Vom 10. Juni 1995
Betr.: Neuapostolische Kirche und Nazi-Regime
Ehemalige und Noch-Mitglieder der Neuapostolischen Kirche (NAK) fordern die führenden Verantwortlichen und die Leitungsgremien der NAK auf, 50 Jahre nach Kriegsende und nach Befreiung von der Nazi-Diktatur ein Bekenntnis zum (damaligen) Sympathisantentum mit diesem Regime und zur Mit-Schuld an der Schweigespirale abzulegen. Mit einem solchen Bekenntnis muss der Beginn einer Aufarbeitung der Unterstützung der NS-Funktionäre und -Denkweisen vor allem durch die Kirchenführung verbunden sein, und zwar sowohl kirchenintern als auch gegenüber der Öffentlichkeit.
Als Beispiele für diese Verwicklung und Identifizierung mit nationalsozialistischem Gedankengut, für die freiwillige Unterwerfung und Andienerung an das totalitäre Regime, für die Judenfeindlichkeit und den Rassismus in den eigenen Reihen dienen folgende Zitate:
" . . Die Neuapostolische Kirche steht in ihrer Lehre und ihrer Religionsauffassung auf dem Boden des Urchristentums, nicht aber auf dem des Judentums.
Jeder Diener und jedes Mitglied der Neuapostolischen Gemeinde ist durch die planmäßige Beeinflussung seitens der Hauptleitung in nationalsozialistischem Sinn erzogen, so dass die meisten Mitglieder der Neuapostolischen Gemeinde der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei angehören oder ihr nahe stehen.
...
Eine große Zahl meiner Rundschreiben an die Leiter und Diener der Neuapostolischen
Kirche Deutschlands liefert den klaren Beweis, dass sie uneingeschränkt und
bedingungslos die nationalsozialistische Bewegung nicht nur anerkannt, sondern auch
gefördert hat. ...
Außerdem habe ich verschiedenen anderen nationalsozialistischen Formationen
meine finanzielle Unterstützung zukommen lassen. ..."
(aus einem 13-seitigen Schreiben der Hauptleitung der Neuapostolischen Kirchen des In- und Auslandes vom 2.8.1933 an das Preußische Kultusministerium, Berlin; unterzeichnet mit "Heil Hitler, J. G. Bischoff".)
In diesem Zusammenhang muss auch die weitere Geschichte der Neuapostolischen Kirche aufgearbeitet werden, z. B. die menschenverachtende Haltung während des Ersten Weltkrieges. Ein beispielhaftes Zitat belegt dies:
(aus Neuapostolische Rundschau, Zeitschrift zur Förderung des Glaubenslebens der Neuapostolischen Gemeinden des In- und Auslandes, 3. u. 10.3.1918)
Ferner gehört zur Aufarbeitung die massive Unterstützung des Regimes der DDR bis zum Ende seines Bestehens. Auch hierzu beispielhaft ein Zitat:
Diese Aussagen und Verhaltensweisen dokumentieren eine geistige Nähe zu autoritären, totalitären und diktatorischen Regierungsformen. Die Urchristen, deren einzig legitime Fortsetzung nach eigenem Anspruch die Neuapostolische Kirche ist, passten sich nicht an. Sie gingen in den Tod. Die großen christlichen Kirchen Deutschlands haben nicht nur in den vergangenen 50 Jahren Bekenntnisse abgelegt und eine Aufarbeitung begonnen. Sie haben auch die Entwicklung von Persönlichkeiten in ihren eigenen Reihen aufzuweisen, die aus ihrer christlichen Grundeinstellung Widerstand leisteten und dafür in den Tod gingen.
Der Vorwurf vor allem zum Verhalten in der NS-Zeit, ist nicht die Verwicklung an sich, sondern die Tatsache, dass nach der aktiven und tatkräftigen Unterstützung der Hitler-Diktatur keine Aufarbeitung, kein Bekenntnis zum Irrtum und zur Mit-Schuld stattfindet. Als Gotteslästerung ist zu betrachten, dass sogar behauptet wird, das völlig unbeschadete Durchkommen der Kirche durch diese Zeit sei ein Beweis, dass Gott sich zu seinem Werk bekannt habe.
Dieser Aufruf ist nicht eine Anklage an Mit-Schuldige. Es ist aber ein Aufruf, sich zur Mit-Schuld zu bekennen. Zu einer Mit-Schuld daran, die eigene Ruhe dem Widerstand gegen Unterdrückung und Vernichtung vorgezogen zu haben, der Obrigkeit und nicht Gott Einfluss auf die eigenen Seele eingeräumt zu haben, die Wahrheit in den Herzen unterdrückt zu haben, mit einer totalitären Ideologie paktiert zu haben, mit der es keinen Pakt geben durfte. Die Führung der Neuapostolischen Kirche ist aufgerufen, die Missetat der Kirche und ihrer Leitung zu bekennen und aufzuarbeiten. Nur durch ein Bekenntnis zur Wahrheit des Geschehenen, zu den Fehlern der Vergangenheit, kann eine Fortsetzung ähnlicher Denk- und Handlungsstrukturen in heutiger Zeit abgebaut werden.
Zur Erläuterung:
Wir wählen diesen ungewöhnlichen Weg der Erklärung und
Aufforderung, weil innerhalb der NAK eine offene Information, ein offenes
Gespräch und eine offene Auseinandersetzung nicht möglich ist.
Für die Selbsthilfe-Initiative
Siegfried Dannwolf
Joachim Gerbert
Bernd Stöhr
u.a.