Brief (1.9.1960) von Br. Schreckenberger an den Stammapostel und die Apostel der
Neuapostolischen Kirche
.

(publiziert in "Der Herold", Halbmonatsschrift zur Pflege apostolischen Glaubens, Nr. 23,
Sechster Jahrgang, 1. Dezember 1960, Seiten 190-192)

Ludwigshafen a. Rh., den 1. September 1960

An den
Stammapostel und die Apostel
der Neuapostolischen Kirche

Lieber Stammapostel, liebe Apostel!

Mit Brief vom 21. Juli 1960 habe ich mich an Apostel Bischoff gewandt. Dieser Brief ist
bisher unbeantwortet geblieben. Angesichts der Dringlichkeit der hierin aufgeworfenen
Fragen erlaube ich mir, Ihnen eine Abschrift dieses Briefes zu uebersenden.

Die bisherige Entwicklung unserer Kirche seit dem Tode des Stammapostels Bischoff hat die
in meinem Brief geaeusserten Befuerchtungen in einem erschreckenden Masse bestaetigt. Es
sind dadurch viele aufrichtige Geschwister in einen tiefen Zwiespalt getrieben worden.
Einerseits wissen sie um die goettliche Berufung unseres Glaubenswerkes und die tiefe Bedeu-
tung der kirchlichen Gemeinschaft, mit der sie seit langen Jahren innig verbunden sind,
anderseits quaelt sie in dieser Gemeinschaft der unueberwindbare Widerspruch zur Wahrheit,
von der sie nach goettlicher Zusage wissen, dass sie allein gluecklich und wahrhaft frei
macht.

Erlauben Sie mir ein offenes bruederliches Wort. Das bisherige Verhalten der Kirche zum Tod
des Stammapostels erweckt den Eindruck der Ratlosigkeit, ja Verlegenheit und sogar der
Unaufrichtigkeit. Man versucht zunehmend dieses Ereignis totzuschweigen oder ueber es mit
widerspruechlichen und wenig glaubwuerdigen Argumenten hinwegzutroesten. Ueber die
aeusseren Nachfolge des Volkes wird seine tiefe innere Not verharmlost.

Muss sich da nicht die Frage im Herzen erheben, ob die Kirche die eindeutige Sprache Gottes,
indem Er sich nicht zu der Botschaft bekannt hat, nicht verstehen will? Hat die Kirche nicht
mehr die Kraft, der Wahrheit zu folgen? Wie will die Kirche aus dieser schlimmen geistigen
Nacht herausfuehren, wenn sie die Heimsuchung Gottes nicht erkennt? Wird sie sich nicht
wieder in Widersprueche verstricken und noch groesseres Elend ueber ihre Glaeubigen
bringen?

Es mag menschlich verstaendlich sein, einer unangenehmen Lage auszuweichen und sie nach
Moeglichkeit abzuschwaechen. Kann dies aber auch fuer das Werk Gottes gelten? Gewiss hat
der Tod des Stammapostels die Kirche und insbesondere Sie in eine in der Reichsgottes-
geschichte nicht dagewesene Situation gebracht. Aber stellte nicht auch die Botschaft ein
bisher einmaliges Ereignis in der Geschichte dar? Sie hat uns in einzigartige Weise ueber
die Menschen aller Zeiten erhoeht. Um so tiefer sollte uns heute die Demuetigung Gottes
treffen. Jeder Versuch, ihr auszuweichen, heisst Flucht vor Gott, Flucht vor der Verant-
wortung.

Die wahre Demut wird aber die Sprache Gottes verstehen und Busse tun. Sie wird die ganze
Buerde ihrer Vergangenheit in voller Aufrichtigkeit auf sich nehmen und um den Geist der
Wahrheit, der Liebe und Versoehnung ringen.

Und wieviel hat die Kirche erneut aufzurichten und zu versoehnen! Wer mit offenen Augen
an der kirchlichen Entwicklung der letzten Jahre teilhatte, dem konnte es nicht verborgen
bleiben, dass unter dem Zeichen der Botschaft mancher Geist der Spaltung, der Intoleranz,
der blinden Uebersteigerung und oftmals ein seelenloser Dogmatismus eingekehrt waren.
Argwohn, ja oft auch Feindschaft waren unter den Geschwistern und Amtsbruedern in nicht
gekanntem Masse ausgebrochen. Zahllose Mutmassungen ueber Wiederkunftstermine Christi
fuehrten zu einer laehmenden Verengung des Glaubensbildes. Ein missverstandenes Fuehrer-
prinzip kannte in vielen Bezirken keine wahre bruederliche Gemeinschaft mehr. Unbedingter
Gehorsam und Menschenfurcht erschwerten oder vereitelten gar jede echte Aussprache.

Wieviele Apostel und Geschwister mussten sich in dieser Zeit aus der Gemeinschaft loesen!
Es ist tief erschuetternd, dass bisher noch nicht das geringste Anzeichen einer Versoehnung
mit diesen Aposteln und Geschwistern zu erkennen ist. Ich selber habe keine Muehe gescheut,
mich erstmals in diesen Wochen ueber die Vorgaenge zu informieren, die zum Ruecktritt von
Apostel Kuhlen als Stammapostelhelfer und schliesslich zum Ausschluss von Apostel Kuhlen
und seinen Mitaposteln fuehrten. Verzeihen Sie, aber all das waren doch wahrlich keine
Gruende, diese Apostel auszuschliessen und oft sehr uebel zu beleumden!

Moechten Sie mir doch glauben, dass ich mit andern hilfesuchenden Geschwistern in diesen
Tagen unter der Bedienung der Apostel Kuhlen und Dehmel viel goettliche Kraft und nach
langen Wochen der Erschuetterung einen wahrhaftigen Trost hingenommen habe. Wir haben
kein falsches Zeugnis von ihnen gehoert, keine menschliche Schadenfreude vernommen. Wir
erlebten den Geist der Ersten Liebe. Diese Maenner wissen um ihre Verantwortung in diesen
schwersten Tagen unserer Kirche. Sie bekennen mit Ihnen ihren apostolischen Auftrag. Aber
wie schmerzlich ist es fuer uns alle, sie abseits von der alten Gemeinschaft zu sehen, ver-
achtet und ausgestossen.

Wir koennen es noch nicht fassen, dass es dabei bleiben soll. Was trennt denn diese Brueder
von uns? Es ist unsere ernste Ueberzeugung, dass diese Trennung nicht Gottes Wille ist.
Soll der Kirche nach dieser tiefsten Erschuetterung auch noch das ungeheuerliche Schicksal
der Spaltung auferlegt werden? Sollen in Zukunft noch mehr Brueder gegen Brueder stehen,
Unversoehnlichkeit und Misstrauen zwischen den Geschwistern wuchern?

Wir sind uns bewusst, dass uns die Wahrheit mehr bedeuten muss als eine liebgewordene,
aber in die Irre geratene Gemeinschaft, dass Gott auch dieses Opfer, die bisherige Gemein-
schaft aufzugeben, verlangen kann. Aber noch wollen wir mit ganzem Herzen hoffen, dass der
Kirche der unselige Bruderstreit erspart bleiben moege.

Ich bitte Sie instaendig, und ich weiss mich im Auftrage vieler ernstdenkender Geschwister,
ueben Sie doch ihr goettliches Amt der Versoehnung. Noch ist es nicht zu spaet, und wo ein
aufrichtiger Wille ist, da wird Gott auch das Gelingen geben. Durchbrechen Sie die unbarm-
herzige Mauer des Schweigens und handeln Sie!

Gaebe es ein wahrhafteriges Zeichen goettlicher Kraft als diese Versoehnung? Welch unselige
Streit waere ueberwunden! Wieviel Segen konnte unter den aussenstehenden Menschen in der
Verlassenheit ihrer Zeit gewirkt werden!

Es waere ein Wunder Gottes, groesser und gewaltiger als alle Botschaften!

Mit herzlichen Gruessen in Christo

gez. W. Schreckenberger

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