Aus dem Wasser ragt ein Kreuz, umstrahlt vom Heiligen Geist. Unuebersehbar prangt dieses Emblem an den Tempeln der Neuapostolischen Kirche. Modern und gut ausgestattet finden sie sich in allen groesseren Orten. Mit 37000 Mitgliedern ist die Neuapostolische Kirche in der Schweiz –wie uebrigens auch in Deutschland- die viertgroesste Religionsgemeinschaft nach den beiden Amtskirchen und den orthodoxen Kirchen. Weltweit zaehlt die NAK knapp 9 Millionen Mitglieder.
Nach aussen gibt sich die Neuapostolische Kirche bieder und angepasst. Aussteiger aber berichten von autoritaerer Indoktrination und krankmachendem Glaubenszwang; und evangelische und katholische Sektenexperten, ob in Deutschland oder der Schweiz, zoegern nicht, die NAK als Sekte zu bezeichnen. Hoeren Sie im folgenden den Bericht von Eggert Blum und Holger Reile:
"Ich definiere 'SEKTE' als Gemeinschaft, die sich selber ueberschaetzt. Auf dieser Stufe ist auch jede Amtskirche, jede politische Partei sektenhaft", erklaert Georg Schmied von der Evangelischen Informationsstelle fuer Sekten in Greifensee bei Zuerich. "Wenn wir jetzt die Neuapostolische Kirche betrachten, ist diese Selbstueberschaetzung natuerlich viel weiter gediehen. Die Neuapostolische Kirche sieht sich nicht nur als die beste christliche Kirche, das muss man vielen zugestehen, dass sie je in ihren Augen die Beste sind, sondern die Neuapostolische Kirche ist in ihren eigenen Augen die einzige wahre Kirche Christi in dieser Endzeit, in der wir leben. Deshalb hat die Neuapostolische Kirche auch keine oekumenischen Verbindungen zu anderen kirchlichen Organisationen und anderen Kirchen. Sie ist exklusiv; der einzige von Gott gewollte Weg zum letzten Heil".
Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Endzeitsekte aus den katholisch-apostolischen Gemeinden. Diese glaubten, sie seien auserwaehlt, die Welt auf den Juengsten Tag und die Wiederkehr Christi vorzubereiten. Nach zahlreichen Grabenkaempfen und Abspaltungen hatte sich 1907 die Neuapostolische Kirche fest etabliert; an der Spitze ihr Fuehrer, der Stammapostel. Zur Zeit heisst er Richard Fehr und residiert in Zuerich. Unter ihm stehen weltweit rund 230 Apostel. Diese wiederum wachen ueber 3000 Amtstraeger, die in 170 Laendern etwa 60000 NAK-Gemeinden betreuen. Sie alle betrachten ihren Stammapostel als Vertreter Gottes auf Erden. Nur er kann sie ins Paradies fuehren. Kritik an ihm gilt als beinahe gotteslaesterlich. Der Stammapostel kann nicht irren. Auch nicht Johann Gottfried Bischoff, der in den fuenfziger Jahren seinen Anhaengern versicherte, sie wuerden mit ihm zusammen den Weltuntergang und Jesu Wiederkehr erleben.
Georg Schmied: "Als er dann starb, da hat die Neuapostolische Kirche die Ueberzeugung vertreten, dass Christus diesem Stammapostel zwar die Wahrheit mitgeteilt hat, er hat sich nicht getaeuscht, aber Christus oder der Himmel hat sich die Sache noch einmal anders ueberlegt und hat das Ende herausgezoegert. Und die offizielle Lehre im Blick auf diese Fehlaussage des damaligen Stammapostels ist heute immer noch so, dass sich der Stammapostel Bischoff nicht irrte".
Wenn der Stammapostel predigt sei es, als wuerde sich der Himmel zur Erde neigen, berichten einfache Mitglieder. Zwischen ihnen und dem Stammapostel dehnt sich eine gut entwickelte Aemterhierarchie.
Georg Schmied: "Man dient sich hinauf. Es gibt zahllose Aemter. Also, uebrigens: Es gibt Aemter nur fuer Maenner. Diese Aemter der Maenner, die sind hierarchisch sehr deutlich geordnet. Also aehnlich wie in einer Armee. Vom Gefreiten bis zum General gibt's da alles, und der Aufstiegmoeglichkeiten sind natuerlich viele. Ich kann als engagierter Mann in der Neuapostolischen Kirche kann ich alle zwei, drei Jahre eine neue Stufe erreichen".
Treppauf geht es ueber zwoelf Aemterstufen: Unterdiakon, Diakon, Priester, Gemeindeevangelist, Hirte, Gemeindeaeltester, Bezirksevangelist, Bezirksaeltester, Bischof, Apostel, Bezirksapostel, Stammapostel. Was braucht es, um aufzusteigen?
Georg Schmied: "Ich glaube nicht, dass bei diesem Aufstieg Originalitaet gefragt ist. Wenn ich irgendwie so denke und so rede wie der mir Obere redet und denkt, dann habe ich Aufstiegschancen. Es ist ein Anpasserstil, der gepflegt wird. Sich fuehren lassen, Gehorsam, ist eine der hoechsten Tugenden".
Ueberhaupt nichts mitzureden haben in dieser Aemterhierarchie die Frauen. Sie bekleiden keine Aemter; sie duerfen nicht predigen.
Andreas Maurer, langjaehriger NAK-Funktionaer: "Ich habe mir beispielsweise als Gemeindevorsteher der groessten Schweizer Gemeinde mit ungefaehr 700 Mitgliedern, das ist Thun im Kanton Bern, erlaubt, Frauen fuer den sogenannten Sigristendienst, also fuer den Tuerhueterdienst, mit einzubeziehen, das beinhaltete beispielsweise das Anschlagen eines Kirchenliedes vor dem Gottesdienst, und wurde dafuer regelrecht gescholten mit der Begruendung, dass man zu viel Bein sehen wuerde beim Anschlagen des Liedes, weil der Rock dann sich leicht nach oben verschiebt. Also unfassbare Aussagen in der heutigen Zeit".
Und in den NAK-Richtlinien fuer Amtstraeger ist zu lesen:
"Die Frauen der Brueder haben mit den Gemeindeangelegenheiten nicht das geringste zu tun. Ihre Frauen haben nicht die Kraft empfangen, die mit dem Amt verbundenen Lasten tragen zu koennen. Wenn die Maenner Familienbesuche machen, koennen die Frauen zu Hause ihre Knie beugen und beten, dass die Seelenarbeit des Mannes mit Segen gekroent sei".
Nach der Seelenarbeit im Gottesdienst wird gezahlt. Da wird der Klingelbeutel mit Scheinen gefuellt; denn in den Schweizer Kantonen ist die Neuapostolische Kirche, anders als die grossen Amtskirchen, nicht als 'Person des oeffentlichen Rechts' anerkannt. Sie darf deshalb keine Kirchensteuer ueber den Staat einziehen lassen.
Im Kanton Basel-Land hatten die Neuapostolen diese Anerkennung beantragt. Nach dem bisherigen Baselbieter Kirchengesetz stuende einer Anerkennung aber die zentralistische Struktur der Sekte entgegen. Mittlerweise, so scheint es, hat die NAK ihren Versuch wieder abgeblasen. Warum auch sollte sie die Kirchensteuer vom Kanton einziehen lassen? Freiwillig geben ihre Mitglieder weit mehr, den zehnten Teil ihres Bruttoeinkommens. – Tatsaechlich freiwillig? Andreas Maurer, ehemaliger Gemeindevorsteher und lange Jahre betriebswirtschaftlicher Leiter der NAK-INTERNATIONAL, des weltweiten Finanzzentrums der Sekte in Zuerich. Andreas Maurer spricht von Angst:
"Die Neuapostolische Kirche hatte zum Zweck, die Glaeubigen auf die Wiederkunft Christi vorzubereiten, auf den sogenannten Tag des Herrn, und alles was man tat war auf diesen Tag ausgerichtet: Bist du dabei oder bist du nicht dabei? Und dazu zaehlte eben auch deine Opferbereitschaft. Damit war diese Angst eigentlich permanent vorhanden. Wenn man es nicht gibt, dann koennte man aus der Gnade Gottes fallen. Die meisten, die ich kenne, haben diese 10%-Abgabe sehr ernst genommen. Fuer die galt die hoechste Zahl im Lohnausweis. Also, da stellte sich nicht die Frage: Welche Abzuege soll ich vorerst mal machen und dann die 10% aus dem Restbetrag berechnen? Da galt die hoechste Zahl des Einkommens, der Bruttoverdienst; und wenn Sie das zusammenzaehlen, dann kommen sehr schnell mal bei einem Durchschnittseinkommen eines vierzigjaehrigen Mannes Summen in der Groessenordnung von 200000 Franken zusammen".
Allein die rund 37000 Schweizer NAK-Mitglieder duerften auf diese Weise jedes Jahr mindestens 55 Millionen Franken zahlen, zusaetzliche Dankopfer nicht eingerechnet. Das Vermoegen der Sekte in Immobilien in Deutschland und der Schweiz schaetzen Kenner auf mindestens 5 Milliarden Franken.
Erfahren die einfachen Mirtglieder, wieviel sie alle zusammen opfern und was mit ihrem Geld passiert? Volker Kuehnle, Apostel, und nach seinem Selbstverstaendnis "Botschafter an Christi Statt" sowie Sprecher der NAK in Baden-Wuerttemberg:
"Es ist einfach aus der Historie der Kirche gewachsen, auch ein bisschen mit Ruecksichtnahme auf die Braeuche und Sitten im sueddeutschen Bereich, wo man ueber Geld nicht so sehr redet. Wir haben ein Rechtsinstrument, das ist die Landes-versammlung, die dann auch diesen Jahresabschluss jeweils feststellt. Hier sind dann auch die Bezirksvorsteher Mitglied und haben insoweit Einblick in Einnahmen und Ausgaben der Kirche. Darueber hinaus geben wir aber keine Auskuenfte an die Mitglieder".
Genau so, bestaetigt Andreas Maurer, ist es in der Schweiz:
"Zur Frage, ob das einfache Mitglied Auskunft weiss ueber den Finanzhaushalt, muss man ganz klar sagen: Nein. Man spricht beispielsweise nicht ueber die Opfergelder, das wird als Geheimnis gehandelt. Man weiss auch nicht wie viele Gelder wirklich in Personalaufwendungen fliessen fuer die hauptamtlichen Seelsorger. Da wird eine Geheimniskraemerei betrieben und zum Teil auch mit lueckenhaften Angaben operiert, und das erachte ich als einen grossen Mangel an der Organisation, die sich gemeinnuetzig ausgibt und eben aus Opfergeldern sich finanziert".
In einem Werbeprospekt der NAK heisst es: "Die Amtstraeger sind Laien. Ein Theologiestudium ist fuer sie nicht erforderlich. Sie ueben ihre Seelsorgetaetigkeit ehrenamtlich und ohne Bezahlung aus".
Tatsache aber ist, dass zumindest Apostel und Bischoefe bezahlt werden. Dazu kommen ueberdimensionierte Kirchenbauten. Anders jedoch als die Amtskirchen betreibt die Sekte weder Kindergaerten, Altenheime noch andere Sozialdienste.
Andreas Maurer, ehemaliger Finanzexperte der NAK-Zentrale in Zuerich, legt den Finger auf den Posten 'Betreuung der Schwesterkirchen', sprich: der Mission in der 3. Welt, und berichtet im Rueckblick aus eigener Erfahrung:
"In solchen Laendern kostet vielleicht eine Kirche gut und gerne unter 10000 Dollar. Das ist sicher nicht das Hauptproblem. Was teuer ist, das ist die Betreuung als solche, die von Europa, von unseren westlichen Laendern aus, erfolgt; dass jemand ueber ein Wochenende in ein Entwicklungsland fliegt, dort ein, zwei, drei Predigten haelt, und dann wiederum zurueckjettet. Und bis er dann wieder hinfliegt, laesst er noch ein halbes Dutzend andere Mitarbeiter wirken, die nach dem aehnlichen Prinzip hin und her fliegen, versuchen moeglichst eindrucksvolle Gottesdienste zu halten aber dann ja nicht allzustark mit den Problemen vor Ort konfrontiert werden moechten. Zu Hause ist es ja immer noch ein bisschen gemuetlicher".
First class Fluege und Luxushotels, erinnert sich Andreas Maurer, seien die Regel bei den haeufigen Apostelkonferenzen. Und das Fehlen einer wirksamen Finanzkontrolle fuehre zu ueberteuerten Anschaffungen, etwa einer Satelliten-TV-Uebertragungsanlage. Und stimmt es, dass die NAK-Fuehrung sich mit Wohnungen, Familienausfluegen, Dienstwagen und anderen kostenlosen Verguenstigungen versorgen laesst?
"Sie bringen mich da in eine Zwickmuehle, weil ich an meine berufliche Schweigepflicht gebunden bin. Halten Sie die Augen offen und betrachten Sie einmal aus der Naehe den Lebensstil, den diese Maenner fuehren, dann koennen Sie eins und eins schnell zusammenrechnen".
Es loeste Empoerung auf der unteren Hierarchieebene aus als bekannt wurde, dass der Stammapostel Richard Fehr im Kanton Zuerich ein Jahreseinkommen von 300000 Franken versteuert als religioeser Fuehrer einer Kirche, die auf den Spuren der Urchristen wandeln will und mit der ehrenamtlichen Arbeit ihrer Amtstraeger wirbt.
Peter Johanning, Sprecher der NAK-INTERNATIONAL und des Stammapostels, Peter Johanning bestaetigt den Betrag von 300000 Franken im Jahr, "der allerdings nicht gleichzusetzen ist mit einem Jahresgehalt des Stammapostels der Neuapostolischen Kirche. Dazu kommen noch weitere Mieteinkuenfte aus Mietobjekten, die der Familie gehoeren. Alles das ist in diese Zahl bereits eingerechnet".
Im April beschwerte sich ein Priester im Ruhestand aus dem Kanton Schaffhausen in einem langen Brief an den Stammapostel. Tausende, sagte er, daechten aehnlich:
"Die heutigen Apostel befassen sich leider allzusehr mit Verwaltungs-, Finanz- und ihren eigenen Lohn- und Pensionsfragen; und die Seelsorgearbeit, ihren eigentlichen Aufgabenbereich, vernachlaessigen sie gewaltig".
Vorgeworfen wird dem Stammapostel:
"Pluenderung des Opferstockes zum privaten Nutzen und Verschleuderung von Opfergeldern durch ueberrissenen, luxurioesen Lebensstil. Mitleiden am Kreuz Jesu hiesse die Devise und nicht dauernde Erhoehung des Einkommens".
Der kritische Priester ist kein Einzelfall. Immer mehr einfache und vor allem juengere NAK-Mitglieder loesen sich innerlich von der Sekte. "Bis zum endgueltigen Ausstieg ist es aber ein weiter Weg", berichtet die 27-jaehrige Ilona Plag aus dem Stuttgarter Raum:
"So zweigleisig zu leben, das war auf die Dauer, ja, selbstzerstoererisch. Das hat sich ueber die Jahre so zugespitzt, dass da immense psychische beziehungsweise auch psychosomatische Schwierigkeiten aufgetreten sind. Und zuguterletzt da war ich wirklich mit Tabletten nur noch faehig, die Kirche zu besuchen. Das Schluesselerlebnis fuer mich war letztendlich ein Gottesdienst, an dem ich nur noch teilnehmen konnte, indem ich vorher Valium genommen habe, um einigermassen ruhig zu bleiben und die Situation aushalten zu koennen; und just in diesem Gottesdienst hat der Predigende das Thema aufgegriffen: NAK-Mitglieder und psychische Beschwerden. Und er gab die Weisheit von sich, dass eventuell betroffene Personen sich doch bitte an ihre liebevoll sorgenden Seelsorger wenden, um dort eben Hilfe zu erhalten, und es wuerde voellig ausreichen, es waere keine Hilfe jetzt von Psychologen, Therapeuten oder eben weltlichen Aerzten in dem Bereich notwendig". Dank einer Selbsthilfegruppe hat Ilona Plag heute den Ausstieg geschafft. Rund ein Dutzend NAK-Selbsthilfegruppen gibt es bereits in Deutschland.
"So etwas brauchen wir auch in der Schweiz", meint Georg Schmied von der Sekten-Beratungsstelle der Evangelischen Kirche in Greifensee. Er kennt das Leiden der Aussteiger aus vielen Gespraechen:
"Bei manchen war es so, dass ihre koerperlichen Leiden sie beinahe zwangen, aus der NAK auszutreten, weil ihnen der Therapeut gesagt hat: Du, tritt aus, sonst wirst du nie gesund. Das ging von rheumatischen Schmerzen bis zu Konzentrationsunfaehigkeit, depressive Verstimmungen, sogar eine gewisse Suizidgefaehrdung, Orientierungslosigkeit. Es gibt wirklich Menschen, die im Konflikt zwischen Seele und Glauben beinahe zerbrechen, bis sie sich dazu entscheiden, diesen Glauben, der zu ihnen nicht mehr passt, wirklich auf die Seite zu stellen. Aber dazu braucht es sehr viel innere Sicherheit, sehr viel Tapferkeit auch, es braucht auch gute Begleitung. Ein Austritt aus der NAK, das ist kein Sonntagsspaziergang. Das ist ein langer, innerer Prozess".
So haben es zwei junge Frauen im Aargau erlebt. Beide sind in NAK-Familien aufgewachsen. Wir haben sie nach ihrem Leben und Leiden dort befragt:
"In den letzten Gottesdiensten, die ich noch so besuchte, hatte ich ganz starke Kopfschmerzen. Ich hatte das Gefuehl, dass es mich innerlich fast zerreisst, weil ich haette so viel zu sagen gehabt. Aber man durfte ja nichts sagen, sonst waere man ja grad bei den Zweiflern eingestuft worden; und ich war einfach unheimlich unter Druck und nachher natuerlich mit Schuldgefuehlen belastet, dass ich dann nicht mehr gegangen bin. Also, wenn ich mal auf der Strasse einen Priester gesehen habe zu der Zeit wo gerade ein Gottesdienst gewesen waere, habe ich schon gedacht: Hoffentlich hat der mich nicht gesehen, sonst daechte er, jetzt ist sie abtruennig".
Wie alt waren Sie da?
"Einundzwanzig".
Das wurde ja noch schlimmer?
"Ja, das wurde dann so schlimm, also, ich hatte dann noch mehrere Unfaelle, weil ich so ein bisschen traumatisiert war. Ich habe immer nur darueber nachgedacht und habe mich nicht auf die Strasse konzentriert und bin dann paarmal in ein Auto reingelaufen. Und die Kopfschmerzen, die waren dann so stark, wie wenn jemand ganz starke Migraene hat".
Sie sprechen da von Schuldgefuehlen. Welche Schuldgefuehle meinen Sie?
"Also, das ist ja einem eindoktriniert worden, dass die eine Suende, die nicht vergeben werden koenne, sei die "Suende wider den Heiligen Geist", und die Kirche behauptet von sich, nur sie haette den Heiligen Geist. Und das speichert man als Kind, und das bleibt einem. Das nagt also als Angst, die immer im Unterbewusstsein vorhanden ist. Also, als Kind war die Hauptangst: Jesus kommt, nimmt die Seinen zu sich, das sind ja bekanntlich bei den Neuapostolen nur die Neuapostolen, und quasi die Eltern gehen mit und jetzt durfte ich nicht mit. Ich war eben ihnen nicht gut genug. Es war sogar mal passiert, dass die Eltern unvorhergesehen nicht da waren, und ich hatte also ganz, ganz hoellische Angst. Ich habe also nur noch geweint und gebetet und geschrien zu Got, jetzt hast du quasi mich nicht mitgenommen; und dann sind sie dann doch noch gekommen, aber es waren meine schlimmsten Alptraeume. Wir haben ja auch noch gelernt: Nicht ins Theater, nicht ins Kino und so, weil, das koennte sein, dass dann Jesus einen da nicht holt".
Haben Sie so was aehnliches auch erlebt?
"Ja".
Wie war das bei Ihnen?
"Ich hatte Schuldgefuehle und habe gedacht: Ja, das ist, weil ich nicht in die Kirche gegangen bin, als meine Mutter mir das sagte: Komm, du kommst in die Kirche, und ich wollte nicht. Und dann gab es nichts zum Mittagessen. Und dann habe ich gedacht, ja, jetzt ist niemand hier, als ich nach Hause gekommen bin, da war der 'Tag des Herrn', und ich bin nicht dabei. Man wurde immer mit den Angstgefuehlen, ja, wenn du nicht gehst, wenn du das und das nicht machst, wenn du nicht hoerst, dann bist du nicht dabei am 'Tag des Herrn'. Dann wirst du auf der Erde zurueckbleiben".
Was ist denn 'Der Tag des Herrn'?
"Die Neuapostolische Kirche behauptet, dass, bevor das Jahr 2000 kommt, dass der Herr die Seinen zu sich nimmt, das heisst, dass der Weltuntergang kommt, und dass Krieg kommt, und dass die, die dann nicht den Heiligen Geist haben, dass die dann auf der Erde bleiben".
Und was passiert mit dem Rest?
"Die kommen in den Weltuntergang mit Krieg und Bomben, und so wird das erklaert".
Wie sind Ihre Erfahrungen mit den Gottesdiensten der Neuapostolischen Kirche gewesen? Waren die auf Jesus bezogen? Hat Christus, hat die Bibel da eine wichtige Rolle gespielt?
"Also, ich kann mich kaum erinnern, dass da Jesus gross vorgekommen ist, hoechstens so als beilaeufig. Also, die Hauptfiguren sind ganz klar die Apostel und der Stammapostel und dann die Amtstraeger, und es wird immer ein bisschen dasselbe erzaehlt. Aber Jesus kommt da nur so als Nebenrolle mal vor".
Hassen Sie den Stammapostel Richard Fehr?
"Ich kann ihn nicht ausstehen".
Warum?
"Weil, er hat mal in einem Jugendgottesdienst was erwaehnt von den 'Froegli' (Anm.: Ausdruck in der Schweiz fuer unbequeme Fragensteller). Der hat gesagt, ja, die 'Froeglis', die bekaemen dann keine Kraft mehr im Glauben, weil, die fragen dann immer noch 'Warum'?', und das sei eben dann ganz schlecht fuer den Glauben, und ich hatte eigentlich einen Schock als ich gehoert habe, dass der Stammapostel wird".
Gibt es das in der Neuapostolischen Kirche, dass jemandem ein Fluch angebetet wird?
"Also, offiziell wird das sicher niemand von der Neuapostolischen Kirche zugeben, dass sowas passieren wuerde, aber inoffiziell wird ganz oft erwaehnt: Ein 'heilsames Erschrecken' fuer die, die vom Weg abgekommen sind. Und das koennte man natuerlich auch als Fluch ansehen. Also, es kommt darauf an, wie man das interpretiert. Aber das wird intensiv gebetet, dass jemand, der vom Weg abgekommen ist quasi ein Mahnzeichen erhaelt. Also, das kann sein, dass einem irgendwas passiert, dass man vielleicht den Job verliert. Also, ich sehe das schon in meiner Sprache als Fluch an. Solange man da drin ist, wird man gut behandelt. Aber wenn man, wenn sie merken, dass man da nicht mehr voll dabei ist, dann werden sie schnell ganz schoen kalt".
Sie konnten keine Hilfe innerhalb der NAK bekommen. Innerhablb der Familie war es wohl auch schwer. Wie haben Sie es dann geschafft, diesen Ausstieg? Geht das schnell, oder ist das ein Prozess, der Jahre dauert? Wie war das bei Ihnen?
"Also, ich wuerde das ungefaehr 'in zehn Jahren' umschreiben. Wobei, ich hatte schon Glueck, dass ich einen sehr guten Psychologen fand, der, eigentlich mit acht Sitzungen habe ich mich so weit befreien koennen von den schlimmsten Schuldgefuehlen. Aber dann wirklich innerlich loszukommen, das war ein langer, innerer Prozess, und ich musste mich eigentlich von den Leuten ziemlich zurueckziehen, um das innerlich zu verarbeiten".
Die Neuapostolische Kirche kann nicht mit Konflikten, mit Diskussionen, mit Streitgespraechen leben. Es gibt nur ein bedrohliches 'Entweder – Oder'. Wer sich unterordnet bleibt in der Familie der Gotteskinder. 'UNSERE FAMILIE' heisst uebrigens das Zentralorgan der Sekte. Wer sich auflehnt wird ausgestossen.
Georg Schmied: "Ein Kritiker wird in einer ersten Phase bearbeitet. Es kommen Amtstraeger vorbei, die mit ihm sprechen. Der Kritiker faellt ja auf als Kritiker, weil er zu wenig in den Gottesdienst kommt. Wenn er dann nicht kommt und weiter zweifelt, dann wird der Punkt erreicht, wo der Kontakt mit ihm abgebrochen wird. Dieser Kontaktabbruch, der kann so weit gehen, dass auch Familien da auseinandergerissen werden, dass die Familienglieder, die noch drin sind, ihn im Moment schneiden, mit ihm nicht mehr sprechen. Aber auch gute Bekannte, die noch in der Kirche sind, die sprechen nicht mehr mit ihm. Man koennte von einer Art psychischen Inquisition sprechen. Also, frueher war das ja so, dass Abgefallene vom Glauben auf den Scheiterhaufen gestellt wurden und so vernichtet wurden. Heute haben absolut denkende, also exclusiv denkende Sekten nicht mehr das Mittel der Verbrennung, selbverstaendlich. Aber die Menschen werden zu 'nicht mehr existent' verurteilt. Man tut so, wie wenn sie nicht mehr da waeren. Man schaut auf die andere Strassenseite, wenn man ihnen begegnet. Wir haben bei anderen Organisationen dieses Phaenomen noch deutlicher. Also, in der Scientology heisst dieser Zustand des Abgefallenen: 'Non existence – du bist fuer uns gar nicht mehr da'".
Vor allem die jugendlichen Gotteskinder stehen oft vor unloesbaren Konflikten im Kontakt mit der Aussenwelt. Unerwuenscht sind Kino, Theater, Rockmusik oder Disco. Schlimmer noch: Bereits Dreijaehrige werden auf den Kurs dieser christlichen Fundamentalisten gedraengt. Aus dem NAK-Brettspiel mit dem Titel 'Eins, zwei, drei – sei fix', fuer Kinder ab drei Jahren: "Wir haben dich heute im Kindergottesdienst vermisst. Schade. Dadurch ist dir Segen verlorengegangen. Du setzt einmal aus!' Oder: 'Du hast dich am Sonntagnachmittag nicht zum Kindergeburtstag einladen lassen. Dafuer erhaeltst du eine Treuekarte!'
NAK-Mitglieder sind seit Generationen auf Unterordnung und Anpassung gedrillt worden. Mit staatlichen Systemen hat sich diese Sekte immer arrangiert, auch mit totalitaeren. Das verwundert nicht, denn, wer Kritik in den eigenen Reihen nicht duldet kann auch keinen Widerstand nach aussen zeigen. NAK, die Sekte der Anpasser, hat auch eine politische Anpassertradition:
Zehn von dreizehn deutschen NAK-Aposteln waren in der NSDAP. NSDAP-Mitglied war auch der Kirchenfuehrer selbst, Stammapostel Johann Bischoff. Andere NAK-ler ruehmen sich schon 1922 dabeigewesen zu sein. Briefe wurden ab 1933 mit 'Heil Hitler' unterschrieben, die NS-Fuehrer mit Ergebenheitsadressen eingedeckt. Vor der Neuaufnahme von Mitgliedern liess sich die NAK deren Unbedenklichkeit bescheinigen von der zustaendigen NSDAP-Ortsleitung. 1937 bestaetigte der Reichsfuehrer der SS, Heinrich Himmler, dem Stammapostel Johann Bischoff: 'Die Neuapostolische Gemeinde betont in Punkt 10 ihres Glaubensbekenntnisses streng die weltliche Autoritaet. Seit der Machtuebernahme betont sie in geradezu auffaelliger Weise ihre nationalsozialistische Gesinnung'.
Die Kirchenzeitschrift 'UNSERE FAMILIE' verbreitete in jeder Ausgabe NS-Propaganda, so etwa am 5.9.1941:
'Deutschland wird kaempfen bis zum totalen Siege, das heisst, bis zur Befreiung Europas und der Welt von bolschewistischen Moerdern, von der britischen Plutokratie und von Juden und Freimaurern'.
Ihre NS-Vergangenheit hat die NAK-Leitung bis heute nicht aufgearbeitet und sie gegenueber ihren Mitgliedern unter Verschluss gehalten. Dazu Peter Johanning, Sprecher des Stammapostels:
"Also, ich moechte mit grossem Vertrauen sagen, dass die Berichte, die beispielsweise in unserer Kirchenzeitschrift 'UNSERE FAMILIE' gestanden haben, in der NSDAP-Zeit Pflichtbeitraege gewesen sind. Wir sollten wirklich alles vermeiden, einen Stab ueber eine Zeit zu brechen, die wir selber ja heute nicht mehr beurteilen koennen".
Was macht eine Sekte, die Widerstand und Kritik nicht kennt, Anpassung und Unterordnung aber foerdert, was macht sie so attraktiv? Ist es das Prinzip der Gebetsmuehle? Versprechen die Gottesdienste Sicherheit in unsicheren Zeiten, indem die Maenner am Altar die immer gleichen simplen Glaubensregeln wiederholen?
Georg Schmied: "Die Neuapostolische Kirche, die predigt und lehrt unheimlich einfoermig. Es gibt selten so monomane, so, darf ich es grob sagen, so schlechte Gottesdienste, die von so vielen Leuten angehoert werden in der Neuapostolischen Kirche. Da kommen Apostel und Prediger, die sagen alle beinahe dasselbe. Und die voll besetzten Kirchen hoeren ihnen zu. Und eigenartigerweise in der Landeskirche, wo wir volksnahe predigen moechten, weltnahe, lebendig, originell, da haben wir zum Teil diese leeren Kirchenraeume".
Gotteskinder inmitten der grauen Menschenmasse? – Oder: Was will die Neuapostolische Kirche? Sie hoerten eine KONTEXT-Sendung von Eggert Blum und Holger Reile.
Anmerkung:
Professor Dr. Georg Schmied
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