenn er alles getan haette, doch nur als einen unnuetzen Knecht vor Gott bekennen muessen."
Somit unterscheiden sich die Anhaenger der allgemeinen christlichen apostolischen Mission von der
katholisch-apostolischen Gemeinde nur darin, dass sie
1. die Berechtigung oder Notwendigkeit der Rufung neuer, deutscher Apostel in Anspruch nehmen,
2. dass sie die Lehre von einer vorherigen Entrueckung als unbiblisch verwerfen und
3. dass sie - ein Unterschied, der ihnen selbst nicht zum klaren Bewusstsein gekommen zu sein
scheint - das Propheten-Aamt dem Apostel-Amt gleichordnen.
Nach ihrer Meinung stehen sie auf dem urspruenglichen Boden der katholisch-apostolischen Gemeinde, denn aus Schriften und Predigten der englischen Apostel Drummond, Carlyle und Armstrong meinen sie beweisen zu koennen, dass, als der Tod in ihre Reihen Luecken riss, sehr wohl die Hoffnung und Erwartung bestanden hat, dass Gott die lebendigen Apostelstuehle wieder besetzen wuerde. Erst als das Seniorat auf den Apostel Woodhouse ueberging, habe man mit einem Mal die bis dahin gehegte Hoffnung fahren lassen. Auch die Entrueckungslehre haelt Geyer nicht fuer genuin "apostolisch" und beruft sich dabei (1) "Der Prediger in der Wueste," Monatsblatt. Hamburg 1888 S. 28 ff.) auf einen Vortrag des Propheten Eduard Taplin aus Albury, gehalten am 27. Mai 1851, in welchem jener es als seine eigene Meinung ausspricht, "dass der Boese noch erscheinen wird." Damals haetten die Apostel nicht protestiert, besonders erst seit 1863 sei die besondere Glaubenslehre der Entrueckung vorgetragen. So ist auch seine Polemik gegen die Entrueckungslehre, die er im 2. Teil seiner Schrift "Vergangenheit und Zukunft der Kirche Christi" gibt, neben den Ausfuehrungen Luthards (2) "Lehre von den letzten Dingen." 2. Aufl. 1870.) ueber diesen Punkt noch heute lesenswert und brauchbar. Im uebrigen glaubt auch er, wie sonst die Christenheit, an eine Verwandlung und Entrueckung im Sinne Pauli (1. Kor. 15, 51-52 oder 1. Thess. 4), nur nicht, dass die Entrueckung geschehen wird, "bevor der Antichrist als Mensch der Suende aufgetreten ist." (2. Thess. 2, 1-6).
Abgesehen von diesen Punkten stehen die Anhaenger der "apostolischen Mission" in bezug auf Lehre und kirchliche Ordnung mit der katholisch-apostolischen Gemeinde auf gleichem Boden. Sie haben, wie sie betonen, "die Liturgie beibehalten, die vollen Gottesdienste, in denen die ehrwuerdigen Psalmen und evangelischen Kirchenlieder gesungen werden, sie haben die saemtlichen Amtskleider und Zeremonien wie von Anfang her, haben nichts gekuerzt, nichts weggeworfen, nichts hinzugefuegt und nichts umgestaltet." Die Entrichtung des Zehnten ist auch bei ihnen ueblich, nur dass sie "keinen gesetzlichen Zwang ausueben, sondern dies dem Glauben jedes einzelnen ueberlassen," und dem Konfirmanden-Unterricht, welcher ein Zeitraum von 7 Monaten umfasst, liegt der lutherische Katechismus zugrunde.
So sind sie himmelweit verschieden von den Krebsianern, welche 1878 von ihnen abgefallen sind und von denen wir als den eigentlichen Neu-Irvingianern, der sogenannten "apostolischen Gemeinde" der Krebsianer, spaeter hoeren werden. Diese nennen sie eine verwerfliche Sekte, weil diese Leute "ganz der christlichen Liebe ermangeln, nicht richtig zu allen Gnadenmitteln (Wort und Sakrament) der Kirche stehen und gleich damit anfangen, die heilige Taufe zu entstellen;" dagegen haben sie zur katholisch-apostolischen Gemeinde, obgleich von ihr zurueckgewiesen, eine freundliche Stellung. Waehrend sie den entschiedensten Widerspruch gegen die Irrlehren der Krebsianer kundgeben, sprechen sie gern von ihren "lieben englischen Bruedern," der alten Ordnung, der sie ihren Wirkungskreis gelassen und der sie nicht angefeindet haetten.
Auch ihre Stellung zur Gesamtkirche, um deretwillen die Scheidung von Krebs und Genossen erfolgte, ist im Gegensatz zu den Krebsianern, welche "vorzogen, gegen die ganze Kirche mit Dreschflegeln vorzugehen." eine freundliche. Heidenmission treiben sie nicht, da ihre Sendung nur an die Christen ginge, aber sie "halten dafuer, dass, wie zu allen Zeiten, so auch jetzt noch die Heidenmission Christi Auftrag an seine Kirche ist, achten deshalb und ehren, was in treuer Arbeit auf richtigen Wegen in dieser Hinsicht von der Kirche getan wird, ja beten auch in ihren Gottesdiensten oeffentlich fuer die Heidenmission." Als ihr Arbeitsfeld sehen sie die Christenheit an, als ihre Aufgabe, "nicht sektiererisch zu zerstreuen, sondern helfend zu bauen." "So wenig wir uns," schreibt ein Vertreter der "Apostolischen Mission," "von der gesamten Kirche trennen koennen, mit der wir durch den einen Glauben, die eine Taufe und die einerlei Hoffnung unseres Berufs verbunden sind, so wenig koennen wir uns in Ruecksicht auf diese Gnadenmittel von der alten Ordnung getrennt erachten. Gottes Werk bleibt Gottes Werk, und wo etwas wahrhaft im Namen unseres Herrn geschieht, da koennen und wollen wir es nicht wehren oder uebel nachreden, wie unser Herr seine Juenger Markus 9, 38-42 belehrt, auch wenn man uns nicht nachfolgt. Ob nun ein solches Werk in der roemischen oder lutherischen Kirche geschieht oder bei der alten Ordnung, bleibt sich gleich, denn ohne Auftrag vom Herrn kann niemand ein Werk tun, das da bleibet, Apostg. 5, 34-39, und in diesem Sinne ist die ganze Kirche "apostolisch". Da wir aber so stehen und alle treue Arbeit im Weinberge des Herrn vollberechtigt anerkennen, muessen wir auch um des Gewissens willen davon Abstand nehmen, uns statistisch durch Zahlangaben eingliedern zu lassen, da dies, entgegen dem uns gewiesenen Weg der Arbeit, uns als eine Sekte aus dem Ganzen herausheben wuerde. 2. Sam. 24. Richter 7, 1-7."
Wir muessen gestehen: Wenn diese Prinzipien festgehalten und tatsaechlich auch von den untergeordneten Organen in der Praxis durchgefuehrt werden, wenn man eine besondere Gemeindebildung fuer einen "Uebelstand" haelt und "keinem Diener Gottes," wie es auf Seiten der "Apostolischen Mission" ausgesprochen ist, "in sein Ackerfeld kommen will," dann koennen wir wie der "katholisch-apostolischen Gemeinde" so auch der "allgemeinen christlichen apostolischen Mission" bruederlich begoennen und bei sonstiger nicht voelliger Uebereinstimmung mit einer Paulus-Freude wuenschen, "dass nur Christus verkuendigt werde allerleiweise." Phil. 1, 18.
Wie viele Apostel die "allgemeine christliche apostolische Mission" zur Zeit hat, kann ich nicht angeben. Eine "Vollzahl der Apostel," als welche die Zahl 12 gilt, ist bis jetzt nicht zu verzeichnen. Allem Anschein nach hat die Gemeinde mit vielen Schwierigkeiten zu kaempfen, und ihre Glanzperiode scheint vorueber zu sein.
Grundverschieden von den beiden bisher behandelten Abteilungen der Irvingianer, der "katholisch-apostolischen Gemeinde" und der "allgemeinen christlichen apostolischen Mission," stehen die Neu-Irvingianer da, die sogenannte apostolische Gemeinde, deren Glieder nach ihrem langjaehrigen Leiter oder "apostel-Vater" Krebs auch Krebsianer genannt worden sind. Fr. Krebs, ein frueherer Bahnmeister, sowie seine Genossen Wachmann und Sebastian, spaeter "Apostel" der "apostolischen Gemeinde," gehoerten urspruenglich den sog. Geyerianern, der allgemeinen christlichen apostolischen Mission an. Krebs war einfacher Priester in einer Gemeinde am Harz ohne leitende Stellung, Wachmann einfaches Gemeindeglied in Hamburg, Sebastian Diakon-Evangelist in Wolfenbuettel ohne leitende Stellung. Im Jahre 1878 erfolgte ihre Trennung bezw. Ausscheidung von der "Allgemeinen christlichen apostolischen Mission," den sogenannten Geyerianern. Der Anlass dazu war - ich zitiere woertlich nach der Mitteilung eines klar blickenden Augenzeugen - "ein revolutionaerer Angriff dieser und verschiedener anderer Leute gegen das Fundament apostolischer Lehre. Man machte Geyer zum Vorwurf, dass er die "apostolische Missionsgemeinde" in die Landeskirche zurueckpredige, und man uebersah dabei, dass die apostolische Mission sich noch nie von der Gesamtkirche getrennt hat. Man erklaerte die ganze Kirche liebloserweise fuer Babel, und haette Krebs seinerzeit die Macht gehabt, er wuerde alle "Schwarzroecke" auf dem Scheiterhaufen verbrannt haben, wie er sich auszudruecken beliebte. Zur Hauptsache hat Krebs dies Feuer geschuert und in Hamburg einen Teil der Gemeinde mit angesteckt. So lag auf der Hamburger Gemeinde eine Zeit lang eine Gewitterschwuele, bis es inmitten eines Gottesdienstes am 4. August 1878 zu einer offenen Revolte kam." Geyers Anhaenger nahmen ihre Gewaender, liessen die ganze Kirchen- und Altar-Einrichtung zurueck und gingen von dem "entheiligten Ort," ohne auch nur ein Wort zu sagen, fort, um ihn nie wieder zu betreten, waehrend ihnen nach der Mitteilung des oben erwaehnten Zeugen "jene Wueteriche Schimpfworte nachriefen."
Geyers und seines Apostels Gueldner Anhaenger waren nach jenem Aufruhr vom 4. August sehr bald wieder kirchlich installiert, so dass ihre Gottesdienste nicht eine Woche lang eine Unterbrechung erlitten, waehrend jene Abgefallenen als eine "apostolische Gemeinde," wie sie sich sofort nannten, ohne Apostel und Propheten dastanden. Da wandten sie sich nach Holland und wurden von dort mit offenen Armen empfangen. Dorthin war ja am 29. September 1863 der "Apostel" Schwarz gereist, um alsbald, von der "Apostolischen Mission" in Hamburg getrennt, seine eigenen Wege zu gehen. (1) Vgl. S. 12.) Durch die reformierten Verhaeltnissen Hollands veranlasst nahm er eine Neugestaltung des Gottesdienstes und auch neue Lehrbildungen vor. Das reiche, katholisch geartete Zeremoniell der "apostolischen Mission," voellig uebereinstimmend mit dem der alten "katholisch-apostolischen Gemeinde," passte nicht zu dem an eine gewisse Kahlheit des Kultus gewoehnten Sinn der aus der reformierten Kirche gewonnenen Glaeubigen, und so liess Schwarz den "apostolischen" Kultus fallen, schaffte die bisherige Liturgie, die Zeremonien und Kleider ab und richtete den Gottesdienst nach reformierter Weise ein. Dies brachte ihn natuerlich in eine Sonderstellung zur Hamburger Gemeinde, und nachdem er vergeblich versucht, diese fuer seine Neugestaltung zu gewinnen, trennte er sich von ihr. Jetzt war auch die Bahn frei fuer eine neue Lehrbildung. Holland wurde die Brutstaette fuer die falsche neue Inkarnationslehre (Christus Fleisch geworden in den Aposteln), die Versiegelung der Toten und andere Torheiten. Die "Waechterstimmen aus Ephraim" (Nr. 5 S. 6) wissen von schweren Pruefungen zu berichten, die Schwarz in den ersten Zeiten in Amsterdam durchzumachen hatte, aber seitdem im Mai 1864 die erste Versiegelung stattgefunden, sei die Gemeinde gewachsen und das Werk habe sich in Holland wie ein Baum ausgebreitet, dessen Zweige ueber die Grenzen Hollands hinausgingen. Am 6. Dezember 1895 starb Schwarz im hohen Alter von beinahe 81 Jahren, von den Seinen gefeiert als "ein Grosser in Israel." Schwerlich aber wuerde Schwarzens Richtung an Bedeutung gewonnen haben, wenn sie nicht aus Deutschland Zuwachs bekommen, wenn sich nicht Krebs mit Genossen ihr angeschlossen haette. Zunaechst hielten Krebs und Genossen ein Konzilium in Braunschweig. Man fragte Gott, "ob Gueldner ein Apostel" sei, und als auf dreimaliges Fragen keine Antwort kam, schrie man foermlich Gott an, "warum er denn keine Antwort" gaebe. Das ging eine Weile so fort, bis die ganze Versammlung in eine solche Ekstase geriet, dass Berufungen ueber Berufungen erfolgten, der eine dies schrie, der andere das. Der eine rief diesen aus, der andere schrie: "Nein, der soll es sein." Das nennen jene Leute "durch den Geist Gottes weissagen"! Das Ende vom Liede war, dass Menkhoff zunaechst die Leitung uebernahm und danach Krebs designiert wurde. Dies die Darstellung des unerbaulichen Anfanges der "apostolischen Gemeinde" genau nach der Mitteilung meines Gewaehrsmannes, welcher das Protokoll ueber jenes "Konzilium" in Brausnchweig in den Haenden gehabt hat bezw. noch hat.
Die Fuehrer der "apostolischen Gemeinde," der Neu-Irvingianer, schweigen sich ueber diesen haesslichen Anfang ihrer Gemeinde wohlweislich aus und berichten nur (Waechterstimmen Nr. 5): "Das Apostolat wurde von Holland uebertragen nach Deutschland durch den Apostel Menkhoff (Westfalen). Durch denselben weiter in Deutschland kam das Apostolat auf den Apostel Krebs."
In Deutschland haben sich die Neu-Irvingianer in den letzten Jahren ausserordentlich ausgebreitet, sie meinen, besonders seitdem der letzte Apostel der aelteren Abteilung, Woodhouse, gestorben ist, "seitdem die Gefaesse des Segens dort zur Ruhe gelegt sind." Waehrend im Jahre 1890 im Koenigreich Preussen - ohne Unterscheidung von Katholisch-Apostolischen und Apostolischen - 16081 Irvingianer gezaehlt wurden, waren es im Jahre 1895 22610, wovon auf Berlin 3073, die Provinz Brandenburg 3538 fielen. (1) Kolde und "Statistisches Handbuch fuer den Preussischen Staat." Bd. III. Berlin 1898, S. 419.) Die Volkszaehlung am 1. Dezember 1900, bei der wiederum ein Unterschied zwischen den beiden Abteilungen nicht gemacht, wohl aber auf Beschwerde hin in die Volkszaehlkarten nicht "Irvingianer", sondern "Apostolische Gemeinde" und in Klammern "(Irvingianer)" gedruckt wurde, ergab nach der statistischen Korrespondenz vom 23. November 1901, Nr. 44, im Koenigreich Preussen 14753 maennliche, 17462 weibliche, zusammen 32215 Apostolische, in dem Zeitraum von fuenf Jahren aufs Tausend eine Zunahme von 424,8. Bei der letzten Volkszaehlung vom 1. Dezember 1905 wurden nach der "Statistischen Korrespondenz," Sondernummer vom 26. September 1906, 20960 maennliche und 24694 weibliche, zusammen 45654 "Apostolische (Irvingianer)" im Koenigreich Preussen gezaehlt, im Zeitraum von fuenf Jahren aufs Tausend eine Zunahme von 417,17.
Auch im Koenigreich Sachsen hat sich die Bewegung ausgebreitet, besonders in der Zwickauer Gegend, welche ja von jeher der Naehrboden sektiererischer Umtriebe gewesen ist. Man darf annehmen, dass der durch die Statistik nachgewiesene Zuwachs fast allein den Neu-Irvingianern zu gut gekommen ist. Im Februar 1896 zaehlten die "Waechterstimmen" in Deutschland nur 70-80 apostolische Gemeinden, jetzt duerften es weit ueber 200 sein. Berlin allein hat 9 Gemeinden, zu denen nach der letzten Volkszaehlung vom 1. Dezember 1905 5707 Personen gehoeren; dazu kommen in naechster Umgebung Gemeinden in Tegel, Charlottenburg, Friedenau, Nixdorf, Pankow, Erkner, Reinickendorf. In der Provinz Brandenburg - ohne Berlin - befanden sich nach Mitteilung des Koenigl. Preussischen Statistischen Landesamts unter der ortsanwesenden Bevoelkerung am 1. Dezember 1905 an "Apostolischen (Irvinginanern)" 9185. Sie selbst berichten schon im August 1904 (Herold Nr. 109), es seien "heut mehr wie 20000 apostolische Glieder in Berlin und Umgegend." Es muessen also wohl viele bei der Volkszaehlung ihre Konfession gar nicht angeben; manche schreiben faelschlich: "evangelisch".
Die Leiter und Anhaenger rekrutieren sich fast alle aus den sogenannten niederen Volksschichten.
An der Spitze der Neu-Irvingianer stand fast 25 Jahre lang der alle "Apostolischen" beherrschende "Apostel des Stammes Ephraim" "Vater" Fr. Krebs in Braunschweig, der nunmehr - am 21. Januar 1905 - gestorben ist. Als das "Groesste" ruehmen ihm die Seinen nach, "dass er die Einheit des Werkes Gottes hervorgebracht hat, die Einheit unter den Aposteln." (1) Waechterstimmen Nr. 115.) Sein Nachfolger als "Apostel-Vater" ist der Landwirt H. Niehaus aus Steinhagen geworden, der "schon lange vorher von Krebs dazu bestimmt war, nach seinem Ableben das Werk weiter zu fuehren." Er hat denn auch Krebs die "Trauerrede" gehalten, bei der er die trostlosen Worte sprach: "Der Schmerz ist ein grosser, besonders auch fuer mich; wie ich schon in diesen Tagen habe laut werden lassen: Ihr koennt noch froh sein, ihr seid geschuetzt (naemlich von ihm, dem neuen "Vater" Niehaus), aber ich habe keinen Schutz und keine Decke mehr, mein Herr und Schutz ist von mir genommen." David wusste schon einen besseren Trost, als er von seinem Gott ruehmte: "Er deckt mich in seiner Huette zur boesen Zeit." (Psalm 27, 5). Die ganze erschreckende Abgoetterei, die man mit Krebs getrieben, ist aber noch einmal hervorgetreten in einem von den Neu-Irvingianern herausgegebenen Nachruf auf Krebs ("Sein letztes Wort"), aus dem Gustav Ischebeck (2) In seiner Broschuere: "Wer sind die Irvingianer? Ein Wort der Belehrung und Warnung." Witten a.d. Ruhr, Buchhandlung der Stadtmission. S. 12 f.) folgende Stellen anzufuehren in der Lage ist (Worte von Niehaus) S. 8:
"H e u t e steht es klar vor meinen und aller Augen - sein Wort ist erfuellt! E r h a t d i e S c h u l d m i t s e i n e m L e i b e b e z a h l t - ! - !
W e i n e n d und flehend stand Vater Krebs vor seinem Gott fuer uns Menschen, und e i n h e i s s e r B l u t s t r o m C h r i s t i q u o l l a u s s e i n e m M u n d e !
Seite 10: D e r h e r r l i c h e G o t t e s d i e n s t am Sonntag, wo der liebe Vater wie verklaert im Geisteswirken voll d e r F u e l l e, d e r G o t t h e i t u n d d e s L i c h t e s vor uns stand, bleibt mir ein Denkmal des Gedaechtnisses bis zum Tode, wie auch allen Teilnehmern! Das war kein Mensch mehr, der da sprach, d a s k o n n t e n u r C h r i s t u s s e i n , wie Vater Krebs das auch beim Abendmahl vorbrachte: D a s i s t m e i n F l e i s c h , denn ich habe die Welt ueberwunden, obwohl ich noch lebe.
Seite 11: D e m l i e b e n V a t e r N i e h a u s wurde es schwer, zu sprechen (bei der Gedaechtnisfeier), wie er sagte, aber ich habe meinen Schmerz in mich gefressen, denn wenn ich euch wollte meine Traenen zeigen, so wuerdet ihr geschlagen. Die Hoelle feiert ein Freudenfest, denn ihr maechtigster Feind, ihr Tod- und Erbfeind (naemlich Krebs) ist zu Boden gestreckt; aber ihr werdet weinen. Aber eure Traenen sollen in Freude verwandelt werden, und die Hoelle soll zittern und beben, denn der Auferstandene lebet und hat mich zugerichtet wie ein geschmuecktes Ross zum Streit. Wo nun die Hoelle sagt, nun ist unser Erbfeind zu Boden gestreckt, nun wird der Niehaus noch ein paar Wochen klappern, und dann geht es langsam zurueck, und das Haus faellt zusammen, und die Huetten zerbrechen, so sage ich (Niehaus) heute, ich vermag alles durch den, der mich maechtig gemacht hat, durch d e n E n t s c h l a f e n e n; Tod, ich will dir ein Gift sein; Hoelle, ich will dir eine Pestilenz sein, deine Sklaven sollen zittern und beben, und es soll kein Stein auf den andern bleiben. Seite 12: D i e d e m Apostel Krebs bisher treu gewiesen und ihm nicht widerstanden, von denen soll auch kein einziger verloren gehen. Seite 14: D a s s a n d e m alten, ehrwuerdigen und schlichten Greis im Silberhaar viele, viele Tausende von Menschen in reiner und aufrichtiger Liebe und Ehrfurcht hingen, wie wohl selten einem Sterblichen es zuteil wird, sah man hier deutlich. Man kann davon sagen, er ist wie ein Armer gestorben, aber wie ein Reicher begraben. E r h a t s e i n L e b e n z u m S c h u l d o p f e r g e g e b e n u n d i s t a u s d e r A n g s t u n d d e m G e r i c h t g e n o m m e n, d a e r u m d i e M i s s e t a t &nbdp;d e r M e n s c h e n g e p l a g t w a r. E r h a t S a m e n i n d i e L a e n g e, und des Herrn Vornehmen und Werk, durch seine Hand angefangen, wird zum Schrecken der Hoelle fortgehen und weitergelingen, darum, dass seine Seele gearbeitet hat. Seite 15: Niehaus sprach: "I c h z i t t e r e bei dem Gedanken der Verantwortung, die ich uebernehme, wo ich weiss, wie unendlich viel M u e h e u n d S c h w e i s s u n d B l u t s t r o p f e n es dem lieben Vater Krebs gekostet hat, das grosse Werk so weit hervorzubringen, und ich weiss, was da kommen wird, wie es nach dem Tode des Apostels Menkhoff sowie des Apostels Schwarz war, wo s i c h R o t t e n g e m e i n s c h a f t e n bildeten, welche suchten, die Schafe an sich zu ziehen. Ich will heute nicht weiter darueber sprechen, die Zeit wird es bringen, aber soviel sage ich heute, dass sie an meiner Dickfaust und eisernen Stirne zerschellen werden."
Gegenueber diesen laesterlichen, prahlerischen Reden des "dickfaeustigen" Niehaus mit der "eisernen Stirn" brauchen wir nur hinzuweisen auf das Wort unseres Herrn Jesu Christi: "Ich suche nicht meine Ehre" (Joh. 8, 50) und auf das Wort des Evangelisten ueber ihn (Matth. 12, 19): "Er wird nicht zanken noch schreien, und man wird sein Geschrei nicht hoeren auf den Gassen", d.h. er wird nicht mit seinen Taten prahlen.
Krebs war seit Oktober 1895 Herausgeber des Hauptorgans: "Waechterstimmen aus Ephraim," einer Monatsschrift, welche im Verlage von Heinrich Bornemann in Iserlohn erscheint und als Beilage den "Herold" enthaelt. In diesem wird von den vielen Reisen der Apostel und von den "Versiegelungen" der Lebenden und Toten (!) berichtet. Jetzt ist der Herausgeber der Waechterstimmen der neue Apostel-Vater H. Niehaus-Steinhagen. In der "Apostel-Einheit" mit ihm stehen zur Zeit 17 Apostel. Frueher galten 12 davon als Stammapostel der "12 Staemme des geistigen Israel" und die anderen als Apostelhelfer, neuerdings sieht man den "alten Modus der 12 Geschlechter" als Buchstabensache an und spricht unter Berufung auf 1. Petri 2, 9 nur von e i n e m Geschlecht. An Stelle der geistlichen Staemme Juda, Ephraim usw. setzt man nun einfach Apostelbezirk Holland, Bielefeld usw. In Holland steht der Apostel Kofmann, welcher u.a. in Enkhuizen, Haarlem, Haag, Scheveningen, Delft, Leiden, Amsterdam, Arnheim, Nymwegen sein Wesen hat, im Apostelbezirk Bielefeld (Westfalen und Rheinland umfassend) Niehaus mit Bornemann, letzterer seit Mai 1902, im Apostelbezirk Wolfenbuettel Sebastian, dem nach Wachmanns im Maerz 1903 erfolgten Tode auch der Apostelbezirk Hamburg uebergeben zu sein scheint, im Apostelbezirk Frankfurt a. M. (Hessen) der Apostel Ruff, der mit seinen Gemeindegliedern durch Niehaus versoehnt werden musste und dessen Bezirksgliedern in Franfurt a. M. von dem Apostel Niemeyer zugerufen wird: "Warum habt ihr einen solchen kranken, schwachen und elenden Apostel? Frage sich ein jeder, wieviel er mit seinen Suenden dazu beigetragen hat." (1) Waechterstimmen Nr. 130. Ruff ist inzwischen gestorben.) Nach Berlin ist von Ostpreussen Hallmann versetzt, an dessen Stelle Oehlmann getreten ist. Hallmann soll in Berlin und Umgegend Niehausens "rechte Hand" sein; "demselben", heisst es in den Waechterstimmen von April 1905, "ist keine Gemeinde als Wohnsitz zugewiesen, sondern er soll ueberall und nirgends sein." So findet man ihn denn ausser in Berlin und naechster Umgebung in Potsdam, Spandau, Brandenburg, Wittenberg, Pritzwalk, Havelberg, Kremmen, Angermuende, Neu-Ruppin, Rheinsberg, Frankfurt a. O., Kuestrin, Neudamm, Koenigsberg i. d. Neumark, Kottbus, Storkow usw.
Im Apostelbezirk Breslau steht Obst, als Apostel fuer Sueddeutschland und die Schweiz ist Bock im Oktober 1905 ausgesondert, am selben Tage Brueckner als Apostel fuer Sachsen. Von ihm erzaehlt Niehaus bei einer Versammlung in Halle, dass er viel an ihn (Niehaus) schreibe, aber "solche Schreier bringen es erfahrungsgemaess immer noch am weitesten. Ich habe frueher manchen Tag 2-3 mal an Vater Krebs geschrieben." (2) Waechterstimmen Nr. 126.)
In Nord-Amerika steht als Apostel Ed. Mierau in New-York, welcher u.a. Buffalo, Milwaukee, Detroit, Chikago, Cleveland, Madison besucht. Er schreibt (3) "Herold" Juli 1905.) als "dankbarer Sohn" dem "herzlich geliebten Vater und Apostel H. Niehaus:" "Unter deinen aufgehobenen Segenshaenden war es moeglich, Ostern feiern zu koennen. Waere Gott in dem Einheitsamte nicht mein Trost und Schutz und Schirm, so koennte ich vor dem Draeuen Satans nicht stehn." In Sued-Amerika (Argentinien) wirkt der Apostel Faber, laesst aber nicht viel von sich hoeren. Ebenso ist es mit dem Apostel Klibbe in Sued-Afrika, der seinen Wohnsitz in Imwani hat und u.a. Kapstadt, Port Elisabeth, East London, Bloemfontein aufsucht. Nach Australien wurde im Jahre 1882 Niemeyer als Evangelist gesandt, seit 1886 ist er "Apostel" und hat seinen Wohnsitz in Hatton Wale (Queensland). Er schreibt an seinen "Vater" Niehaus: "Queensland ist mit dir ein Herz und eine Seele." Er habe in dem verstorbenen Vater nicht einen von seiner Kindheit an gekannten Fritz Krebs gesucht, sondern "den allmaechtigen Vater in seinem Amte." Der Vater habe ein so grosses Wunder getan und alle Apostel zu gleicher Zeit in einerlei Gesinnung gebracht, "was eine Schlappen fuer den Teufel, besonders fuer den Apostolischen ist, der mit seiner Vernunft nun wie das Butterbrot mit der guten Seite im Dreck liegt." (Waechterstimmen Nr. 120, Juli 1905.) Niemeyer liebt es, gleichwie sein "Vater" Niehaus, mit drastischen Ausdruecken wie "Dreck" und aehnlichen Woertern um sich zu werfen, wird darin freilich manchmal vom Niehaus uebertroffen, der z.B. im Gottesdienst zu Bockenheim im Anblick des sehr schoen geschmueckten Lokals sagt: "Je feiner die Dame, desto mehr Laeuse." (Waechterstimmen 124, 7.)
In Java hat nach Waechterstimmen Nr. 120 S. 4 "vor zirka 24 Jahren der Apostel Anthing den Grund gelegt." In der Neuzeit werden die Apostel Hanibal und Jakobs genannt, dazu der eingeborene Apostel Sadrach. Letzterer wird im Januarheft 1900 des "Herold" als ein inlaendischer Lehrer bezeichnet, der lange Jahre im Mittelpunkte des Missionswesens auf Java taetig war und mit sich 15000 Seelen zur apostolischen Kirche heruebergezogen habe. Die Zahl scheint etwas hoch gegriffen, denn das Januarheft 1902 weiss nur zu berichten, dass das Apostolat Indien, Mittel-Java, in 63 Gemeinden 5954 "apostolische Christen" habe. Immerhin ist der Erfolg, der von der Allgemeinen Missions-Zeitschrift 1902, Heft 2, S. 81 bestaetigt wird, als gross zu bezeichnen.
Alle Einheitsbestrebungen von Krebs und Niehaus haben es doch nicht verhindern koennen, dass neuerdings nun wieder eine Absonderung, eine neue Abteilung der "apostolischen Gemeinde" entstanden ist: "das Zepter Juda, das neue Apostelamt oder neue Apostelreich," an dessen Spitze als "Vater Juda" der Ziegelei-Verwalter Julius Fischer in Gransee steht. Derselbe war Stromschiffer, dann Landwirt in Zehdenik und wurde im Jahre 1896 von Krebs "versiegelt." Schnell erstieg er in der "apostolischen Gemeinde" die verschiedenen Aemterstufen, wurde Unterdiakon, Diakon, Priester, schliesslich Bezirks-Aeltester und bekam als solcher von Krebs 8 Gemeinden anvertraut. Krebs lobte seine "Treue und Ergebenheit zu Gott in dem Apostelamte," aber dies "aergerte die, welche neben ihm im Amte standen", und seit der Zeit, in welcher er im Bezirks-aeltesten-Amte diente, "war es mit dem Frieden und der Ruhe vorbei."
Man klagte Fischer bei Krebs an und nahm als "Lehrgrund zum Streiten das Wiederkommen Jesu." Waehrend nach dem gedruckten "apostolischen Glaubensbekenntnisses" der "Apostolischen Gemeinde" die persoenliche Wiederkunft des Herrn in den Wolken des Himmels festgehalten wird, hatte Fischer "Jesum im Fleische erkannt, und zwar als Haupt in den Aposteln, die Wolke als die Zeugenschar (apostolische Gemeinde)." So, behauptet Fischer, haette auch Krebs geglaubt, aber "statt nun die Wahrheit allen zu sagen: Ja, meine Lieben, es ist so, es ist uns ein neues Licht darueber aufgegangen, fuerchtete er sich vor allen seinen Aposteln und allen Aemtern, die ihm in Braunschweig hart zu Leibe gingen."
Man sieht: auch der "Vater", der Papst der "apostolischen Gemeinde" hat sein Kardinals-Kollegium, das er nicht ganz ausser acht lassen darf. Noch einmal, so erzaehlt Fischer weiter, sei Krebs in seinen Bezirk gekommen und habe bei einem Gottesdienst segnend das Wort ueber ihn gesprochen: 1. Mose 49, 8-12. "Juda, du bist's" usw., aber bald nach dieser Zeit habe er vom Apostel Krebs ein Schreiben des Inhalts bekommen: "Ich nehme das Amt von Ihnen."
Nunmehr "rafften sich viel Gemeinden zusammen, und in Zehdenik wurde eine grosse Versammlung anberaumt, wo alle erschienen, die der Wahrheit die Ehre zollen wollten." Auch Julius Fischer war dazu eingeladen. Auf Gebet "antwortete Gott durch weissagen" und berief Julius Fischer zum Apostel. Er "schwur mit seiner Rechten dem, den er vor sich sah," seine "Augen schauten," wie er mitteilt, "den Gott, den Petrus, Jakobus und Johannes vergoennt gewesen war zu schauen." Fischer fuehlt sich "berufen, zusammen zu fuehren wer sich voneinander getrennt hat" und meint, das sei bis jetzt noch nicht von Menschen angestrebt worden. Sein Versuch, mit dem beruechtigten Dowie in Amerika, der "christlich-katholischen Kirche in Zion" ein Einvernehmen zu erzielen, ist gescheitert, denn der neue Elias "der liebe, gute Mann," wie Herr Fischer schreibt, "ist irdisch zu sehr gesegnet, um mich als einen Apostel auch anerkennen zu koennen."
Fischer nennt sich "Apostel Juda" oder "Vater Juda." Durch ihn werden weitere Apostel als "Stamm-Apostel" zugerichtet und gesalbt, und zwar bekommen sie nicht die Namen der Staemme Israels, sondern die der Apostel: Simon Johanna, Andreas, Jakobus, Johannes, Matthias, Philippus, Bartholomaeus, Simon von Kana, "alle unter Ordnung, Leitung und Fuehrung des Apostels Juda, denn alle diese Staemme zusammen nennt sich das Judaea glaeubig gewordene Glaubensgeschlecht." Gransee, Zehdenik und Umgebung, Burgwall und Umgebung, Liebenwalde und Umgebung ist unter das Stamm-Apostelamt Judas geordnet; Driesen, Neuteich, Paulsbruch, Karoline, Netzbruch usw. unter das Apostelamt Andreae; Breslau und weiter Schlesien unter Jakobus; Sachsen unter Johannes, die Altmark unter Matthaeus, Charlottenburg und Berlin unter Philippus; Ost- und West-Havelland unter Bartolomaeus. Der juengste "Apostel" Simon von Kana geht jetzt im Herbst nach Hamburg.
Das alles verbindende Organ ist die von Julius Fischer in Gransee herausgegebene, bei J. Weidlich in Zehdenik gedruckte, seit September 1904 erscheinende Monatsschrift "Wahrheitskunde vom Zepter Juda; das neue Apostelamt!" Als Glaubensbekenntnis wird das nachfolgende, ebenfalls bei J. Weidlich gedruckte Schriftstueck verbreitet, das ich, um Geist und Bildung der neuen Abteilung zu kennzeichnen, buchstaeblich hersetze.
Wir glauben an Gott den Vater Himmels und der Erde, der als goettliche geistige Kraft ueber alles schafft, den Menschen sich durch sein Nahesein im geistigen Wort als auch von Anfang seiner Erschaffung her, durch Menschen zu Menschen aber offenbaret. Und wir ihm fuer uns ewiges Licht und Gnadenwort der goettlichen Vaterschaft heissend, bekennen.
Wir glauben an Gott den Sohn, vom Vater als Wort im Fleische der Jungfrau Maria empfangen und geboren; gesandt das Wort vom Vater im Licht und Klarheit dem Volke auf Erden zu vermitteln und dadurch selig machen der daran glaubt. Der aber gesagt hat: "Dass er alle Tage sein will als das leuchtende Licht und unter der von ihm eigener Wahl das in Menschengestalt lebendige Wort unter der Tatkraft das einst verheissende Wort: Ihr sollt nicht lernen, nicht sorgen, was ihr reden sollt, sondern ich will es sein in Euch, als der Vater in mir. Und wir ihm als des Sohnes Wirken, und Sohnesschaft in sein Fortleben hoeren durch sein Wort, und dem Fleisch gewordenen Wort in seiner Sendung glauben und bekennen.
Wir glauben an die Gemeinschaft des heiligen Geistes, der in eine heilige christliche Kirche, der Gemeinschaft der Heiligen, sich in seine heiligen Gaben offenbart und laut wie Apostel Paulus 1. Kor. 12 dieselben aufzeichnet, und so mit diese vielerlei Gaben eine gemeinschaftliche Geistesgabe sind. Da dieselben von einem Geist der gemeinschaftlich durch solche Gaben wirkt, sichtbar ist und wir diese sehen, hoeren, glauben und bekennen.
1. Wir erkennen und bekennen die Wassertaufe als von Gott eingesetzt und verordnet, um den Bund mit Gott uns seinem Sohne Jesu Christo und unsMenschenkinder zu errichten.
2. Wie nun nicht Wasser allein den Bund bewirken kann, sondern (Gott das Wort) durch Menschen gesprochen, als segnendes Vaterwort, und im Gebot und Verbot, in und bei dem Wasser durch die Handlung des lebendigen Amtes bewirkt, dadurch ein heiliges Sakrament entsteht und den Menschen in den Bund mit Gott zur ewigen Seligkeit befoerdert, so der Mensch den Glauben hat an dieses handelnde und segnende Wort vom Vater durch Menschen gespendet.
3. Wir bekennen auf diese vorherigen Handlungsweisen alle Wassertaufen, gleichviel welche Religionsgemeinschaften die auf Christo gegruendet sind, als ein Bund auf Gott in seinem Sohne Jesu Christo ausdruecklich an, sofern sie nicht nur gewohnheitsgemaess gehandelt werden, dienet solche Taufe zum Bund Gottes mit den Menschen.
1. Wir erkennen und bekennen wie einst, die Wassertaufe nicht allein dem Menschen zu Gottes Geist und Gottes Wort in Klarheit fuehren kann, sondern der heilige Geist durch Berufung und seiner Spendung der geistigen Gaben beleuchtet und erleuchtet zur Klarheit des lebendigen Gottes den Menschen im rechten Glauben und in der Wahrheit bringen kann.
2. Wir bekennen hierzu noetig zu haben das von Gott durch seinen Sohn Jesus Christus selbst eingesetzte geistige Apostelmt, das da bleiben soll und zwar gesehen werden vor sein Kommen der vollen Kraft und Herrlichkeit, dazu er gesagt: "Auf wem ihr die Haende legt, soll von mich gesegnet sein, weil er selbst in solcher der Segnender sein will."
3. Wir glauben und bekennen solches Amt in der Niedrigkeit des Fleisches auch heute zu sehen, an die Kraft und Licht des geistigen Wortes, das bemueht ist, Menschen zu Gottes Glauben und zwar in Nuechternheit des Geistes, und Gesetz der Obrigkeit untertaenig zu machen und Frieden mit Gott und allen Menschen lehret, durch Liebe und Barmherzigkeit vor Gott Taten wirket.
4. Wir glauben und bekennen dass solches Amt weiter Aemter zum Dienen in der Gemeinschaft Macht hat einzusetzen und wir miteinander in die reine und lautere Lehre des grossen Apostel Jesu Christo, in und unter uns im Wort des liebenden allmaechtigen Vaters gefuehrt werden, welches uns die geistigen heiligen Gaben der rechten christlichen Kirche spendet und durch die Gemeinschaft solches wirkt.
1. Wir glauben, dass das heilige Abendmahl von uns gefeiert werden muss, wie es der Herr Jesus eingesetzt hat, naemlich mit ungesaeuertem Brot und Wein. Beides muss von einem Diener Jesu Christi (1. Kor. 10, 16) gesegnet und gespendet werden.
2. Wir glauben, dass solches Menschen wirket, zur Besserung dienet, so es im rechten bussfertigen Sinn und Geist seine sich bewussten Suenden vor Gott dem lebendigen bekennt, auf die Frage des betreffenden Dieners Jesu Christi nach solcher Busse mit ein lautes vernehmliches Ja antwortet.
Man wird erkennen, dass diese allerneuste "apostolische Gemeinde" sich nach Form und Inhalt der Gedanken von den Krebsianern nur wenig unterscheidet. Soviel ich sehe, besteht ein Unterschied nur darin, dass Fischers Anhaenger die Lehre von der bevorstehende Wiederkunft des Herrn Jesu in den Wolken des Himmels (Matth. 24, 30) ganz fallen lassen, nur in Fischer, nicht in Niehaus, ihr Apostel-Haupt verehren und in der Praxis fuers erste andern Kirchenkoerperschaften nicht so schroff entgegentreten wie die Krebsianer. Die weitere Entwicklung muss abgewartet werden.
Die in Holland existierende "Apostolische Bruederschaft" (Apostolische Broederschap), welche ihre "godsdienstsamenkomsten" in Amsterdam, Elandgracht 13, hat und ein Monatsblatt Maran-Atha herausgibt, mahnt: "De Heer komt, maak U bereid," hat aber mit dem Irvingianismus nichts zu tun.
Das Verhaeltnis der Neu-Irvingianer zu den alten ist nach wie vor ein gespanntes. Die alten nennen die neuen: Nachfolger exkommunizierter Maenner, die, in Hochmut bezaubert, ihnen etwas nachaefften; die neuen nennen die alten: Irvingianer, die auf Fleisch gesehen haben. Die alten werfen den Begruendern der neuen Abteilung "Betrug und Verrat" vor,(1) Koehler, S. 135.) die neuen (2) "Waechterstimmen" Nr. 59, S. 4-5.) sprechen von "Flunkerei, von der Schuld der alten englischen Apostel, welche Gott nicht gebeten haetten um die Erhaltung der zwoelffachen Einheit des Apostolats, und von dem offenbar werdenden Esausgeist, der den juengeren Bruder erwuergen will." Vornehmer, aber scharf genug drueckt sich der klassische Geschichtschreiber der katholisch-apostolischen Gemeinde Dr. Rossteuscher aus, der in seinem Werke: "Der Aufbau der Kirche Christi" die ganze neu-irvingianische Bewegung ignoriert und nur in der Einleitung sagt: "Ist der Herr unter uns getreten? Diese Entscheidung kann nur durch echte geistliche Unterscheidung richtig getroffen werden - durch den "scharfen Geruch in der Furcht des Herrn," der eine Gnade des Geistes Gottes ist (Jes. 11). Und dann diese Gnade diejenigen nicht geleitet hat, welche die von uns bezeugte Gottestat mit - jener d u e r f t i g e n P a r o d i e zusammengeworfen haben, die ein im Jahre 1863 in der Berliner Gemeinde vom Amte suspendierter Prophet durch Berufung immer neuer und zwar "deutscher" Apostel in Hamburg und anderen Orten geliefert hat, das geben halbwegs billige Beurteiler ja wohl zu."
Die juengere Abteilung der Neu-Irvingianer, welche auf ihre Erfolge, "die Aposteltaten", stolz ist und meint, dass sie von der aelteren als Fortsetzung des zwoelffachen Apostolats anzuerkennen sei, hat es "wiederholt versucht, der aelteren Abteilung die Hand des Friedens zu reichen," ist aber "schroff zurueckgewiesen." So richteten im Jahre 1884 die Apostel der juengeren Abteilung Menkhoff und Krebs ein Sendschreiben an den Apostel Woodhouse in England und suchten Friedensverhandlungen anzuknuepfen und Differenzen auszugleichen, um eine Vereinigung herbeizufuehren... aber man hielt es dort nicht der Muehe wert, darauf zu antworten.(1) "Waechterstimmen" Nr 5, S. 7.)
Auch von der "Allgemeinen christlichen apostolischen Mission" sind die Krebsianer abgewiesen und ihre Apostel als falsche bezeichnet. Als die "Apostolische Mission" sich vor einigen Jahren in Hamburg eine neue Kirche erbaut hatte, machte man aus der Schar derer, die sich um den nunmehr verstorbenen Krebs-Anhaenger "Apostel" Wachmann versammelt hatte, zusammen mit zwei Priestern aus Amsterdam einen Anlauf gegen die "Apostolische Mission". Man besuchte die Gottesdienste derselben und glaubte sie veranlassen zu koennen, mit diesen Leuten gemeinsame Sache zu machen; allein der Versuch scheiterte. Es ist damals von Hamburg aus mit Priestern der von Schwarz in Amsterdam gegruendete Gemeinde viel korrespondiert worden und ihnen deutlich zu verstehen gegeben, dass "Gott selbst eine Scheidung zwischen Licht und Finsternis gemacht" habe, dass man "mit ihnen nicht zusammen arbeiten koenne." "Ich erinnere Sie daran," heisst es in einem dieser Briefe, "was der Herr zu uns gesprochen, als die Brueder 1878 von uns abfielen. Diese Brueder haben alles abgeschafft, haben sich selbst entkleidet und die Aemter und Ordnungen, welche der Herr uns gegeben, verworfen, und mussten nun die Speise der Irrtuemer verzehren, die ihnen aus Holland gereicht wurde. Ja, die Speise der Irrtuemer als Taufe, Versiegelung und Abendmahl der Toten und Verwirrung der geistlichen Gaben. Und das Ende ist, dass ihren falschen Aposteln Krebs, Wachmann, Niehaus usw. goettliche Ehre erwiesen wird, wodurch Antichrist in der Kirche auf den Thron gesetzt wird." Und weiter heisst es: "Gott moege uns auch ferner bewahren, dass wir nichts hinzufuegen, noch etwas abnehmen, und dass wir auch ferner verabscheuen, was auch vor seinen Augen ein Greuel ist. Nie und nimmer werden wir fuer Tote taufen, versiegeln und das Abendmahl nehmen. Nie und nimmer werden wir kleine Kinder versiegeln oder ihnen das Abendmahl reichen."
Wir koennen den Streit der vier verschiedenen "apostolischen Gemeinden" - ob nur englische Apostel oder auch deutsche, ob Krebs-Niehaus oder Fischer - ihnen selbst ueberlassen, denn bei der Fuelle der Irrungen dieser neuen Apostel und bei ihrer Nichtuebereinstimmung mit der Heiligen Schrift, nach der wir neue Apostel nicht zu erwarten haben, w e i s e n w i r s i e a l s G e b i l d e d e r S c h w a e r m e r e i a l l e a b - aber das werden wir sagen muessen, dass die ganze Neubildung seit Geyer und Schwarz und ebenso die seit Krebs dem e i g e n e n Geist der "apostolischen Gemeinde" widerspricht. Wer die Autoritaet des Apostolats so betont, wie es die apostolische Gemeinde der Neu-Irvingianer tut, wer von den Aposteln zu sagen wagt: in ihnen ist "das geoffenbarte Wort, Jesus erschienen im Fleische," also dass, wer sie verwirft, den Herrn Jesum verwirft, wer den Gehorsam unter den Willen des Apostolats in dem Masse verlangt, wie es die "apostolische Gemeinde" tut, und in dem Widerstreben gegen das Apostolat Teufels List und Trug sieht, der durfte und darf nicht dem Spruch der alten englischen Apostel in der Weise widerstreben, wie es eben fortgesetzt die Neu-Irvingianer tun. Und wenn s i e dem alten Apostolat ungehorsam gewesen sind, wie duerfen sie erwarten, dass andere ihren neuen Aposteln irgendwie Glauben und Gehorsam schenken?
Man betont g o e t t l i c h e Sendung der neuen Apostel, aber die ganze Tat Geyers und seiner Mithelfer traegt allzu m e n s c h l i c h e n Charakter: die h e i m l i c h e Berufung in Koenigsberg, das Zoegern mit dem Offenbaren der Berufung, die Vorbereitung von Schwarz, das Offenbaren nach der Amtsentsetzung, dazu der Eigenwille, der sich auf jeden Fall selbst durchzusetzen versucht! Geyer musste wissen, wie seine englischen Apostel stets daran festgehalten, dass es nicht Sache der Propheten sei, die von ihnen gesprochenen Worte auszudeuten und ihre Tragweite und Anwendung zu bestimmen. Aufgabe des prohetischen Amtes war es, "Licht zu geben," aber daraus die noetigen Schluesse zum Handeln zu ziehen, stand dem apostolischen Amte zu. Wenn daher Geyer die von ihm gesprochenen Worte nach seinem Sinn deutete und beanspruchte, dass die Apostel seiner Deutung Folge geben sollten, so war er ueber die Grenzen seines Amtes hinausgegangen.
Und nun Krebs und Genossen. Sie, welche die von Geyer berufenen Apostel Preuss und Schwarz anerkannt hatten, sie, welche das Apostel- und Propheten-Amt so hoch erheben und aufs staerkste die Einheit betonen, zerreissen im Jahre 1878 auf einmal die Einheit, "wueten" gegen ihren alten Propheten Geyer und den von ihm berufenen Apostel Gueldner, lassen sich dann selbst zu Aposteln machen und stellen sich, nachdem sie ihren Zweck erreicht, keck hin und sagen: "Wir sind die wahren Apostel, und in unser Fleisch ist Christus gekommen."
Wenn also die "apostolische Gemeinde" der Neu-Irvingianer aufs allerschaerfste Gottes Ordnung und apostolische Tat in der Neuzeit betont, so sagen wir nicht aus Sektenhass, wie sie sich so leicht einbildet, sondern um der Wahrheit willen und mit Recht: s i e r i c h t e t s i c h m i t i h r e n e i g e n e n W o r t e n u n d T a t e n, s i e i s t v e r u r t e i l t d u r c h i h r e e i g e n e G e s c h i c h t e.
Lehre und Verfassung der Neu-Irvingianer hangen aufs engste zusammen. Die Leitung der Gemeinde liegt bei den Aposteln, und der Glaube an die Sendung der Apostel ist Hauptlehre und gehoert zur Seligkeit.
Nach den "Waechterstimmen aus Ephraim" hat "Jesus Christus als wahrhaftiger Gesandter und Apostel Apostel hier in die Welt gesandt und gesetzt, hat als das Fleisch gewordene Wort hier in der Welt durch Apostel wieder Apostel gesetzt und durch diese weiter die uebrigen helfenden Aemter nach Bedarf in die Gemeinden gestellt, wie es heute am Tage ist, die da den Leib der Gemeinde zu der Vollkommenheit in der Einheit bearbeiten sollen und dazu bis ans Ende doch bleiben muessen, um durch die Augen der Aposteln (!) im Fleische Jesum mit dem verklaerten Leibe gen Himmel gefahren gesehen haben, auch mit den Apostelaugen, als das lebende und wirkende Licht in der Gemeinde, wie er aufgefahren ist, auch wiederkommen sehen."
Aus den oft verworren klingenden, grammatisch und orthographisch vielfach unrichtigen, im abschreckendsten Stil verfassten Schriftstuecken der "Apostel" Krebs und Niehaus toent es immer wieder zum Ermueden heraus: "Jesus Christus im Fleische, in den Aposteln, der Sohn ist in dieser Zeit zu s e h e n in seinen gesandten Aposteln." Ohne weiteres werden die an die ersten Apostel des Herrn gerichteten Worte als an die Apostel der Neuzeit gerichtet angesehen. "Jesus sagt zu ihnen: So wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Was ihr auf Erden bindet, das soll im Himmel gebunden sein und was ihr auf Erden loeset, das soll im Himmel los sein. Wer euch hoeret, der hoeret mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat, den Vater oder die Vaterschaft Gottes in seinen gesandten Aposteln. Als Jesus zuruecktrat (!), sagte er zu seinen Aposteln: "Ihr seid das Licht der Welt (die Sonne), und seit kurzer Zeit ist das Werk in der Sendung des fleischgewordenen Wortes aufgegangen als ein helles Licht, und das so vielen verschleierte Geheimnis "Gott geoffenbart im Fleisch" (1. Tim. 3, 16) wird den Erstlingen offenbar. Das wunderbare Geheimnis, was verborgen gewesen ist von der Welt her, die grossen Maenner haben es nicht erkannt in frueheren Zeiten, naemlich das Geheimnis C h r i s t u s i n u n s, der da ist die Hoffnung der Herrlichkeit. Kol. 1, 26-27." (1) Schon hier wird falsch zitiert. Kol. 1, 27 steht nicht "Christus in uns," sondern "Christus in euch," also von der Gemeinde gesagt.) Jetzt kann man "sehen den anderen Troester, den heiligen Geist, den Jesus vom Vater in die Welt zu seinen Aposteln gesandt hat."
Also der dreieinige Gott, besonders Jesus Christus ist nach der neuen Lehre zu s e h e n in den derzeitigen Aposteln, und besonders der Vergoetterung nahe ist der "Einheits-Apostel" Niehaus. So schreibt der "Apostel" Bornemann im Herold (Nr. 119, Juni 1905): "Das eine Panier ist Christus in dem Einheits-Apostel Niehaus, Niehaus ist unser Panier, unsre Fahne, der wir folgen. Wir glauben, dass sich der Koenig Jesus Christus in diesem Panier vergegenwaertigt, verlassen wir den Apostel, so verlassen wir Jesus und sind fahnenfluechtig und haben den Eid gebrochen." Noch vermeiden sie es, obgleich sie einmal von "wahren Christussen" (!) reden, die da sein muessten, geradezu zu sagen: "Wir Apostel s i n d Christus," denn die Gotteslaesterung waere zu offenbar und die Weissagung des Herrn von den falschen Christi (Matth. 24, 23-24) wuerde zu sehr in die Augen fallen; aber das "Christus in uns, den Aposteln," wird in einer Weise gesteigert, dass dieser Schritt nicht weit erscheint. So lassen es sich diese armseligen neuen Apostel gefallen, von ihren Gemeindegliedern aus dem "Apostolischen Gesangbuch" (1) Apostolisches Gesangbuch. Verlag: W. Sebastian, Wolfenbuettel.) derart angesungen zu werden: "Nun ruehmet den Segen, den mein Knecht euch spendet, Sein Tun erfrischt doch jedes Herz, Er ist uns zur Speise von Gott gesendet, Vor seinem Mund flieht jeder Schmerz. Wer misst die Liebe in meinem Apostel, In meinem Apostel? Wer waescht uns rein ohn' seine Hand? Er traegt, er traegt den Schluessel der Hoell' und des Todes, Im Fleische steht hier Gott vor uns. Im Fleische steht hier Gott vor uns." (Apost. Gesangbuch Nr. 281.) Ferner (Nr. 278): "Andere suchen in den Lueften Ihn, der immer bei uns ist, Nicht in Graebern, nicht in Grueften Ist der Heiland Jesus Christ. Hier im Fleische, im Apostel, Zeigt sich Gott dem Kindersinn. Offenbar sei sein Geheimnis, Gott im Fleisch ist der Gewinn. Chor: Darum preiset Gottes Lieb', Lobt den wahren Gott von heut', der sich offenbart im Fleische und uns bleibt in Ewigkeit." In dieser Weise geht es durch eine grosse Anzahl von Liedern. Es wird vollkommen geheissen, "der Friedefuerst im Fleisch, der Knechtsgestalt angenommen und heut' noch ist wie einst, der treue Gottesmann, in dem, wer aus dem Geist geboren, Gottes Lamm sieht." Immer wieder wird gepriesen "Jesus in der Sendung, das Apostelamt, der Herr im Fleisch, dem in Fleisch allein es gilt gehorsam sein."
Somit wird nichts Geringeres gelehrt, als eine neue Fleischwerdung des Herrn, eine Sendung des Geistes Jesu in das Fleisch der Apostel als der Traeger des Amtes. Und dieser Wuerde der Apostel entspricht ihre M a c h t. Ihnen hat Christus "nicht allein die Schluessel des Himmelreichs, sondern auch der Hoelle und des Todes, die Schluesselgewalt des Totenreiches, des Hades gegeben und diese Loese- und Bindgewalt, diese Macht einzufuehren und auszuschliessen, wird n u r offenbar in den Aposteln Christi, die heute gesandt sind in dieser Zeit. Mit ihnen redet Gott muendlich, ihr Wort ist Gottes Wort und die Stimme des Sohnes Gottes wird nur durch seine gesandten Apostel offenbar. Die alten einst gelebten (sic!) Apostel und Propheten koennen uns nichts mehr helfen, das waren die Werkzeuge Gottes ihrer Zeit," aber von gegenwaertiger Zeit gilt Hes. 34: "Ich will mich meiner Herde selbst annehmen." Die Apostel sind "mit der Macht und Autoritaet Christi bekleidet, sie haben das Amt, das den Geist gibt, und der heilige Geist wird nur da offenbar, wo die Apostel sind." Zu ihnen ist das Himmelreich, und der Segen und das Heil ist nur durch die Taten Gottes der Gegenwart zu erlangen von dem, "der da ist." Nur unter den Aposteln kann ein gesundes Gemeindeleben gedeihen, sie sollen an Christi Statt den einen Weinstock ausmachen, woran die Glieder als Reben sind und durch die Aposteltaten herauswachsen. Sie sind es, welche die etlichen (Hebr. 4) zur Ruhe bringen sollen mit ihren Taten des Gehorsams. So ist der Unglaube an die Taten Jesu von heute eine Todsuende, und Jesus hat heute dieselbe Berechtigung und Macht zu sagen durch den Mund seiner Apostel" "Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich."
Und diesem "apostolischen" Zeugnis schliesst sich wiederum das von den Aposteln gebilligte Zeugnis der Gemeinde in ihren Liedern an. Das Apostelamt wird gebeten: "Hilf ueberwinden und fuehre du uns himmelwaerts (Gesangbuch Nr. 337, 4), staerk uns im Glauben, du Glaubensfels, Christus im Fleische (364, 8)! Apostelamt, gesandter Geist, dir sei gebracht Ruhm, Dank und Preis, Lob, Ehre und Anbetung. Du hast mich aus des Irrtums Macht Aus Gnaden an dein Licht gebracht, Ich fand in dir Erloesung. Du hast ohn' Rast neues Leben mir gegeben in der Sendung, in dem Amte der Versoehnung" (221, 1).
Hat man nicht "Selbstverleugnung" genug, das zu glauben, und kennt man diejenigen, die mit dem Apostelamt bekleidet sind, von Jugend auf, auch die "Schwaechen ihres Fleisches," dann, heisst es, wuerde "die Sprache der Juden laut: Ist das nicht Josephs Sohn, dessen Vater und Mutter wir kennen? Ist das nicht des Zimmermanns Sohn, der nicht mal die hohe Schule besucht hat? Was kann aus Nazareth Gutes kommen, sagten die Juden. Ja, noch mehr: Wir wissen, dass dieser Mensch ein Suender ist (Joh. 9). Die sollen also bekleidet sein mit den Taten des Sohnes, der frei machenden Gnade? Darin soll man den frei machenden Sohn Gottes sehen und erkennen? Die sollen Macht haben zu loesen und zu binden?" Und diese Bedenken werden einfach niedergeschlagen mit den Worten: "Wer ueberwindet sich selbst? Das Werk Gottes ist ein Glaubenswerk, und Gott fordert Glauben, und ohne Glauben ist es unmoeglich Gott zu gefallen."(1) Die Zitate sind aus folgenden Nummern der "Waechterstimmen": 58, 61, 83, 79, 81, 78, 73, 76, 70, 80, 77, 72, 71.)
Sieht man in solchen Reden von der Fleischwerdung Christi in den Aposteln Gotteslaesterung, so heisst es: "Wir lesen Joh. 5, 18, dass die Juden zu Jesu sagen: Du laesterst Gott, dass er gesagt habe, Gott sei sein Vater." Stellt man aber die wahre Behauptung auf: Niemand anders koenne sagen, dass er das fleischgewordene Wort sei als der Sohn Gottes vor 1900 Jahren, so geht der Schreiber der "Waechterstimmen" (Nr. 53) leichtfertig genug in pantheistischer Weise darueber hinweg mit den Worten: "O, welch ein Irrtum! Ist nicht ein jeder Grashalm oder Baum oder jedes Tier oder jeder Mensch ein fleischgewordenes Wort? - Wir Menschen koennen wohl ein Samenkorn in die Erde legen, und weiter geht unser Vermoegen nicht. Steht nun nicht in jedem Grashalm das Wort: es werde! Und es ward, nahm einen Koerper an. Somit muessen wir doch sagen von dem kleinsten Grashalm, es steht das schaffende Wort in ihm verkoerpert da. Somit steht das schaffende Wort in jedem Tiere und Menschen."
Nun, wenn es mit dem Herrn Jesus weiter nichts ist, dann hat man seine ewige Gottheit nicht erkannt, und wenn es mit den heutigen Aposteln weiter nichts ist, dann koennen wir sie getrost zu den Grashalmen werfen. Freilich faehrt nun der "apostolische" Schreiber fort: "Nicht ist aller Same einerlei Same, so sind auch alle Koerper nicht gleich. Es sind irdische Koerper, es sind himmlische Koerper, die sich in den Klarheiten unterscheiden." Wir aber erkennen, dass es ein dreistes Spielen mit dem "ewigen Wort" ist, das diese neuen Apostel zu treiben wagen.
Auch ihre Stellung zu dem g e s c h i c h t l i c h e n C h r i s t u s ist verwerflich. So war nach den "Waechterstimmen (Nr. 13) der Herr Jesus "gesandt im suendlichen (!)(1) In Nr. 67 des "Herold" (1901) heisst es: "im suendlosen Fleisch." Man weiss es wohl nicht recht.) Fleische in die Welt, um die Welt in sich zu versoehnen." Aber nicht die Erloesungstat Jesu am Kreuz ist Hauptgegenstand dieser neuapostolischen Verkuendigung, denn das Sehen "auf den geschichtlichen Christus, der da gelebt hat," hilft nicht, wie man sich auch "nicht frei machen lassen kann durch einen unsichtbaren Christus." Die Predigt von den einst geschehenen Taten ist "alt und ueberlebt, viel hoeher steht uns die grosse Gottestat in der Gabe seines Sohnes Jesu mit den ueber uns gekommenen Taten,"(2) Siehe "Waechterstimmen" Nr. 53 und 2.) also die Sendung der neuen Apostel. "Die Gnade liegt nur im Fleische, gelegt in sein Gnaden- und Apostelamt."(3) "Waechterstimmen" Nr. 121.)
Weil diese neuen Apostel Jesum in sich zu haben meinen, kommen sie zu einer jedes tiefere christliche Gemuet tief verletzenden Gleichstellung: Jesus der Apostel - sie die Apostel, Jesus das Lamm Gottes - die Apostel das Lamm Gottes, Jesus der Weinstock - die Apostel der Weinstock! Es fehlt die heilige Scheu vor dem wahrhaftigen Sohne Gottes, es fehlt das Gebet zu ihm, den Unsichtbaren, man hat ihn ja in den Aposteln, es fehlt die ernste, demuetige Unterscheidung zwischen dem Herrn und den "unnuetzen Knechten," die er seines Dienstes wuerdigt, zwischen dem ewigen Gottessohn und uns, den Staubgeborenen, die wir erst durch seine Gnade Gottes Kinder werden. Wir wissen nicht, was bei diesen falschen Aposteln groesser ist: die Verkehrung der einfachen Schriftworte oder die ungezuegelte Schwaermerei.
Aber womit weisen sich denn diese sonderbaren Apostel aus? Die Anfaenge ihrer Geschichte in Koenigsberg, Hamburg und Braunschweig tragen, wie wir gesehen haben, nichts weniger als goettlichen Charakter. Berufen sie sich auf die H e i l i g e S c h r i f t ? Nun, wie es ihnen passt, oft genug reichlich mit recht gekuenstelter oder gewaltsamer Auslegung, aber der Beweis aus der Schrift, dass man nach den Aposteln der Urkirche noch andere wahre Apostel und zwar dauernd bis ans Ende zu erwarten habe, tritt in neuster Zeit merkwuerdig zurueck, und das "Wort von heut" wird "dem Bibelwort gleich oder noch darueber gestellt." Die "Waechterstimmen" (Nr. 64 und 62) sprechen es aus: "Wo man sich an den Buchstaben bindet und glaubt, das Christentum bestehe darin, die Bibel zu verteidigen, so haben wir oft gefunden, dass Gott solche Weise verurteilt;" weiter im Anschluss an 1. Kor. 13, 11-13: "Diese stueckweise Erkenntnis des Apostels Paulus und seiner Umgebung, seiner Zeit, kann doch nicht als vollkommene Form und Norm fuer alle Zeiten hingestellt werden! Es ist dem Boesen gelungen, die Bibel als heilig hinzustellen, das Wort von heute ist unseres Fusses Leuchte." (1) Siehe "Waechterstimmen" Nr. 63, 78, 69.) "Wenn der Apostel als Fuehrer ein Wort oder Gebot gibt, und der Bischof oder Priester will erst mal nachlesen in der Bibel, ob Moses das auch gesagt oder Paulus oder Petrus, nein, was du heute hoerest, das ist massgebend, dafuer bist du verantwortlich."(2) "Herold" Nr. 121, 4.)
Kein Wunder bei solcher Stellung, wenn man sich ueber die "Bibelheiligen" lustig macht und es einfach als Torheit bezeichnet, dass "vor kurzem ein Bibelheiliger sagte: Wenn wir die Bibel haben, dann haben wir alles." Somit sind diese Leute aus der Heiligen Schrift schwer zu ueberwinden. Gottes Wort prallt an dem "Wort von heut" ab. Dann aber ist ihre Lehre auch fuer evangelische Christen g e r i c h t e t - d u r c h i h r e S t e l l u n g z u r S c h r i f t.
Gleichwohl soll auch noch das Wort der Schrift, auf das sie sich immerhin berufen, ihre Lehre richten, und so gehen wir auf einige Stellen, die sie dafuer anfuehren, dass der Herr ausser den Uraposteln noch andere Apostel bis ans Ende der Welt senden wollte und dass er in ihnen sei, ein.
Zunaechst ist es die Schriftstelle, welche bereits die alten Irvingianer fuer sich anfuehrten: Eph. 4, 11-13. Aber diese sagt nur, dass Christus die einen als Apostel usw. g e g e b e n h a t zum Werk der Dienstleistung (griech. diakonias). Also nicht von einem bleibenden Amt ist die Rede, nicht von einer Gesetzesvorschrift, sondern von Personen und Kraeften, welche der erhoehte Heiland als Gaben geschenkt hat zur Erbauung seines Leibes. Das "bis" aber in V. 13, dem die Irvingianer eine falsche Beziehung auf V. 11 geben, gehoert zu Vers 12 und haengt ab von griech. eis oikodomen tou soomatos tou Christou - eine Erbauung soll stattfinden, bis usw. Die Neu-Irvingianer machen dazu ihre Beweisstelle selbst zunicht, indem sie schreiben (62, 7):(1) Die in Klammern ohne weitere Angabe gesetzten Zahlen bezeichnen immer Nummer und Seite der "Waechterstimmen aus Ephraim.") "Wenn aus Eph. 4, 11 nur die Form nach den toten Buchstaben gemacht wird, so ist das verwerflich, und man kann dann noch mehr Aemter anfuehren als Bischoefe, Aelteste, Helfer, Regierer usw. 1. Kor. 12, 28."
Eine fuer die Neu-Irvingianer wichtige Schriftstelle, die oft (61, 2 usw.) angefuehrt wird, ist Apg. 1: 8: "Ihr werdet meine Zeugen sein zu Jerusalem und in ganz Judaea und Samaria und b i s a n d a s E n d e d e r E r d e." Sie fassen das "bis an das Ende der Erde" zeitlich auf, waehrend es nach dem Zusammenhang und dem griechischen Wort (eoos eschaton tes ges) nichts anders als oertlich, geographisch aufzufassen ist, sei es dass man unter dem "Ende der Erde" Palaestina oder die damalige bekannte Welt zu denken hat. Mithin ist nicht gesagt, dass es Apostel so lange geben wird, bis d i e s e Erde existiere, sondern der Herr redet seine damaligen Zeugen, die von ihm persoenlich erwaehlten wahren Apostel, an und sagt ihnen, dass sie sein Evangelium in die weiteste Ferne tragen wuerden.
Ein Monstrum von Schriftauslegung findet sich in den Statuten der apostolischen Gemeinde": "Gott hat in dieser Zeit seine Engel (Boten) gesandt, um seine Kinder zu sammeln. Matth. 24, 31. Diese Engel werden Matth. 13, 39 Schnitter genannt, und diese Schnitter als Engel finden wir Joh. 4, 35-38 unter seinen Aposteln. Wenn nun zur Zeit der Herr Jesus seine Apostel sandte, die Glaeubigen aus Juden und Heiden als den Weizen von den Feldern der juedischen und heidnischen Religionsgesellschaften (genannt von Jesu "die Welt") zu schneiden, so will Gott nach dem Worte Jesu (Luk. 14, 22-23) denselben Knecht zum Sammeln und Einladen in die Scheunen der Rettung senden." Es hiesse Zeit verschwenden, wollte man auf diese seltsamen Gedankenspruenge naeher eingehen. Es genuege der Hinweis, dass Matth. 24, 31 nicht im allgemeinen von "Boten" handelt, noch weniger von neuen Aposteln, sondern von den heiligen Engeln Gottes, welche n a c h der Zeit der Truebsal (V. 29), n a c h der Wiederkunft des Herrn (V. 30) gesendet werden. Und dass die Zeit der Truebsal schon vorueber sei, die Wiederkunft des Herrn schon stattgefunden habe, behaupten ja selbst Niehaus und Genossen nicht.
Auf derselben Linie liegt der Beweis aus Offb. 7, 2-8. (Nr. 70, 5.) Da heisst es: "Ich sahe einen Engel kommen vom Aufgang der Sonne, der hatte das Siegel des lebendigen Gottes und schrie mit grosser Stimme: haltet die Winde fest, bis das wir versiegeln die Knechte unseres Gottes an ihren Stirnen usw." Engel seien Diener, und sehr oft wuerden Diener Gottes Engel genannt, z.B. Johannes der Taeufer, von dem es Mal. 3 heisse: "Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her." "So sind doch wohl die Apostel die ersten Engel und Diener Jesu." Gestuetzt wird dann die Behauptung dadurch, dass sich in unsrer Zeit die "Versiegelung", welche nach ihrer Meinung auch die alten Apostel und nur die Apostel ausgefuehrt haben, in keiner kirchlichen Gemeinschaft finde als nur in der "apostolischen Kirche". Also weil die neuen Apostel der Irvingianer eine kirchliche Handlung vornehmen, welche sie "Versiegelung" nennen, sind sie gleichwertig den Uraposteln und dem Engel in der Offenbarung!
Eine gern angefuehrte Stelle ist auch Luk. 11, 49. Man argumentiert dann: Der Heiland haette zwoelf Apostel schon erwaehlt (Luk. 9, 1) und haette d a n a c h gesagt: "Ich werde senden Apostel und Propheten," somit haette er auf eine weitere Sendung, also auch auf die Apostel der Neuzeit hingewiesen. Woertlich heisst die Stelle: "Darum h a t auch die Weisheit Gottes gesagt: "Ich werde zu ihnen senden." Der Herr fuehrt hier also ein Wort an, das der V e r g a n g e n h e i t angehoert, nicht sagt er von sich: "Ich werde senden." Gemeint ist (1) Vgl. Kommentar von Strack-Zoeckler (Noesgen) zu der Stelle.) die vor Gott von Anbeginn (nach Sprichw. 8, 30) "spielende Weisheit" (vgl. auch Spr. 8, 1), der allezeit das Richtige treffende und beschliessende Gotteswille. Die Ausfuehrung des Beschlusses liegt jetzt, d.h. zur Zeit Jesu vor. Ausserdem ergibt sich aus dem Zusammenhang (V. 50), dass an eine Sendung von Aposteln in der Neuzeit unmoeglich gedacht sein kann.
Schliesslich weisen sie darauf hin, dass es in der ersten Christenheit ausser den Zwoelfen noch andere Apostel wie Paulus und Barnabas gegeben habe, aber damit ist, wie wir noch spaeter sehen werden, fuer die Folge- und Endzeit nichts bewiesen.
Mit diesen Stellen sind nun aber auch die hauptsaechlichsten Belege, welche die Neu-Irvingianer fuer die Dauer des Apostelamtes bis ans Ende anfuehren, erledigt. Oder sollen wir es noch ernst nehmen, wenn sie schreiben (77, 8): "Jesus bat zur Zeit fuer seine Apostel und fuer die, die durch der Apostel Wort an Jesum glauben werden, Jesus sagte zu seinen Aposteln: Vater, ich bitte auch fuer die, die durch das Apostelamt an mich glauben" (66, 3)? Soll man es ernsthaft nehmen, wenn Priester der "apostolischen Gemeinde" zu behaupten wagen, Jesus habe fuer die Apostel gebeten: "dass du sie bewahrest und nicht von der Welt nehmest, Vater, ich bitte, dass du sie behaltest, bis dass ich wiederkomme," er habe gesagt: "ich will meine Boten senden, zu sammeln meine Auserwaehlten, ehe denn ich komme!" Man braucht sie bei diesen Willkuerlichkeiten oder Verdrehungen nur zu fragen: "Wo steht das geschrieben?" Dann sieht man sie unnuetz herumblaettern in der Bibel. Sie werden verlegen oder bringen leeres Gerede vor. Aber der Zweck ist bei den unwissenden Zuhoerern, die leider ihre Bibel nicht gut genug kennen und sich von jedem Schwaetzer bekoeren lassen, erreicht.
Und in das Fleisch dieser Apostel soll der Herr Jesus gesandt sein! Dafuer fuehren sie (81, 1) zunaechst 1. Joh. 4, 2 und Hebr. 13, 8 an: "Den Geist sollen wir daran erkennen, dass er bekennt Christus im Fleische" (1. Joh. 4, 1) und zwar nicht nur einst, sondern auch heute, immer denselben, wie auch Paulus sagte: "Jesus Christus, gestern und heute und derselbe in alle Ewigkeit." Dazu kommt das bereits oben angefuehrte Wort 1. Tim. 3, 16: "Gott ist geoffenbart im Fleisch." Man sieht, wie man diesen Schriftstellen, welche von dem einmal Mensch gewordenen Sohn Gottes handeln, der den wechselnden Lehrern und den mancherlei Lehren gegenueber in seinem innersten Wesen immer derselbe bleibt in seiner Gnade und Treue, Gewalt antut. Dass aber Jesus seiner menschlichen Daseinsform, dem Fleische nach, immer derselbe geblieben, steht nicht da, ist auch im Sinne der Neu-Irvingianer nicht wahr, denn die Christenheit hat die Jahrhunderte hindurch ohne Apostel bestanden.
Eine beliebte Stelle, aus der man das, was man haben will, auch herausliest, ist Apg. 3, 26: "Der Apostel Petrus," heisst es "Waechterstimmen" 66, 1, "sagte einst zu den Juden Apg. 3, 26: Gott hat sein Kind Jesum aufgeweckt und zu euch gesandt - doch weiss jeder, dass Jesus nicht im verklaerten Auferstehungsleibe zu den juden gesandt ist. Nach seiner Auferstehung hat er mit keinem unglaeubigen Juden gesprochen, sondern nur mit seinen Glaeubigen. Somit ist das auferweckte Kind Jesum (!) doch wohl in der Knechtsgestalt in den gesandten Aposteln zu den Juden gesandt." Auch mit dieser Beweisstelle ist es nichts. Nach richtiger Uebersetzung (Dr. C. Weizsaecker) heisst es Apg. 3, 26: "euch zuerst hat Gott seinen Knecht Jesus aufgestellt und abgesandt euch zu segnen durch Bekehrung eines jeden von euren Bosheiten." Der Ausdruck, den Luther mit "auferweckt" uebersetzt (griech. anastesas), ist hier bei der offenbaren Beziehung auf V. 22 nicht von der Auferweckung aus dem Tode, sondern von dem Erstehenlassen zum Leben und Wirken gemeint, welches sich in der Sendung des Messias vollzogen hat. Also nicht eine Taetigkeit, die der im verbum finitum (griech. apesteilen) bezeichneten vorangeht, ist gemeint, sondern eine Taetigkeit, in der sich das verbum finitum selbst vollzieht. (1) Vgl. Meyers krit. exeg. Kommentar ueber das N.T. - Apg. von D. Wendt.) Jesus, der in der Erfuellungszeit Erschienene ist der "Aufgestellte und Gesendete," nicht er in den Aposteln, nachdem er vom Tode auferweckt worden ist.
Die abschreckendste Bibelerklaerung aber, welche sich die neuen Apostel nach dieser Richtung gestatten, ist wohl die auf Grund von Matth. 24, 24 gegebene. "Wenn Jesus," heisst es in den "Waechterstimmen" 83, 4, "vor falschen Christussen und falschen Propheten warnt, dann muessen w a h r e C h r i s t u s s e u n d P r o p h e t e n d a s e i n , sonst ist die Warnung eine ganz ueberfluessige, das werden wir aber doch nicht glauben, dass Jesus in den Wind geredet hat." Im Zusammenhang damit zieht man folgende Schluesse (83, 4): "In einem Lande oder unter einem Volke, wo es ueberhaupt keine Muenze (Geld) gibt, da kann es auch kein falsches geben, denn ein jeder weiss, es besteht kein Geld, somit ist die Warnung ganz ueberfluessig. Denn wenn es gar kein Geld gibt, kann auch falsches Geld nicht fuer wahres ausgegeben werden. Erst wenn wahres Geld im Umlauf ist und gebraucht wird, ist die Warnung gerechtfertigt: Huetet euch vor falschem Gelde! Wenn das Wahrheit ist, wie man oft hoert: es gibt ueberhaupt keinen Christus mehr, auch keine Propheten, dann ist die Warnung vor dem falschen Christus und den Propheten ueberfluessig. Erst muss das Wahre da sein, dann erst ist die Warnung gerechtfertigt: "huetet euch vor dem Falschen."
Zunaechst interessiert und - schmerzt die Behauptung von dem Dasein der "wahren Christusse," und an ihr merken wir, wie notwendig des Heilandes Mahnung war: "So alsdann jemand zu euch wird sagen: Siehe, hie ist Christus oder da, so sollt ihr's nicht glauben" (Matth. 24, 23). Sein prophetischer Blick hat die Bewegung der Neu-Irvingianer vorausgesehen, und sein Wort hat vor ihr gewarnt. Aber auch der ganze Beweis ist hinfaellig. Wenn sie mit ihrem Beispiel von einem mit Muenze voellig unbekannten Volke dartun wollen, dass die Christenheit nicht imstande sei, falsche "Christi und Propheten" zu erkennen, eben weil ihr der Begriff der echten Gottgesandten fehle, so trifft das den Tatbestand nicht; denn w i r k e n n e n d e n e i n e n w a h r h a f t i g e n C h r i s t u s und das Bild der wahren Apostel und wissen von dieser Kenntnis aus sehr wohl falsche "Christusse und Apostel", wie sie sich in Niehaus und Genossen darstellen, zu beurteilen.
Was ist denn das Besondere der w a h r h a f t i g e n Apostel Jesu Christi? Dreierlei kann man auf Grund der Heiligen Schrift anfuehren.(1) Siehe die wertvollen Auseinandersetzungen in der "Allg. ev-luth. Kirchen-Zeitung," 18. Jahrg. Leipzig 1885. S. 1100, aus denen die im folgenden genannten drei Punkte entnommen sind.)
1. "Der Beruf jener war Grundlegung der Kirche. Eph. 2, 20; Roem. 15, 20 f. Der Grund derselben aber ist gelegt." Will man jetzt, wo das Haus bald seinen Abschluss findet, noch einmal Grund legen?
2. "Jene mussten Zeugen des Auferstandenen sein. Apg. 1, 22 und 1. Kor. 9, 1; wobei die richtige Frage zu beachten ist: "Bin ich nicht ein Apostel? habe ich nicht den Herrn Jesum gesehen?" Darum ist er Paulo erschienen, diesen "Aposteln" der Neuzeit nicht.
3. Jene waren unmittelbar von Christo erwaehlt, selbst Matthias deshalb durchs Los, Paulus durch unmittelbare Berufung Jesu Christi; die Wahl dieser n e u e n Apostel aber ist durch Menschen, durch angebliche Propheten, vermittelt, obgleich auch sie das Paulinische Wort: "noch durch Menschen," Gal. 1, 1, auf sich anwenden, aber missbraeuchlich.
Freilich fuehren nun die Irvingianer solche Apostel der alten Kirche an, von deren unmittelbaren Erwaehlung durch den Herrn nichts berichtet wird. Sie nennen Barnabas - Apg. 14, 14 - auch Andronikus und Junias - Roem. 16, 7; - aber die letzteren duerften sofort hier ausscheiden, wenn das griech. episemoi en tois apostolois Roem. 16, 7 richtig mit "ruehmlichst bekannt im Kreise der Apostel" uebersetzt wird. Die Frage mit Barnabas lassen wir ruhig offen. Moeglich, dass der Herr wie den Paulus auch ihn unmittelbar berufen hat. Vielleicht aber hat bei ihm die Bezeichnung Apostel im w e i t e r e n Sinn zu gelten, wie auch wir von dem "Apostel der Deutschen" oder von Missionaren reden, die als Sendlinge auch mit dem Namen Missionar, Apostel bezeichnet werden koennen. Wie es nach 2. Kor. 11, 13 und anderen Stellen scheint, ist das Wort Apostel in den ersten Zeiten auch in weiterer Beziehung auf Abgesandte d e r G e m e i n d e n (griech. apostoloi ekklesioon (2. Kor. 8, 23 - vergleiche Gegensatz bei Paulus: "Apostel Jesu Christi," Eph. 1, 1 und "nicht von Menschen, auch nicht durch Menschen" Gal. 1, 1), Wanderlehrer, auf solche angewendet worden, welche grundlegend von Christo zeugen,(1) Vgl. Cremer, Bibl. theol. Woerterbuch der neut. Graecitaet, Artikel griech. apostolos.) aber dann kommt ihnen auch nicht die volle Autoritaet der vom Herrn selbst erwaehlten Apostel zu. Doch wie es sein mag, muessten wir anerkennen, dass der Herr fuer die ersten Zeiten noch mehr Apostel berufen hat, als wir zu zaehlen gewohnt sind, so waere das verstaendlich fuer die Zeit der Gruendung der Kirche und ermoeglicht durch die Qualitaet der Juenger, von denen fuenfhundert Brueder auf einmal den auferstandenen Herrn gesehen haben (1. Kor. 15, 6), aber fuer die sogenannten Apostel der Neuzeit, welche den Herrn Jesum nicht gesehen haben, folgt nichts daraus. "Bin ich aber durch die neutestamentliche Schrift nicht angewiesen, neue Apostel zu erwarten, so kann ich auch solche nicht annehmen, und das um so weniger, je weniger bei diesen zutrifft, was doch von den alten gelten musste."(1) Allg. ev.-luth. Kirchen-Zeitung a.a.O.)
Ist so den Neu-Irvingianern der Beweis aus der Schrift nicht gelungen, so meinen sie ihn aus ihren Erfolgen bringen zu koennen. "Ein wahrer Apostel," so sagen sie (70, 8), muss sich legitimieren koennen durch Brief und Siegel, naemlich Gemeinden erfuellt mit dem heiligen Geist und Gaben, wie auch Paulus sagte: "Ihr seid das Siegel meines Amtes, ihr seid unser Brief. 2. Kor. 3, 2." Freilich, wie weit heiliger Geist und Gaben sich in den Gemeinden befinden, bestimmen nun wieder diese neuen Apostel selbst. Bei ihnen sind sie nach ihrer Meinung natuerlich vorhanden, aber sie wissen von falschen Aposteln zu reden, insbesondere von einem "falschen Apostel, der auf dem Wege des Ungehorsams sich erhoben hatte und einen nach dem Apostelamt luesternen Mann zum Apostel gemacht, wozu die falschen Geister in Gesichten, Traeumen und Offenbarungen helfen mussten. Er wurde nach dem Gelueste seines Herzens Apostel, und ein Teil folgte ihm." Also auch hier eine Gemeinde mit Gaben und Aposteln, aber gekennzeichnet als "vom Boesen betrogen." Siehe "Waechterstimmen" 81, 5. Was ist nun die entscheidende Instanz? Wir hoeren: "Alle diese Angefuehrten sind umgekommen oder stehen als kahle unfruchtbare Baeume an dem Wege zum Exempel fuer andere. Wir haben es erlebt, dass sich falsche Apostel aufwarfen und falsche Propheten, die sich als Gotteswunder hinstellten und im falschen Geiste grosse Zeichen hervorbrachten und auch viele verfuehrten, wo sind sie aber geblieben? Es war kein Erfolg zu verzeichnen. Wo der Herr der Baumeister ist, das wird erkannt an dem Baue, dem Fortgange" (81, 5; 83, 7; 82, 8).
Mithin ist der aeussere Erfolg in der Gruendung und Ausbreitung von Gemeinden nach der Meinung der Neu-Irvingianer die entscheidende Legitimation ihrer Apostel. Im Ernst? Nun, dann haben die Mormonen mit ihren Aposteln und auch Mohammedaner mit ihrem Propheten die gleiche Legitimation, ja stehen in Bezug auf Alter und Ausbreitung groesser da als die Neu-Irvingianer. Man merkt den Einwand und sagt (83, 7): "Man wird und entgegenbringen, dass doch so viel Sekten lange bestanden haben und weiter bestehen. - Ja, lieber Leser, du hast recht, aber wisse, dass es nicht immer Tag gewesen ist. Der Tag soll es offenbar machen, wie der Bau ist." Und nun denkt man an den "Tag Jesu Christi," den Tag der Zukunft, und koennte sich in etwas damit zufrieden geben, aber sofort heisst es weiter: "Jesus in seinen wahren Aposteln will das Licht der Welt sein, und wo das Licht offenbar wird, da wird es Tag, und dann soll man achten auf die Folgen" (83, 7). Man liest und staunt. - Der ganzen Weisheit Schluss ist doch am Ende: "Wir Apostel legitimieren uns selbst, d.h. wir sagen, wir sind Apostel, und nun ist es gut; und aller Widerspruch wird einfach totgeschlagen mit dem Wort: "Wer aber anders lehrt, der ist verflucht." (Waechterstimmen Nr. 122.)
In Bezug auf die "apostolische" Organisation ist noch folgendes zu bemerken. Zu des neu-irvingianischen Apostels Schwarz Zeiten (1872) hielt man noch dafuer, dass bei dem "zweiten Leuchter" (Offb. 11, 4, nach Schwarzens Deutung der neuapostolischen Gemeinde im Gegensatz zum "ersten", der katholisch-apostolischen Gemeinde) gleichwie bei den alten Irvingianern nur zwoelf Apostel erstehen wuerden,(1) Siehe "Das Buch fuer unsere Zeit" II, 89.) auch das "apostolische Glaubensbekenntnis, enthaltend die zehn Artikel," spricht nur von einem "zwoelffachen Apostelamt", das Jesus Christus als ein bleibendes gegeben habe. Heut haben es die neuen Apostel anders beschlossen. "Wo der Same, die Glaubensfrucht sich weiter vermehrt, muessen notwendig noch mehr Apostel gesandt werden, was aber die tote Zahl 12 nicht gestatten wuerde" (62, 7). So existieren jetzt, wie schon frueher erwaehnt, bereits 17 Apostel. Die Ernennung derselben erfolgt nach Krebsens Tode ausschliesslich durch Niehaus, wobei in formeller Weise, aber auch nur formell das prophetische Amt beteiligt ist. Und das nennt man eine Berufung durch Gott den Herrn!
Sittliche Hauptaufgabe der Apostel ist es, sich in der "Einheit des Geistes" zu erhalten. "Wuerde ein Apostel sich wollen absondern von dem einheitlichen Weinstocke, wie ein Thomas, der hat kein Licht und Leben in sich, sondern muss im Dunkel des Zweifels und Unglaubens verkehren. Jesus gab seinen Geist, um Suende vergeben zu koennen, der Einheit seiner Apostel als dem Weinstocke, worin die Kraft und das Leben ist; wer sich aber als Apostel absondern wuerde von dem Weinstock, der nur einer ist, der hat die Kraft und das Leben nicht in sich, sondern wird duerre im Zweifel und Unglauben" (77, 7). Und in wem diese Einheit gipfelt, wird uns auch klar. Der Heruasgeber der "Waechterstimmen", Krebs, schrieb in seinem Blatt (60, 7) in Anlehnung an Joh. 14, 9: "Wenn der Vater unter den vielen Vaetern als "einer" offenbar werden will, dann muss unter den Aposteln auch einer sein, in denen (kann grammatisch nur " i n d e m " heissen sollen) Gott als Vater der Einheit offenbar werden will. Gott hat vom Anfang ab unter zwei Personen schon einen zum Haupt und Vater gesetzt, worin er Vater sein wollte."
So hatte sich "Vater Krebs" eine Autoritaet zurechtgebaut, wie sie kein Papst haben kann. Man blieb in der "Einheit des Geistes," wenn man in Krebs blieb. Der Heiland aber sagt seinen wahren Aposteln und Juengern: "Bleibt in m i r, und ich in euch" (Joh. 15, 4) und: "Ihr sollt niemand Vater heissen auf Erden, denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist" (Matth. 23, 9).
Krebsens Vater- oder vielmehr Herrscherstellung hat nun im vollem Umfange Niehaus angetreten. Als ihn Krebs seinerzeit zum Apostel berufen hatte, sagte er in Amsterdam am 12. Juni 1898 in einer "Predigt": (1) Aus den stenographischen Aufzeichnungen ueber Predigt und Weissagung in Amsterdam am 12. Juni 1898, abgedruckt in den "Pastoralblaettern" 1905 S. 502.) "Zur Zeit in Bielefeld war viel Klagens und besonders von den Maennern auf der Spitze des Tempels, als ich dummer Mensch und Bauer auf die Hoehe gestellt wurde. Man sagte: kann d e r Apostel sein? Wie die Welt auch sagte, nun wird es offenbar, meine Dummheit wurde an den Pranger gestellt und an den Apostel Krebs gesandt: dies und das hat er getan, er stoesst sich an alle Steine." Jetzt ist er der "Vater" und "Einheits-Apostel", und die Seinen sagen (Herold Nr. 117, 3): "Wir stehen unter e i n e m V a t e r, der in dem einen Apostolate Christi offenbar wird, wenn auch 12 oder 15 oder noch mehr Apostel vorhanden sind, so haben wir doch keine 12 oder mehrere Vaeter, sondern nur e i n e n, wo auch das Bibelwort sagt: Haben wir nicht alle einen Vater, hat uns nicht ein Gott erschaffen? Somit bezeugen alle Apostel, alle Brueder, alle Kinder e i n e n V a t e r, der nicht auf dem Throne sitzt, sondern der fuer das Brot sorgt, der die Familie versorgt, der somit der erste Diener und Lasttraeger der Familie oder Gemeinschaft ist. Dieser Vater ist Gott, der aber in seiner Vaterschaft, in seinem Vaterwillen, in seiner Vaterliebe offenbar wird in einem Apostel unter den Aposteln." Niehaus selbst sagt dazu (Waechterstimmen 117): "Das Werk Gottes ist keine Demokratie, sondern steht unter e i n e m Haupt" und leistet sich dann den sophistischen Satz: "Wenn dies eine Haupt (Christus) unsichtbar ist, nur in der Phantasie besteht, dann kann man tun, was man will. Und so ist es in dieser Zeit auf kirchlichem Gebiet." Wie? besteht das, was unsichtbar ist, nur in der Phantasie? Und ist das wahr, dass man auf kirchlichem Gebiet tun kann, was man will? U n s ist der unsichtbare Jesus Christus kein phantastisches Gebilde, so wenig wie der unsichtbare Gott, die eigene Seele und die unschtbare Welt der Ewigkeit, und wir merken es in unserer evangelischen Kirche, dass von dem u n s i c h t b a r e n Haupt der Kirche belebende, heiligende Kraft ausgeht. Es muss furchtbar in dem "sichtbaren Christus," dem Haupt der "apostolischen Gemeinde" aussehen, wenn dies Haupt (Niehaus) sagen kann (Waechterstimmen 130, 5): "Wenn heute so viel sind, die mich Vater nennen und wohl den, der in mir ist, ebenso denselben auch ihren Herren heissen, so muss ich aber dazu sagen: was nicht aus dem Geiste Jesu, aus mir, ist, da bekenne ich mich nicht zu." Und 131, 7: "Wenn wir euch nicht die Suende vergeben, Gott vergibt euch lange nicht. Gott kann euch nicht erloesen, ihr habt euch an uns versuendigt. Nun sind wir der sprechende Mund, aber auch der Fuersprecher bei dem Vater." Wem ist nicht bange um die Seele eines suendigen Menschen, der sich selbst so hoch erhoeht? Da kann der tiefe Fall nicht ausbleiben, ja er ist schon eingetreten. Aber die uebrigen "Apostel" folgen blind dem blinden Blindenleiter und wirken immer "im Segen ihres Senders und Vaters."
Waehrend die Apostel "nicht von den Menschen, sondern von Gott gesandt sind," sind "sonst alle uebrigen Aemter und Diener durch die Apostel gesandt." So lesen wir in den "Waechterstimmen" (79, 6). Das v i e r f a c h e Amt, welches die alten Irvingianer auf Grund von Eph. 4, 11 meinten betonen zu muessen, haben die Neu-Irvinginaner fallen lassen. Das waere nur "Form nach den toten Buchstaben." Und so haben sie ausser Aposteln, Propheten, Evangelisten und Hirten, zumeist "Priester", im gewoehnlichen Verkehr "Brueder" genannt, noch Siebenziger (Apostelhelfer), Bischoefe, Bezirks-Aelteste und Gemeinde-Aelteste, welche im Range von Oberpriestern stehen, dazu Diakonen und Unterdiakonen, Laeufer und Tuerhueter. Das Amt der "Siebenziger" - wohl in Anlehnung an Luk. 10, 1 - ist erst in den letzten Jahren von Krebs geschaffen; die Bischoefe und Bezirksaeltesten haben einen groesseren bezw. kleineren Bezirk von Gemeinden unter sich, sollen in gewisser Beziehung die Apostel vertreten und "mit den ihnen zur Huelfe gegebenen Aemtern als Evangelisten, Hirten, Propheten, Diakonen und Diakonissinnen die anvertraute Herde zu erhalten suchen, sollen aber nicht selbstaendig handeln, sondern sich als Verwalter ansehen, die den Aposteln Rechenschaft schuldig sind" (2, 1). Insbesondere haben sie darauf zu sehen, dass die ihnen "zur Huelfe gegebenen Aemter nicht ihre eigenen Ansichten in der Gemeinde aufbauen," sonst werden sie selbst "zu schanden" (2, 2). Niehaus sagt: "Die Schafe sind nur den Aposteln anvertraut und keinem Bischof, Aeltesten noch Priester. Sie sollen die Apostelschafe nur weiden." (133, 3.) Die G e m e i n d e - A e l t e s t e n sind die ersten Priester groesserer Gemeinden. Die Diakonen und Diakonissen, welche unter dem Priesteramte stehen, haben ueber die Gemeindeglieder zu wachen; den Unter-Diakonen und Tuerhuetern sind Tuerhueterdienste, Reinigung der Abendmahlsgeraete u. dgl. anvertraut. Zu den sogenannten "C h a r a k t e r a e m t e r n" gehoeren ausser dem Apostelamte das Amt des Evangelisten, Hirten (Priesters) und Propheten. Es haben naemlich nach der Psychologie der "Waechterstimmen" "die Menschen verschiedene Charaktere, deren besonders vier genannt werden als Wille, Phantasie, Verstand, Gefuehl" (1, 3). "Nach diesen verschiedenen Charakteren" sollen die Menschen "gesegnet und bearbeitet" werden. So bearbeiten denn die Apostel, denen "eine unbeschraenkte Macht in den Himmel und auf Erden gegeben" ist, den Willen; die Propheten "repraesentieren den Phantasie-Charkter," die "Evangelisten tragen den Verstandescharakter", und so werden denn wohl die Hirten den "Gefuehlscharakter" tragen. Diese vier Aemter werden durch ein Bild veranschaulicht, welches sich wohl in allen gottesdienstlichen Lokalen der apostolischen Gemeinde und stets als Kopf auf den "Waechterstimmen aus Ephraim" befindet. Es soll Offb. 4, 7 darstellen und zeigt eine Art Podium, auf dessen oberster Stufe ein Loewe sitzt. Das ist nach der Erklaerung der "Waechterstimmen" Christus im Apostelamt. Auf der zweitobersten Stufe, gebueckt unter der erhobenen Tatze des Loewen, steht, mehr einem Geier aehnlich, der Adler. Das ist "der Prophet oder Christus im Prophetenamt." Auf der dritten Stufe sitzt der "Engel oder Mensch mit Fluegeln," ein Buch in den Haenden haltend und in die Ferne sehend - das Bild des Evangelisten, und endlich auf der untersten Stufe der Ochs, das "Bild des Hirtenamtes." Da die Gemeinde Gottes Ackerwerk ist, "soll der Ochs auf diesem Acker Gottes arbeiten." Alle diese "dienenden Huelfsaemter" der Propheten, Evangelisten und Hirten sind den Aposteln oder ihren Stellvertretern, den Aeltesten, Bischoefen Verantwortung schuldig. Es wird ihnen eingepraegt, dass sie keine eigenen Ansichten zu bringen haben, "kein altes, faules Pfuetzenwasser, wie man es ja ueberall von den faulen und traegen Hirten bekommen koenne," sondern das "frische Gruen der Gegenwart, des gesandten zeitgemaessen Wortes."
Besonders der Mahnung scheinen die oft gefaehrlich werdenden Propheten zu beduerfen, die "auf die Angaben der Baumeister, der Apostel und ihrer Vertreter, hoeren" sollen (2, 3). "Das Prophetenamt mit dem vorherrschenden Phantasiecharakter erhebt sich gern ueber alle Wolken, doch muss auch der Adler sein Haupt beugen, und der Loewe hat ihn zu maessigen in seinem Fluge, damit er nicht zu seinem eigenen Verderben zu hoch komme und dann in die Tiefe hinabstuerze, wie es leider schon vorgekommen ist" (1, 6). "Nichts ist leichter moeglich und so oft schon eingetreten, als dass ein Prophet von Hochmut erfasst, sich erhaben ueber alles duenkt, selbst ueber das Apostelamt und nun von dieser babylonischen Hoehe herab andern Menschen seines Fleischeswillen, nicht den unseres Gottes diktieren will. Gott musste darum ein Amt und zwar das hoechste, nuechterne, willenskraeftige Apostelamt ueber diese Geister stellen, welche so oft flatterhaft abschweifen. Darum muss die Tatze des Loewen allezeit wachsam erhoben ueber solchen Flattergeistern stehen und sie auf den Weg des Gehorsams und der Ordnung zurueckweisen" (122, 5). Es gibt "betrogene" Propheten, die etwas reden, "wodurch auch andere betrogen werden," die dann selbst "wieder betrogen werden durch falsche betruegerische Geister und Ansichten; Gott gibt ihnen kraeftige Irrtuemer, damit sie der Luege glauben" (69, 3). Unwillkuerlich denkt man wieder an die geschichtlichen Anfangen dieser Leute, an die durch die "Propheten" erfolgten Apostel-Ernennungen, und sagt sich: hier malen sie ihr eigen Bild. Es waren also doch wohl "betrogene Propheten" und "Flattergeister", welche sich gegen die alten englischen Apostel und dann wieder gegen den Apostel Gueldner auflehnten; aber diese neuen Krebs-Apostel wie Niehaus und Konsorten stellen dann alles auf den Kopf und wagen zu sagen: "Wir sind von Gott gesandt."
Die Zahl der Traeger des Propheten a m t e s scheint eine sehr beschraenkte zu sein. "Jedes Glied kann weissagen, aber nicht das Amt des Propheten tragen" (62, 8). Bin ich recht berichtet, so hat jeder Apostel einen Propheten bei sich. Wie ein solcher in Taetigkeit tritt, ist aus einer stenographischen Aufzeichnung zu ersehen, welche ein Neu-Irvinginaner von dem Hergang einer am 12. Juni 1898 zu Amsterdam vollzogenen Apostelwahl gemacht hat.(1) Die Schilderung der Wahl findet sich in der "Allg. ev.-luth. Kirchenzeitung" 1898. Nr. 35. S. 838 ff., neuerdings vollstaendiger abgedruckt in den von Lic. Neuberg herausgegebenen "Pastoralblaettern" Mai 1905 (8. Heft) S. 498 ff.) Der Apostel Krebs spricht ein Gebet: "Lieber Vater, dein Knecht und Apostel mit deinen Knechten und Aposteln steht hier vor dir. Die Zeit als die gegenwaertige, als eine erfuellte Zeit, verlangt in deinem Lichte nun auch deinen Kindern zu geben, was noetig ist. Die gemachte Erfahrung bedingt, dich zu bitten und zwar unter dieser Bedingung, dass auch dein Knecht mit deinen Aposteln die Hand auflege so circa ein Jahr noch darueber haelt, damit die Pflanzen gedeihen und auch deine Kinder wiederum sich freuen koennen. Das ist die Bedingung, die dein Knecht, Vater, an die Bitte stellt, die er dir jetzt vorbringt. Guter Vater, sieh doch an unser aller Verlangen, wir bitten dich, zeige doch jetzt an durch das Geisteszeugnis der Weissagung, durch den Mund der Propheten zuerst, wen hast du dazu ausersehen, jetzt wie ein Blitz aus dem Himmel herabzukommen, um das Apostelamt hier in Juda zu uebernehmen. Denn dein Knecht bittet dich darum in Jesu, deinem lieben Sohne. Amen."
Und nun folgt das "Geisteszeugnis" des Propheten: "Mein Apostel Ephraim (so wurde Krebs als Apostel des Stammes Ephraim genannt), den ich gemacht habe gleich einer Mutter. Du hast mir das Kindlein dargebracht. Sollte ich es dir nicht wiedergeben? So sage ich dir: Wahrlich, es ist mein heiliger Wille, dass mein Knecht und Stammbischof Hofmann (soll wohl heissen Kofmann) mir diene als ein Apostel in diesem Stamme. Und wahrlich, es ist ferner mein Wille, dass er noch bleibe unter deiner Hand, sowie dass er das Volk regiere mit Gerechtigkeit und Liebe. Auch soll er demuetig bleiben unter euch. - Darum, mein Knecht, haben meine Augen in dir gesehen auf das Allerverachtetste, womit ich will die Weisheit der Weisen zu Schande machen. Das ist mein Knecht und Stammbischof Hofmann, den ich erwaehlet als meinen Apostel ueber meine Kinder in Holland. Amen."
Es ist schwer zu sagen, was hier unangenehmer beruehrt: die Art des apostolischen Gebetes mit der Gott gestellten B e d i n g u n g oder die b e s t e l l t e A r b e i t, welche dieser Prophet als Gottes Stimme vortraegt. Das ist das Arge an diesen falschen Propheten, dass sie nicht sagen duerfen, was Gott will, sondern nur das, was ihnen die sogenannten Apostel "dargebracht" haben. Ist so diese Art von Propheten widerchristlich, so ist der ganze Amts-Mechanismus zum mindesten katholisch. Die "Waechterstimmen" sagen 78, 4: "Will Jesus sein Volk selig machen von den Suenden des Unglaubens, dann kann er es nur durch die Predigt im Glauben und vom Glauben, die gehoert wird durch der Apostel Mund, in der Gemeinde durch die Bischoefe, Aeltesten, Priester und Diener, die als Mund der Apostel in den Gemeinden das aussprechen sollen, was der Wille Jesu in den Aposteln ist" (18, 4). Danach gibt es eine Seligkeit nur durch Vermittlung der Priester, und nur sie koennen, wie man das auch muendlich von ihnen hoeren kann, die Suenden vergeben. So wird der biblisch-apostolisch-evangelischen Lehre vom allgemeinen Priestertum aller Glaeubigen (1. Petr. 2, 9) ins Gesicht geschlagen, Jakobus duerfte nicht schreiben: "Bekenne einer dem andern seine Suenden" (Jak. 5, 16), sondern muesste schreiben: "Bekenne jeder dem Priester seine Suende" und Matth. 18, 15-18, wo nach des Herrn Willen die hoechste Loese- und Bindegewalt der Gemeinde uebertragen wird, muesste aus der Bibel gestrichen werden. - Wohl kennt auch unsere evangelische Kirche einen geistlichen Stand: "das Amt, das die Versoehnung predigt," und die, welche zum lebendigen Glauben an den Heiland gekommen sind, wissen auch, wie viel sie dieser unserer Ordnung zu verdanken haben; aber die Stellung eines Priesters, der erst die Versoehnung des Menschen mit Gott zu vermitteln hat, lehnen wir, ob sie uns von katholischer oder neu-irvingianischer Seite entgegengebracht wird, auf Grund der heiligen Schrift ab. "Es ist ein Gott und e i n Mittler zwischen Gott und den Menschen, naemlich der Mensch Christus Jesus." (1. Tim. 2, 5.)
In der "Kreuz-Zeitung" findet sich unter den "gottesdienstlichen Anzeigen": "Apostolische Gemeinde. Predigt ueber die nahe Wiederkunft Jesu Christi. Jeden Sonn- und Festtag nachm. 4 Uhr sowie jeden Mittwoch abend 8 Uhr": da und da. "Zutritt fuer jedermann frei." Sucht man sich nach den angegebenen Strassen in Berlin die gottesdienstlichen Raeume auf, so findet man am Eingang der Haeuser ein Schild, auf welchem zu lesen ist, dass auch Sonntags vormittags, gewoehnlich um 9½ Uhr, Gottesdienst stattfindet. Die gottesdienstlichen Raeume liegen zumeist in Hinterhaeusern, in alten Fabrikgebaeuden, eine bis zwei Treppen hoch. Ein etwas 300 Menschen fassender weiss getuenchter Raum ist zu gottesdienstlichen Zwecken hergerichtet, d.h. es sind Baenke aufgestellt und auf Podien eine Art Katheder, von welchem die Predigten gehalten werden, und ein Harmonium. Sonst kahle Waende, kein Bild, nur in irgend einer Form die Darstellung der vier "Charakteraemter": Loewe, Adler, Engel und Ochs. Am Eingang ist eine Buechse fuer die Gaben der Glaeubigen angebracht. Dort wird man empfangen von Diakonen, welche die "Fremdlinge" sofort erkennen, ihnen einen Platz anweisen, ein "apostolisches Gesangbuch" ueberreichen und sie im uebrigen ueberwachen, dass sie nicht etwa stenographieren. Als Schmuck fand sich bei ihnen frueher das Bild des "Apostels" Krebs, als Kravatten-Nadel getragen; heut wird das nicht mehr gestattet sein, denn der neue "Vater" Niehaus ist "ein Gegner davon, Heiligenbilder in den Kirchenlokalen aufzuhaengen," und hat in der Aemterversammlung in Berlin im Maerz 1905 dekretiert: die Bilder von dem Apostel Krebs moege man in den Wohnhaeusern lassen, da habe er nichts dagegen, "wir sollen uns nicht an den toten Aposteln (!), sondern an den Lebenden halten." (Waechterstimmen 117.)
Inzwischen sind die Priester o h n e K u l t u s g e w a e n d e r, im gewoehnlichen Sonntagsrock oder Jackett erschienen und nehmen auf dem Podium Platz. Die Gemeinde, ueberwiegend aus Frauen bestehend, erhebt sich zum Eingansgesang. Nach dem Eingang: "Im Namen des Vaters" usw. folgt das "Eingangsgebet vom Dienstleitenden, wie der Geist der Gnade und des Gebets gibt." Darauf Gesang, Vorlesung einer Bibellektion und wieder Gesang. Der nun folgende Predigt geht ein kurzes Gebet vorher, etwa: "Lieber Vater, du hast gesagt: Fuerchtet euch nicht, ich will zur Stunde das rechte Wort geben. So gib es heut. Lass uns deine Gnade fassen durch deinen lieben Sohn, unsern Apostel. Lass mich durch das Gnadenamt eingehen zu deiner Herrlichkeit;" aber, ehe die Predigt beginnt, setzen die "Weissagungen" der Gemeindeglieder ein, die zumeist in Zuspruch an den Priester oder Mahnung an das Volk oder Warnung vor Kritik der "apostolischen Gemeinde" bestehen, z.B. bei der Apostelwahl in Amsterdam (1) S. Anm. S. 60.): "Mein Apostel Ephraim (Krebs), siehe hier den Lohn deines und deiner Brueder Glaubens, das Werk deiner Haende Arbeit. Ist dies Volk doch Erzeugnis meines Wortes in dir. Denn du bist Licht, Wahrheit und Leben. Habe ich dich nicht gemacht zu einer Mutter, aus der dies Volk genommen hat das Leben und die Kraft? Wahrlich, freue dich, Volk, dass der dreieinige Gott gekommen ist in das Fleisch seines Apostels hier vor dir; denn siehe, ich will diesen Tag kroenen." 2. Weissagung: "O siehe, mein Volk Juda, welches aus der Wahrheit ist, hoeret meine Stimme. Du mein Apostel, der du bist die Wahrheit und die Liebe. Wer deine Stimme hoert, soll leben" usw. Oder in einem andren Gottesdienst: "Habt acht auf meinen Geist, dass ihr gestaerkt und angehaucht werdet in dieser Stunde. Ihr seid nicht hier, dem Fleisch zu leben, ich, der Lebendige, will leben." Gesprochen wird das ziemlich schnell, von einigen unter Zuckungen des Koerpers, was manchen ein besonderes Zeichen zu sein scheint, dass der "Geist" eingetreten ist. Zuweilen ueberstuerzen sich die Stimmen - von Maennern und Frauen - so dass zwei zugleich anfangen. Dann muss der eine aufhoeren. "Vater" Niehaus mag die Weissagungen nicht hoeren, wie er denn in einem Berliner Gottesdienst im Mai 1900 sagt: "Haltet die Zeugnisse man zurueck, denn die Zeit ist kostbar, die wir hier unter euch sein koennen. Wenn wir aber weg sind, dann weissagt. Solange w i r hier sind, bewirken wir die Besserung, sind wir nicht da, dann sollen die, die der heilige Geist gebrauchen kann, die Gemeinde bessern." (132) Zuweilen aber muss auch der Priester erst zu de Weissagungen aufmuntern, z.B. "Aber liebe Brueder und Schwestern, was seid ihr denn heute so still und schlaff . ."! Schliesslich bringt der Priester mit einem "Genuegend" den "Geist der Weissagung" zur Ruhe oder faengt ohne weiteres seine "Predigt" an. Zumeist liegt ihr eine Bibeltext zu Grunde, aber er wird ungenuegend oder fast gar nicht verwertet, und schon an der Art des Lesens merkt man zuweilen, wie wenig oder wie falsch das Schriftwort von diesen "geisterfuellten" Maennern verstanden wird. Von einer Disposition der Predigt oder klaren Anordnung der Gedanken ist nichts zu spueren; diese "Knechte Gottes" reden unvorbereitet, "wie der Geist gibt". Nach der Zeitungs-Anzeige erwartet man ernste, wuerdige Bereitung auf die Wiederkunft des Herrn, den Ausdruck gluehender Erwartung des grossen Tages, aber darin sieht man sich getaeuscht. Nur in geringem Masse oder gar nicht tritt in der Predigt die Wiederkunftshoffnung hervor. Das ganze Gewicht liegt auf der Bezeugung des neuen Apostolats. Um ein Bild von dieser Art Predigt zu geben, stelle ich einige aus mehreren Predigten gehoerte Worte moeglichst geordnet zusammen: "Nach dem Hingang der Apostel mussten die Christenvoelker die bittersten Erfahrungen machen. Das Apostelamt war verdraengt durch Gelehrte, und doch sollte es nach Joh. 17 bleiben. In unsern Tagen ist der liebevolle Vater durchgebrochen, zeitgemaess sind andere Apostel gekommen, das Amt hat sich fortgepflanzt, das Amt, das den Geist gibt. Die Reformatoren suchten die Religion hinzustellen, wie sie gewesen, aber es war nur ein Lichtschimmer, ein Anfang zur Vollkommenheit. In anderen Kirchen glauben sie nicht, nehmen das Eigentum der Gemeinde, wie wir's jetzt gehoert haben. Auf den Kirchhoefen begegnen uns Maenner mit den langen schwarzen Roecken, die sehr gelehrt aussehen, aber sie haben nicht den Geist. Unser Prediger in der Naehe von Brandenburg studierte schon Donnerstag und Freitag, um an Sonntag predigen zu muessen. Wir haben keine Schule, nur die Schule der Truebsal, haben auch keine Zeit zum Studieren, wir muessen schaffen bis zum spaeten Abend, dass wir kaum Zeit haben, etwas zu essen und einen andern Rock anzuziehen. Uns treibt Gottes Geist, wie er gesagt hat: Abermals will ich meinen Geist ausgiessen. Das Amt teilt den Geist mit denen, die glauben mit Kindesherzen. Den Weisen und Klugen ist das verborgen, aber Gott erhaschet sie in ihrer Weisheit, und die Weisheit Gottes spricht: Ich will senden Propheten und Apostel. Es erfuellen sich die Weissagungen Joel 3, und das alles auf geordnetem Wege. Wie finden wir den Weg ? Der Glaube rechtfertigt nicht. Der Herr, der zum Himmel gefahren ueber den Sternen wohnt? Nein - da kommt ein Apostolischer entgegen: es ist eine Tuer gegeben in dem Apostelamt. Man erfaehrt: der Gerechte wird leben, wie er glaubt. Wir werden gerettet durch die Hand unseres Gottes in der Knechtsgestalt. Wir werden scheel angesehen, weil wir Jesum predigen im Fleisch. Aber war Christus ein anderer Mensch wie wir? An Gebaerden als ein Mensch erfunden. Jesus Christus ist im Apostelamte. Gott eifert durch die Macht der Apostelaemter. Gott ist Richter in dem gesandten Worte. Du bist gerichtet, wenn du dem Wort nicht glaubst. Tun wir nach dem Gehoerten, so ist Gott der Gnaedige. Amen."
Eine andere "Predigt" gehalten im Auftrage des Apostels Krebs durch den Apostel Niehaus in hollaendischer Sprache: "Geliebte! Ihr werdet wohl erkennen, dass die Zeit, in der wir stehen, eine ernste ist, und die Glaeubigen stehen in der Gefahr, dass sie umkommen. - - Die List des Boesen ist gross. Der Teufel weiss das Wort besser als wir. Er sucht das Wort zu gebrauchen, dass es schwer ist, gegen ihn zu streiten. er macht alles nach. - - Wir haben gefunden, dass er uns in die Finsternis gebracht, wir sind aber nicht imstande, zu sagen: dieser oder jener hat recht. Blind das Vertrauen setzen in den Apostel und blind folgen! Die das getan haben, blind nachgefolgt sind und nicht imstande waren zu sehen, die sind gluecklich durchgekommen unter dem Apostel Krebs usw."(1) Allg. Ev.-luth. Kirchenzeitung 1898, Nr. 35.
So geht das etwa eine halbe Stunde fort, oft in schlechtem Deutsch, wie man das freilich von Maurern, Schuhmachern und andern ehrsamen Leuten bei dem derzeitigen Stande der allgemeinen Bildung wohl nicht anders erwarten kann. Sobald das Amen gesagt ist, setzen sofort wieder die prophetischen Stimmen ein:
1. Weissagung: "Schauet an die Macht und Kraft in dem Eckstein Christi von heut. Die Klugheit
will ich zu schanden machen. Du, mein Kind, schaue die Wahrheit rechter Art! Zur Stunde habe ich
die Wahrheit geoffenbaret."
2. Weissagung: "Dring mit Gewalt hinein, hell leuchten die Tore Jerusalems. Siehe mein Kind,
siehe Rettung! O mein Volk kehre um, dass du meine Gnade schauen kannst."
3. Weissagung: "O Fremdling, was bist du gekommen zu versuchen? Kritisiere nicht! Fremdling
kehre zurueck! Beuge dich, sonst werde ich dich verstocken. Wehe denen, die nicht erkannt haben
die Wahrheit!"
Darauf folgt die zweite Predigt oder Ermahnung vor der Feier des heiligen Abendmahls. Darin werden aehnliche Gedanken entwickelt, z.B.: "Suenden erlassen ist nur seinen Knechten (d.h. den Priestern) gegeben." Im uebrigen werden die Suenden der Lieblosigkeit gestraft: "Christen sind alle - dem Namen nach. Aber Friede? Wenn man von uns sagt, dass wir uns schlagen! Nicht kann ein Unreiner ins Gottesreicht kommen. Ich muss mit der Scheuerbuerste durchgehen usw."
Dann folgt Gesang, Suendenbekenntnis und Vater unser mit dem Schluss: "Erloese uns von dem Boesen" und die Lossprechung: "In dem Namen und Tun unseres Herrn Jesu Christi, in dem gesandten Gnadenamte, welchem die Macht gegeben ist zu loesen und zu binden, verkuendige ich euch voellige Gnade und Vergebung und spreche euch los von allen euren Suenden. Friede sei mit euch." Nachdem die "Zehnten und Opfergaben des Volkes Gottes" dargebracht sind und Gott Dank gesagt ist, dass er den Glauben seiner Kinder dazu gestaerkt, traegt der aus jungen Maedchen und Maennern bestehende Chor in nicht unschoener Weise vierstimmige Lieder vor. Zuweilen tritt auch ein Kinderchor auf, aber das missglueckt manchmal, und dann bekommen die Kinder gehoerig Schelte, dass sie so schlecht geuebt haben. Es folgt die Konsekration der Abendmahlselemente unter Rezitierung der Einsetzungsworte, ein "Opfergebet nach der Konsekration" und ein "allgemeines Gebet fuer die Vollendung des Werkes Gottes, insonderheit fuer das bestehende Amt der Apostel und der mit diesem verbundenen Aemter, fuer die Entfaltung der Gaben und Kraefte des heiligen Geistes - in Notfaellen - fuer Kranke, Danksagungen, Fuerbitte fuer die Obrigkeit, Gedaechtnis der Entschlafenen, Gebet um die Wiederkunft des Herrn - jeder in seiner Stellung nach dem ueberkommenen Amtsvermoegen."(1) S. Apostol. Gesangbuch.
Vor und waehrend der nun folgenden Kommunion, welche sonntaeglich vor- und nachmittags gehalten wird, laesst sich wieder der Chor hoeren, zuweilen auch prophetischer monotoner Gesang und Zungenreden. Von letzterem ein Beispiel aus einer Berliner Gemeinden: "Vena asora alasigena aradena libi vistina - arasidena hoc adora arasidena . . ." Dieselbe Stimme, welche diese Worte sagt, legt auch aus: "O mein Volk, wie gluecklich bist du usw." Naeher auf diese "Geistesgabe" wollen wir spaeter eingehen. Die heilige Kommunion geschieht in der Weise, dass der Priester das Brot dem Kommunikanten in die rechte Hand legt und spricht: "Der Leib unsers Herrn Jesu Christi, fuer dich gegeben." A. Amen. Darauf wird durch den Assistenten der Kelch in die Haende des Kommunikanten uebergeben mit den Worten: "Das Blut unsers Herrn Jesu Christi, fuer dich vergossen. A. Amen."
Die, welche zum erstenmal zur Kommunion in der "apostolischen Gemeinde" gehen, werden aufgefordert, sich nachher bei dem Priester zu melden.
Das Gebet nach der Kommunion ist uebereinstimmend mit dem unserer Landeskirche. Gegen den Schluss melden sich noch einige Personen, welche vom Priester vor der Gemeinde besondere Fuerbitte begehren. So wird z.B. Fuerbitte getan fuer einen, der gerade Geburtstag hat, fuer einen Kranken, der noch dazu keine Arbeit findet, fuer Kinder, die eine Ferienreise antreten, fuer einen Bahnarbeiter, der ein Gesuch um Gehaltserhoehung einreichen will, dass ihm die Bitte gewaehrt werde.
Zuweilen werden von einzelnen, und besonders wohl in Gegenwart von Aposteln, Gesichte erzaehlt, die sie waehrend der Feier gehabt haben wollen, z.B.: "Als der liebe Apostel Krebs zu beten anfing, sah ich die Sonne und den Mond, ein grosses Licht verbreitend. Auch sah ich eine Schlange mit einem Kranz, aber diese ging schnell weg. Waehrend der Versiegelung kam wieder die Sonne, und vieles Himmelsfeuer und Licht kam auf die Apostel nieder." Ein weiteres Gesicht: "Als der liebe Apostel Niehaus am 22. in Steinhagen war. Ich sah, als der liebe Apostel niederkniete und betete, ein grosses Licht. In diesem Lichte zwei hohe Baeume. Der Baum an der Ostseite war mit Fruechten beladen, wodurch der Mond schien. Als der liebe Apostel von der Perle sprach, glaenzte das Himmelsfeuer von allen Seiten. Und als der eine Bruder, der zum grossen Fischfang musste, die Versiegelung empfing, kam ein Tier angelaufen, aber ein Engel mit einem Stab kam und bahnte den Weg, und das Tier wurde beseitigt, wo alles vom hellglaenzenden Himmelfeuer beleuchtet wurde. Sodann schien die Sonne sehr praechtig im Osten, und als der Gesangschor das letzte Lied vortrug, war auch alles hell erleuchtet."(1) S. Allg. Ev.-luth. Kirchenzeitung" 1898. a.a.O.)
"Kirchenschlaf" gibt's auch in der "apostolischen" Gemeinde. So beklagt sich der "Apostel" Niemeyer in einer Versammlung in Frankfurt a. M. ueber Schlaefrigkeit und sagt: Ich habe gesehen, dass selbst, wo der liebe Vater (Niehaus) redete, einige geschlafen haben." (Waechterstimmen 130, Mai 1906.)
Den Abschluss des gewoehnlich zwei Stunden waehrenden Gottesdienstes bildet der aaronitische Segen und Gesang.
Im "apostolischen Glaubensbekenntnis, enthaltend die zehn Artikel," heisst es im zweiten Artikel: "Wir glauben, dass Jesus seinen Aposteln zu lehren und zu taufen befohlen hat und dass dazu ein Amt erforderlich ist, welches hierzu von den Aposteln Macht und Auftrag empfangen hat, die Glaeubigen und Kinder glaeubiger Eltern zu taufen in dem Namen des dreieinigen Gottes, und dass diese Taufe das Bad der Wiedergeburt ist, wodurch der Mensch dem Wesen nach in das Reich Gottes gebracht und dem Leibe unsers Herrn Jesu Christi als Glied einverleibt wird, wo denn dem Glauben auch die Zeichen folgen werden, der da selig macht, Mark. 16, 14-18."
Das "Rituale zu den amtlichen Handlungen," abgedruckt im "apostolischen Gesangbuch", sagt dagegen, dass das Kind "zunaechst durch die Taufe mit Wasser zur Vergebung der Suenden als Zweig in den Oelbaum Jesu eingepflanzt werde und dann zeitgemaess durch die Handauflegung des Apostels die Gabe des Geistes als die Taufe mit Feuer und den heiligen Geist empfange, um dadurch ein Kind Gottes und Erbe des herrlichen Reiches Jesu Christi werden zu koennen." Im Dank- und Schlussgebet bei der Taufe wird dann weiter die Bitte ausgesprochen, "dass auch die Taufe mit Feuer und dem heiligen Geist durch die Handauflegung deines Apostels geschehen koenne und dadurch die Wiedergeburt im heiligen Geist bewirkt werde."
Vergleicht man beide Aussagen, die des Glaubensbekenntnisses und des Rituals, miteinander, so findet man, dass die Wertung der Taufe in dem spaeteren Ritual entschieden eine Abschwaechung gefunden hat. Waehrend in dem Glaubensbekenntnis die Taufe noch als Bad der Wiedergeburt bezeichnet wird, wodurch der Mensch dem Wesen nach in das Reich Gottes gebracht werde, spricht das Rituale nur von der "Taufe mit Wasser zur Vergebung der Suenden," zur Einpflanzung in den Oelbaum Jesu und bezeichnet die Handauflegung des Apostels, die sogenannte Versiegelung, als die Taufe mit Feuer und dem heiligen Geist, wodurch die Wiedergeburt im heiligen Geist bewirkt werde. Die Weiterentwicklung der "apostolischen Gemeinde" geht also dahin, dass der Wert der heiligen Taufe zugunsten der Versiegelung auf das Niveau der Johannis-Taufe (Joh. 1, 26; Apg. 19, 3; Apg. 1, 5) herabgedrueckt wird. Sie ist nicht mehr das Bad der Wiedergeburt, und der heilige Geist wird erst durch die Handauflegung des Apostels empfangen.
Unklar bleibt dann, wie man sich mit der Heiligen Schrift abfinden will, mit Stellen wie Tit. 3, 5, wonach Gott uns selig macht durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des heiligen Geistes, 1. Petr. 3, 21, wo es von dem Wasser der Taufe heisst, dass es uns selig macht, und Eph. 5, 26-27 und Hebr. 10, 22. Alle diese Stellen ergeben eine groessere Wertschaetzung der heiligen Taufe und sagen nichts von einer besonderen Handauflegung durch Apostel.
Aber was ist es mit dieser, der sogenannten V e r s i e g e l u n g der Neu-Irvingianer? Sie findet nicht erst, wie bei den alten Irvingianern, im 20. Lebensjahr statt, sondern kann schon an einem Kinde, auch wenn es erst vier Wochen alt ist, gleich nach der Taufe vorgenommen werden, und zwar nur von einem Apostel. Die Handlung selbst besteht in blosser Handauflegung unter Gebet, nicht auch in Salbung mit Oel an der Stirn, wie frueher bei der katholisch-apostolischen Gemeinde. Bei Erwachsenen wird sie nicht vorgenommen ohne Pruefung. Sie muessen sich wenigstens eine Zeit lang zur "apostolischen Gemeinde" gehalten haben. Dann ist die Handlung zugleich Ritus fuer die Aufnahme in die Gemeinde. Dass die Haende trotzdem manchem zu frueh ohne die rechte Pruefung aufgelegt werden, oder dass die Handauflegung ihre Wirkung versagt, zeigt der Abfall mancher, die den Wunsch aussprechen, wieder zur evangelischen Kirche zurueckkehren zu duerfen.
Ueber die Wirkung dieser Handlung und ihre Begruendung lesen wir in Artikel 5 des "apostolischen Glaubensbekenntnisses": "Wir glauben, dass die Glaeubigen nur durch Gebet und Handauflegung des Apostels mit dem heiligen Geist versiegelt und erfuellt werden und der heilige Geist einem jeden Glaeubigen Gaben mitteilt, je nachdem er will, was vor dem grossen Tage geschehen soll, Offb. 7, 2-4." - Diese angefuehrte Schriftstelle redet nicht von Menschen, sondern von den heiligen Engeln Gottes. Was die Irvingianer dort herausnehmen koennen, ist nur das Wort Versiegelung; aber voellig willkuerlich ist nun die Bezeichnung ihrer Handauflegung mit diesem Wort; denn so oft von Handauflegung in der Heiligen Schrift die Rede ist, wird dieselbe niemals Versiegelung genannt, und wo sich in der Heiligen Schrift der Ausdruck Versieglung findet, wird niemals erwaehnt, dass dabei eine Handauflegung erfolgt sei. Weiter berufen sich die Irvingianer fuer ihr Tun auf Vorgaenge, wie sie Apg. 8, 14-17; 19, 1-6 und 2. Tim. 1, 6 geschildert werden. Was dort unter Handauflegung zutage tritt, das sind die auserordentlichen Geistesgaben der ersten Christengemeinde, wie Weissagen und Zungenreden; aber diese charismatischen Gaben sind keineswegs gebunden an die Handauflegung der Apostel, wie aus Apg. 10, 44 hervorgeht, wo Kornelius mit den Seinen eine Geistesmitteilung ohne Handauflegung des Petrus, sogar von der Taufe, bekommt. Man weiss das auf irvingianischer Seite und zieht sich dann in Schwaeche zurueck mit dem Satz: "Aber doch wurde der heilige Geist gegeben unter der Wirksamkeit eines Apostels" (S. "Herold" Nr. 78, S. 3). Wir werden uns noch spaeter mit den Geistesgaben zu beschaeftigen haben, aber auf einen Grundfehler der Irvingianer werden wir schon hier hinweisen koennen: dass sie die ausserordentlichen Gaben, welche sie nach ihrer Meinung infolge "apostolischer" Handauflegung haben, als fuer die Christenheit notwendig erachten und in grosser Kurzsichtigkeit heiligen Geist nur dort merken wollen, wo er sich aeusserlich im Reden kundgibt.
Nach der Lehre der Irvingianer musste die Christenheit, da es keine Apostel und keine Versiegelung gab, viele Jahrhunderte hindurch bis in die Neuzeit ohne heiligen Geist gewesen sein, und doch kennen wir solche Christen, die als Nicht-Irvingianer aber Ewigkeitsmenschen das Siegel des lebendigen Gottes an der Stirn trugen, und kennen versiegelte Irvingianer, bei denen von der Kraft des heiligen Geistes, um nicht Schaerferes zu sagen, recht wenig zu spueren war. "Allerdings bedarf die Kirche des heiligen Geistes, aber nicht sowohl des charismatischen als des wiedergebaerenden. Nur jener ward unter Handauflegung erteilt, nicht dieser. Jener aber nicht bloss durch apostolische. Denn dass die Apostel allen Christen der Kirche ihrer Zeit die Hand aufgelegt, ist eine arge Taeuschung."(1) "Allgem. ev.-luth. Kirchenzeitung" 1885, S. 1100.)
Ausser der Wirkung der Geistesgaben schreiben sie ihrer Versiegelung die Wirkung zu, dass die, welche sie empfangen, zu den Auserwaehlten gehoeren. Zu einer Auswahl gehoere ein Akt, eine Tat, wie in einem Staat auserwaehlte Personen, etwa Minister oder Generale, nicht dadurch auserwaehlte Personen wuerden, dass sie nur glauben, sei seien Minister oder Generale, sondern sie werden dazu durch einen Akt gemacht.(2) S. "Waechterstimmen" Nr. 70.) Somit wird man durch den aeusserlichen Akt der Versiegelung zu einem Auserwaehlten gemacht, und man kann sich bei dem aeusserlichen Glaubensleben der Neu-Irvingianer nicht wundern, wenn sie als Versiegelte zu anderen Christen sagen: "Ihr habt nicht den heiligen Geist, wir aber haben ihn und gehen nicht verloren."
Was aber ist nach der Heiligen Schrift Versiegelung? Sie ist nach dem Apostel Paulus 2. Kor. 1, 22; Eph. 1, 13; 4, 30 nicht ein besonderer Akt, nicht eine Handauflegung, sondern ein biblischer Ausdruck fuer Vergewisserung, Bestaetigung, wie durch ein Siegel etwas bestaetigt wird. "Versiegelt auch durch den heiligen Geist" bedeutet die Geistesbegabung, durch welche die Gotteskindschaft, die sie glaubten, ihnen bezeugt und bestaetigt wird (1) D. Dr. Cremer: Bibl.-theolog. Woerterbuch der neutestl. Graecitaet. 9. Aufl. 1902. S. 978.) Sie ist nicht durchaus beschraenkt auf aeussere Krafttaten - Wundertun, Weissagen, Zungenreden; sie faellt zeitlich zusammen mit dem Glaeubigwerden: Eph. 1, 13: "In welchem auch glaeubig werdend ihr versiegelt wurdet durch den Geist."
Uebrigens wird die Lehre der Irvingianer, dass nur durch die Versiegelung ihrer Apostel die Geistesgaben zu haben waeren, wiederum widerlegt durch ihre eigene Geschichte. E h e diese Apostel der Neuzeit da waren, gab es nach ihrem Zeugnis in England und auch wohl in Hamburg "Geistesgaben" - prophetische Stimmen und Zungenreden. Dann soll man uns doch nicht die Allwirksamkeit der neuen Apostel und ihrer Versiegelung anpreisen!
Aber diese neuen Apostel, die sich einbilden, die Schluessel der Hoelle und des Todes zu haben, koennen noch mehr: s i e v e r s i e g e l n a u c h V e r s t o r b e n e. Das ist eine Besonderheit, die sie auch vor den alten Irvingianern voraus haben und von der man sonst in der ganzen Christenheit nichts hoert. Bei dieser Versiegelung denken sie an eine Geistesmitteilung, welche den Verstorbenen im Scheol durch ihre Apostel zu teil werden koennen. Zunaechst sollen an ihr die teil haben koennen, welche hier auf Erden bereits "glaeubig" geworden, sich zur "apostolischen Gemeinde" gehalten, aber die Versieglung infolge schnellen Abscheidens nicht mehr haben auf Erden bekommen koennen. Aber auch die Bedingung des Glaeubiggewordenseins braucht, wie es scheint, nicht erfuellt zu sein. Als ein Aeltester Bedenken hatte, die Versiegelung einiger Entschlafener zu beantragen, ist ihm "durch prophetischen Geist" die Antwort geworden: "Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet." So sind denn auch nach dem Bericht des "Herold", Januarheft 1902, im Jahre 1901 allein 1115 Entschlafene versiegelt worden. Der Vorgang selbst ist der, dass man sich in Stellvertretung fuer den Verstorbenen vor den Apostel stellt und nun entweder fuer den verstorbenen Vater oder fuer das verstorbene Kind, also einen nahen Verwandten, die Versiegelung erbittet. Der Apostel legt auf den Stellvertreter die Haende und bittet fuer den Verstorbenen. Dabei kommt dann auch wieder das Gesichte-Sehen (Joel 3, 1) zur Erscheinung. Es wird z.B. in der Versammlung gefragt: "Habt Ihr etwas gesehen?" Und dann melden sich oft mehrere, welche im Geist etwas "gesehen" haben wollen. "Ich sehe einen alten Mann mit weissem Haare. - Ich sehe zwei Kinder zusammenstehen." Diese Antworten der "Seher" sind ihnen ein Beweis, dass Gott die Versiegelung angenehm ist.
Ueber den Erfolg der Versiegelung der Verstorbenen ist man nicht zweifelhaft, denn auch da gibt es "Gesichte", durch welche die Rettung bemerkt worden ist. Ein solcher Seher berichtet: "Ich sah eine Schar Versiegelter in blauen Kleidern aus dem Scheol in den Himmel hinuebergehen."
Was will man mehr? Das ist eine Versicherung der abgeschiedenen Angehoerigen, wie sie keine katholische Seelenmesse bietet; in Wahrheit eine furchtbare Selbsttaeuschung. Man stuetzt sich bei dieser dem Geist der Heiligen Schrift und unserm christlichen Bewusstsein widerstrebenden Handlung auf 1. Kron. 15, 29, wo Luther uebersetzt: "Was lassen sie sich taufen ueber den Toten?" sie uebersetzen: "f u e r d i e T o t e n". Hat Luther bei der Uebersetzung dieser schwierigen Stelle vielleicht nicht das Richtige getroffen, so die Neu-Apostolischen erst recht nicht. Wir folgen der Erklaerung Cremers: "Das (griech.) baptizesthai huper toon nekroon 1. Kor. 15, 29 ist ein Sich-taufenlassen der Toten halber; (griech.) huper Angabe des Beweggrundes, wie oefter in der Profan-Graecitaet und dem Neuen Testament, vgl. Roem. 15, 8. Es ist nicht gesagt, dass die Taufe den Toten zugute kommt, was vor allem nicht (griech.) huper toon nekroon, sondern (griech.) huper nekroon heissen muesste, sondern dass die Toten, naemlich sofern die Toten auferstehen werden - denn nur in diesem Sinne ist von denselben die Rede -, Lebenden Veranlassung geben, sich taufen zu lassen, vgl. Apg. 17, 32; dass, die aus solchem Beweggrunde sich haben taufen lassen, keine Hoffnung haben (griech. ti poiesousin) und eben darum ihre Taufe fuer sie zwecklos ist (griech. to kai baptizontai), wenn ueberhaupt Tote nicht auferstehen werden. So steht das (griech.) baptizesthai huper toon nekroon parallel dem (griech.) ti kai kinduneuomen (V. 30), ei vekroi ouk egeirontai, V. 29, 32. Dass man sich zum Besten Ungetaufter, aber schon glaeubig Verstorbener noch einmal taufen liess: diese Annahme ist weder durch irgend welche Andeutung der neutestamentlichen Schriften oder der ersten zwei Jahrhunderte gestuetzt, noch mit den neutestamentlichen Aussagen vom Wesen der Taufe und mit der sonstigen kirchlichen Praxis irgendwie vereinbar."(1) D. Dr. Cremer: Biblisch-theologisches Woerterbuch. 9. Aufl. Art. (griech.) baptizein.)
Das "apostolische Glaubensbekenntnis, enthaltend die zehn Artikel", sagt im 3. Artikel kurz: "Wir glauben, dass das heilige Abendmahl von uns gefeiert werden muss, wie es der Herr Jesus eingesetzt hat, naemlich mit ungesaeuertem Brot und Wein. Beides muss von einem Diener Jesu Christi (1. Kor. 10, 16) gesegnet und gespendet werden." Eine naehere Lehre wird vermieden; auch in den mir zur Verfuegung stehenden "Waechterstimmen" finde ich nichts darueber. Wohin aber die Neigung geht, ist aus einer Aeusserung eines Priesters zu erkennen, der in einer Predigt sagte, dass Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu v e r w a n d e l t wuerden. Auf die besondere Anrede: "Sie lehren also eine Verwandlung von Brot und Wein?" hiess es: Ja, Jesus sagt doch: "Mein Fleisch ist die rechte Speise und mein Blut ist der rechte Trank." Also auch hier, abgesehen von der Darreichung des Kelches, katholische Art. Es ist aber moeglich, dass dieser Priester, ein frueherer Katholik, von seinen Oberen, dem Bischof oder dem Apostel, desavouiert wird, dass es heisst: "Der Bruder weiss das noch nicht so genau." Eigentuemlich ist den Neu-Apostolischen, dass sie auch Toten das heilige Abendmahl reichen, wie die "Waechterstimmen" (Nr. 126) von einem Gottesdienst in Halle zu Weihnachten 1905 berichten: "Auch den himmlischen Heerscharen als Entschlafenen wurde auf dem neuen lebendigen Wege das heilige Abendmahl zum Festgenusse gereicht." Es geschieht wohl analog der Versiegelung der Toten durch Stellvertretung. Naeheres ueber diesen Aberglauben findet man vielleicht in der von H. Niehaus herausgegebenen, von H. Bornemann in Iserlohn zum Preise von 10 Pfg. zu beziehenden Schrift: "Lichtblicke ins Totenreich," welche mir leider nicht zugaenglich gewesen ist.
Ferner ist den Neu-Irvingianern eigentuemlich, dass sie auch kleine Kinder zum heiligen Abendmahl zulassen. Auf den Ausdruck des Erstaunens darueber heisst es: "Sie haben ja noch nicht so viel Suende," und wenn man daran erinnert, dass der Apostel Paulus 1. Kor. 11, 28 sage: "Der Mensch p r u e f e aber sich selbst, und also esse er von diesem Brot und trinke von diesem Kelch," wenn man fragt, ob diese ganz kleinen Kinder sich schon pruefen koennen, so heisst es schnell: "Ja, das Pruefen ist fuer die Grossen." So legt man's sich zurecht, wie man's braucht.
"Diese heilige Handlung," heisst es im "apostolischen Gesangbuch" von der "Konfirmation junger Christen oder Erneuerung und Bestaetigung des Taufbundes," "wird an solchen jungen Christen vollzogen, welche in der christlichen Erkenntnis hinlaenglich unterrichtet sind, in solchem Falle aus der Schule entlassen und ihren buergerlichen Beruf beginnen werden. Das gewoehnliche Alter ist das 14. oder 15. Lebensjahr; doch entscheidet die christliche Vorbereitung und vorher gepruefte Befaehigung, sowie der christliche Wandel."
Nach einer "Anrede an die Konfirmanden", in der u.a. gesagt ist, dass sie das Verlangen ausgesprochen haetten, "in den Geboten und Satzungen der goettlichen Lehre der heiligen christlichen und apostolischen Kirche Gottes zu beharren, "werden den Kindern verschiedene Fragen vorgelegt, je nach den Umstaenden, wie der Geist der Gnade treibt, etwa: "Glaubt ihr an Gott, den allmaechtigen Vater, Schoepfer Himmels und der Erden" usw. das allgemeine apostolische Glaubensbekenntnis hindurch. "Wollt ihr dieses Glaubens gemaess den Geboten Gottes gehorsam von den Ordnungen Gottes euch leiten und fuehren lassen und in den Fussstapfen Jesu Christi wandeln? A. Wir versprechen und geloben hier vor Gott, unsern Eltern, Taufzeugen und dieser Gemeinde, dass wir den Glauben an den dreieinigen Gott festhalten, darauf leben und sterben wollen, so wahr uns Gott helfe. Amen." Darauf folgt ein Gebet und der Segen, "bei welchem der Priester seine rechte Hand ausreckt ueber alle Konfirmanden." Wie man sieht, enthaelt diese Feier nichts besonders Charakteristisches; charakteristisch fuer die Art der Vorbereitung aber duerfte die Bekanntmachung im Gottesdienst sein, die ich im Monat Juli 1902 in einer "apostolischen Gemeinde" hoerte: "Am naechsten Donnerstag finder die erste Konfirmandenstunde fuer die statt, welche Michaelis eingesegnet werden wollen."
Auch eine Trauung gibt es bei den Neu-Apostolischen, dazu Gesaenge "vor" und "nach der Trauung", im uebrigen "kirchlichen Segen eines Ehepaares" genannt. Der "Anrede" oder Ansprache, die nach dem Formular nichts Charakteristisches enthaelt, folgen die Fragen, welche im ganzen mit dem agendarischen Formular unserer Landeskirche uebereinstimmen. Nach dem "Ja" und dem Wechsel der Trauringe sagt der Priester: "Was Gott zusammenfuegt, das soll der Mensch nicht scheiden. Als ein von Gott verordneter Diener Jesu Christi spreche ich euch hiermit als rechtmaessige christliche Eheleute zusammen und bestaetige euren Bund im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. A. Amen." Das Ehepaar kniet nieder und "der Priester legt dem Ehepaar seine Haende aufs Haupt," betet und spricht den Segen: "Der Herr segne euch und behuete euch usw."
Eigentuemlich ist, dass trotz dieser vorgesehenen Handlung und trotz der sonstigen Absonderung von unserer Landeskirche zuweilen von Mitgliedern der "apostolischen Gemeinde" - der Zweck ist nicht immer durchsichtig - auch unsere evangelische Trauung in Anspruch genommen wird. Sie betonen dann, dass sie der Landeskirche noch angehoerten und nicht ausgetreten seien, duerften aber auf Gewaehrung dieses Gemeinschaftsrechtes, wenn sie sich von der Feier unseres Gottesdienstes und der Sakraments-Gemeinschaft absondern, keinen Anspruch erheben koennen. (Vergl. S. 120)
Ein Rituale zu Beerdigungen findet sich nicht in dem "apostolischen Gesangbuch". Man ueberlaesst diese wohl, zumal die Neu-Irvingianer bisher keine eigenen Friedhoefe haben, gern "den Maennern mit den langen schwarzen Roecken."
Wer mit Neu-Irvingianern zusammenkommt, hoert sie alsbald reden von den "sieben Gaben",
welche sich in ihrer Gemeinde finden sollen. Fragt man sie, welche das seien, so koennen
sie sie in der Regel nicht aufzaehlen, oder sie verweisen auf 1. Kor. 12. Da ist nun in
V. 8-10 streng genommen von neun Gaben die Rede, aber "das Buch fuer unsere Zeit", eine
Erklaerung der Offenbarung Johannis, welche den frueheren Apostel F.W. Schwarz in
Amsterdam zum Autor hat, zeigt uns, wie man die Siebenzahl der Gaben gewinnt. Man fasst
die beiden ersten und die beiden letzten Gaben zusammen und nennt:
"1. die Gabe der Weisheit und Erkenntnis Gottes,
2. die Gabe des Glaubens,
3. die Gabe der Gesundmachung,
4. die Gabe der Kraefte oder Wunder,
5. die Gabe der Weissagung,
6. die Gabe, Geister zu unterscheiden,
7. die Gabe der fremden Sprachen und Auslegung derselben."
Gehen wir diese Gaben durch und fragen nach dem Bestand derselben in der "apostolischen Gemeinde" der Neuzeit.
1. Die Aufzaehlung: "Gabe der Weisheit und Erkenntnis Gottes" zeigt vom vornherein die Ungenauigkeit der Schrifterklaerung des modernen Apostels. Der Apostel Paulus spricht V. 8 von Weisheits r e d e und Erkenntnis r e d e und meint mit ersterer solche, welche die Art des "pruefenden und apperzipierenden (zur klaren Auffassung bringenden) Verstandes, Kritik, Konsequenz, Schaerfe usw." an sich traegt, mit letzterer solche die "auf einen kuehnen Schwung eines begeisterten, neue Erkenntnisse mehr im Fluge gewinnenenden und darbietenden Geistes (Spekulation, intuition) hinweist. Man vergleiche die Rede Johannis in der Offenbarung mit Pauli dialektischer Rede."(1) S. Strack-Zoeckler, Kommentar, Korintherbrief von Dr. Schnedermann. 1. Aufl.) Hoert man nun die Reden in der "apostolischen Gemeinde" oder liest man die "Waechterstimmen", so findet man einen merkwuerdigen Mangel an Weisheits- und Erkenntnisrede und ist erstaunt, wie diese geistesarmen Menschen es wagen, ihre Erzeugnisse als besondere Erzeugnisse des Geistes Gottes hinzustellen und der Rede der alten Apostel gleich oder gar ueberzuordnen. Da haben die Redner der alten Irvingianer doch noch Besseres geleistet. Wie aber will das, was die neu-irvingianischen Priester bieten, auch nur entfernt heranreichen an die Weisheits- und Erkenntnisrede eines Calvin und Luther, ja auch eines Koegel udn Frommel? Aber der Herausgeber der "Waechterstimmen" schreibt (Nr. 121, 1): "Tut sich dieser Mund (des "Vaters" Niehaus) auf, dann ist die ganze Hoelle auf, der eine hoehnet, der andere aergert sich, der dritte wird wutentbrannt, der vierte ist ein Fuchs - schlau - und denkt, ach das ist gut, das kannst du auf deinem Katheder gebrauchen, das ist etwas Neues, was man wo anders nicht hoert, damit kann ich glaenzen." Mit Niehausens Worten glaenzen?! Man kann nur traurig sein, dass ein derartiges Gerede mit so eitler Selbsueberhebung in einer Gemeinde von solchen, die doch noch Christen sein wollen, ueberhaupt moeglich ist.
2. Mit der Gabe des Glaubens meint Paulus hier nicht die einem jeden Christen eigenen Hinnahme des Heils, sondern die "besondere, einzelnen in auffallendem Masse verliehene Gabe starker Glaubenszuversicht."(1) S. Strack-Zoeckler, Kommentar, Korintherbrief von Dr. Schnedermann. 1. Aufl.) Wie weit sich diese in der "apostolischen Gemeinde" findet, ob sie auch nur annaeherend an die eines Luther, A.H. Francke, Blumhardt u.a. heranreicht, vermag ich nicht zu beurteilen. Sehr beschraenkt aber erscheint der Glaube der Neuapostolischen, wenn sie sagen: "Kommen Sie nicht zu uns, so koennen Sie nicht ins Reich Gottes kommen." Das ist eine Enge und Mattigkeit des Glaubens, wie sie nicht groesser gedacht werden kann.
3. Die Gabe der Gesundmachung hatte z.B. ein Petrus und Paulus, sie wurde ihnen zeitweise geschenkt, sie konnten sie nicht immer anwenden. Ein Paulus traegt sein Leiden (1. Kor. 12, 7 ff.) mit Ergebung, nicht ohne Gebet, aber ohne geradezu Wunderhuelfe zu fordern, und laesst sich an Gottes Gnade genuegen, haelt auch dafuer, "dass dieser Zeit Leiden nicht in Betracht kommen gegenueber der grossen Herrlichkeit, die an uns soll geoffenbaret werden" (Roem. 8, 18). Die Apostel der Neu-Irvingianer schreiben frischweg, indem sie auch Zeit und Umstaende ausser acht lassen: "Seinen Aposteln gab Christus eine unbeschraenkte Macht in dem Himmel und auf Erden. Er gab ihnen Macht ueber die Teufel. Er gab ihnen Macht ueber alle Seuchen. Luk. 9, 1."(1) "Waechterstimmen" 1, 4.) Und nun ist man in der apostolischen Gemeinde der Neu-Irvingianer geschaeftig, von Krankenheilungen zu reden und benutzt die Leiden anderer Christen, um ihnen den Eintritt in ihre Gemeinschaft nahezulegen und zu sagen: "dann koennt ihr gesund werden." Eine evangelische Christin einer meiner Gemeinden gestattete in ihrer grossen Liebe zu einer geisteskrank gewordene Schwester einem apostolischen Priester, der in einem aehnlichen Falle an seinem Kinde guenstig gewirkt haben wollte, gern, fuer die Schwester zu beten. Aber die Schwester blieb krank. Da sagte man ihr, die ein frommes Gemuet hatte: "Sie muessen erst fuer Ihre eigene Seele sorgen." Und so ging sie hin zum "Apostel", liess sich die Haende auflegen, sich versiegeln. Nun sollte es besser werden. Aber es ist bald darauf schlechter geworden, so dass die arme Kranke wieder in die Irrenanstalt gebracht werden musste. - Der "Heraold", Jahrg. 1895, Nr. 21 berichtet von dem Aufenthalt des Apostels Krebs in Greiz: "Am Montag blieb der Apostel in Greiz und besuchte mehrere Kranke, um mit ihnen zu beten, ihnen die Haende aufzulegen, um sie gesund zu machen, und der Herr tat Zeichen und Wunder fuer den, der offene Augen hatte." Ja, man muss eben Irvingianer-Augen haben. Das aber ist das Gefaehrliche bei diesem gewaltsamen Gesundbetenwollen, dass die Erloesung des Herrn, die zunaechst eine Erloesung von der Suende ist, auf ein aeusseres Gebiet verlegt wird, und dass der Glaube bei nicht eingetretener aeusserer Erhoerung des Gebets einen Rueckschlag bekommt, so dass man am Ende auch den Heilsglauben aufgibt. Was Krebs zu koennen sich einbildete, glaubt nun natuerlich auch iehaus zu koennen. "In dem Apostel Niehaus", heisst es Waechterstimmen 120, 15, "wird der liebe Jesus als Krankenarzt repraesentiert," und ein Bruder Steyvers aus Java schreibt: "Meine Bitte, lieber Vater Niehaus, ist, Sie wollen dieser unserer Schwester gnaedig sein und ihr in ihrer Lage die gewuenschte Huelfe gewaehren; sie hat Krebsleiden, sie wuenscht die Genesung fuer sich, und zwar durch die Fuerbtte der Apostel." (120, 5) Dass der "leieb Vater Niehaus", welcher wie Gott der Herr "gnaedig" sein soll, die Huelfe gewaehrt hat, liest man nicht.
4. Die vierte Gabe ist nach dem Apostel Schwarz die "Gabe der Kraefte oder Wunder". Paulus schreibt in V. 10, wo Luther uebersetzt "Wunder zu tun": (griech.) energemata dunameoon - Kraeftewirkungen, "Wirkungen, welche in Machttaten bestehen und in V. 28 unter den von Gott der Gemeinde verliehenen Personen und Gaben aufgezaehlt werden."(1) Cremer, Woerterbuch, Art. (griech.) dunamis.) Daran hat es in der wahren, alten apostolischen Kirche nicht gefehlt, und etwas davon werden wir wohl noch in Kraftentfaltungen von Maennern wie Luther, Zinzendorf, Wichern u.a. erkennen koennen; aber wir bescheiden uns und behaupten nicht, die ganze Fuelle der urapostolischen Kirche zu haben.
Auch der neuirvingianische Apostel Schwarz schrieb noch 1872 ehrlicherweise: "Von der Gabe, Wunder zu tun (Totenauferweckung usw.) ist uns bis jetzt in der g a n z e n apostolischen Kirche noch kein Beispiel bekannt."(1) "Das Buch fuer unsere Zeit," 2. Bd., S. 90.) Das wird auch heut noch so sein, so dass die Neuapostolischen offen sagen muessten: "Diese Gabe fehlt uns"; aber wir haben sie ja schon oben reden hoeren von Zeichen und Wundern, die Krebs getan "fuer den, der offene Augen hatte," und dieser "Apostel" schreibt in den "Waechterstimmen" (77, 6): "Ein lebender Gott muss sich offenbaren und offenbart sich auch, aber die Baalspriester rufen Tag und Nacht ihren Gott an, so ist doch keine Stimme noch Antwort, ein Beweis, dass sie einen toten Gott haben."
Nun, wie offenbart sich denn Gott? Er hat sich ausserordentlicherweise in der Geschichte Israels, in der Sendung seines Sohnes Jesu Christi, in der ersten Zeit der christlichen Kirche auch unter Wundern offenbart. Sie waren notwendig zur Begruendung des Heils, und waere z.B. Christus nicht auferweckt von den Toten, so waere unser Glaube eitel, so waeren wir noch in unseren Suenden. Er hat sich nicht immer in der gleichen Weise offenbart, denn Juden und Christen haben nicht immer Weissagung und Wunder gehabt und hatten doch einen lebendigen Gott. Er hat sich andererseits auch nie unbezeugt gelaasen und offenbart sich innerlich, indem er uns die Kraefte der Erloesung erleben laesst, wie wir in dem Liede "Ach mein Herz Jesu, dein Nahesein" singen: "Du kannst dich fuehlbar gnug offenbaren auch ungesehn." Gewiss, Wunder waren notwendig, aber sie sind nur zur Herauffuehrung der Erloesungszeit geschehen und bilden noch eine Zeit lang, um die Christengemeinden in der Welt zu befestigen, eine Bekraeftigung der erfahrenen Erloesung. Wo Gott sie wirkt, sind sie eine Gegenwirkung gegen den Zusammenhang der Natur, und die Wirkung erfolgt sofort, im Augenblick, nach dem Wort: "So er spricht, so geschieht's, so er gebietet, so steht's da."
Zu unterscheiden von diesen biblischen Wundern ist die "taegliche Gebetserhoerung", die jeder Christ erfaehrt und die man auch wohl "wunderbar" nennt. "Auch sie ist ein nicht im natuerlichen Kausalzusammenhang begruendetes Wirken Gottes, aber nur ein Wirken a u f diesen Kausalzusammenhang, dass er uns gebe, was wir begehren und beduerfen, wie auch wir auf denselben einwirken, z.B. durch Saeen und Ernten, damit er uns gibt, was er ohne die Einwirkung nicht geben wuerde. So gestaltet Gott in vaeterlicher Treue unser Leben, indem er sich nicht unbezeugt an uns laesst, und wer von uns in Ernst und Glauben sein Leben und seine Lebenserfahrungen ueberschaut, sagt mit Paulus Lob und Dank dem, der ueberschwenglich an uns tun kann ueber Bitten und Verstehen nach der Kraft, die da in uns wirket (Eph. 3, 20)."(1) Prof. D. Dr. Cremer: Weissagung und Wunder im Zusammenhang der Heilsgeschichte (IV, 3 der "Beitraege zur Foerderung christlicher Theologie.") Guetersloh 1900, C. Bertelsmann. S. 52.) Die Zeit jener biblisch gearteten Wunder aber ist zunaechst vorueber - zu erwarten sind nur de "luegenhaftigen Wunder" des Antichrist (2. Thess. 2, 9; Matth. 24, 24), die Wunder der zween Zeugen (Offenb. 11, 3 ff.), die aber G e r i c h t s wunder sein werden, und die Wunder bei der Wiederkunft des Herrn (Offenb. 21, 4-5) - und wir stimmen mit Professor Cremer "der Meinung der Reformatoren zu, welche diese Erscheinungen fuer ein sonderliches Privilegium der Urkirche hielten." Diejenigen, welche heut an der erfahrenen Erloesungsgnade nicht genug haben und im natuerlichen Sinne fortgesetzt Wunder Gottes begehren, sollen sich an die Worte des Herrn erinnern lassen: "Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht! Selig sind, die nicht sehen und doch glauben." - (Joh. 4, 48; Joh. 20, 29) - und an das Wort des Apostels Paulus an die Korinher "von den Juden, die Zeichen fordern, und den Griechen, die nach Weisheit fragen, wogegen es Gott gefalle, durch die toerichte Predigt vom Kreuze selig zu machen die, so daran glauben." (1. Kor. 1, 21-23). Wenn der Herr Jesus von g r o e s s e r e n Werken redet, die seine Juenger tun werden (Joh. 14, 12), so meint er nicht die Wunder, denn die Wunder, die sie getan, sind nicht groesser als die des Herrn, sondern die groesseren Werke sind die: "den Menschen alles, was Jesus ihnen erworben, zueignen, sie in den Besitz der Gnade Gottes und des ewigen Lebens setzen, sie zu Geistesmenschen machen und so aus der Menschheit eine Gemeinde von Kindern Gottes zu sammeln. Das war ein Werk, wie es bis dahin noch nie ein Mensch auf Erden vollbracht hatte, auch Jesus nicht. Denn dass er sich eine Juengergemeinden gesammelt, war doch nur der Anfang. Dann hatten sich alle an ihm geaergert und waren unglaeubig geworden, und es bedurfte der ganzen Treue des Auferstandenen um sie wieder zurechtzubringen." (1) Cremer a.a.O. S. 73. Vgl. bei diesen Ausfuehrungen ueberhaupt die wahrhaft klaerenden und erbauenden Aufsaetze Cremers, auch dessen Broschuere: "Die Fortdauer der Geistesgaben in der Kirche." Guetersloh 1890, C. Bertelsmann.)
Wo man jetzt in unserer wunderfuerchtigen, leidensscheuen Zeit bei Katholiken und Irvingianern, Szientisten und Spiritisten von Wundern redet, duerfte man es nur mit Gebetserhoerungen zu tun haben, wie sie jeder ernste Christ erlebt und nur nicht ausposaunt, oder mit Wirkungen von Geist zu Geist und Koerper zu Koerper, von denen jeder Hypnotiseur und Magnetiseur erzaehlen kann, oder - mit reinem Schwindel.
Nachdem das Heil einmal fest begruendet ist und nun in der feststehenden Gemeinde Jesu Christi immerfort verkuendet, angenommen und erfahren wird, haben wir wohl die hohen "Geisteswunder der Wiedergeburt der in der Suende ersterbenden Menschheit" (Jakobi), aber es bedarf nicht der aeusseren Wunder; und wenn man klagend sagt: sie wuerden den Unglauben unserer Zeit ueberwinden, so weisen wir nur hin auf Luk. 16, 31: "so werden sie auch nicht glauben, ob jemand von den Toten aufstuende."
5. Die fuenfte Gabe ist die der Weissagung. Sie ist ein ruhiges, klares, von dem heiligen Geist gewirktes Reden, das nach 1. Kor. 14, 3 den Menschen zur Besserung und zur Ermahnung und zur troestung dient. Ferner ist sie Mitteilung von Geheimnissen, in welche Gott selbst einen Einblick gestattet hat.(2) Cremer: Bibl.-theol. Woerterbuch, Art. (griech.) prophetes.) Beides findet sich in der urapostolischen Gemeinde und liegt uns als Licht und Trost vor in der heiligen Schrift. Was aber bieten die Neuapostolischen? Ist das wirklich von Gott gewirkte Rede oder nicht vielmehr Gotteslaesterung, wenn solch ein neuirvingianischer Prophet den Apostel Krebs anredet: "Du bist Licht, Wahrheit und Leben, du bist die Wahrheit und die Liebe?" G. Hofele, der fruehere Prediger der "apostolischen" Gemeinde in Goeppingen schreibt:(1) In dem Tageblatt "Hohenstaufen", abgedruckt in der "Chronik der christlichen Welt" 1905, Nr. 32, S. 398.) "Ich habe mich aus Gewissensbedenken genoetigt gesehen, aus dieser Gemeinschaft auszutreten, weil in ihr nach Art der Spiritisten sogenannte Sprechmedien vorgefuehrt werden, deren Aeusserungen "Gottes Wort" sein sollen. Sie werden nicht bloss ueber allgemeine religioese Fragen zu Rate gezogen, sondern haben auch vielfach in einzelnen Faellen, sogar in privaten Angelegenheiten, zu entscheiden und als goettliche Richter zu fungieren." Wohl kann man zuweilen bei den Neu-Irvingianern einen gewissen dichterischen Schwung der "Weissagung" wahrnehmen, aber das ist nicht etwas Besonderes, von Gottes Geist Gewirktes, sondern findet sich in jedem Enthusiasmus. Gilt es aber eine Rede zu Besserung, Mahnung und Troestung, so kann man heut ungleich Besseres in ungezaehlten evangelischen Predigten hoeren, die auch aus Gottes Geist geboren sind. Wenn es sich nun vollends bei der neuirvingianischen Prophetie um Mitteilung von Geheimnissen handelt, so erkennen wir ihren ganzen Zusammenbruch. Die guten Leute sind ja jetzt vorsichtiger geworden und nennen nicht mehr b e s t i m m t e Tage der Wiederkunft des Herrn, aber das haben sie erst mit der Zeit gelernt,(2) In n e u e r e r Zeit ging unter den Mitgliedern der "apostolischen" Gemeinde geheimnissvoll die Rede, eine Weissagung waere gekommen, die sage, dass der Herr wiederkommen werde, solange Krebs lebe. Auch der "Apostel Juda", Julius Fischer in Gransee, bestaetigt das, indem er schreibt: "Krebs ist tot, also ihrem verheissenden Glauben nicht gemaess, denn der war der, dass er nicht mehr sterben wuerde.") und an zwei Beispielen kann ich zeigen, wie ihre sogenannte Weissagung nicht aus Gott war. Ihr eigenes Buch, "das Buch fuer unsere Zeit" von Apostel Schwarz, erzaehlt (Bd. II, S. 88 f.), wie er im Jahre 1863 "auf prophetischen Befehl des Herrn nach Amsterdam gesandt" sei. Dabei heisst es: "Kurz zuvor und bei seiner Aussendung aus der Gemeinde zu Hamburg haben merkwuerdige Weissagungen und Gesichte durch und bei vielen Personen stattgefunden, worunter auch die Weissagung: "es wuerde ihm die Hand aus England gereicht werden," und auch, dass er seine Laufbahn nicht werde vollendet haben, bevor die Zukunft des Herrn habe stattgefunden." Dazu wird weiter auf S. 89 ausgefuehrt: "Ist die dem Apostel F.W. Schwarz gegebene Verheissung, dass er den Tag der Erscheinung Christi erleben solle, wahrhaftig aus Gott, dann kann in Ruecksicht auf sein Alter die Erscheinung des Herrn innerhalb 10-25 Jahren hoechstens und also noch in diesem Jahrhundert (das Buch ist 1872 geschrieben) erwartet werden."
Diese beiden Weissagungen sind nicht eingetroffen, und die betreffenden Propheten sind durch die Geschichte als falsche Propheten erwiesen. Dem Apostel Schwarz ist nicht "die Hand aus England gereicht," denn der englische Irvingianismus steht noch heut im schaerfsten Gegensatz zum Neu-Irvingianismus, und die Wiederkunft des Herrn Jesu hat der Apostel Schwarz, der 1895 gestorben ist, auch nicht erlebt. Wozu also die Selbsttaeuschung und die Taeuschung anderer? Matth. 7, 21-22! Wozu noch obenein das Grosstun mit der Gabe der Weissagung? Ja, wenn sie nicht echt ist, dann sind auch die Apostel nicht echt, welche, von sogenannten Propheten erwaehlt, sich auf Gemeinden, erfuellt vom heiligen Geist, berufen. Jerem. 23, 26-32!
6. Mit der Gabe, Geister zu unterscheiden, koennen es sich die Neu-Irvingianer sehr leicht machen. Denn bei ihrer falschen Erklaerung von 1. Joh. 4, 1-3, dass Jesus Christus in das Fleisch ihrer Apostel gekommen sei, ist die Unterscheidung schnell gegeben: Ein jeglicher Geist, der da bekennet, dass Jesus Christus in das Fleisch der Apostel gekommen, der ist von Gott; und ein jeglicher Geist, der da nicht bekennet, dass Jesus Christus ist in das Fleisch der Apostel gekommen, der ist nicht von Gott.(1) Vgl. "Herold", Nr. 78, 3.) Es wuerde sich also nur handeln um Zugehoerigkeit oder Nichtzugehoerigkeit zur "apostolischen Gemeinde". Dazu waere eine Geistesgabe nicht erforderlich, und an Stelle der tiefen, geistlichen, durchleuchtenden Beurteilung der Geister wuerde die Oberflaechlichkeit treten.
7. Als letzte Gabe wird nach 1. Kor. 12, 10 die "Gabe der fremden Sprachen und Auslegung derselben" genannt. Es ist die ausserordentliche, den ersten Christen geschenkte Gabe, von der uns Apg. 2 und, im Grunde nur dem Grade nach verschieden, Apg. 10, 44 ff.; 1. Kor. 14 und an andern Stellen berichtet wird: das Zungenreden. Es ist "das charismatische Vermoegen, in einer nicht dem Weltleben angehoerigen Weise zu Gott zu reden oder in der Sprache der neuen Welt, der Erloesten und Seligen, Gott zu preisen (wie man im Himmel redet)."(2) Cremer: Bibl.-theol. Woerterbuch, Art. (griech.) gloossa.) Dem Zungenredenden ist das Selbstbewusstsein zumeist geschwunden, er redet "in der hoechsten religioesen Ergriffenheit", in Worten, die den meisten unverstaendlich sind (1. Kor. 14, 9), und, wenn sie fuer die gottesdienstliche Zusammenkunft fruchtbar werden sollen, der Auslegung beduerfen. Er redet nicht den Menschen, sondern Gott (1. Kor. 14, 2), er bessert sich selbst (V. 4).
An dieser biblischen Darstellung scheitert nun das neu-irvingianische Zungenreden. Die oben unter Gottesdienst angefuehrte Probe: "Vena asora alasigena aradena libi vistina - arasidena hoc adora arasidena" wurde, wenn mich nicht alles taeuscht, sofort von derselben weiblichen Stimme ausgelegt: "O mein Volk, wie gluecklich bist du" etc. Also nicht ein Reden Gotte, sondern den Menschen, wie bei der "Weissagung", und die "Zungenredende" hatte die biblische Ausfuehrungen des Apostels Paulus ueber das Zungenreden (1. Kor. 14, 2) nicht verstanden. Ich will nicht sagen, dass hier offenbarer Betrug vorliegt, obgleich es ratsam waere, dass die apostolischen Priester auf die zungenredenden Individuen, damit ihre Seele nicht in grosse Gefahr gerate, ihr besonderes Augenmerk richten; aber es ist auch kein besonderes, vom Geist Gottes gewirktes Reden, sondern ein Lallen der Schwaermerei, wie es sich in der Geschichte mehrfach - in den montanistischen Verzueckungen, den methodistischen Erweckungen Amerikas, den Inspirationsgemeinden in der Wetterau und sonst gezeigt hat.
Bei den Neu-Irvingianern wird ihr angebliches Zungenreden hoch gewertet: als ein "besonderer, hoeherer Grad der Geistesstaerke". Der Apostel Paulus urteilt ueber das wahre Zungenreden anders: ob er gleich selber mit Zungen reden kann, erscheint es ihm doch kindlich (1. Kor. 14, 20), und er will in der Gemeinde lieber fuenf Worte reden mit feinem Sinn, auf dass er auch andere unterweise, denn sonst zehntausend Worte mit Zungen (1. Kor. 14, 19). Ihm erscheint das Zungenreden "weder wesentlich noch noetig fuer den Bestand der Gemeinde Gottes",(1) Cremer: Fortdauer der Geistesgaben, S. 14.) und so ist es im Verlauf der Kirchengeschichte verschwunden, damit nach Gottes Willen "besonnene Ueberlegung an die Stelle der Verzueckungen, gottgeweihte Tatkraft und Kunst an die Stelle der Wunder trete."(2) Jakobi: Lehre der Irvingiten, S. 45.)
Will man aber in der Neuzeit von Gottes Geist durchhauchte Rede hoeren, die etwas mit dem Zungenreden gemeinsam hat, so schlage man, wie so oft empfohlen, unsere koestlichen evangelischen Kirchenlieder auf, in denen ein Strom wahrer, hoher religioeser Begeisterung geht und Gottes Lob wie mit andern Zungen verkuendet wird.
Ausser auf diese "sieben Gaben" weisen die Neu-Irvingianer noch zuweilen auf Joel 3, 1, die "Traeume und Gesichte" hin, die sich bei ihnen auch finden sollen. Aber diese Weissagung ist bereits erfuellt in der urapostolischen Zeit. Was die Neu-Apostolischen an Gesichten haben, duerfte nach dem zu beurteilen sein, was ueber das Zungenreden gesagt ist, und was die Traeume betrifft, so werden schoene, heilige Traeume auch von evangelischen Christen getraeumt.
Es ist der Grundfehler der Irvingianer, dass sie Heiligen Geist nur in aeusserlich hervortretenden Reden und aeusserlichen Tun erkennen wollen und dabei blind gegenueber den stillen Geisteswundern an Menschenherzen und den hohen Geistesgaben, die in Glaubensweckung und -bewahrung fort und fort durch Gottes Gnade auch in der evangelischen Kirche hervortreten. Wo man in einfaeltigem Glauben in Demut und Dank Jesum Christum seinen Herrn nennt, da ist Heiliger Geist (1. Kor. 12, 3).
Man kann bei den Neu-Irvingianern viel von Glauben hoeren, wie: "Ohne Glauben ist's unmoeglich, Gott zu gefallen." Aber der neuirvingianische Glaube ist kein evangelischer, kein biblischer Glaube. Er ist zunaechst nicht das Ergriffensein von der Gnade Gottes, nicht die lebendige Hinnahme des ewigen Heils fuers suendige Herz, bei dem es bekennen kann: "Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erloesung, so durch Christum geschehen ist (Roem. 3, 24), wir halten dafuer, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben" (V. 28) - der neuirvingianische Glaube traegt katholische Art an sich, ist Fuerwahrhalten, aeussere Anerkennung, "Glaube an die Sendung", Annahme des Apostelamts, und zwar nur unter Leitung des "Einheits-Apostels", jetzt Niehaus. Das ist der Zug, der draengend durch ihre Predigten und Schriften hindurchgeht. So sagt der "Apostel" Niemeyer den Berlinern in Mai 1906 (Waechterstimmen Nr. 132): "Ich nehme nun an, dass ihr glaubt, wie ihr glauben sollt, der Herr Jesus ist gekommen im Vateramt zu euch als in der Aposteleinheit mit den Aposteln", und der "Apostel" Bornemann schreibt in seinem "Herold" (Nr. 119): "Wenn ich die heutige Stimme Gottes in seinen Aposteln erkenne und folge, d a s i s t G l a u b e, aber in der Bibel lesen, das auch nach seiner eigenen Meinung und Herzensstellung beurteilen, das ist kein Glaube, sondern ein "Fuerwahrhalten"." Nun hat noch kein Evangelischer behauptet, dass allein "in der Bibel lesen" Glaube sei, aber diesen falschen Aposteln folgen und die Heilige Schrift ausser acht lassen, in der geschrieben steht: "Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des das man hoffet, und nicht zweifeln an dem, d a s m a n n i c h t s i e h e t" (Ebr. 11, 1), das ist erst recht kein Glaube. Evangelischer Glaube ist Hingabe an den fuer uns gekreuzigten, auferstandenen, verklaerten, unsichtbaren, ueberweltlichen und doch gegenwaertigen Heiland Jesus Christus, ein Glaube, der dann das Tun des Willens Gottes zur unmittelbaren Folge hat; "neu-apostolischer" Glaube ist: Folgen der Stimme eines Menschen, welcher sich fuer einen Apostel ausgibt und gotteslaesterlich behauptet, dass seine Stimme Gottes Stimme sei. Es ist geradezu niederdrueckend, wenn man den Bischof de Vries aus Amsterdam zu Pfingsten 1904 im Beisein von Krebs in Iserlohn sagen hoert: "Es ist gefaehrlich, in der Naehe eines Apostels zu sein. Ich pruefte mich, ob ich mit meiner Gerechtigkeit wohl hingehen koennte, aber es war nicht ausreichend. Ich schrieb an meinen lieben Apostel Kofmann, er moege mich decken mit seiner Gerechtigkeit, damit ich mit dem lieben Vater Krebs und seinen Aposteln in das Himmelreich der Aposteltaten hineingehen moechte und nicht von dem heiligen Feuer verzehrt wuerde. Das Kindesherz kann sagen: "Ich weiss, dass mein Erloeser lebt." Und wenn Satan fragt: "Wo ist er denn?" dann mit dem Glaubensfinger darauf hingewiesen: da steht mein Apostel, der hat mich erloest." ("Herold" Nr. 107.)
Weil den "apostolischen" Priestern jedes Verstaendnis fuer evangelischen, biblischen Glauben abgeht, sagen sie trotz Roem. 5, 1: "Der Glaube rechtfertigt nicht" und: "Tun wir nach dem Gehoerten, so ist Gott der Gnaedige." Als ob er nicht zuallererst dem Suender seine Gnade zueignen muesste! Das selige Evangelium von der Glaubensgerechtigkeit wird nicht verstanden, man predigt das "Tun des Willens des Vaters." Aber wieviel Licht, Trost und Kraft geht damit den armen, verfuehrten Seelen verloren! Man redet ihnen vor: "Das beste Wasser, womit wir koennen gereinigt werden, muss aus dem eignen Herzen kommen. Das sind die Traenen der Reue, das ist das koestlichste Wasser." (Waechterstimmen 131, Juni 1906.) Nun sind Traenen der Reue gewiss gut, aber es ist oberflaechlich und unevangelisch zugleich, zu meinen, dass "wir damit koennen gereinigt werden aus dem eigenen Herzen." Im Hebraeerbrief (1, 3) steht: "Er hat gemacht die Reinigung unserer Suenden durch sich selbst;" der Apostel Johannes sagt: "Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, machet uns rein von aller Suende" (1. Joh. 1, 7), und wenn man von dem "besten Wasser" reden will, muss man schon mit dem Apostel Paulus bekennen: "Christus hat sie gereinigt durch das Waserbad im Wort" (Eph. 5, 26). Aber solche Schriftstellen sind den "Apostolischen" unangenehm,(1) H. Niehaus ist durch mein Anfuehren von Schriftstellen so geaergert, dass er in seiner Gegenschrift "Si tacuisses" S. 26 schreibt: "Wir koennen nur dem Herrn Pastor den Vorwurf machen, dass er immer Verse aus den Apostelbriefen anfuehrt, da er doch nicht apostolisch ist, er bleibe doch bei seinen evangelisch-lutherischen schriften. Die Kinder sollen erben, aber keine Fremden. Paulus hat nur an Apostolische geschrieben." (!)) und dann versuchen sie's mit einer "Logik", ueber die jeder Vernuenftige den Kopf schuettelt. Der Herausgeber der "Waechterstimmen" schreibt in Nr. 107: "Alle verschiedenen kirchlichen Abteilungen, und somit ihre Vorsteher, kennen keine andere Gerechtigkeit als die Gerechtigkeit nach der Christ, also (!) die Gerechtigkeit der Schriftgelehrten, aber die gesandten Apostel Christi fuehren eine andere Sprache und wissen, sie muessen eine bessere Gerechtigkeit haben als die der Schriftgelehrten Gerechtigkeit. Das sind keine verworrenen Ideen, sondern logische, bestimmte klare Auffassungen, die sich in der Praxis bewaehrt haben." Der "Apostel", der das schreibt, muss entweder selbst sehr "verworrene Ideen" haben oder er treibt die trefflichste Sophisterei, wobei er auf die Einfalt seiner Leser spekuliert und noch dazu mit seinen "logischen, klaren Auffassungen" gross tut. Fuer die, welche sich bisher von den falschen Aposteln haben taeuschen lassen, sei es gesagt, dass die "Gerechtigkeit nach der Schrift" etwas ganz anderes ist als die "Gerechtigkeit der Schriftgelehrten," mithin der oben mit "also" eingefuehrte Schluss ganz verfehlt ist. Die Gerechtigkeit der juedischen Schriftgelehrten, welche der Heiland tadelt, weil sie an der eigenen unvollkommenen Gerechtigkeit sich genuegen lassen oder gar damit prunken, hat doch garnichts zu tun mit der Gerechtigkeit Gottes, welche "nach der Schrift," zumal nach dem Roemerbriefe, in unserer evangelischen Kirche gelehrt wird: eine Gerechtigkeit, die Gott schenkt denen, die glauben (Roem. 1, 17; 3, 21-22; 10, 3). Aber das verstehen die Neu-Irvingianer nicht, weil sie nicht Gottes heiligen Geist, sondern Niehaus-Geist in sich wirken lassen. Schon Luther hat diese Art Leute gekennzeichnet, wenn er von der "Roten" spricht, "die in den Weinberg gefallen": "Es faellt ihnen nicht ein, dass sie predigen sollten, dass das Evangelium und die Heilige Schrift falsch waere. Aber sie haben eine N e b e n lehre die sie bei der rechten Lehre einfuehren. Als wenn sie also sprechen: "Wahr ist's, dass Christus Gott und wahrer Mensch ist, fuer unsere Suenden gestorben, und dass niemand selig werden kann, der nicht an ihn glaubt, aber das gehoert zum g e m e i n e n Stand. Wir wollen aber ein Vollkommenes aufrichten" - und verleugnen dadurch den Herrn, der sie ertauft hat." (1) Luther's Werke, Erl. Ausg. 52, 238, angefuehrt in der "Neuen kirchl. Zeitschr.", XI. Jahrg., S. 187.) Ja, wenn der Apostel Paulus diese Nebenlehre der Neu-Irvingianer saehe, wie sie in der Aufstellung neuer Apostel ein neues Gesetz aufrichten, er wuerde ihnen so gut wie den Galatern zurufen: "Ihr habt Christum verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid von der Gnade gefallen" (Gal. 5, 4).
An Bekenntnisschriften haben sie das schon mehrfach erwaehnte "Apostolische Glaubensbekenntnis,
enthaltend die zehn Artikel." Es ist gedruckt in der Hecknerschen Druckerei in Wolfenbuettel
und kann auf der Polizei, bei die sich dieser "religioese Verein" nach dem Vereinsgesetz vom
11. Maerz 1850 unter Einreichung der Statuten anzumelden hat, eingesehen werde. Die "Statuten"
enthalten nichts Bedeutungsvolles, und "das apostolische Glaubensbekenntnis, enthaltend die
zehn Artikel," welches sich im ersten Artikel auf das allgemeine apostolische Glaubensbekenntnis
bezieht und dessen wichtigsten Saetze in diesen Aufsaetzen mitgeteilt werden, wird von den
Neu-Irvingianern im Grunde nur so weit gewertet, als es zur Einreichung bei der Polizei
erforderlich ist. Hoeher steht immer das Wort des Mundes der Apostel. Immerhin werden es die
Neu-Irvingianer keinem verdenken koennen, wenn man auch ihre schriftlichen Saetze als fuer sie
massgebend ansieht. Zu diesen christlichen Saetzen gehoeren auch die vielfach angefuehrten
"Waechterstimmen aus Ephraim" mit der Beilage "der Herold" - und das "Apostolische Gesangbuch
nebst einer kurzen Anleitung fuer den Gottesdienst." Verlag W. Sebastian, Wolfenbuettel,
Karlsstrasse 19. Das Vorwort sagt, dass "von dem von Gott erweckten und wieder aufgerichteten
Apostolat Christi der Beschluss ausgegangen ist, den apostolischen Gemeinden ein einheitliches
Kirchengesangbuch zu geben, welches dem zeitgemaess geoffenbarten Glauben an die Sendung unseres
Herrn Jesu Christi in seinen gesandten Aposteln und dem durch dieselben aufgerichteten Werke der
Sendung entspricht." Eine ganze Anzahl der Lieder ist unserm evangelischen Kirchenliederschatz
entnommen, manchmal gekuerzt und entstellt; viele sind von Mitgliedern der "apostolischen
Gemeinde" neu gedichtet. Schade nur, dass sich so wenig wahrhaft dichterischer Geist in ihnen
kundgibt, so dass man hier das Wort Lessings anwenden kann: "Es ist viel Gutes und Neues in
diesem Buche, nur schade, dass das Gute nicht neu und das Neue nicht gut ist." Gesungen werden
diese Lieder vielfach nach Weisen der geistlichen Volkslieder, wie sie in der "grossen
Missionsharfe" und anderen Sammlungen enthalten sind. Ein Buch, durch welches der Glaube der
Neu-Irvingianer noch Nahrung findet, ist "Das Buch fuer unsere Zeit. Die Offenbarung St. Johannis,
fuer die Gemeinde erklaert. Aus dem Hollaendischen. 1. Bd.: Die Vergangenheit. 2. Bd.: Die
Gegenwart und Zukunft." Als "eigentlicher Verfasser" wird in einer "Nachschrift" Herr F.W.
Schwarz, Apostel fuer Holland, angegeben. Die "Bearbeitung" hat dann unter seiner Zustimmung von
einem ungenannten Hollaender stattgefunden. Obwohl behauptet wird, dass man "eine Erklaerung der
Offenbarung und keine Apologie oder Verteidigung der apostolischen Kirche schreibe," laeuft das
Ganze doch auf nichts anderes hinaus. Im uebrigen ist die Auffassung der Offenbarung die
kirchengeschichtliche. "Der Herr Jesus zeigt dem Johannes, dass die Geschichte der christlichen
Kirche bis zur Wiederkunft des Herrn aus sieben Zeitabschnitten bestehen soll, und als solche
werden genannt:
I. Ephesische Zeit. Apostolische Zeit vom Jahre 33 n. Chr. bis 324.
II. Smyrnische Zeit. Zeit der Kirchenvaeter 324-622.
III. Pergamische Zeit. Anfang der paepstlichen Macht 622 bis 914.
IV. Thyatirische Zeit. Das dunkle Mittelalter unter dem Papsttum 914-1215.
V. Sardische Zeit. Verfall der paepstlichen Macht 1215-1517.
VI. Philadelphische Zeit. Die Reformationszeit 1517-1815.
VII. Laodiceische Zeit. Die antichristliche Zeit 1815-18??"
Wir leben jetzt "in der laodiceischen Zeit", wobei die Jahreszahl 1800 mit den beiden Fragezeichen bemerkenswert ist. Dass sich in dem Buche viel Sonderheiten finden, kann man nach dem Gegebenen erwarten. Gleichwohl wird "in aler Bescheidenheit" (s. S. 7) behauptet, "dass der Streit ueber die Offenbarung hiermit als beendet anzusehen ist", und die Erwartung ausgesprochen, "dass der christliche Leser diese Erklaerung als die wahre annehmen wird"!
Die Hoffnung der Neu-Irvingianer ist - abgesehen von der Fischerschen Richtung - gleich der anderer Christen auf die Wiederkunft des Herrn gerichtet. Freilich, die Erwartung ist nicht so gluehend wie bei den alten Irvingianern. In der Predigt tritt die Wiederkunftshoffnung entschieden zurueck hinter der Betonung des gegenwaertigen Christus in den Aposteln. Gleichwohl wird die Hoffnung auf die persoenliche Erscheinung des Herrn im verklaerten Leibe festgehalten, und es wird noch heut gelten, was das "Apostolische Glaubensbekenntnis, enthaltend die zehn Artikel" sagt. Der sechste Artikel lautet: "Wir glauben, dass die nahe persoenliche Wiederkunft unseres Herrn Jesu Christi so gewiss ist, wie er gen Himmel gefahren, und dass bei diesem persoenlichen Erscheinen unseres Herrn Jesu Christi die Erstlinge aus den Toten mit dem Erstling Christus vereinigt werden, wo die noch Lebenden, die mit den Entschlafenen auf sein Kommen gehofft haben, verwandelt werden, um bei dem Herrn zu sein allezeit." Siebenter Artikel: "Wir glauben, dass die Auferstehung der Erstlinge mit dem Erstling Christus die Ursache ist der Auferstehung aller, wo die, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, und die Boeses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts hervorgehen werden. Wir glauben, dass das grosse Reich des Friedens mit dem Kommen des Herrn Jesu und mit der ersten Auferstehung beginnen wird, in welcher Jesus wird Koenig aller Koenige und Herr aller Herren sein, und seine Erstlinge, die an seiner Erscheinung teil haben, mit ihm als Koenige und Priester herrschen sollen in dem Reich des Friedens." Achter Artikel: "Wir glauben, dass Jesus Christus nach dem Friedensreiche seine Stimme in die Graeber erschallen lassen wird, damit sie alle hervorgehen, um zu empfangen, wie ihre Taten gewesen sind, es sei gut oder boese."
Man wird gegen diese Artikel vom biblischen Standpunkte aus nichts Besonderes einzuwenden haben. Die falsche Lehre der alten Irvingianer, dass der Herr v o r dem Auftreten der Antichrist die Seinen ploetzlich und unbemerkt aus dieser Welt entruecken werde, ist aufgegeben.
Freilich werden auch biblische Vorstellungen aufgegeben, und der biblische Lehrgehalt ueber die Wiederkunft des Herrn wird neuerdings zum Ruhme der neuen Apostel verdreht. So schreibt der "Herold" in Nr. 133 (August 1906) in einem Artikel mit der Ueberschrift "das Ende der Welt oder die Scheidung des (der?) Guten und Boesen": "Der liebe Gott sendet keine Engel aus dem Himmel, um diese Scheidung zu bewirken, sondern die Fischer, die Apostel, die das Netz ans Land ziehen, die nehmen auch die Auslese und Absonderung vor. So sind es auch die Apostel in dieser Zeit, die das Netz ans Land ziehen, die faulen werden weggeworfen, heraus aus der Gemeinde." Augenscheinlich denken sie an das Gleichnis vom Netz im Meer (Matth. 13, 47 ff.); aber an Stelle der heiligen Engel Gottes, welche einfach beiseite geschoben werden, tritt nun H. Niehaus, dieser "Engel" mit seinen Aposteln, der uns, die wir seiner falschen Lehre widerstreben, gewiss laengst in seinen "Feuerofen" geworfen hat. Ja, wir muessen auch protestieren gegen die engherzige Art, welche den Segen der Wiederkunft des Herrn nur fuer die Neu-Irvingianer gelten laesst. So schreibt der "Herold" (Nr. 67, S. 6): "Die Jesum im Geiste, in der Gestalt des Fleisches nicht annehmen und nicht an der geistlichen Zukunft teilhaben, koennen auch nicht an der persoenlichen Zukunft und Offenbarwerden im verklaerten Leibe teilhaben und koennen somit nicht verklaert werden mit ihm." Und in den "Waechterstimmen" (Nr. 72, 5) ist zu lesen: "Die, die hier nicht imstande sind, ihn in den Fleischeshuellen zu sehen, sondern halten ihn so fern, denen kann er auch nicht erscheinen, wenn er offenbar wird mit den Engeln seiner Macht, wie er ist." Der Apostel Paulus sagt es uns anders, einfacher, wahrer und trostvoller, ohne eigenwillig errichtete Hecken und Zaeune: "Denn so wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, also wird Gott auch die da entschlafen sind durch Jesum, mit ihm fuehren." (1. Thess. 4, 14.)
Das Leben in der Liebe wird in den Predigten der Neuapostolischen vielfach empfohlen. Es mag auch sein, dass sie sich, wie das in kleineren Gemeinschaften immer mehr sichtbar ist, manche Liebe erweisen und Fuersorge zeigen. Das tun freilich Juden und Freimaurer auch, obgleich der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus nicht im Mittelpunkt ihres religioesen Denkens steht. Es mag auch sein, dass viele Neu-Irvingianer bei ihrem Uebertritt zum Irvingianismus einen guten christlichen Fonds aus ihrer frueheren christlichen Gemeinschaft mit hinueber genommen haben, ja auch, dass die gut gemeinten Mahnungen zur Liebe eine gute Staette finden. Die Entrichtung des Z e h n t e n, welchen die alten Irvingianer geben, wird von den Neu-Irvingianern n i c h t m e h r g e f o e r d e r t, wenigstens ist mir diese Forderung weder in ihren Schriften noch in ihren Versammlungen entgegengetreten, und Mitglieder der "apostolischen" Gemeinde, welche ich danach gefragt, sagen, sie gaeben den Zehnten nicht. Freilich, der fruehere Prediger der "apostolischen" Gemeinde in Goeppingen, G. Hofele schreibt in dem Tageblatt "Hohenstaufen" - abgedruckt in der "Chronik der christlichen Welt" 1905 Nr. 32 S. 398 -: "In der apostolischen Gemeinde wird gelehrt, man habe den Zehnten fuer die Gemeinschaft zu opfern. Es ist mir aber waehrend meiner ganzen zehnjaehrigen Taetigkeit als Prediger nicht ein einziges Mal ein Rechenschaftsbericht zu Gesicht bekommen, der darueber Aufschluss gegeben haette, in welcher Weise die Opfer verwendet werden. Es ist eben so, dass von Vierteljahr zu Vierteljahr der "Apostel," der fuer unsere Gegend in Frankfurt seinen Sitz hat, die einzelnen Gemeinden besucht und die bis dahin eingesammelten Opfer einstreicht. Der gegenwartige "Apostel" in Frankfurt war frueher Schlosser von Beruf und ist dann durch die "Stimme Gottes" (Stimme der Medien) zum Apostel berufen worden. Selbstverstaendlich hat er dann seine Geschaeftstaetigkeit aufgegeben und ist der "Stimme Gottes" gefolgt, durch die er in recht angeneme aeussere Verhaeltnisse gekommen ist. Auf seinen Reisen, auf denen er gewoehnlich von einigen Medien (1) Mit den "Medien" meint Herr Hofele wohl die sogenannten Propheten.) begleitet ist, wird er selbstredend von den Mitgliedern der Gemeinde frei gehalten und hat, wie schon erwaehnt, noch die freie Verfuegung ueber die Opfer."
Neuerdings hat Niehaus in der "Aemterversammlung", welche im Maerz 1905 in Berlin stattgefunden hat, dekretiert: "Nachdem von den freiwilligen Opfern einer jeden Gemeinde die Lokalmiete und sonstige gottesdienstliche Ausgaben gedeckt sind, wird der Ueberschuss monatlich an den Apostel abgesandt, der darueber verfuegt und wo es notwendig verwandt werden soll." (Waechterstimmen Nr. 117.) "Notwendig" ist er natuerlich fuer die vielen Reisen der Apostel und wahrscheinlich auch fuer ihren Lebensunterhalt, denn man kann ja nicht annehmen, dass "der Heilige Geist" lauter begueterte Apostel berufen wird. Im uebrigen bekommen die Priester, welche einen buergerlichen Beruf haben, wie man sagt, keine Besoldung, was freilich gegen die Prediger der Landeskirche - mit Unrecht - Luk. 10, 7; 1. Tim. 5, 17-18; 1. Kor. 9, 7-14 - in dreister Art ausgenuetzt wird. Von weiter gehender sozialer Fuersorge oder persoenliche Liebesarbeit, wie sie in so grossartiger Weise von unserer evangelischen Kirche in der Inneren Mission, ja auch von der Heils-Armee geuebt wird, habe ich bei den Neu-Irvingianern nichts gehoert. Auch heiden-Mission scheinen sie nur nebensaechlich zu betreiben, wenn sie sich auch nicht prinzipiell davon ausschliessen wollen.
Aber wollte man nun anehmen, es waere in dieser "apostolischen Gemeinde" so wie in der alten, wahren apostolischen Gemeinde, von der es heisst: "die Menge aber der Glaeubigen war ein Herz und eine Seele" (Apg. 4, 32), dann waere man in grossem Irrtum. Es ist doch manchmal so, dass die apostolischen Priester "mit der Scheuerbuerste durchgehen" muessen, und in neuerer Zeit wissen die "Waechterstimmen" manches Verklagenswerte zu sagen von "bitterem Hass und Neid," von "Fehlerjaegern und solchen, die nur Schlechtes zu reden wissen von den Bruedern und als Verklaeger dienen" (Nr. 81, 6). Da ist die Rede von einem, der "immer gegen seinen Apostel war," von einem andern, "der immer gegen seinen Bischof war und eigene Wege ging," von einem, "der seinen Eltern ungehorsam war und seine Frau, eine gute Seele, oft jaemmerlich zurichtete," von einem "der sich stuetzte auf Weissagung, Traeume und Offenbarung und sagte: in den letzten Tagen sollen diese Stuecke gegeben werden und sie sollen alle von Gott gelehret sein; und Paulus hat gesagt: Ich habe auch den Geist Christi, werdet nicht der Menschen Knechte, man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Der Apostel ist ein Mensch und das Bischofsamt ist menschliches Machwerk, was frage ich danach, ich weiss, was mir Gott offenbaret, und es steht geschrieben: Man soll die Weissagung nicht verachten." Auch von einem "Amtstraeger" ist die Rede, "der vor der Gemeinde einen eigenwilligen Charakter zeigte und dem der Hochmut aus Worten und Taten hervorleuchtete. Dieser war luestern nach dem Apostelamte, denn niemand war weiser als er. Es hingen ihm auch ein gut Teil an, die er immer mit den Fehlern von andern speiste, wodurch die Anhaenger verfinstert wurden in Hass, Neid und Aufruhr" usw. (81, 4-5.)
Es muss in der hochgepriesenen "apostolischen Gemeinde" in den letzten Jahren unter Krebs doch manches recht uebel gewesen sein, denn sein Nachfolger, der "Einheits-Apostel" Niehaus sagt in der im Maerz 1905 gehaltenen Aemterversammlung in Berlin: "Die Huette in dem Apostel Krebs ist zerbrochen durch den Tod. Der Apostel Krebs hat viel Material zusammengebracht zum Bau des Tempels. Ebenso wie einst David, aber sein Nachfolger Salomo war dazu bestimmt, das durch David gesammelte Material zu einem Tempel aufzubauen, zu einem Ganzen, so will ich auch dahin arbeiten, aber auf der Grundlage des Apostels Krebs, einen solchen Gottesdienst zu schaffen, wovor alle Respekt haben sollen, (1) Wie ganz anders redet Paulus 1. Thess. 2, 4. 6!) einen vernuenftigen Gottesdienst." (Waechterstimmen Nr. 117, 4.) Es scheint also manches nicht in Ordnung gewesen zu sein, wenn der neue Salomo Niehaus nun erst mit dem "Tempelbau" beginnen muss, und die Aeusserungen des "Herold" (Nr. 126, Januar 1906) lassen auf bedenkliche Dinge schliessen: "Die Regulierungen der Kassen sind Taten der Weisheit und der Gerechtigkeit des lieben Apostels Niehaus, worueber sich zwar Satan in den Unehrlichen und Heuchlern geaergert hat, aber diejenigen, die ehrlich sind, freuen sich ueber diese neue, freie und reine Bahn." Ja, Niehaus selbst sagt in jener Aemterversammlung: "Weiter haben wir in den letzten Jahren viel gesuendigt in der Wahl der Aemter: der Apostel kann nicht an jedem Orte die Maenner kennen und muss sich damit auf die Vorsteher verlassen koennen. Wenn auf Brueder ein Amt gelegt werden soll, was nur durch den Apostel geschieht, so sollen die Vorsteher verantwortlich sein, dass nur solche Brueder dazu bestimmt werden, die sich bewaehrt haben im Glauben." Haette man von diesen durch die Versiegelung "geisterfuellten" Maennern nicht etwas anderes erwarten sollen? Und nun das Bekenntnis, das ihnen ja alle Ehre machen wuerde, wenn es nicht zu den sonst bewiesenen Hochmut zu sehr kontrastierte: "Wir haben gesuendigt." Besonders "gesuendigt" scheint man in Hamburg und Umgegend zu haben. Dort ist nach dem "Herold" (Nr. 129) im Maerz 1906 "der liebe Einheits- und Stammapostel Niehaus unerwartet und ploetzlich eingetroffen, fuer alle wie ein Dieb in der Nacht. Da es einem Feinde gelungen war, die Gemeinde in Hamburg in Nacht und Finsternis zu huellen, konnte der liebe Apostel auch gut wie ein Dieb in der Nacht kommen. Der liebe Apostel kaempfte mit dem Tode in der Gemeinde." Das Resultat war dann nach dem "Herold": "Sieg ueber alle Finsternis." Aber vollstaendig scheint der "Sieg" doch nicht gewesen zu sein. Denn Anfang Juli 1906 ist Niehaus mit seinen "Aposteln" Niemeyer und Sebastian wieder im Hamburger Bezirk, und nun werden die Gemeinden von Niemeyer angedonnert (Waechterstimmen Nr. 133): "Eine Zerrissenheit waltet unter euch als das schlimmste Stueck, was es nur geben kann. Mietlinge sind in der apostolischen Gemeinde genuegend. Meine Lieben, ihr seid bis jetzt nicht geweidet worden. Es sollen euch andere Hirten gegeben werden, und ob die Stehenden noch reformiert werden koennen, ist des Vaters Sache. Gott wohnt nur in der Salbung. Der Mann muss im Gehorsam zu seinem Apostel stehen, und wer das nicht kann, ist ein Lump." Niehaus sagt dann auf Niemeyers Worte: "In den gehoerten Worten ist der Ernst Gottes gross. Dem Teufel wird zurueckgegeben, was ihm gehoert. Ob es Apostel, Bischoefe, Aelteste, Priester oder Diakonen sind, sie sollen zum Teufel gehen, so sie nach diesem Worte nicht hoeren oder tun wollen. Wer aber aus Gott ist, hat Gott gehoert." (133, 5.) Diese Worte erinnern an das, was der fruehere Prediger der apostolischen Gemeinde in Goeppingen G. Hofele sagt: (1)S. Chronik der christl. Welt 1905 Nr. 32 S. 398.) "Um die Gemeinde nicht zu schwaechen, wird auch mit Mitteln gearbeitet, gegen die man die schwersten Bedenken haben muss. Es gibt naemlich in der Gemeinde eine gewisse Art von Fluchgebeten, in denen der Zorn Gottes auf diejenigen heruntergefleht wird, welche Lust haben, der Gemeinde den Ruecken zu kehren oder ihr fern zu bleiben. Ob sich eine derartige Behandlung anders Gesinnter noch als christlich bezeichnen laesst, darueber besteht wohl kein Zweifel." In den "Waechterstimmen" (vgl. Nr. 121) und sonst wird dann gern berichtet, dass solche, die abgefallen oder "sich vom Teufel zum Luegenapostel ausrufen liessen," ein "jaehes Ende" oder "ein Ende mit Schrecken" genommen haetten.
Auch in Berlin steht es mit den "Versiegelten" nicht gut, denn Niemeyer sagt dort in enem Gottesdienst (Waechterstimmen 132, 5): "Es gibt apostolische Saufbolde, Spitzbuben, Faulenzer, die ihre Haeuser nicht koennen verwalten."
Man sieht, die "Brueder" haben auch ihre Schmerzen, und keine irdische Gemeinschaft, auch wenn sie sich anmassend "apostolische Gemeinde" nennt, ist sicher vor den Ausbruechen der Suende. Dann aber wohl soll man auch nicht so viel Ruehmens machen von der eigenen Hoheit und die anderen herabsetzen, wie das die Glieder der "apostolischen Gemeinde" tun.
Die Stellung der Neu-Irvingianer zur Kirche ist eine durchaus u n f r e u n d l i c h e. Eigentuemlich ist schon die Aeusserung der "Waechterstimmen" (78, 7): "Der Boese begiesst die mancherlei Ansichten mit einer neuen Bruehe, die eine kirchliche Partei oder Sekte nennt sich roemisch-katholisch, andere griechisch, andere Sekten nennen sich evangelisch, Baptisten, Darbisten, Methodisten usw. Wir glauben nur an eine heilige christliche apostolische Kirche, nicht aber an viele Sekten, ob sie gross oder klein sind." Damit werden alle andern Kirchen als Sekten bezeichnet. Dass unter dem Namen Sekte eine sich vom grossen Kirchenkoerper trennendem absondernde Partei verstanden wird, welche eine Nebenlehre betont und im alleinigen Besitz des heiligen Geistes zu sein meint, weiss man nicht oder will man nicht wissen. Die Neu-Irvingianer haben sich nun als Sekte bezeichnet gesehen, und da sie sich etwas Minderwertiges darunter vorstellen, kehren sie die Sache einfach um, nennen alle andern kirchlichen Gemeinschaften Sekten und sich Kirche, obgleich das gar keinen Sinn hat. Diese Verkehrung hindert aber den Schreiber der "Waechterstimmen" nicht, alsbald auf derselben Seite in unverstaendlicher Verblendung zu schreiben: "Die ganze Kirche besteht aus solchen, die sich durch einen Schein mit dem Namen "Christen" bezeichnen und tun doch nicht Christi Werke und Taten, der will Apostel, Prophet, Evangelist, Hirte usw. sein, und die Taten und Werke sind nicht zu finden; alle wollen Christi Braut sein und sind doch dem Braeutigam in seiner Salbung und seinen Taten nicht aehnlich." So spricht man von dem "verknoecherten Christentum, das sich mit dem Nachlesen von den einst geschehenen Taten begnuege" (77, 4), und eifert gegen die Schriftgelehrten und Pharisaeer dieser Zeit, wobei die Schriftgelehrten als die "Theologen, die Geistlichen" - und die Pharisaeer als "die Strengglaeubigen" erklaert werden (71, 7). "Der Boese," so lesen wir bei den Vertretern dieser "heiligen apostolischen Kirche" (81, 3), "verstellt sich in einen Engel des Lichts und tritt auf in den sogenannten Gerechtigkeitspredigern" und "die Prediger sind betrogen und betruegen viele" (83, 6), "die meisten Prediger unserer Zeit sind wissenschaftlich gebildet, aber ihr Christentum und ihre Wissenschaft sitzt nur im Gehirn, im Kopfe und nicht im Herzen." ("Herold", Mai 1905.)
Natuerlich haben die "apostolischen" Meister, die solches schreiben, auch ihre gelehrigen Schueler. Diese sprechen gern von "den schlechten Menschen," die in der Landeskirche "der Suppe ohne Salz" seien, und ein apostolischer Priester sagte: "Den Taugenichts schickt man auf die hohe Schule, dass er Prediger wird: Da hast du ein schoenes Brot", und gab weiter zu verstehen, dass die Pastoren wohl die Wahrheit der "apostolischen Gemeinde" erkennten, aber "um des Brotes willen" ihr nicht beitraeten. Mit solcher Unverschaemtheit werden die Gemeindeglieder erbaut, und die Schande der Kirche, die in neuerer Zeit hier und da in Betruegereien und anderen Suenden so beklagenswert hervorgetreten ist, ist fuer diese "christlichen Brueder" in ihren Predigten ein erfreuendes Lockmittel fuer ihre "heilige" apostolische Gemeinde. Aber wenn man so trefflich zu richten versteht, weiss man denn nichts von der Schande der eigenen Gemeinde, der sogenannten apostolischen? Es ist wahrlich nicht angenehm, auf diesen Schmutz hinzuweisen, aber wenn man sich so ueberheilig vorkommt und in nichtswuerdiger Weise die in der evangelischen Kirche vorkommenden Suenden fuer sich verwertet, so moege an einigen in die Oeffentlichkeit getretenen Beispielen beleuchtet werden, was in der "apostolischen Gemeinde" vorkommt. Am 7. Februar 1895 erschien auf der Anklagebank vor der Strafkammer in Kuestrin der Tischlermeister August R., der des Betruges, des fahrlaessigen Falscheides und des Pfandbruches angeklagt war. Er war im Jahre 1886 nach Kuestrin gekommen, hatte dort eine Tischlerei eroeffnet und gleichzeitig eine apostolische Gemeinde gegruendet, in deren Versammlungen er Sprecher war. Als solcher erhielt er nach dem hier benutzten Bericht des "Buergerfreundes" (Jahrgang 1895, Nr. 12) aus den bei den Versammlungen abgehaltenen Sammlungen 150 Mark Gehalt. Weil er von Gott einen Ruf erhalten haben wollte, ihm ein Haus zu bauen, errichtete er ein Haus, in dessen unteren Raeumen er eine grossartige Tischlerei einrichtete, waehrend oben ein Betsaal fuer die Gemeinde hergestellt wurde. Da er als ein "frommer Mann" galt, gab man ihm Geld; aber das Ende war, dass er wegen Betruges, fahrlaessiges Meineides und wegen Pfandbruchs zu sechs Monaten Gefaengnis verurteilt wurde. - Ein anderer Bild: Nach Greiz kam "auf Befehl des heiligen Geistes," wie man sagte, ein Schlossergeselle N., der in der Stille eine kleine Schar Getreuer sammelte und dann als Vorstand und Prediger der sogenannten apostolischen Gemeinde auftrat. Durch seine schoenen Worte und sein geschmeidiges Wesen verstand er es, nicht wenige zu bekoeren. Er redete viel von den Schaeden der Landeskirche und von den Fehlern der "pharisaeischen und heuchlerischen Geistlichen." Seine Vortraege wurden angeblich bestaetigt durch sogenannte Propheten und namentlich durch Prophetinnen, welche in den Versammlungen "weissagten". Bald entstanden merkwuerdige Geruechte, die aufs sicherste bestaetigt wurden. Eine Ehefrau z. B., die eine Prophetin gewesen war, trat sehr bald aus der Gemeinde aus und gab bei dem Stadtpfarramt zu Protokoll, N. habe ihr unsittliche Antraege gestellt. Bald wurde er auf Grund der Aussagen von 14jaehrigen Maedchen in Untersuchungshaft genommen, wurde aber wegen Mangels an ausreichenden Beweisen freigesprochen; wobei der Praesident der Strafkammer oeffentlich bekundete, die Richter seien von der Nichtschuld des N. durchaus nicht ueberzeugt, haetten vielmehr den Eindruck gewonnen, dass er ein sehr sinnlich angelegter Mensch sei. N. verliess die Stadt Greiz, und seine Anhaenger erkannten ihn nun als einen "Judas". Vorher waren ueber diesen "Mann Gottes" die schoensten Weissagungen ergangen! Wieder eine Mahnung, vor diesen falschen Propheten auf der Hut zu sein. Das hier Berichtete ist in einer kleinen Broschuere zu lesen, welche die Geistlichen der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde zu Greiz in August 1895 unter dem Titel: "Warnung vor der sogenannten apostolischen Gemeinde" herausgegeben haben. Von diesen unerquicklichen Dingen wenden wir uns gern ab, kam es doch nur darauf an, einmal den h o c h m u e t i g r i c h t e n d e n Geist der Neu-Apostolischen zu beleuchten.
Auch nach anderer Richtung hin erfaehrt die evangelische Kirche gehaessige Anfeindung von seiten der Glieder der "apostolischen Gemeinde." Man sagt evangelischen Christen: "Der Pastor betet nicht fuer die Armen, fuer den Kaiser ja, aber nicht fuer die Armen" und "der Pastor verkauft weiter, was er gekauft hat, aber bei uns kostet es kein Geld." Man will damit auf die Besoldung der evangelischen Geistlichen hinweisen und zugleich auf die Gehaltlosigkeit ihrer Priester; man hofft wohl darin ein Fangmittel fuer die "apostolische Gemeinde" zu haben. Aber ist es denn ein Unrecht, dass die Geistlichen der Landeskirche in ihrem Berufe auch den Lebensunterhalt finden? Das Wort des Herrn Jesu: "Umsonst habt ihr es empfangen, umsonst gebt es auch" (Matth. 10, 8), das von den evangelischen Geistlichen immerhin oft genug geuebt wird, war doch insbesondere an seine damailigen Juenger gerichtet. Ihnen gebietet er, keinen Beutel noch Tasche zu tragen (Matth. 10, 10; Luk. 10, 4), obgleich er auch hier schon hinzusetzt: "Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert" (Luk. 10, 7). Unter andern Zeitverhaeltnissen lautet seine Weisung schon anders: "Aber nun, wer einen Beutel hat, der nehme ihm usw." (Luk. 26, 36). Es ist klar, dass der Herr dem, der fuer sein Reich arbeitet, auch den Lebensunterhalt sichern will. Und wie deutlich spricht der Apostel Paulus davon 1. Tim. 5, 17-18 und erst recht 1. Kor. 9, 7-14: "Wer pflanzet einen Weinberg und isset nicht von seiner Frucht? Oder wer weidet eine Herde und naehret sich nicht von der Milch der Herde? So wir auch das Geistliche saeen, ist es ein gross Ding, ob wir euer Leibliches ernten? Wisset ihr nicht, dass die des Altars pflegen, geniessen des Altars? Also hat auch der Herr befohlen, dass die das Evangelium verkuendigen, sollen sich vom Evangelium naehren." So tun die evangelischen Geistlichen der Landeskirche und brauchen sich dabei keine Vorwuerfe machen zu lassen. Zum "Schaetze sammeln" ist das bisher gewaehrte gehalt wahrlich nicht geeignet, und es sollte bekannt genug sein, dass viele Geistliche mit Not und Entbehrung zu kaempfen haben. Aber den grosstuenden Stimmen der Nau-Irvingianer gegenueber fragt man wieder: "Ist es denn wahr, dass eure Apostel, eure Missionare und Priester von den Sammlungen der Gemeindeglieder gar kein Geld bekommen; und nehmen sie auch keine Geschenke an? Entspricht das Auftreten der modernen Apostel tatsaechlich der Forderung, welche der Herr Jesus Matth. 10, 10 aufstellt und welche die Neu-Irvingianer scheinbar auch als fuer die Neuzeit verpflichtend ansehen?" Man sollte doch nicht mit zweierlei Mass messen, sollte offen sein und den entsetzlichen Selbstruhm und die Verkleinerung der andern Kirchen unterlassen.
Dieselbe - gelinde gesagt - Unart findet sich in der Beurteilung der Erfolge der Kirchen. Nur in der eigenen Gemeinde finden die Neu-Irvingianer Leben, in andern christlichen Gemeinschaften und Kirchen den Tod. Entspricht solch Urteil denn der Wahrheit? Gewiss beschoenigen wir nichts und beklagen es, dass weite Kreise unseres Volkes, Glieder der evangelischen Kirche, von Gott abgefallen sind. Aber ist man wirklich so verblendet, dass man das helle Feuer des Glaubens und der Liebe, das sich hier und da in unserer evangelischen Kirche zeigt, nicht sehen kann? Ich will nichts sagen von dem innigen Glaubenszeugnis, das von ungezaehlten Kanzeln unsrer Kirche ertoent, von der Glaubensfreudigkeit, mit der evangelische Christen noch heute leben und sterben; aber ist es denn gar nichts, was an Opferfreudigkeit und selbstloser Liebe in den Werken der Inneren und Aeusseren Mission unserer evangelischen Kirche hervortritt? Man sehe doch hinein in die Kleinkinderschulen und Sonntagsschulen, die Waisen- und Rettungshaeuser, die Juenglings- und Jungfrauenvereine, die Asyle fuer Taubstumme und Blinde, Idioten und Epileptische, Verkrueppelte und entlassene Strafgefangene usw. usw. Ist das alles nichts? Ist es wirklich nichts, wenn in Deutschland in 79 Mutterhaeusern ueber 16000 Diakonissen dem Herrn zuliebe ihre stille und gesegnete Arbeit tun, wenn ueber 1000 Missionare, im Dienste deutscher evangelischer Missionen stehend, dem Heiland und den Heiden zulieb oft auf einsamen und gefaehrdeten Posten Gottes Sache treiben und um des Herrn willen sterben? Wer da nichts von christlicher Heldengroesse sieht, ist blind, beschraenkt oder ungerecht. Und nun zeige man uns dem gegenueber, was die "apostolische Gemeinde" fuer Erfolge hat, ob sie eine auch nur aehnliche Liebesarbeit aufweisen kann. Die blosse religioese Schwaermerei tut's doch nicht!
Freilich haben die Neu-Irvingianer Erfolge; ihre Sekte breitet sich aus, und ihre Gottesdienste werden von den Mitgliedern scheinbar gut besucht. Aber das hat auch seine natuerlichen Ursachen. Welcher Christ moechte nicht aufhorchen, wenn ihm, sei es auch faelschlich, gesagt wird: hier ist ein Gemeindeleben, welches das Bild der ersten Christengemeinde darstellt; hier ist Leitung wahrhafter Apostel, hier bleibt man in der Apostel Lehre, hier ist kein Streit der Meinungen, hier ist Weissagung, ja die ganze Gaben-Fuelle der urapostolischen Zeit? So kommen Seelen, die etwas von Christo gehoert haben, aber noch nicht zum rechten Glauben gelangt und in die innere Wahrheit und Kraft des Evangeliums noch nicht hindurch gedrungen sind, schwankende, haltlose gemueter, unklare, zur Schwaermerei geneigte Koepfe, die der Gabe der Unterscheidung entbehren, in die Versammlung und werden von dem freundlichen Entgegenkommen, dem Ruhmesgeschrei ueber der "apostolischen Gemeinde" und der Verdaechtigung der andern Kirchen, von der sie verblueffenden "Weissagung", welche zu pruefen und als falsch zu erkennen sie zu schwach sind, gefangen genommen. Dazu eroeffnet sich fuer eitle Herzen die Aussicht, eine Rolle zu spielen. Es gibt ja genug Aemter, man kann Diakon, Priester, ja ein gefeierter Apostel werden, und die weiblichen Glieder finden in "Weissagung" und "Zungenreden" ein Feld ihrer Taetigkeit - und Bewunderung. Ja, die ganze materialistische Richtung, welche s e h e n will, um glauben zu koennen, findet hier bei den sichtbaren "Christussen", bei "Weissagen" und "Zungenreden" ihre Nahrung.
Und nun wird jedes Mitglied mehr oder weniger Werbeglied. Ist ein "Apostolischer" in eine fremde Gemeinde gekommen, wo man noch nichts von dieser Neuerung weiss, so wird von den "Geistesgaben" erzaehlt, und einzelne werden veranlasst, nach der naechst gelegenen Stadt eine Reise zu machen und sich den "apostolischen" Gottesdienst anzusehen. Es dauert nicht lange, so bekommt das verstreute Gemeindeglied Besuch von einem Priester und Diakon. Zuweilen sind sie herbeigerufen unter der Vorspiegelung, der Pastor des Orts wolle sie sprechen. Nun werden befreundete Kreise in die Wohnung gezogen, und der Priester traegt seine neue Lehre, anfangs wohl verschleiert, vor, natuerlich zuerst unter Zugrundelegen der Heiligen Schrift; denn man wuerde ihm sofort mit Misstrauen entgegenkommen, wollte er's anders tun. Der "unstudierte Mann", der so schoen zu reden weiss, macht Eindruck, und die falsche Auslegung der Heiligen Schrift kann man nicht beurteilen. So wird mancher gefangen. Viele freilich schuetteln die Koepfe und sagen: "Das haben wir ebenso gut oder besser in unserer Kirche."
Eigentuemlich der Sekte ist, dass ihre Mitglieder aus der Landeskirche im allgemeinen offiziell n i c h t a u s t r e t e n. Wo noch keine "apostolische Gemeinde" in einem Ort gegruendet ist, gehen sie auch eine Zeitlang zum evangelischen Gottesdienst; spaeter, wenn sie erst von dem eigentuemlichen Richtgeist der Neu-Irvingianer erfasst sind, hoert das auf. Ist an einem Ort eine "apostolische Gemeinde" vorhanden, so werden ihre Gottesdienste, so viel ich sehe, ausschliesslich besucht.
Neuerdings scheinen schwere Bedenken gegen die Koenigstreue und den Patriotismus der "Apostolischen" aufgetreten zu sein, und man darf wohl sagen, dass das ganze "Milieu" der Gemeinde, wie es auch H. Niehaus in 'Si tacuisses' S. 27 darstellt, dazu Anlass geben kann, aber dagegen wehrt sich ein apostolischer Anonymus in einer bei H. Bornemann in Iserlohn erschienenen Broschuere mit dem Titel: "Zur Wahrung berechtigter Interessen! Abwehr der koenigstreuen, patriotisch gesinnten Neuapostolischen Gemeinde gegen feindliche Angriffe." Der weitere Aufdruck: "Nachdruck nur im Ganzen und woertlich gestattet, Nachdruck in Auszuegen verboten" ist bezeichnend fuer diese Geister. Wer wird das Ganze wortlich nachdrucken? Es lohnen sich nicht einmal Auszuege aus dieser Selbstberaeucherung.
Was im ganzen das s i t t l i c h e L e b e n der Neu-Irvingianer betrifft, so habe ich nach meinen Beobachtungen eine Besserung nicht gefunden, eher das Gegenteil. Ich will es gern glauben, dass sich auch in dieser Gemeinschaft gottesfuerchtige, ernste, ehrbare, nach Heiligung verlangende Menschen befinden, und ich habe bei v o r u e b e r g e h e n d e r kurzer Bekanntschaft freundliches und ehrerbietiges Benehmen gefunden, aber wo ich tiefer Blicke habe tun koennen, bin ich doch erschrocken. Wohl werden die Vergnuegungen der Welt, Tanz und Trunksucht, gemieden oder doch scharf beurteilt, aber wo der eine boese Geist ausgetrieben ist, kommen andere. So bin ich z. B. von zwei Personen, mit denen ich besonders zu tun hatte, belogen worden, nachdem sie die Versiegelung empfangen hatten, und die Frucht des Geistes - Liebe, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Guetigkeit, Sanftmut -, welche frueher, vor der Versiegelung, da zu sein schien, war geschwunden. Es ist ja nichts Neues, dass zu anderem Glauben Uebergetretene oft die gehaessigsten Feinde des alten Glaubens und der alten Kirche werden, der evangelischen Kirche, die sie doch gross gezogen und den Heiland kennen gelernt hat.
Mir diesen Beobachtungen stimmt ueberein, was von andern Orten ueber die Neu-Irvingianer gemeldet wird. Herr Pastor prim. W. Funke zu Gehrden bei Hannover berichtet im Nachtrag seiner Broschuere "Etwas von den Irvingianern", wie er auf seine Broschuere hin aus diesen Kreisen unchristliche und unapostolische Schmaehbriefe bekommen habe, und fuehrt die Worte eines geistlichen aus Holstein an: "Die Irvingianer sind gekommen in Schafskleidern, um dann nachher erst ihre eigentliche Art zu zeigen." Die Geistlichen aber der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde in Greiz schreiben in der bereits erwaehnten "Warnung" (S. 7): "Die Fruechte der sogenannten apostolischen Gemeinde und ihrer Propheten sind keine guten. Wir haben selten so hochmuetige und selbstgerechte Menschen kennen gelernt als viele Glieder dieser Gemeinde, die mit Verachtung auf andere herabsehen und sich fuer die Auserwaehlten Gottes halten, und es gehoert oft viel Sanftmut dazu, um mit ihnen auch nur zu verhandeln." Neuerdings wird aus Greiz ueber die Neu-Apostolischen berichtet: "Der Schlachtruf unsrer Brueder" und ihres Geistes gegen unsere Geistlichen lautet hier: "Nur immer druff," und dazu wird die Bemerkung gemacht: "Man sieht, dass der Geist auch populaer sein kann. Den Fanatismus habe ich bei den Apostolischen so blind und wild gefunden, dass ich auf jede Widerlegung von vornherein verzichte. Auf ihre Schmaehungen gegen unsere Landeskirche, in der nur schlechte Menschen seien, habe ich mit Erfolg geantwortet: "Seitdem Sie heraus sind, ist es bei uns besser geworden."" So klingt es erheiternd aus Greiz. Dabei bleibt es doch tief betruebend, dass evangelische Brueder, die zu Besserem berufen waren, durch falsche Apostel geleitet, solchen Irrweg gehen.
Wir aber, die wir das lautere Wort Gottes haben und in dem Evangelium von der freien Gnade durch den gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus Freudigkeit, Trost und Kraft finden, rufen, weil uns die Wahrheit hoeher steht als Schwaermerei, den betrogenen und gefaehrdeten Seelen zu: "Sie eifern um euch nicht sein" (Gal. 4, 14). "Ihr Lieben, glaubet nicht einen jeglichen Geist, sondern pruefet die Geister, ob sie aus Gott sind," (1. Joh. 4, 1) und Matth. 24, 24 und Matth. 7, 15: "Es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen; sehet euch vor den falschen Propheten!"
Es handelt sich diesen Sektierern gegenueber:
1. um Bewahrung der Gemeinde im ganzen,
2. um Bewahrung der Gefaehrdeten,
3. um das Verhalten gegenueber den Sektierern selbst.
1. Wo Sektierer auftauchen, ueberschaetze man nicht die Gefahr, aber unterschaetze sie auch nicht. In kleineren, aber auch in groesseren Gemeinden wird ihr Erscheinen bald bekannt, und es waere unnatuerlich, wenn die Pastoren gegenueber dem Auftreten der Irrlehre schwiegen. Sie ist im Konfirmandenunterricht zu behandeln, gelegentlich in Bibelstunden, auch in Gottesdiensten, wenn es der Text nahe legt. Kontrovers-Predigten, welche l e d i g l i c h der Bekaempfung dienen, werden besser vermieden. Kein fleischlicher Eifer, aber Entschiedenheit und heiliger Ernst ist zu beweisen. Es handelt sich um die Ehre Jesu, um Bewahrung der Seelen vor Menschenvergoetterung und eigenwilligen Wegen, um die Gueter der Reformation, um rechtes Glauben und um heilige Nuechternheit, welche dem falschen Enthusiasmus, der Unklarheit und Verschwommenheit entgegentritt.
2. Es sind dann die Augen offen zu halten bezueglich der Gefaehrdeten, welche nicht immer die schlechtesten Elemente sind und vielfach einen Zug zu Gott haben. Da muessen vor allem die Mitglieder des Gemeinde-Kirchenrats helfen und dem Pastor, auch ohne dass sie erst danach gefragt werden, von ihren Wahrnehmungen Mitteilung machen. Erfreulich waere es auch, wenn sie es versuchen wollten, durch ihren persoenlichen Einfluss die Gefaehrdeten bei ihrem alten Glauben, bei ihrer Kirche zu erhalten. Die Hauptaufgabe wird auch dann dem Pastor zufallen, dessen Unterredungen mit den Gefaehrdeten geradezu geboten sind. Der Grund der Trennung von der Kirche ist vielfach nichts anderes als ein Beduerfnis nach innigerer Gemeinschaft. So werden wir Gelegenheit geben muessen, die zu sammeln, welche ein Beduerfnis danach haben und mit Ernst Christen sein wollen, ob das nun in Bibelstunden geschieht oder in der Art der christlichen Gemeinschaften. Jedenfalls ist reichlichere Wortdarbietung und Gebet am Platz.
3. Aber wenn der Bruch vollzogen ist? Welches Verhalten haben wir gegenueber den Neu-Irvingianern selbst zu beobachten? Sie gehoeren zu den Religions-Gesellschaften ohne Korporationsrechte, unterliegen also dem Vereinsgesetz vom 11. Maerz 1850 und haben sich nach diesem unter Einreichung der Statuten bei der Polizei zu melden, falls sie eine Gemeinde-Gruendung vornehmen wollen. Dass die gesetzlichen Vorschriften beobachtet werden, ist Sache der Polizei; die Pastoren aber wollen die Sektenleute in keiner Weise drangsalieren, schon damit sie sich nicht einbilden, Maertyrer zu sein. Das Verhalten gegenueber den Neu-Irvingianern wird insofern schwierig, als sie vielfach aus der Landeskirche nicht in gesetzlicher Weise austreten. Tun sie das, dann ist ja die Lage klar; aber im andern Falle werden mancherlei Ueberlegungen notwendig. Sind sie Glieder der Landeskirche, dann haben sie Pflichten gegenueber der Kirche, aber auch Rechte auf ihre Segnungen. Es fragt sich, wie weit man die Pflichten von ihnen fordern, wie weit man Rechte um der Wahrheit willen gewaehren kann. Im allgemeinen orientieren die wertvollen Verordnungen der Behoerden: 1) Verordnung des Evangelischen Oberkirchenrats vom 4. Juni 1868: "Behandlung der nicht aus der Kirche foermlich ausgeschiedenen Dissidenten (Nr. 5991/67 E.O.), abgedruckt in den "Amtlichen Mitteilungen des Koeniglichen Konsistoriums der Provinz Brandenburg" in Nr. 8 des Jahres 1868 - und 2) Ansprache an die Geistlichen der Evangelischen Landeskirche vom 15. Dezember 1884 - E.O. 6588 -, in den "Amtlichen Mitteilungen des Koeniglichen Konsistoriums der Provinz Brandenburg" abgedruckt in Nr. 1 des Jahres 1885. Ich gehe auf einzelnes ein.
a) Die Neu-Irvingianer, welche offiziell noch der Landeskirche angehoeren, haben das Recht, ihre Kinder in derselben t a u f e n zu lassen. Verweigern sie die Taufe und lassen sie ihr Kind von Priestern ihrer Sekte taufen, so gehen sie des kirchlichen Wahlrechts und des Rechtes der Taufpatenschaft verlustig. Es tritt das Kirchengesetz vom 30. Juli 1880 ein. Evangelische Eltern, welche Neu-Irvingianer zu Taufpaten ihrer Kinder nehmen wollen, waeren zu beeinflussen, dass sie um des Friedens willen lieber davon abstehen; denn die neu-irvingianischen Paten wuerden danach streben, die Kinder ihrem "apostolischen" Glauben zuzufuehren. Eine von einem Irvingianer vollzogene Taufe hat keinen Anspruch, in das amtliche Taufregister der Gemeinde eingetragen zu werden, sofern nicht fuer sie die Bestaetigung durch das Pfarramt der Landeskirche nachgesucht worden ist. Diese Bestaetigung aber ist nicht zu versagen; nach Anleitung der Agende ist solche Taufe als Laientaufe zu bestaetigen.
Es kommt vor, dass die "apostolischen" Gemeinden selbst Taufzeugnisse ausstellen, aber diesen Taufscheinen kommt weder in kirchlicher noch buergerlicher Beziehung eine oeffentliche Glaubwuerdigkeit zu: fuer die Aufnahme in die Schule, den Konfirmanden-Unterricht, fuer Kommunion, Trauung, Begraebnis kan ein solches Taufzeugnis nicht als legal angesehen werden; daher kann, wer nur solches Taufzeugnis beibringt, auf Gewaehrung dieser kirchlichen Gemeinschaftsrechte keinen Anspruch erheben, es sei denn, dass die ordnungsmaessig vollzogene Taufe durch die Paten vor dem evangelischen Pfarrer bezeugt wird.
b) Zum K o n f i r m a n d e n - Unterricht wuerde ich die Kinder von Neu-Irvingianrn zulassen, nicht zur Konfirmation, weil bei letzterer die Gefahr der Unwahrhaftigkeit fuer die Kinder zu nahe liegt. Indes sei auch das der individuellen Beurteilung anheimgegeben. Fordern kann die Kirche beides nicht: weder die Teilnahme am Unterricht noch an der Konfirmation.
c) Das h e i l i g e A b e n d m a h l wird kaum von den Neu-Irvingianern gefordert werden, sie haben es in ihrer eigenen Gemeinschaft. Sollte es dennoch beansprucht werden, so richtet sich die Gewaehrung desselben in unsrer Kirche nach dem Kirchengesetz vom 30. Juli 1880 und individueller Beurteilung. Man wird den Betreffenden klar zu machen suchen, dass man nicht zwei Herren dienen, nicht zwei entgegengesetzten Kirchengemeinschaften angehoeren kann.
d) Es kommt vor, dass Neu-Irvingianer unsere k i r c h l i c h e T r a u u n g begehren. Ist der Wunsch zu erfuellen? Nach der Verordnung des Evangelischen Oberkirchenrats vom 4. Juni 1868 ist die pfarramtliche Assistenz, wenn die Betreffenden innerhalb der irvingitischen Gemeinschaft ein Amt bekleiden, zu versagen. Aber wenn sie n i c h t ein irvingitisches Amt bekleiden? Dann tritt individuelle Behandlung ein. Ich wuerde die Beteiligten fragen, ob sie die "apostolische" Versiegelung empfangen haben, wo sie dauernd ihr religioeses Beduerfnis befriedigen und wo sie dauernd das heilige Abendmahl empfangen. Sie werden wahrscheinlich antworten: "In der apostolischen Gemeinde." Dann ist ihnen nach dem treffenden Wort des Evangelischen Oberkirchenrats zu sagen und zu klarem Bewusstsein zu bringen: "So gewiss Abendmahlsgemeinschaft Kirchengemeinschaft ist, so gewiss schliesst eine Absonderung in jener tatsaechlich eine Absonderung von dieser mit ein." Und "wohlmeinende Selbsttaeuschung vermag an diesem Sachverhaeltnis nichts zu aendern." So schliessen sich die Irvingianer selber aus, und die Rechte der Kirche koennen sie in Wahrheit nicht in Anspruch nehmen.
e) Wie steht es, wenn die Neu-Irvingianer K a n d i d a t e n f u e r e i n k i r c h l i c h e s A m t sind oder sich bereits in einem solchen befinden? Die Ansprache des Evangelischen Oberkirchenrats vom 15. Dezember 1884 sagt: "Es ist auf jede gesetzlich zulaessige Weise zu verhueten, dass sektiererisch Gesinnte in kirchliche Aemter, namentlich auch in das der Aeltesten und Gemeinde-Vertreter gelangen" und faehrt fort: "Wenn aber Maenner, die in solchen Aemtern stehen, durch Wort oder Tat z.B. durch Uebernahme amtlicher Funktionen bei einer Sekte, Annahme ausserkirchlich gespendeter Sakramente, beharrliche Beteiligung an sektiererischen Kultusakten oder in sonstiger offenkundiger Weise mit der Lehre oder Rechtsordnung der Kirche sich in Widerspruch setzen, ist deren Entfernung aus dem Amte herbeizufuehren." Ich erkenne die Berechtigung dieser Anweisung natuerlich an, moechte aber nicht, dass wir genoetigt werden, diese Anweisung buchstaeblich in jedem Fall zu erfuellen. Freilich, wer amtliche Funktionen bei einer Sekte uebernimmt, kann ein Amt in der evangelischen Kirche nicht behalten; aber es gibt z.B. Gemeinde-Vertreter, welche ausserkirchlich gespendete Sakramente (das heilige Abendmahl) angenommen haben und sich an sektiererischen Kultusakten beharrlich beteiligen, aber dieselben Maenner sind die treusten Kirchenbesucher, wollen sich auch nicht versiegeln lassen. Hier ist meines Erachtens eine in Geduld zu tragende Schwachheit und Verirrung, der gegenueber Schonung und Nachsicht am Platze ist; ja es waere sehr bedenklich, hier rigoros zu verfahren, waehrend ausserordentlich unkirchliche Menschen in Gemeinde-Aemtern geduldet werden.
f) Noch eine Frage: die nach der B e e r d i g u n g der Neu-Irvingianer. Der kirchliche Friedhof kann ihnenm falls sie keinen eigenen Friedhof haben und sie die bestimmten Gebuehren zahlen, nicht versagt werden. Eine pfarramtliche Assistenz ist bei solchen, welche innerhalb der irvingianischen Gemeinde ein Amt bekleidet haben, zu versagen gemaess der Verordnung des E.O.R.-Rats, im uebrigen waere es wuenschenswert, wenn dem betreffenden Pfarrer die Freiheit der individuellen Entscheidung ueberlassen wuerde.
Das Verlangen der Irvingiaener, auf dem Friedhof am Grabe zu sprechen, lehne man um der entstehenden Unzutraeglichkeiten willen ab. Wo kirchliche Friedhoefe sind, ist es erforderlich, in die Friedhofs-Ordnung den Satz aufzunehmen: "Laienreden sind auf dem Friedhof verboten."
Die Versammlungen der Neu-Irvingianer in der eigenen Gemeinde zu besuchen, erscheint mir nicht ratsam, weil andere darin ein Beispiel finden, sich auch die Sache anzusehen und oftmaliger Besuch des Pastors, auch bei seinem Widerspruch, leicht als Zustimmung ausposaunt werden kann.
Darauf zu halten, dass von auswaerts berufene Evangelisten sich mit ihm in Beziehung setzen, wird dem Pastor nicht immer moeglich sein, da das nur von dem guten Willen der Evangelisten abhaengt.
Die besten Mittel, den Neu-Irvingianern entgegenzuwirken, sind: Aus dem Glauben geborene Predigt des lauteren Evangeliums, Liebe, welche die Irrenden sucht, und eine Kirchengemeinde, von der es heissen kann: "sie blieben bestaendig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet."