Offener Brief (24.9.1998) von Erwin Meier-Widmer an den Praesidenten der Neu-
apostolischen Kirche (KdoeR) der Bundeslaender Baden-Wuerttemberg und Bayern,
Bezirksapostel Klaus Saur, Karlsruhe.
Offener Brief
Als hoechster Seelsorger der Neuapostolischen Kirche in den Laendern Baden-
Wuerttemberg und Bayern haben Sie am 28.7.98 einen Brief an Ihre untergebenen
Gemeindevorsteher gesandt mit dem Betreff: Schreiben von Dr.med. Erwin Meier-
Widmer. Mit diesem Hinweis beziehen Sie sich auf ein Zirkular, das anonym an
Vorsteher und Bezirksaemter in anderen Bundeslaendern versandt worden ist, und
zwar am 14./15.7.98. Der besorgte Schreiber unter dem Pseudonym "Schaliach" hat
31 Fragen aufgeworfen und will damit die Empfaenger bekannt machen mit der
innerkirchlichen Bewegung aus der Basis, die zahlreiche Missstaende und Irrtuemer
der Kirchenleitung aufgedeckt hat. Zur Dokumentation hat "Schaliach" zwei
meiner kritischen Aufsaetze beigelegt, die als Briefkopf meinen Namen mit
voller Adresse angeben. Ich bin nicht der Verfasser des anonymen Zirkulars
und weiss nicht, wer "Schaliach" ist. Es wuerde bekanntlich wenig Sinn machen,
anonym zu schreiben und gleichzeitig die volle Adresse beizulegen. Dieses
Zirkular als Anlass zu nehmen, um mich vor vielen hunderten ahnungsloser
Vorstehern zu denunzieren, ist mindestens moralisch nicht in Ordnung. Nun
streifen Sie in Ihrem Brief einige unserer Kritik-Themen, die Sie bagatelli-
sieren und unter den Teppich kehren, und darum einer Entgegnung meinerseits
beduerfen:
Das Stammapostelamt (es ist in der Neuapostolischen Kirche oberste Autoritaet
in allen Fragen) ist kein biblisch benanntes Amt, sondern eine Erfindung der
Neuapostolischen Kirche. Ein frueherer Traeger dieses "Amtes", J. G. Bischoff,
publizierte 1939, dass nur einer gesandt sei, den Willen des Herrn kundzutun
(der Stammapostel). Als 77-Jaehriger schrieb er weiter (1948), er sei jetzt
der Weinstock (nicht mehr Jesus), und (1949) er sei der Sender der Apostel
und seinem Wort nur in Gedanken widerstehen zu wollen heisst, sich wider den
Sohn Gottes zu versuendigen. Vor diesem Hintergrund verkuendete er ab 1951
(80-jaehrig): "Mir ist vom Herrn Jesus eine unmittelbare, persoenliche Offen-
barung geworden, mit der er mir selbst seine Wiederkunft zu meiner Lebenszeit
mitgeteilt hat."Der Grossteil der neuapostolischen Apostel hat diese "Bot-
schaft" geglaubt und gepredigt. All jene Apostel, die auf anders lautende
Bibelstellen aufmerksam machten, wurden exkommuniziert. Stammapostel J.G.
Bischoff ist am 6. Juli 1960 gestorben. Seine Prophetie hat sich nicht erfuellt
(man beachte 5. Mose 18, 22).
Was soll diese alte Geschichte?
1. Die Neuapostolische Kirche stellt diesen Lehrirrtum vor dem Glaubensvolk
nach wie vor als goettliche Offenbarung hin.
2. Der absolutistische, ueberhebliche und unfehlbare Geist von damals lebt
heute noch in den geheimen Statuten der Neuapostolischen Kirche International
fort (zB Art. 4.2. Treuegeloebnis dem Stammapostel gegenueber = Parallelen
zum Fahneneid der SS).
1988 fuehrte die Neuapostolische Kirche International durch einen Spendenauf-
ruf erstmals ein Zusatz(Geld)-opfer ein, das sogenannte Sonder- oder Dankopfer.
In einem in jeder Gemeinde verlesenen Rundschreiben wird der Zweck wie folgt
umschrieben:
"Der Stammapostel hat sich schon seit geraumer Zeit mit dem Gedanken befasst,
einmal im Jahr zu einem besonderen Dankopfer aufzurufen. Dies insbesondere,
weil er weiss, dass bei vielen Geschwistern das Beduerfnis besteht, auch
einmal ein besonderes Opfer zu Gunsten unserer Brueder und Schwestern in
aermeren Laendern und Verhaeltnissen darzubringen. Das allein ist der Sinn
dieses absolut freiwilligen Opfers. Ueber die detaillierten Zuwendungen wird
in der ersten Haelfte des kommenden Jahres informiert."
Tatsache ist, dass
1. das "freiwillige" Zusatzopfer effektiv nicht freiwillig ist, da verkuendungs-
maessig der volle Segen Gottes immer von einem "vollen" Opfer abhaengig
gemacht wird. Gemaess neuapostolischer Doktrin muss ein Opfer "wehtun", um ein
rechtes Opfer zu sein.
2. ueber die detaillierten Zuwendungen nicht berichtet wurde; selbst die
Hoehe der eingangenen Opfergelder wurde nie genannt.
3. die neutrale Revisionsstelle STG-Coopers und Lybrand AG nie ueber die
zugesagte Zweckbestimmung dieser Zusatzopfer orientiert wurde.
4. mit den eingegangen Zusatzgeldern gemaess einer CH-Studie in den reichen
Laendern (zB in der Schweiz) Kirchenrenovationen und Kirchenneubauten bezahlt
wurden. Analoges gilt fuer Deutschland. Bei den Sonderopfergeldern muss es
sich um grosse Millionenbetraege handeln. Die Betrogenen sind die nichts-
ahnenden Glaeubigen, aber ganz besonders die Brueder und Schwestern in
aermeren Laendern und Verhaeltnissen, denen die Spende zugedacht ist.
5. sich die vollamtlichen Kirchendiener ab dieser Zeit ihre Salaere massivst
aufgestockt haben (unabhaengige Bewilligungsgremien fehlen voellig), und zwar
in einer Zeit, in der wirtschaftliche Stagnation und Rezession herrscht und
die Glaeubigen Zusatzopfer erbringen (nebst dem regulaeren Geldopfer von 10%
des Einkommens).
Dies ist nur ein kleiner Bruchteil aus unserer Kritikpalette. Alle Angaben
sind aktenmaessig belegt.
Der evangelische Prof.Dr. theol. Helmut Obst schreibt in seinem Buch (1996)
"Neuapostolische Kirche - die exklusive Endzeitkirche?": "Einem kritischen
Dialog kann sich die Neuapostolische Kirche auf Dauer nicht entziehen, will
sie nicht weiterhin selbst dazu beitragen, in der Oeffentlichkeit als "ge-
faehrliche Sekte" bezeichnet zu werden."
Und der em. Prof. fuer Moraltheologie an der Lateranuniversitaet in Rom,
Bernhard Haering, schrieb in "Wege zum Sinn" (1997) zum Thema Kritik: "Das
Wort Kritik kommt ja von krinein: unterscheiden. Nicht nur die einzelnen,
sondern auch die Gemeinschaften und die Kirche als ganze muessen die
Tugend der Kritik pflegen und zur Geltung kommen lassen".
Aber der neuapostolische Stammapostel sagt: "Das Wort Kritik kommt in der
Bibel nicht vor, daher haben wir uns damit auch nicht zu befassen." Er ueber-
geht bewusst den Aufruf an die Glaeubigen der Urkirche: "Ihr Lieben, glaubet
nicht einem jeglichen Geist, sondern pruefet die Geister, ob sie von Gott
sind; denn es sind viel falsche Propheten ausgegangen in die Welt" (1. Johan-
nes 4, 1).
Mit freundlichen Gruessen
Erwin Meier-Widmer
CH-8200 Schaffhausen, 24.9.98
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