Thema:
Das vierfache Amt"Geboren" wurde die Lehre vom "vierfachen Amt" in der katholisch-apostolischen Zeit. Diese Lehre wurde dann in unsere Glaubenslehre uebernommen, ohne dass man sich jemals genau Rechenschaft darueber gab, inwieweit dies haltbar sein kann. So wurden Erklaerungen ueber das "vierfache Amt, die vier Tiere oder Lebewesen" (Hesekiel und Offenbarung) in unserer Literatur fest verankert und dadurch von Generation zu Generation uebernommen. Je naeher wir aber dem Ziel kommen, um so mehr muss der Geist der Wahrheit uns in alle Wahrheit und Klarheit fuehren koennen. Darum empfehle ich sehr, dass wir uns in die nachstehenden Gedanken vertiefen.
Die gesamte Arbeit ueber "Das vierfache Amt" wird in folgende Untertitel gegliedert:
1. Der Inhalt der Lehre
2. Die Herkunft der Lehre
3. Die Lehre vom "vierfachen Amt" in der Neuapostolischen Kirche
4. Zum Begriff des "Amtes"
5. Die Geistesgaben nach Paulus
6. Aemter der urchristlichen Gemeinden
7. Die vier Lebewesen
8. Zusammenfassung
1. Der Inhalt der Lehre:
Die Lehre vom "vierfachen Amt" hat folgenden Inhalt:
Die Kirche Jesu Christi habe eine innere Ordnung, die auf vier Aemtern aufgebaut ist:
Diese geistige Ausruestung der Gemeinde, anders ausgedrueckt, die Kirchenverfassung
gehe auf biblische Vorbilder zurueck:
auf die vier Hauptwasser des Gartens Eden (1. Mose 2, 10-14)
auf die vier Cherubim (Hesekiel 1, 5-25; 10, 1 - 22)
auf die vier Lebewesen (Offenbarung 4, 6-11)
auf die vier Hoerner am Altar (2. Mose 27, 2)
auf die vier Saeulen der Stiftshuette (2. Mose 26, 32; 36, 36)
auf die vier Farben des Vorhangs im Tempel (2. Mose 36, 35 - 37)
auf die vier Paniere des Volkes Israel (4. Mose 1, 52)
auf die vier Evangelisten
auf die vier Wesenseigenschaften des Menschen: Wille, Phantasie, Verstand, Gefuehl
Mit dieser Lehre soll die Frage beantwortet werden:
Zur Begruendung wird auf die zentrale Textstelle Epheser 4, 11 - 16 verwiesen:
"Und er hat etliche zu Aposteln gesetzt, etliche aber zu Propheten, etliche zu
Evangelisten, etliche zu Hirten und Lehrern, dass die Heiligen zugerichtet werden zum
Werk des Dienstes, dadurch der Leib Christi erbaut werde, bis dass wir alle hinankommen
zu einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohnes Gottes und ein vollkommener Mann werden,
der da sei in Masse des vollkommenen Alters Christi, auf dass wir nicht mehr Kinder
seien und uns bewegen und wiegen lassen von allerlei Wind der Lehre durch Schalkheit
der Menschen und Taeuscherei, womit sie uns erschleichen, uns zu verfuehren.
Lasset uns aber rechtschaffen sein in der Liebe und wachsen in allen Stuecken an
dem, der das Haupt ist, Christus, von welchem aus der ganze Leib zusammengefuegt ist
und ein Glied am andern haengt durch alle Gelenke, dadurch eins dem andern Handreichung
tut nach dem Werk eines jeglichen Gliedes in seinem Masse und macht, dass der Leib
waechst zu seiner selbst Besserung, und das alles in der Liebe."
Auch die Kapitel 12 bis 14 des 1. Korintherbriefes werden herangezogen.
Aus diesen Textstellen wird abgeleitet, welche Vorstellungen Paulus von der innerer Ordnung der Gemeinde gehabt habe, und wird zugleich gefolgert, auf welche Weise gegenwaertig die Kirche Christi geordnet sein muesse.
2. Die Herkunft der Lehre:
Die Lehre vom "vierfachen Amt" ist ein spezieller Verkuendigungsinhalt der Katholisch-apostolischen Kirche.
Es ist auffaellig, dass weder die Katholische Kirche noch die protestantischen Kirchen diesen Inhalt gelehrt haben und lehren.
(Die Vorstellungen der Katholischen Kirche gehen dahin, dass es abgeleitet von den "Aemtern Christi" in der Kirche das Lehramt, Hirtenamt und Priesteramt geben muesse. - Die Lutheraner kennen nur ein Amt: das Predigt- oder Hirtenamt. - Die Reformierten haben zwei theologische Aemter: Pastor und Doktor, und zwei Laienaemter: Aelteste und Diakone.)
Die Lehre vom "vierfachen Amt" entstand in der Katholisch-apostolischen Kirche im Zusammenhang mit der symbolischen Ausdeutung des siebenarmigen goldenen Leuchters durch Cardale - 1833 und entwickelte sich bis 1842.
Umfassend wird sie von Ludwig Albrecht dargestellt.
Zur Begruendung der Lehre wird von einem Gedanken ausgegangen, der auf Hebraeer 10, 1
zurueckgeht:
"Wenn das Gesetz hat den Schatten von den zukuenftigen Guetern, nicht das Wesen der
Gueter selbst; alle Jahre muss man opfern immer einerlei Opfer, und es kann nicht, die
da opfern, vollkommen machen."
Die Einrichtungen des Neuen Testaments seien durch bestimmte "Vorschatten" oder "Schattenbilder" vorgezeichnet. Aus ihrer Bildlichkeit nimmt man den Schluessel zum Verstaendnis der gegenwaertigen und zukuenftigen Dinge.
Dem "vierfachen Amt", das durch die Amtsklassen Apostel - Propheten - Evangelisten - Hirten dargestellt ist, wurde in der Katholisch-apostolischen Kirche das dreifache Gemeindeamt zugeordnet. Es besteht aus drei Stufen: Diakone - Priester (Aelteste) - Bischoefe (Engel). (Die Diener wurden nicht zu einer der vier Amtsklasse, sondern zu einer der drei Amtsstufen ordiniert; ihr Amtscharakter wurde nach der Ordination durch die Apostel bestimmt).
3. Die Lehre vom "vierfachen Amt" in der Neuapostolischen Kirche:
In den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens uebernahm die Neuapostolische Kirche die Lehre von der Katholisch-apostolischen Kirche vollinhaltlich. Apostel Schwartz aeussert sich entsprechend im "Buch fuer unsere Zeit" Band 1, Seite 50 - 53.
Im "Herold" 1890, Nr. 8 und in den "Waechterstimmen aus Ephraim" vom 1. Oktober 1895 sind die Ausfuehrungen unveraendert.
Auch Stammapostel Bischoff hat in den Jahren, als er als Stammapostelhelfer wirkte, diese Inhalte gelehrt.
In die Veroeffentlichungen "Haushaltung Gottes" (1923 von Stammapostel Niehaus herausgegeben) und "Die Aemter und Sakramente der Neuapostolischen Kirche" (1935 erschienen) ist die Lehre nicht eingeflossen. Auch im Lehrbuch "Fragen und Antworten" findet sie sich nicht.
Bezirksapostel Fehr (15.7.1986) setzt sich mit den Inhalten der Lehre auseinander und vermerkt, dass der Begriff "vierfaches Amt" zu falschen Schluessen fuehren koenne.
Um eine ausgewogene Wuerdigung der Lehre vornehmen zu koennen, ist empfehlenswert:
a) einige Anmerkungen zum Begriff des "Amtes" vorzunehmen
b) Grundsaetzliches zum Verstaendnis des Paulus hinsichtlich der Geistesgaben vorzutragen
c) der Frage nachzugehen: Welche Aemter gab es in den urchristlichen Gemeinden?
d) die "vier Lebewesen" (Offenbarung 4, 7 - 8 und Hesekiel 1, 10) zu beleuchten
4. Zum Begriff des "Amtes"
Allgemein ist ein Amt ein Dienst, der auftragsgemaess getan wird. Ein geistliches Amt ist ein Dienst durch Beauftragung und wird in der Kraft des Heiligen Geistes ausgeuebt.
Jesus Christus hat nur ein Amt gestiftet, das Apostelamt. Aus demselben sind alle weiteren Aemter seiner Kirche hervorgegangen. Sie bildeten sich je nach Beduerfnis und gingen auf die verschiedenen Geistesgaben zurueck.
Erst in spaeterer Zeit entstand aus den hier und da wirkenden Aemtern ein System von festen kirchlichen Aemtern (Aemterhierarchie).
5. Die Geistesgaben nach Paulus
Zur biblischen Untermauerung der Annahme, in der Kirche Christi muesse das "vierfache Amt" vorhanden sein, bezieht man sich auf die Aussagen von Apostel Paulus, die er in Epheser 4, 11 und 1. Korinther 12, 28 getroffen hat.
Betrachtet man den Zusammenhang, in den diese Verse gestellt sind, muss man feststellen, dass es Paulus nicht darum ging, eine Aemterhierarchie der Kirche Christi zu beschreiben. Waere dies sein Ziel gewesen, haette er zumindest noch das Amt des Bischofs und Aeltesten in die Beschreibung aufnehmen muessen, deren Bedeutung er bekanntlich in anderen Briefen besonders hervorhebt (vgl. 1. Timotheus 3, Titus 1, 5 ff). Abgesehen davon war das erste Hilfsamt der Apostel, das Diakonenamt, gemaess Apostelgeschichte 6, 1-6, hinlaenglich bekannt.
In 1. Korinther 12 tadelt Paulus die falsche Bewertung der Geistesgaben, besonders jene der Sprachengabe, deren auffallende Aeusserungen die Korinther in ihrem Wert ueberschaetzten. Diesem begegnet er durch seine Belehrung in Kapitel 12, indem er vor allem in Vers 28 auf die Rangordnung der Geistesgaben (nicht der Aemter) hinweist.
Dass "Apostel" zugleich auch ein Amt bezw. das Amt der Kirche ist, bleibt unbestritten, ist jedoch fuer die Auslegung des Textes nicht massgebend.
Somit ging es Paulus nicht um die Darstellung der inneren Ordnung der Gemeinde durch die Ausbildung fester Aemter, sondern um ein geordnetes Dienen der Gaben des Heiligen Geistes.
Demzufolge ist es unzulaessig, aus den genannten Textstellen die Lehre vom "vierfachen Amt" abzuleiten.
6. Aemter in den urchristlichen Gemeinden
In den ersten drei Generationen lebten die Gemeinden ohne feste Ordnung. Man kannte den Dienst der Diakone, Evangelisten und Bischoefe; auch wurden nach juedischer Tradition Aelteste (Presbyter) eingesetzt. Erst gegen 100 n.Chr. wurde unter Fuehrung der Bischoefe eine feste Amtsordnung (Aemterhierarchie) gebildet.
Bezogen auf die Lehre vom vierfachen Amt besagt dies, dass die Situation in den urchristlichen Gemeinden keine verbindliche Auskunft auf die Frage gibt, welche Aemter die Kirche Christi haben muesse.
7. Die vier Lebewesen
Sowohl der Prophet Hesekiel (Kap. 1 und 10) als auch der Apostel Johannes (Offenbarung 4,9 und 5) sehen Bilder von den vier Tieren (genauer uebersetzt: vier Lebewesen).
Wenn auch in der Beschreibung des Hesekiel und Johannes eine gewisse Uebereinstimmung besteht, sind dennoch deutliche Unterschiede feststellbar. Diese liegen weniger darin, wie die Gestalt der Lebewesen beschrieben ist, und weniger darin, dass sie Hesekiel in Kapitel 10 als Cherubim bezeichnet, sondern vor allem in deren Taetigkeiten:
- bei Hesekiel: Sie offenbaren sich in ungestuemen Wind, einer Wolke voll Feuer, in
Blitzen, sie laufen hin und her. "Dies war das Ansehen der Herrlichkeit des Herrn"
(Hesekiel 1 aus 28). Mit diesen Worten deutet Hesekiel selbst die Vision.
- in der Offenbarung: Sie bringen Gott Anbetung, Dank und Preis.
Darin wird der Unterschied der Offenbarung der Herrlichkeit Gottes im Alten und Neuen
Testament deutlich:
Altes Testament: Gesetz
Neues Testament: Gnade
Welche Bedeutung haben nun die vier Lebewesen gemaess der Offenbarung? Sie sind Teil der himmlischen Regierung, repraesentieren die Macht und Majestaet Gottes (Loewe: Herrschaft; Ochse: Macht, Geduld; Mensch: Weisheit; Adler: Weitsicht) und erfuellen folgende Aufgaben:
a) Lobpreis und Anbetung Gottes sowie des Lammes (Offenbarung 4,9; 5,9; 19,4). Das
geschieht vor allem dann, wenn ein besonderer Abschnitt im Heilsplan Gottes beginnt oder
erfuellt ist, z. B.
- als des Lamm das Buch mit den 7 Siegeln nahm (Offenbarung 5,5 ff.)
- die Versiegelungs- und Erloesungsarbeit viel Frucht gebracht hat (Offenbarung 7,10-12)
- Babylon gefallen ist (Offenbarung 19, 4)
b) Noch dem jeweiligen Brechen der ersten vier Siegel durch das Lamm treten durch Ruf eines der vier Lebewesen Ereignisse in Erscheinung, die die Vollendung des Heilsplanes einleiten (Offenbarung 6, 1-8).
Keines der vier Lebewesen hat den Auftrag empfangen, auf Erden Erloeserdienste zu leisten, Versiegelungsarbeit zu verrichten, das Evangelium zu verkuendigen - alles Taetigkeiten, die in einem vierfachen Amt enthalten sein muessten. Im Mittelpunkt der Vision des Johannes steht das Lamm, Es allein bezieht alle Aemter seines Erloesungswerkes auf sich.
Aus diesen Ausfuehrungen ist ersichtlich, dass die vier Lebewesen nicht mit einem "vierfachen Amt" in Verbindung gebracht werden koennen.
8. Zusammenfassung
Abschliessend laesst sich festhalten:
Die Lehre vom "vierfachen Amt" ist ungeeignet, die Frage nach den Aemtern der Kirche Christi zu beantworten. Der Lehrinhalt ist nicht haltbar.
a) Die Aussagen des Apostels Paulus lassen sich nicht im Sinne einer festen Aemterordnung deuten.
b) Die Situation in den urchristlichen Gemeinden laesst nicht zwingend die Folgerungen im Sinne der Lehre zu.
c) Die Deutung der vier Lebewesen kann nicht mit einen "vierfachen Amt" in Verbindung gebracht werden.
In diesem Zusammenhang soll noch zu der Vorgehensweise der Katholisch-apostolischen Kirche, gemaess Hebraeer 10, 1, eine spezielle symbolische Deutung vorzunehmen, angemerkt werden:
Hebraeer 10, 1 als Begruendung der Lehre heranzuziehen, dass das Gesetz den Schatten der zukuenftigen Gueter habe und somit zugleich eine Schattenwirkung im Bezug auf das "vierfache Amt" sei, ist abwegig. Das dort dargestellte Bild weist auf das Opfer des Sohnes Gottes hin, der durch sein Blut eine voellige Erloesung bewirkt hat, wohingegen nach dem alten Gesetz die mancherlei Opfer nur eine aufschiebende Wirkung hatten, also keine voellige Vergebung erlangten.
Im Zusammenhang mit den Ausfuehrungen ueber das "vierfache Amt" ist auch hoechstinteressant, was in unserer Literatur im vergriffenen Buch "Alte und neue Wege" auf Seite 45 zu lesen ist. Ich zitiere:
"In einigen Aposteln, z. B. Johannes, Petrus und Paulus lag auch das Prophetenamt, der beste
Beweis, dass das apostolische Amt alle Aemter in sich vereinigt. Ausser den genannten Aemtern
werden in 1. Kor. 12, 28 Wundertaeter, Helfer und Regierer aufgezaehlt. Es sind auch nach 1.
Kor. 12,5 nicht bloss vier oder fuenf Aemter, sondern mancherlei; diese mancherlei Aemter waren
nicht von Anfang an da, d. h. nicht von dem Augenblicke an, wo die Kirche ins Leben trat. Wir
wollen uns in folgendem etwas mehr mit dem geschichtlichen Hervortreten der Aemter befassen
und genauer dartun, wie das Bischofsamt aufkam und sehr bald das Prophetenamt abloeste und
ueberragte.
Die Entstehung und Besetzung der Aemter haengt mit dem Wachstum des Werkes Gottes, mit den
groessten Beduerfnissen und Noeten der apostolischen Gemeinden zusammen."
Wahrlich, eine schoene Erkenntnis zu damaliger Zeit die uns zeigt, dass die Lehre vom sogenannten "vierfachen Amt" schon damals als nicht unbedingt haltbar angesehen wurde!
R. Fehr